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mehr in dem Bedürfnis seines fortgefekt arbeitenden und ge­staltenden Geistes nach Ablenkung lag, als in einem gegen­ständlichen Verlangen nach Lugus und lauten Vergnügungen. Das Haus, in dem er sich wie ein Verwandter fühlte, war die Billa   in der Tiergartenstraße, das Heim des Kommerzien rats Ottokar van Bosch: Tie Familie van Bosch, ein jüngerer Zweig der alten holländischen Familie der Mynherr ter Linden, die in Amsterdam   festwurzelte, war den Rhein   her­untergewandert, und wo ein Reis der Bosch festen Fuß ge­faßt hattt, entstanden Hüttenwerke und Schmelzöfen. Als der Familienbefit so groß geworden war und sich so weit ver­zweigt hatte, daß die Zentralisation in einer Bank notwendig wurde, kam das Haupt dieser Linie nach Dresden  , um die Leitung eines Bankinstitutes, der Rheinischen Industriebank, zu übernehmen.

Die Großzügigkeit und die intelligente Arbeit des Kommerzienrat van Bosch erweckte die Bewunderung Dr. Werners, doch dies wäre kein Grund für seinen intimen Ver­fehr in dessen Hause gewesen: eine aufrichtige Freundschaft verband ihn mit Frau Gabriele, die ihm diese Verehrung durch eine herzliche Anteilnahme vergalt an allem, was ihn bewegte. Und nachdem eine Verwandte der van Bosch in das Haus zu Gast fam, barg es für ihn Freundschaft und Liebe zugleich. Ganz besonders das gütige Verständnis für die aufblühende Liebe zu Ursula ter Linden wurde zum Prüfstein dieser Freundschaft, die sich ganz frei gehalten hatte von frauenhaften Eifersüchteleien, aufrecht ging und durchsichtig flor den Blick eines jeden vertragen konnte.

Im großen roten Salon unterhielt sich Kommerzienrat van Bosch mit Major Köstriß und Karl Henkel. Er kam Dr. Werner einige Schritte entgegen und schüttelte ihm herz­lich die Hand: Gratuliere, lieber Doktor, das war ein schöner Erfolg." Auch die beiden anderen Herren waren auf­gestanden und begrüßten ihn lebhaft.

,, Woher wissen Sie das schon?"

Ja, hier laufen alle Fäden zusammen."

In dem Augenblic trat Frau Gabriele und hinter ihr Ursula ter Linden in das Zimmer, und Karl Henkel rief lächelnd aus: Da haben wir das Telephon!"

Wir waren in der Sitzung, lieber Freund," sagte Frau Gabriele.

" Ich habe Sie nicht bemerkt."

monogamie der Ehefrauen bei allen Formen der Großfamilie, anch wenn diese ohne Sflaben sich entwidelt, wie zum Beispiel in China  . Diese gefeßlich notwendige eheliche Treue des Weibes führt nicht nur zu ihrer strengen Bewachung, sondern zur Geringschäßung des Wesen betrachtet. Im christlichen Mittelalter wird bezweifelt, daß weiblichen Geschlechts überhaupt. Die Frau wird als niederes sie eine Seele habe, dabei sei zur Zauberei und allem Bösen be= sonders befähigt. Es ist klar, daß von Liebe im heutigen Sinne des Wortes in der Großfamilie nicht die Rede sein kann und doch vollzieht sich in ihr ein Fortschritt über die primitive Liebe hinaus, der allerdings, wie jede Entwidelung in der in Klassen geteilten Gesellschaft, mit Rückschritten verbunden ist. in der familialen Epoche gesteigert durch die weitere Entwickelung Das bei den Wilden nur schwache sexuelle Schamgefühl wird der Kleidung, des Schmudes sowie durch die Abschließung der Frauen. Zum Gebot der ehelichen Treue der Verheirateten gesellt sich die sittliche Pflicht der Keuschheit der Mädchen. Unter der Herrschaft der Kaufehe, wo jedes Weib seinen Preis hat, wird auch die Liebe zur Ware. Der Ehemann verlangt für seine Morgengabe eine intatte Frau" und" unbezahlte Liebe" gilt für die Familie einen geringen Wert nach der Auffaffung des Kaufmanns; daher des Mädchens als entehrend. Eine Ware, die man verschenkt, hat wird die Keuschheit des Mädchens eine Vorbedingung ihres hohen Ghefaufpreises, an dem natürlich vor allem ihr Vater interessiert ist. Die Anfänge dieser Entwidelung der Wertschätzung der Keusch­heit finden wir schon bei den Naturvölkern. Leo Frobenius   gibt in seinem Werk:" Unter den unsträflichen Aethiopen", in dem er die acerbauenden Splitterstämme des afrikanischen Sudan   schildert, in der Beschreibung der Liebesfitten und Eheformen eine Musterfarte und Burschen vor der Ehe bis zur strengsten Keuschheit nicht nur der des Fortschritts von völlig ungebundenem Liebesleben der Mädchen Mädchen, sondern auch der Burschen. Ein drastisches Beispiel für die Dentweise der frühfamilialen Naturvölker find die Sitten der Mundang in Zentralafrika  .

