„Sie ernährt sich und ihre Mutter durch ihre eigene Arbeit, und es»lag fitf eine v rwohnte junge Dame nicht leicht ge- Wesen sein, sich an ein« Bureauarbeit zu gewöhnen." „Sie kommt nur abends zu Ihnen?" „Ja, von acht bis zehn. Ich sehe sie selten. Aber ihre Arbeit ist immer tadellos. Von zehn bis fünf Uhr arbeitet sie auf dem rumänischen Konsulat." „Hatten Sie ihr nicht die Stelle verschafft?" „Nein, ich habe sie nur empfohlen. Das ist auch ganz gleichgültig. Jedenfalls verdient sie eine Empfehlung.— Wenn ich dagegen an die beiden Baronessen Schneely denke. Können Sie sich noch auf die beiden bildhübschen Mädels besinnen?" „Und ob! Ich sehe sie noch auf dem lehten Nennen in Hoppegarten , elegant und umschwärint." „Das war am Sonntag, und Dienstag traf den Vater der Schlag. Nichts war da, nur Schulden. Und Sonnabend waren sie auf und davon mit zwei ihrer Anbete»» denen die Ehe zu riskiert erschien." „Es soll ihnen übrigens recht gut gehen, die eine hat eine Villa in Baden-Baden , die andere eine Etage in Hamburg . Sie brachten für ihren Beruf eben die besten Anlagen mit, absolute Kaltschnäuzigkeit. „Die armen Dinger. Sic haben nur ausgegessen, was der Vater ihnen eingebrockt hatte. Großartig auferzogen, ohne jeden reellen Hintergrund und dann der Zusammen- bruch. Was sollten sie tun?— Das Leben ist so unglaublich interessant, wenn man nur die Augen aufmacht." (sorts. folgt.)
Soziologie der Liebe. ni. Personale Liebe und Proletariat. Das moderne Proletariat ist eine unterdrückte, aber zugleich eine aussteigende Klaffe. Dieser Doppelcharakter spiegelt sich auch in seinem Licbesleben. Wir sehen neben Formen hoher Entwicke- lung noch die niedrigsten Stufen rein instinktiven Geschlechtslebens. Zum Proletariat mutz bei unserer Betrachtung auch die sogenannte „Intelligenz" gerechnet werden, in dieser Schicht der geistigen Ar. beiter zeigen sich manche Züge individueller Liebe, die in Zukunft herrschend zu werden versprechen. Viele Faktoren, die in den besitzenden Klassen die Entwickelung zur personalen Liebe hemmen, fehlen in der Arbeiterklasse oder ihre Wirkung ist stark geschwächt. Vor allem fehlt erheblicher Privat- besitz, der die Ehe zum Geschäft erniedrigt und die Zeugung von Erben zu ihrem Hauptziveck stempelt. Personale Liebe ist die Neigung zweier Persönlichkeiten, die sich unbeeinflutzt von Rück- sichten auf Privateigentum oder andere soziale Vorteile entwickelt bei verfeinerten körperlichen und geistigen Liebesbeziehungen. Im Gegenteil, eine grotze Kinderzahl ist oft eine Last für die Arbeiter- familie, durch die Erwerbsarbcit ist die Frau unabhängiger von ihren Eltern und bei der Liebeswahl selbständiger als das Mädchen des Kleinbürgertums und anderer Klassen. Auch als Ehefrau erwirbt sie oft einen Teil des Einkommens, wa» ihre Stellung dem Manne gegenüber hebt. Trotzdem ist in den meisten proletarischen Familien der Mann der Herr; die Ueberlieferungen der jähr- hundertelangen Männerherrschaft wirken noch heute stark in der Arbeiterschaft fort. Selbst Friedrich Engels , dessen Beschreibung der proletarischen Ehe reichlich optimistisch ist, muh zugeben, datz sich die Brutalität gegen Frauen als Erbstück der Monogamie vielfach in der Arbeiterklasse erhalten hat. Vor allem aber wirkt die all- gemeine soziale Lage einer Verfeinerung der Liebesgefühle cnt- gegen: das Wohnungsclend, die eintönige