Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 98.
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Der Kakadu.
Sonnabend, den 23. Mai.
Erzählung von Anna Croissant- Rust . Huller grinste verständnislos. Was war denn mit dem Frauenzimmer los? Dieses Geziere! Sie fand das gewiß eine heitle Situation, so in der Nacht bei einem fremden jungen Manne zu sein? Sie verlangte wohl, er solle sich ihr in aller Form vorstellen! Eins, zwei, drei: aus dem Bett, eine Berbeugung wie im Frad ,,, mein Name ist Suller!" vielleicht so? Sie sah aus, wie wenn sie darauf wartete. Sie wollte also behandelt sein wie eine Dame und nicht wie ein altes
Nähmädel? Lachhaft!
So sollte sie endlich gehen, zum Donnerwetter! Er brauchte ja die Dame nicht mehr, er verzichtete auf die Damel Doch wie er genau zusah, bemerkte er ihre Schen und ihren ängstlichen Blick.
„ Gehen Sie doch ins Bett, Fräulein!" Seine Gutmütigfeit drängte ihn dazu, ihr die Hand wieder entgegenzustrecken, er sah nicht, daß Frieda brandrot geworden war. Ich brauche gewiß nichts mehr, die Tropfen hab ich, und morgen komm ich zu Ihnen und zeige, daß ich wieder ganz auf dem Damm bin. Gelt? Also gute Nacht!"
Jett gab sie ihm auch die Hand und war ganz verwirrt, denn sein Hemdärmel stand offen, und fiel weit über den muskulösen Arm zurüd; sie ging schnell mit ihrer Lampe, es war fast wie eine Flucht. Draußen stand der Sylphiderich mit großen, weiten Filzpatschen und lauerte. Beinahe hätte sie die Lampe fallen lassen.
„ Der Herr, der Herr Bildhauer, ist frank, wissen Sie. Oh, paffen Sie doch auf, bitte, heute Nacht noch, wenn Sie vielleicht etwas hören!"
Er sah sie mißtrauisch an. Ja mei, Freil'n Baronin, unfereins hat an g'sunden Schlaf, aber natirli, wenn i was hör, natirli. Hab die Ehre, gute Nacht zu wünschen."
Damit schlurfte er in seine Wohnung, aus dem engen Gang glotte mit verschlafenen stieren Augen die Sylphide ihr nach.
Die ganze Nacht lag Frieda wach und horchte mit ängstlichem Herzen, ob der drunten nicht etwa wieder stöhne. Bei jedem Ton schraf sie in die Höhe, es war nicht die Aufregung allein, sie sorgte sich. Sie sorgte sich um einen Menschen, um einen wildfremden Menschen! Und sie war ihm ins Zimmer gelaufen in der Nacht. Warum hatte sie nur den Seutscher nicht geweckt? War ihr denn der Gedanke nicht gekommen? Es lag doch so nahe; was der Bildhauer wohl von ihr meinte? Es wurde ihr heiß, wenn sie daran dachte, daß er fommen wollte, morgen. Ach, das war vielleicht nur so gesagt!- Um zehn Uhr am nächsten Morgen fam er aber wirklich. Nicht im Besuchsanzug, mit dem Hut und verbindlich, wie sie gedacht, nein, im gewöhnlichen Jakett und dem heruntergefrempelten Filz, in nachlässiger Haltung, die ihm den Namen das„ Dromedar" eingetragen hatte.
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Sein ganzes derbes, braunrotes, junges Gesicht strahlte wieder von Gesundheit und Leben. Wie er die Geschichte mit ihr, mit der Halbdame" einleiten sollte, wußte er aber gar nicht. Alles war so sonderbar hier, sie, die verscheucht hinter der Nähmaschine stand, die altfränkische Einrichtung, die großen Rokokobilder mit ihren runden Augen und hochgewölbten Brauen der Wit, mit dem er sich einführen wollte, blieb ihm im Halse stecken. Er hatte seinen Hut auf den nächstbesten Stuhl werfen wollen, behielt ihn aber in der Hand. Endlich kamen sie beide zum Sizen und er zum Reden.
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Ich habe Sie recht erschreckt, Fräulein, heute Nacht. Sehen Sie, da schau ich aus wie's Leben, und auf einmal fonimt so ein Anfall; ich bin sonst ferngesund, aber am Herzen, da fehlt's halt zu Zeiten. Und wenn man so ganz
allein liegt, macht man sich dumme Gedanken
Aber es ist nicht wiedergekommen?"
Keine Spur, ich habe geschlafen wie ein Sack." Jezt hätte er ruhig gehen können, denn sie wußten sich eigentlich nichts mehr zu sagen. Aber er blieb und betrachtete sich das Zimmer und zuletzt sie selbst.
