Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 120.
12]
Donnerstag, den 25. Juni.
1914
Jogo na dieser Zeit einen gewissen Einfluß auf mich ausgeübt hat, trotzdem ich viel lebensfähiger war, wie er.
Jus und Recht.
Roman von Fred B. Hardt.
Dann mußte er sich sehen und erzählen, so genau wie möglich, was alles vorgegangen war in den bierzehn Tagen, die sie ihren großen Jungen nicht gesehen hatte; von seiner Arbeit, von seinen Vergnügungen und von seinen Freunden. Denn einem jeden, der ihn liebte, gab sie ein Pläbchen in ihrem Herzen. Sie waren ihr so vertraut, auch die, die sie noch nicht persönlich kannte, und sie nannte sie mit dem Namen, so wie er von ihnen sprach. Die alte Frau hörte mit so viel Güte und Teilnahme zu, daß er gern und lebhaft erzählte, wobei er unerfreuliches wegließ oder mit einem humoristischen Käppchen schmückte, daß es ja nicht gruselig sich ausnahm, Frohes und Ersprießliches so hell tönte, daß es zur Freude recht gastlich einlud.
,, Du verbrauchst schnell die Menschen, Frank." Ich weiß nicht. Aber, wenn ich fühle, daß der oder jener sich ausgegeben hat, daß nichts mehr da ist, warum soll ich dann noch an ihm hängen bleiben, wo so vieles um mich in Blüte steht. Martens war eben kein Reicher. Er ist herzlich arm, und die geschickte Mache, seine Bonmots, das wiederholte sich immer wieder und ließ dann um so nüchterner seine Dürftigkeit erkennen. Das ist auch in seiner Kunst so, virtuos gemalt, aber ohne innere Wärme, und das ist wohl die Hauptsache. Er war eine Zeitlang amüsant, solange seine Art nicht abgestanden war. Wie köstlich konnte er einen Geheimrat nachmachen. Dann lachten wir alle herzlich, und aus dem Lachen heraus schärfte sich mein Ohr an seinem Spott, und ich sah plötzlich um mich eine Umgebung, so töricht und unwesentlich, daß ich mich löste." Frank Werner schwieg einige Augenblicke. Die Blicke der Mutter ruhten auf ihm. Dann lachte er hell auf.
Seit Jahren hatten sie die Rollen getauscht: Da er Mann geworden war und die milde Hand, aus der er so viel Liebes und Tröstliches geschenkt erhalten hatte, anfing, müde zu Juristengesellschaft, wo ich ihn eingeführt hatte. Du machst werden und leise zu zittern, wie Zweige, die sich zur Erde neigen, suchte er der Gebende, der Heiterkeit- Bringende zu sein, und hielt ängstlich von der Mutter alles fern, was sie besorgen könnte. Nach dem Tode des Vaters hatte er dessen hausväterliche Stellung übernommen, da die Mutter von Geld und geschäftlichen Angelegenheiten nichts verstand. So war es ihm auch möglich gewesen, den Rückgang des Vermögens, von dem schon bei des Vaters Lebzeiten Teile abgebröckelt waren, zu verheimlichen, und vor allem den letzten großen Verlust, den der Zusammenbruch der Leipziger Bank für ihn, wie für viele andere Familien mit sich gebracht hatte. Es konnte jede auffeimende Besorgnis der Mutter verwischen, indem er ihr glauben machte, der Vater habe schon vor Jahren die unheilvollen Aftien verkauft. In Wahrheit aber war durch den Konkurs der Leipziger Bank das Vermögen sehr bedenklich zusammengeschrumpft, und der frevelhafte Leichtsinn eines Menschen hatte zerstört, was Sparsamfeit und vorsichtige Umsicht in langen Jahren mühevoll aufgebaut hatte. Er war stolz- froh darüber, daß er durch seine Arbeit auf eigenen Füßen stand und den Ausfall unbemerkt decken konnte, so daß die Mutter wie bisher in geordneter Ruhe lebte und nur Anteilnahme an fremdem Unglück empfand, nicht aber in Tränen vor dem eigenen eingeäscherten Hause stand.
Da Frank Werner so erzählte und die Grüße von Frau Gabriele und Karl Henkel recht ausführlich ausrichtete, war es mählich dämmerig geworden und sie schwiegen beide, nur ab und zu strich die Hand der Mutter liebkosend über die seinige, um ihm auch unsichtbar ihre Nähe fühlen zu lassen. Ueber dem Sofa hing ein lebensgroßes Porträt von Frank. Es war ein flott, aber uninnerlich gemaltes Pastellbild, das Frank in einer furzen, roten Smokingjade darstellte, eine englische Pfeife im Mund, die Hände in den Hosentaschen, wie er spöttisch auf alle die herabsah, die ihn ansehen mochten. Es war vor sieben Jahren gemalt, als Frant als jüngst ausgeschlüpfter Referendar nach Dresden gekommen war, noch halb übermütiger Student.