Fabrikarbeit, die Un- sicherhcit der Existenz, die allgemeine Kulturlosigkeit und nicht zu- letzt Alkoholismus und Prostitution. In der früh-kapitalistischen Periode finden wir daher in grohcn Proletariermassen ein sexuelles Elend, das an die primitive Liebe der Naturvölker erinnert. Was aber bei den Wilden naturwüchsig und gesund erscheint, ist hier die Folge ungeheuren Elends. Mit dem politischen und gewerkschaftlichen Erstarken der Arbeiterschaft wird dieses Elend zurückgedrängt und im Familienleben gewinnen kleinbürgerliche Anschauungen stark an Boden, wie überhaupt die Macht der Tradition gerade im Sexualleben nicht unterschätzt wer- den darf. Man spricht die überkommenen Moralsätze nach, ohne über deren Berechtigung nachzudenken. Für die Masse der Arbeiter gelten auch die Worte Bernhard Shaws über die englische Bour- geoisie:„Kein Mensch gesteht je die Wahrheit über die Familie, nicht einmal sich selbst. Vielleicht kommt das daher, weil wir gar nicht dazu kommen, über diese Dinge zu denken— wir haben nämlich keine Zeit zu einem Familienleben in England." Zeit zum ga- milienleben hat die Maffe des Proletariats naturgemäß nicht. Die heutige Wohnungsmisere macht ein solches Familienleben schon zur Unmöglichkeit.
DaS größte Hindernis für den Fortschritt der Maffe zur perso- nalen Liebe bildet gerade die Erhaltung der zersetzten gamilre al» wirtschaftliche Einheit mit der Verpflichtung zur Erziehung und Ernährung der Kinder. Dieser Zustand hemmt vor allem die Frau. Sie bleibt, selbst wenn erwerbstätig, vom Manne wirtschaftlich ab» hängig. Ihr Einkommen ist geringer, sie hat die Hauptlast der Hauswirtschast und Kinderpflege zu tragen, sie ist durch die Mutter. schast auf die Unterstützung des ManneS angewiesen. Vielfach gibt sie auch in der Ehe ihre ErivcrbSarbcit auf und isi dann völlig vom Manne abhängig. Es trifft daher nicht zu, was Engels schreibt: „Die Frau hat das Recht der Ehetrennung tatsächlich wieder er- halten, und wenn man sich nicht vertragen kann, geht man lieber auseinander... Die geschilderten wirtschaftlichen Tatsachen machen eine Trennung der Ehe oft zur Unmöglichkeit, obgleich die Neigung beider Gatten längst erloschen ist. Dre» ist aber nur zu oft der Fall, da der Mann sich geistig weiterentwickelt, während die Frau durch die Ueberlastung zermürbt wird oder im Einerlei der häuslichen Tätigkeit geistig verkümmert. ES zeigt sich daher wohl eine Auflösung alter Anschauungen, eine grötzere Freiheit in der Liebes- und Gattenwahl, eine oft an die Naturvölker gemahnende Ungcbundenheit der Jugend, aber nur schwache Ansätze zu einer neuen Moral. Trotzdem ist eine Eni- Wickelung über die individuelle Geschlechtsliebe de» Mittelalter » hinaus zu konstatieren bei den feiner organisierten Naturen im Proletariat und in der„bürgerlichen Intelligenz", in der vor allem die Frau oft Berufe ausübt, die ihrem Leben geistigen Gehalt geben(Lehrerinnen, Aerztinnen und andere freie Berufe). Aller- dingS hindern auch hier gesetzliche und wirtschaftliche Schranken oft genug die volle Entfaltung der vorhandenen Keime. Diese moderne personale Liebe unterscheidet sich wesentlich vom Minnedicnst der Ritterzeit. Sie setzt wie dieser die Gegenliebe de» Weibes voraus und macht nicht die Einhaltung re<btlicher Normen und kirchlicher Zeremonien zum sittlichen Matzstab, sondern die gegenseitige Lieb«. Aber ein neues Moment