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liegt dort jedenfalls vor; und man kann lebhaft bedauern, daß der Plan von Althoff, die Universität dort hinaus zu verlegen, gleich einem ganz analogen Plan von Swoboda in Wien , an allzu herrschenden und herrschsüchtigen Aengstlichkeiten gescheitert ist. Hans Jfarius.

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Mojave- Wüste.

Bon Arthur Solitscher.*)

vie Sonne geht auf über Mojave!

Zu allen Tageszeiten, zu allen Jahreszeiten, immer weht der Wind über dem Sand von Mojave. Aus dem Norden von der Sierra Nevada her fegt es talt über die Wände hinunter und streicht über die Gräser hinweg den Boden entlang. Oder es kommt aus dem Süden, wo die Bernardinokette steht, ein heißer Hauch und Wol. fen ballen sich wie große fupferne Kugeln über der farblosen Einöde. In großen Büscheln hart wir Borsten, steht Wacholder und Wermut im bröckelnden Sandboden. Hier war einst ein Meer. Und sonderbar geformte, wehende, atmende Wesen, halb noch Blume, halb schon Tier, schaufelten sich in der Strömung, wo jetzt die Gräser sich biegen und schütteln im Wind Mojaves.

Lange weißliche Stiche laufen wie Adern durch den gelb getönten Cand. Es sind die Streifen von Minerallagern. Auf ihnen wächst nichts. Ihre Helligkeit tönt die Luft durchsichtiger, bläuliche Schatten zittern über ihnen, wenn es heiß wird, und dann ist es, als riesele der Wind wie flüssig gewordener Sand in den höheren Luftschichten über Mojave weg.

Sobald die Sonne aufgeht, fommt eine Weile lebhaftere Farbe in die Atmosphäre; fleine bunte Kobolde führen einen Tanz über den Grasspißen auf, die unzähligen Schründe, Tafeln und Kuppen, Stufen und Schächte der Gebirge in der Ferne füllen fich für Augenblicke mit Schattenflecken an. Aber es lebt nichts und nie mand, nicht Mensch und nicht Tier weit und breit, das Wunder der aufgehenden Sonne zu betrachten. Im Emporgleiten nimmt sie die Farben zurück in ihre blanke Scheibe hinein, und bald ist alles, Berg und Boden, Gras und Wind, in eine einzige gläserne Klarheit, in ein tables, graugelbes Licht getaucht, in ein Licht, ge­sprentelt von hier und da aufwirbelndem, staubendem, bald sich flach legendem Sand.

Zwei Silberlinien laufen eng beisammen über die Wüste weg. Je höher die Sonne steigt, um so schärfer durchschneiden sie das monotone Gelb und Weißgrau der gräserbestandenen Mulde.

Die Schienen glitzern den Schein der Sonne zurück. Ueber dem längst gestorbenen Erdboden sind ihre geschliffenen und aber­mals und immer wieder geschliffenen Stränge das einzige, was lebt. Von der Küste der Fruchtbarkeit Kaliforniens zu den Feldern der Fruchtbarkeit von Kolorado hinüber berühren sie fliehend die Wüstenei Mojaves. Wenn die Sonne hoch über dem Boden steht, scheint es, als würde Mojave breiter. Es ist heiß und ein Ge­glizer, ein Geflimmer und Zittern der Luft erfüllt das breite Bett des verschwundenen Meeres wieder mit wallenden Strö­mungen des Elementes, nur daß es jetzt Luft ist, nicht Wasser. Aber aus dem Westen fommt, tief auf dem Boden schleichend, eine schwarze Wolfen näher und näher. Eisern klirrt die Wolfe, dumpfes Gebrüll kündet ihr Herannahen an. Es ist der Zug. Wie eine dunkle Raupe frißt er die glibernde Doppelschlange in fich hinein und speit dazu den schwarzen Rauch aus seinem Haupte lang hinter

fich zurück.

Mojaves Wind stößt sich an den Scheiben des Zuges wund, Mojaves Farbe zieht quer durch die Scheiben hindurch, zwischen denen hurtige kleine dunkle Gestalten leben und sich bewegen. Ob zwar es noch früh am Morgen ist, ist das Treiben in den Wagen schon fröhlich im Gange. In den Waschräumen spülen sich noch ein paar verspätete Nachzügler ab, drin in den Pullmanwagen haben die Neger schon das Bettzeug zusammengerafft und die Schlaf­stätten wieder in bequeme Tagesfiße zurüdverwandelt. Der weiß bekleidete Kellner aus dem Speisewagen läutet den Tag ein, indem er den ganzen Zug entlang gehend seinen eintönigen Ruf erfchallen läßt: First call for breakfast! First call for breakfast!"

Ein langer Reisetag durch eine Gegend, in der es nichts zu sehen gibt, steht den Bewohnern des Zuges bevor. Jeder hat neben sich auf dem Siz Lektüre, Handarbeiten, Zuckerwerk und auch Kiffen zum Weiterschlafen aufgeftapelt. Hier und dort haben fich fleine Gruppen zusammengefunden. Kinder zwitschern, sprin­gen und lachen zu Füßen der Erwachsenen, die sie nicht stören. Am Ende des Wagens tidt eine Schreibmaschine. Der Neger hat fein Räumungswert vollbracht, rekelt sich in einer Ecke und macht es fich bequem für den Rest des Tages.

Ein junger Mann lehnt sich über die Lehne seines Sizes zu einem schönen jungen Mädchen hinüber, das ihm gestern noch fremd war, und das ihn heute morgen schon stärker beschäftigt als alles übrige in der Welt. Heute früh waren fié beide die ersten gewesen, die hinter ihren Vorhängen sich im Morgengrauen nach den Wasch­räumen begaben ans Ende des Wagens, jeder in einer anderen

*) Wir entnehmen diese Erzählung des unseren Lesern durch sein an sozialen Einsichten reiches Amerifabuch bekannten Ver­faffers seinen Geschichten aus zwei Welten", die soeben bei S. Fischer in Berlin erschienen sind.

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Richtung hin. Sie war in einem blauseidenen gestickten Kimono an ihm vorübergegangen, ihr vieles blondes Haar war hoch auf gefteft über dem frischen und leuchtenden Gesicht mit der starts gewölbten Stirne. Jetzt sprachen sie die ersten Wort miteinander. Der Speisewagen füllt sich. Tee, Eiswasser, Grape fruits erscheinen auf den Tischen.

Plötzlich ergießt sich der Tee in bräunlichen Lachen über die Tischtücher, Eisstüde flirren in den Gläsern und springen über Bord. Es gibt einen lauten Inirschenden Anprall aller Wagen gegeneinander, der Zug steht still.

Was ist geschehen?

Alle Fenster sind voll von Gefichtern. Die Neger fahren auf von ihren Schlummerplätzen, reißen die Wagentüren auf und stellen die Schemel auf den Bahndamm hin. Bald ist draußen, den ganzen Zug lang, ein Gefletter aus allen Wagen über die Schemel den Damm hinunter. Zwischen den grauen Wermut­Sträuchern wimmelt es vor Männern, Frauen und Kindern, ängst­lich hin- und herlaufenden, auf dem Bulversand Mojaves alle zwölf Wagen entlang. Aber die Angst weicht, denn es ist ja tein Unglüc geschehen; im ganzen großen ist man guter Dinge, denn es hätte ja ein Unglück geschehen können. So aber badet man seine Glieder im erfrischenden Winde des hellen Herbstmorgens über der Wüfte.­Borne bei der Lokomotive stehen die Schaffner- und sprechen zum Führer hinauf, der sich, ein rußiger, ältlicher Mensch, im blauen Kittel und einem gelben Taschentuch um den Hals, aus seinem Führergehäuse herausbeugt. Unten hockt der Gehilfe vor der Maschine; er hat einen Arm durch eine Nadspeiche aufwärts zur Triebachse hinaufgeschoben; ganz ölig und schwarz zieht er ihn wieder hervor und schüttelt den Kopf zum Führer hinauf, der gleich drin in seinem Stand verschwindet.