Frank sah nach dem Bilde und lächelte, als ob er sagen wollte: War ich das wirklich einmal?
Die Mutter folgte dem Blick.
Rominst Du noch manchmal mit Martens zusammen?" Kaum. Wenn er nach Dresden kommt, sagt er mir guten Tag; wir essen auch zusammen und dann gehen wir auseinander und fühlen, daß wir uns eigentlich nichts mehr zu sagen haben."
,, Warst Du mit ihm nicht sehr befreundet, als er das Bild malte?"
„ Köstlich war der Martens auf einem Ball in der Tir keinen Begriff, Mutter, wie fomisch diese Gesellschaften waren. Ein jeder brachte seine bockbeinige Würde mit. Die Männer blieben fein säuberlich distanziert, und die Frauen betrittelten sich mißtrauisch, welcher Tochter wohl num am schnellsten versorgt sein würde, denn das war der Zweck dieser tristen Vergnügen, dem der Geheimrat- Vater den Stammtisch an diesem Tage opferte, und für den der weibliche Anhang groschenweise zusammensparte für ein paar neue Ballhandschuhe. Da war auch der Geheimrat Richter, der gefürchtete Personalreferent im Ministerium, der SargDeckel für manchen, dem er übel wollte. Er hatte noch ganz seine Hungerkandidatenmanieren, und seine sächsische Bonhomie war nur überzuckerte Heimtücke. In demselben Frack mochte er wohl das Referendarexamen durchgeschwitzt haben, und die Hosen waren immer enger geworden, und wenn er dann vom Skattisch aufstand, um zu inspizieren, ob das holde Töchterlein die ganze Tanzfarte besetzt hatte, dann batten sich die Hosen heimtückisch hinaufgekrempelt und ließen handbreit die braunen Schäfte seiner blankgewichsten Stiefel sehen, mit denen er getrost die Zugspitze hätte erklettern fönnen, so bäuerlich und ehrbar waren die Rindsledernen. Die Gnädigste tat fein. Ich glaube, am stolzesten war sie auf einen goldenen Vorderzahn, den sie beim Sprechen oft mit der Zunge befühlte, weshalb sie leicht lispelte. Wahrscheinlich dünfte ihr das sehr distinguiert. Und der Sohn war ein schmieriges Bürschchen mit ästhetischen Ambitionen und abgefauten Fingernägeln. Doch die Krone war das Töchterlein; sechsundzwanzig Jahre, mit einem Rosenfränzchen im Haar und mit stets durchschwitzten Handschuhen, die nach Benzin rochen. Besagtes Rosenkränzchen beäugte nun Martens und frug ziemlich laut wir standen in einem Streis jüngerer Juristen: Wer ist denn dieses Lebewesen?" Um Gotteswillen nicht so laut, Herr Martens", sagte ein Assessor. Es ist die Tochter von Geheimrat Richter, der Personalreferent; dort der Herr mit den vielen Orden-" und den Schaftstiefeln?" frug Martens. Der Assessor mußte zugeben, daß Verdienstkreuz und Schaftstiefel denselben Mann schmückten. Na", sagte Martens ziemlich laut, dem gönne ich seine Tochter!" In demselben Augenblick standen wir ganz verlassen da. Als ob ein Sperber in ein Hühnervolf gestoßen wäre, so schlüpften alle diese armseligen Leiſetreter von uns. Und ich habe so herzlich gelacht."
Die Mutter lächelte. Du bist doch recht spöttisch, Frank." ,, Ach, Mutter, laß gut sein. Wer feinen Sinn für Humor hat, soll sich begraben lassen. Wenn ich nicht über so manches jetzt lachen könnte, müßte ich mich schämen, so lange so ein törichtes Leben geführt und mit solchen inhaltslosen Menschen Befreundet? Nein er sann einen Augenblick nach zusammengelebt zu haben. Es ist mir jetzt ganz imbegreiflich, -nein, auch damals nicht. Aber ich mochte ihn leiden und daß ich unter diesen Menschen habe leben können. Gott sei hatte ihn gern um mich. Er war so ganz anders als alle Dank, ich habe mich gehäutet." Er schwieg und wurde anderen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammengewesen nachdenklich.„ Es ist schon so vieles, was ich abgestreift war, und das interessierte mich. Es ist eigen," fügte er habe. So manches, das ich als schädlichen Ballast über Bord nach einem Augenblick Nachsinnen hinzu ,, daß gerade geworfen habe; manchmal leichten Herzens und auch bisdieser Martens, der doch eigentlich eine taube Nuß ist, in weilen mit abgewandten Augen. Und doch fühle ich, daß