ist hinzugekommen: Das soziale VcrantwortlichkeitSgefühl. Diese Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf die Selbständigkeit und persönlich« Freiheit von Mann und Weib, sondern vor allem auf das Wohl der Nach. kommen. Die Kenntnis der gesellschaftlichen Verhältniffe und dl« Ergebnisse der Naturwissenschast, das Wissen über die Vererbung bestimmter Krankheiten' und körperlicher Schäden bilden die Grund» läge neuer sittlicher Pflichten. Die rechtliche Form dieser personalen Liebe kann nur die leicht lösbare Monogamie sein, im Gegensatz zur jetzigen herrschenden Zlvangsmonogamie auf Lebenszeit mit erschwerter Ehescheidung. Aber die Beseitigung des rechtlichen Zwanges hebt die wirtschaftliche Notwendigkeit der Dauer der Eh« nicht auf, wenn die Liebe auch schon erloschen ist, solange nicht die Sorge für die Nachkommen von der Gesellschaft übernommen ist und Mann und Frau Wirtschaft- lich völlig selbständig einander gegenüberstehen. Da» kann für die Arbeiterklaffe nur im Sozialismus erreicht werden. Sozialpvli- tische Matznahmen, MutterfchaftSverficherung usw. können schon heute durch gesellschaftlichen Schutz der grau die EntWickelung zur personalen Lieb« fördern. Neben diesen wirtschaftlichen Voraussetzungen und in ständiger Wechselwirkung mit den sozialen Reformen mutz eine Revolution des Denkens und Mertens in sexuellen Fragen vor sich gehen. Soziale und naturwissenschaftliche Erkenntnis müssen den Grund legen zu einer den veränderten Verhältnissen angepatzten Moral. Friedrich Engels ") konnte noch im Jahre 18V1 über diese neue Sittlichkeit schreiben: „Was wir also heutzutage vermuten können über die Ord- nung der Geschlechtsverhälwisse nach der bevorstehenden Weg- fegung der kapitalistischen Produktion, ist vorwiegend negativer Art, beschränkt sich meist auf das, was wegfällt. Was aber wird hinzukommen? Das wird sich entscheiden, wenn ein neue» Geschlecht herangewachsen sein wird; ein Geschlecht von Man» nern, die nie in ihrem Lebe» in den Fall gekommen sind, für Geld oder andere soziale Machtmittel die Preisgebung einer Frau zu erkaufen, und von Frauen, die nie in den Fall ge- kommen sind, weder aus irgendwelchen anderen Rücksichten als wirklicher Liebe sich einem Mann hinzugeben, noch dem Ge- liebten die Hingabe zu verweigern aus Furcht vor den ökono- mischen Folgen. Wenn diese Leute da find, werden sie sich den Teufel darum scheren, was man heute glaubt, datz sie tun sollen; sie werden sich ihre eigene Praxis und ihre danach abgemessene öffentliche Meinung über die Praxis jedes einzelnen selbst macheu— Punktum."
•) Friedrich Engels :„Der Ursprung der Familie, des Privat- cigcntums und des Staats", Seite 73. Die ethnologischen Teiie dieses Buches sind veraltet und durch die zusammenfassende Dar- stellung bei Müller-Lher in„Die Familie" und auch in den„Phasen der Liebe" ergänzt. Der Abschnitt über die Familie ist aber heute noch sehr lescnRvert, da Engels in geistvoll-witziger Art die ver- schiedenen Eheformen scharf charakterisiert und den Zusammen- hang zwischen Klasse und Familienform schärfer hervorhebt, vor allem aber die Schranken der EntWickelung der personalen Liebe im Kapitalismus aufzeigt, während hier Müller-Lher versagt, was sich schon in dein Werk über„Die Familie" zeigte und von Eckstein in seiner Kritik im Unter haltungSblatt des„Vorwärts" vor JahrrS- frist betont wurde.