Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 107.

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Der Kakadu.

Sonnabend, den 6. Juni.

Erzählung von Anna Croissant- Nust. Mein Gott, so raten Sie mir doch!" schrie Frida. ,, Wie können Sie so grausam mit mir sein! Wie schrecklich ist das alles, ich wollte, ich lebte nimmer. Wenn ich nur den Mut hätte"

"

Hören Sie auf!" schrie Suller und hielt sich nervös die Ohren zu. Was ist denn so Schreckliches geschehen? Das ist so recht Weiberart, zuerst die Besinnung verlieren und hinternach Zeter und Mordio schreien. Wir sind doch freie Menschen? Wer hat Verpflichtungen? Nicht Sie, nicht ich. Das ist doch verflucht einfach. Lassen Sie nur eine furze Zeit darüber weggehen, und alles ist wie früher."

Wie früher! Nie! nie! Haben Sie denn keine Emp­findung dafür? Löschen Sie doch alles aus, ich kann es nie überwinden, nie vergessen!"

,, Wie kann es möglich sein, daß sie solche eraltierte und überspannte Reden führen! Sie waren doch jetzt immer ver­nünftig, und Sie können es sein, wenn Sie wollen, und nun seien Sie sofort vernünftig!"

,, Nein, nein, ich kann nicht!"

,, Sie wollen nicht, aber ich will mun auch nicht mehr; ich bin auch nur ein Mensch und habe mich nur eine Zeitlang in der Gewalt, es geht mir schon bis an den Hals."

Ich kann es nicht vergessen, ich kann es nicht!" Das sind Auffassungen, Frida, hören Sie zu: ich will aber von Ihren Auffassungen jetzt nicht weiter belästigt wer­den, ich habe Wichtigeres zu tun, das verstehen Sie?-Gut, also gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer, ziehen Sie sich an, oder schlafen Sie, oder denken Sie sich meinetwegen einen neuen

Lebensplan aus, vielleicht hilft das."

Er machte ihr die Türe auf, und sie ging wie ein Automat an ihm vorbei, die ersten Stufen hinauf.

Rommen's jetzt zu uns, Fräul'n Baronin?" Zweimal mußte sie der Sylphiderich anreden, bis sie verstand, was er wollte. Und da war's ihr immer noch unflar, sie fab an sich herunter, fuhr sich durchs Haar und schien ganz hilflos.

Ich bitt' recht schön, kommen's nur a wenig, die Frau ist gar so schwach."

Es war doch alles gleich. Sie ging mit ihm; ganz leis tappte er auf seinen großen Plattfüßen voran.

' s Mäderl schlaft," machte er wichtig, einen Zeigefinger steil in die Luft gereckt.

Blaß und gleichgültig lag die arme Sylphide in ihren rot- und weißkarierten Rissen, und neben ihr in einem Storb­wagen das Kind. Die Luft war dick und stickig, alle Fenster geschlossen und das Zimmer voll der größten Unordnung.

Die Freil'n Baronin bleibt a wenig bei Dir, hörst? Berzeihn's halt die Unordnung und find's so gut!" Die Sylphide machte ihre runden Augen kaum auf, sie schien schwach und halb im Schlummer; reden konnte sie nicht. Frida setzte sich neben das Bett, stumpf und gleichgültig.

1914

in diesem Augenblick das kleine Wesen, das der Armen die Ruhe störte. Frida saß da und schaute mit finsteren Augen in den Korbwagen hinein. Nicht rühren! Wenn es nur eine kleine Bewegung machte, gab's ihr einen zornigen Stich. Sie wußte noch gut, wie das war, wenn man da war und zu Tod erschöpft war, und immer wieder von der Pflicht in die Höhe gepeitscht wurde. Da hatte es die da drinnen noch gut. Die hätte ein legitimes Kind und sie, Frieda, saß an ihrem Bett und hatte doch wenigstens einen Funken Teilnahme!.

Wer war denn damals an ihrem Bett gesessen? Wer hatte sich um sie gekümmert? Als Geschäft ward alles abgemacht und als Geschäft ausgeführt. Fremde Gesichter, fremde Stuben, fremde Gefühle. Und was sie jagte und verzehrte in ihrem Bett, in dem einsamen Försterhaus! Da hatte es die doch gut! Wußte die etwas von durchweinten, durchsorgten Nächten, von Scham und Efel und Sehnsucht und Abschen vor fich selbst?

gestanden bei dem schmerzlichen Ringen seines Weibes. Die Shren wären ja froh gewesen, wenn Sie zugrunde gegangen wäre! Dann hätte sie die Familie" nicht kompromittieren können! Ihre Hände krallten sich in die Falten ihres Nodes. Sie schaute mit förmlichem Neid nach dem Proletarier­weib. Natürlich! Alle, alle hatten etwas, nur sie nicht.

Der Kerl, der Mann hatte wahrscheinlich Angst aus­

Da hockte sie und verbohrte sich mit hungriger Gier in die alten Gedanken, grub ihre ganze Vergangenheit aus und geißelte sich damit.

Die Sylphide rührte sich, da das Kind mit seinem dünnen Stimmchen schmerzlich zu weinen angefangen hatte. Gleich wollte sie sich aus dem Bett nach dem Wagen beugen, aber Frida hinderte sie.

,, Mei' Mäderl, geben's mir doch mei' Mäderl." schaute sie auf die verschrumpften Fingerchen und das rot­Frida reichte ihr das winzige Bündel, mit bhalber Scheit braune, haarlose Köpfchen.

Sylphide küßte diese mageren Händchen, die Frida wie Krallen vorkamen, bettete das kleine Schenfälchen neben sich und jab stolz und glücklich aus. Dieser kleinen, häßlichen Streatur wurde so viel Liehe, und ihr gönnte niemand Liebe und Wärme. Sie hätte der Frau das Kind aus den Armen reißen mögen, es tat ihr zu weh, daß alle jemanden hatten, der sie liebte, nur sie nicht.

Und ihr eigenes Kind?

Das war ihr auf einmal wie ein Schlag aufs Herz. Dies armiselige Wesen, das jezt schon dem unangenehmen, brutalen Vater glich, bettete die Mutter warm und zärtlich. Wer hatte ihrem Sinde Wärme und Zärtlichkeit gegeben? Ach, was wußte sie davon! Es war ihr gleichgültig, fremd, ja cin fremdes Kind. War sie denn seine Mutter? Wußte sie etwas von ihm? Wie es aussah, wie es lachte und weinte, was ging das sie an? Sie hatte doch getan, was in diesem Fall ihre Pflicht war, sie hatte reichlich gesorgt, daß es in keiner Weise Not litt. Und nein! sie hatte keine Sehnsucht danach, nein! Sie hielt sich die Ohren 21, als wollte sie nichts wissen.- Nun fing der kleine Wurm an zu schreien! Und so bitterlic schrie er. Genau so hotte ihr sind am letzten Tage geweint. Es lag da und wimmerte, und sie konnte gehen und sich nicht weiter darum kümmern! Sie hatte ihr Herz verhärtet gegeit ihr eigenes Stind, das nun schrie, war ihr Kind. nicht Sylphide etwas gesagt? Was ist denn? Ja so helfen. Gleich, gleich. Gern. Was denn? Das Kind- ob es nicht vielleicht trinken will? Ja, ich helfe, wir versuchen's." Und nun liegt's da an der Brust and saugt und saugt gierig, und wie's die Mutter anschaut!

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Hatte

War sie hier oder dort, alt oder jung, fagte sie dies oder das, tat sie dies oder jenes, es war ja gleich, ganz gleich. Das war so, das blieb so, nun sollte es eben so weitergehen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wem bedeutete fie etwas? Nach wenn fragte fie, wer nach ihr? Sie war zu müde, um darüber weg­zukommen, sie schleicht sich eben weiter im Leben, stumpfsinnig wie das arme Tier drinnen im Bett, ohne Freud und Leid. Sie erinnerte sich mit einer maßlosen Bitterfeit, wie sie sich schon in der Jugend empört hatte, wenn sie im Religions unterricht hörte von den ungetauften unschuldigen Kindern, mei Mäder!! Alles is qut jetzt. Alles will i auts­die, wenn sie stürben, an einem Ort fämen, wo nicht Freud balt'n, wenn mir's Rinderl bleibt. Liegt mir an gar nig noch Leid wäre! Das war grauenhaft! Nicht Freud noch sonst. Schang'n Sie's nur an, wie nett als is, o mein Leid! So, beinahe so stand ihr ferneres Leben vor ihr.

Lieber Leid, als diese erbärmliche Gleichgültigkeit, lieber geprügelt und verachtet und dann wieder geliebt sein wie dies arme Weib. Das hatte wenigstens jetzt Frieden und Ruhe. Ja Nube ! Da rührte sich ja das Kind, und sofort war sie in der Höhe und tastete ängstlich nach dem Wagen an ihrer Seite. Frida beruhigte die arme Frau und versuchte das Kind anders zu legen. Sie tat es mit Widerwillen, denn sie haßte

Freil'n!"

Frida kann es nicht mehr sehen, faum fann fie sprechen, sie will der Frau zulachen, aber ihr Mund ist verzerrt und ihre Hände werden eistoft.

Nun weint das Kind wieder so schmerzlich!

Ihr Herz schlägt, daß ihr grine Lichter vor den Augen tanzen, fie muß nach den Bettpfosten langen. Das Kind ist ist ihr Kind. Nach ihr weint's und ruft's.