Sie schämte sich, daß er sie so lange und aufmerksam an
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schaute. Gewiß hätte er das nicht getan, wenn sie nicht so boreilig gewesen wäre, und wenn er sie nicht für eine arme Stickerin gehalten hätte; ob er sich einer Dame gegenüber nicht anders benehmen würde?
Ich hätte heute Nacht den Kutscher wecken sollen, an* ſtatt ſelbſt
Er schaute sie ohne Verständnis an.
Warum? Ich war froh, daß überhaupt jemand kam. Oder Sie werden sich doch nicht etwa gar schämen, zunt Donnerwetter? Das wäre ein Gaudium!" Er lachte aus vollem Halse. So was! Nein, so was!" meinen, daß es sich schicht!" " Ich meine ja nur, die anderen im Hause drüben, ob die
Er ganz berdugt:„ Schickt!" Die drüben! Da dürfte ich ja auch gar nicht zu Ihnen kommen. Na, erlauben Sie, das schickt sich wohl auch nicht? Die alten verdammten Ge schichten! Sind Sie so eine Prüde, auf die Stecknadel Ge spießte? Ich will's nicht hoffen. Die anderen! Was küm mere ich mich um die!"
" Ich habe mich eben lange, lange Zeit in meinem Leben nur um die anderen kümmern müssen!"
Ich hätt's auch tun sollen eigentlich, das müßte ja schließlich jeder, aber ich danke dafür! Um mich kümmere ich mich, Teufel nochmal, zuerst komm ich und immer ich, ich scher mich um mich und nicht um die andere Bande. Ich und meine Freiheit und meine Kunst, sonst gibt's für mich nichts. Gar nichts. Frei, ganz frei, als Stünstler frei, als Mensch frei; ich mache mir meine eigenen Gesetze. Sie leben doch auch allein und können tun, was Sie wollen, was machen Sie sich's so schwer?"
Sie haben wohl keine Eltern oder keine Verwandten
mehr?"
,, Nein, die Eltern sind schon lange tot. Hätten auch nicht viel Freude an mir gehabt, so ein Paar echte, eigenwillige Bauernköpfe." ,, Und Ihre Geschwister?"
" Wollen nichts von mir wissen und ich nichts von ihnen. Was Geschwister! Die mit gleicher Seele sind meine Geschwister, eine andere Verwandtschaft kenn ich nicht. Punktum. Altes, überlebtes Zeug." Er machte eine verächtliche Handbewegung. Wär mir auch die rechte Freiheit! Glauben Sie, daß ich das nicht fenne bon früher? Schon wieder eine neue Hose, Friz, ja, was denkst du?" oder„ ah! ah! ich hab dich mit einem Mädel gesehen, jawohl, leugne es nur nicht, aah du!" und dabei machte er genau den zänkisch- nörgelnden Ton fleinlicher Weiber nach. Oder die Auflage: Bildhauer willst du werden, so ein Hungerleider, dein bißl Gerstl durchbringen und uns dann übern Hals fommen? Lern was G'scheits, fannst überallhin heiraten, kriegst eine mit Geld!" Ob ich das nicht kenne? Proz, Proz und das soll ich Geschwister nennen? Schämen tät ich mich. Das ist ab, ab ist's, fag ich." Dabei rannte er im Zimmer hin und her ,. daß der Boden schütterte, weil er ein schwerer plumper Sterl war und trop des Rennens fonnte er sich nicht beruhigen, zuletzt schwenfte er seinen Filz und ging.
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Und ging ärgerlich und gereizt.
Eine schöne Bescherung, so zu quatschen vor der fremden Person! Das tam nur von dem verfluchten Anfall. Wenn er recht elend daran war, packte ihn immer diese feige Sentimentalität, dies Heimatverlangen, und darüber mußte er sich zu Tode ärgern und schämen mußte er sich, wegschimpfen und wegräsonieren.
Pfui Teufel!" sagte er, als er draußen war, ganz laut und spuckte aus. Im Augenblick fiel's ihm aber ein, daß fie's falsch auslegen könnte, und er klopfte noch einmal an und stürzte gleich ins Zimmer mit dem Hut auf dem Kopfe und schrie:
bätt" ichs vergessen, und ich komm wieder, mich umzuschauen,
,, Also ich dank noch mal recht schön, Fräulein, beinahe
wie's Ihnen geht und Ihnen die unnötigen Flausen zu vertreiben. Mahlzeit!"
Dann polterte er die Treppe hinunter und brummte noch immer in sich hinein:„ Wenn der Mensch krank ist, ist er unzurechnungsfähig, sag' ich, feig ist er, kuscht sich, für nichts fann er verantwortlich gemacht werden, für gar nichts, für