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Der Bursche muß die Frau mit 15 Ziegen, awei Kühen und einem Ochsen vom Vater faufen. Die Frau bringt dafür Geschirr als Aussteuer mit ins Haus ihres Mannes. In der Hochzeitsnacht schenkt der Bursche der Braut noch eine Ziege, auf diese Gabe hin gewährt sie ihm die Cherechte. Ist die Braut noch Jungfrau, so bringt sie am anderen Tage die Ziege ihren Eltern. Anderenfalls nimmt der Mann die Ziege seiner Frau wieder fort, und es fommt nicht selten vor, daß er eine Eisenschaufel nimmt, die dort als Geld dient, sie durchlöchert und dadurch entwertet und die Frau mit dieser Schaufel zum Schwiegervater sendet. Wenn die junge Frau mit der durchlochten Schaufel statt mit der Ziege im Hause der Eltern ankommt, so entsteht darin ob der Schande, die sie hinein­trägt, große Wut. Also wird die junge Sünderin daheim gründlich ihr nichts anderes übrig bleibt, als zu ihrem Gatten zurüdzukehren, verhauen und dann voller Zorn wieder hinausgeworfen, so daß bei dem sie aber nur einen schlimmen Einzug und eine wenig be­neidenswerte Einführung als Gattin findet. Immerhin nimmt man die Sache nur so lange tragisch, als die Wellen der augen­blicklichen Erregung sich nicht geglättet haben. Wenn das Frauchen bald guter Hoffnung wird, dann ist alles in Ordnung." Von dieser milden Bestrafung der vorehelichen Unkeuschheit ist ein weiter Weg bis zur Rechtung der unehelichen Mutter durch die Kirche und die Frankheitsgürtels, durch den die in den Kreuzzug ziehenden Ritter sich öffentliche Meinung und bis zur barbarischen Sitte des Neusch­der ehelichen Treue ihrer Frauen zu versichern suchten.

" Wir saßen in den hinteren Reihen und haben uns sehr ruhig verhalten, um Sie ja nicht abzulenken."

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Und wenn ich auch ganz vorn gesessen hätte, der Doktor hätte mich doch nicht erkannt. Ursula ter Linden lachte übermütig ich war so greulich zurecht gemacht mit einem Cape und einem Hut von der Jungfer. Pfui, ich sah ab­scheulich aus."

Sie müssen ein sonderliches Interesse an dem armen Knobler gehabt haben, um sich so zu vermummen." Werner blinzelte mit dem linken Auge.( Forts. folgt.)

Soziologie der Liebe.

II.

Familiale Liebe.