Vom Ende des Zuges her, aus dem Salonwagen vor dem lebten, dem Aussichtswagen, fommen durch den gelben Sand zwis schen den borstigen Gräfern fünf dunkel gekleidete gewichtige Herren nach vorne zur Maschine heran. ,, The president!"

Der Schmieröl- und Kohlenstaubmensch hat sich schon wieder auf die Lokomotive hinaufgeschwungen. Er und der Führer hoden jekt über dem Injektorenhebel und dem Wasserstandsglas und suchen zu ermitteln, was denn eigentlich los fei, was in drei Teufels Namen denn eigentlich los fei.

Der Präsident ist ein Mann über die sechzig hinaus. Sein weißes grobfädiges Haar wellt sich steif über einer breiten roten Stirne, die stahlblauen Augen schauen scharf wie die Augen eines jungen Menschen zur Maschine hinauf.

fich

Hello, Tomtins!"

Der Führer erhebt sich aus seiner Hockenden Stellung und beugt zum Stand hinaus.

"

"

Hello, Präsident!"

Was gibts, Tomkins?"

An den Ueberhiberklappen, scheint's, haben wir was gefunden. Die Bremse ist in Ordnung."

" Das werden wir schon friegen!" Eins, zwei, drei, zieht der

Alte feinen feinen Rock und seine Wefte aus und legt beide feinem Dan Inöpfelt er sich die Man­fungen Sekretär auf den Arm. schetten auf, frempelt die Aermel hoch über seinen haarigen Armen Kniekehlen schon droben auf dem hohen Tritt der Lokomotive. und ist mit einem jugendlichen Antauchen, gut parierenden

"

Jekt hocken alle drei vor den Ueberhiberklappen, stecken die die Köpfe zusammen, von unten sieht man drei paar Arme an den Hebeln und Kurbeln herumarbeiten. Der Alte" kennt das Ge­werbe von der Pife auf. Kein Stückchen in dem langen Eisenbahns zug, Eisen, Holz oder Glas, deffen Bestimmung er nicht ganz genau Ingenieur mit Diplom der Cornelluniversität, sechs Monate lang Zugführer, drei Jahre Sta­und aus guter Erfahrung fennt. tionsvorsteher, dann Chef eines Streckendienstes, Generalsekretär und schließlich oberster Machthaber des mächtigsten Systems: das ist br Lebenslauf dieses alten, strammen Graufopfes.

Unten die Schaffner und das Gefolge, der Stab des Präsidenten und das Reisepublifum aus all den zwölf Wagen steht neugierig und blidt zur Lokomotive hinauf, auf der man den berühmten und gefürchteten Alten mit olivenfarbigen Flecken von oben bis unten besprenkelt, einen breiten grünen Delwischer über die Stirne weg, emfig und frisch hantieren sieht.

Zwischen den Gräsern, zur Seite des Dammes stehen zwei Kaufleute im Gespräch. Es ist nicht das erstemal, daß er sich schmutzig macht mit seiner Bahn, der alte Salunke."" Boriges Jahr hat's bedenklich gekippt. Wären unsere Gerichte, was fie fein follten, er fäße heute im Zuchthaus und nicht dort auf der Loko motive! Ich versäume meinen Termin in Chikago! Natürlich, wenn man sich das Rollmaterial ansieht, auf dem wir fahren, dann tann man froh sein, wenn man überhaupt mit heilen Gliedern über die Strede kommt."

Weiter weg springen Kinder umher und jagen sich; auch ein Sundchen ist fläffend mit dabei. Paare spazieren hin und her den Damm entlang, in den Fenstern des Speisewagens stehen die Kell­ner verdrossen, und warten, aber niemand will einsteigen.

Die am Morgen im blauen Kimono durch den Wagen ging, hat dem Zug den Rücken gewendet und schüttelt ein häuflein Sand aus einer Hand in die andere. Ihre Hände sind klein und fest. Sie hat einen gelben Schleier um das Haar gewickelt, er flattert im Winde, er fleidet sie gut, ihr rotes, frisches Gesicht leidet nicht unter der ungünstigen Farbe."