Vernichtung der alten Geschlechterverbände, der Sippe oder Gens, Uebergang der Funktionen dieser Gruppen an den Staat und an die durch das Zusammenwohnen mehrerer Generationen gebil­dete oder durch Sklaven ergänzte Familie, in der der älteste Mann herrscht, tennzeichnen die Epoche der Großfamilie, die sich in Griechenland  , besonders in Athen  , zu klassischer Vollendung ent­wickelt hat.

Die Liebe jener Zeit spiegelt sich in dem bekannten Ausspruch des berühmten Redners Demosthenes  , den er vor dem versammelten Bolf zu Athen   tat: Hetären haben wir des Vergnügens wegen, Kebsweiber für die tägliche Pflege des Leibes und Ehefrauen zur Zeugung vollgültiger Kinder und als verläßliche Wächterinnen im Innern des Hauses."

Die Ehefrau ist nur die erste Magd des Mannes, wird fast wie eine Gefangene gehalten und bleibt eben so ungebildet wie ihre Sklavinnen. Ihre Lage hat sich im Vergleich mit den Naturvölkern eher verschlimmert als gebessert. Sie ist dem Manne untertan, der sie vor allem als Mutter seiner legitimen Kinder betrachtet. Hierin zeigt sich schon ein Gegensatz zur primitiven Liebe", mit ihrer Gleichgültigkeit gegen die Vaterschaft. Das Privateigentum hat sich inzwischen weiter entwickelt, der Besitz an Grund und Boden, wertvollen Gebäuden, Werkzeugen und nicht zuletzt Sflaben, muß vererbt werden an Kinder, die vom Besitzer in rechtmäßiger Ghe erzeugt sind. So wird das Privateigentum zur Ursache der Zwangs­

Der größte Fortschritt, den die familiale Epoche gebracht hat, ist die Entstehung der individuellen Geschlechtsliebe". Dieser Fort­schritt wurde erreicht in stetem Kampfe mit der familialen Moral. Der Ehebruch und die Prostitution, sogar die Neigung zu Angehöri­gen des gleichen Geschlechts, zeigen zuerst Züge persönlicher Neigung im Aufflammen romantischer Liebe. Bereits im Altertum finden wir die Keime zu dieser Entwickelung. Die Ehe zwischen dem athenischen Staatsmann Perifles und der ehemaligen Hetäre, der feingebildeten Aspasia, die Liebeslyrik der Griechen und mancher römischer Dichter sind Zeugnisse der personalen Liebe", die sich auch in der Verirrung der Knabenliebe   offenbart, die Engels nur als Verfallserscheinung auffaßt, während Müller- Lyer   sie mit Recht als eine Entartung der romantischen Liebe betrachtet. Diese romantische Liebe zeigt sich auch in milderer Form in China   und Indien  , führt aber dort nicht zur Auflehnung gegen die Familien­moral.

Der mittelalterliche Minnedienst und seine geistliche Abart, der Marienfult, sind eine höhere Stufe der individuellen Geschlechts­liebe. Treffend charakterisiert Friedrich Engels   den Unterschied dieser persönlichen Leidenschaft von der, man möchte sagen, un persönlichen Liebe der Naturvölker und des Altertums: Unsere Geschlechtsliebe unterscheidet sich wesentlich vom einfachen geschlecht­lichen Verlangen, dem Gros der Alten. Erstens setzt sie beim ge= liebten Wesen Gegenliebe voraus. Die Frau steht insoweit dem Manne gleich, während sie beim antiken Eros feineswegs immer gefragt wird. Zweitens hat die Geschlechtsliebe einen Grad von Intensität und Dauer, der beiden Teilen Nichtbesitz und Trennung als ein hohes, wo nicht das höchste, Unglück erscheinen läßt. Um sich gegenseitg besigen zu können, spielen sie hohes Spiel, bis zum Einsatz des Lebens, was im Altertum höchstens beim Ehebruch vor­fam. Und endlich entsteht ein neuer sittlicher Maßstab für die Beurteilung des geschlechtlichen Umgangs; man fragt nicht nur: