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gefagt, daß er dieses Jahr sich unmöglich im Juli frei machen könne, und deshalb die liebenswürdige Einladung des Kom­merzienrats van Bosch habe ablehnen müffen, der ihn auf­gefordert hatte, den Juli in Scheveningen mit ihnen zu ver­bringen. Da Frau Gabriele und Frank außer Hörweite waren, sagte Frau Werner zu Ursula: Was im Sommer reift, erntet man im Herbst. Nur Geduld, mein liebes Kind. Wir Frauen müssen uns in Geduld fügen." Ursula seufzte, eine feine Röte überzog ihr Gesicht, die der alten Frau mehr dankte als Worte.( Forts. folgt.)

Der Schuß in den Spiegel.

Von Curt Mored.

Mit einem Frühzug kam er von der Stadt her an und folgte den paar Bauern in Sonntagskleidern, die mit ihm ausgestiegen waren, dem Ausgang zu. An ihnen vorbei, die den Geruch ihrer ungelüfteten Stuben um sich verbreiteten, drängte er ins Freie. Auf dem staubigen Vorplatz mußte er sich die Augen mit der Hand decken, so sprang ihm das blanke Licht hinein. War das ein Tag! Die Sonne wuchs förmlich wie überreifer Weizen um ihn herum. Einen Augenblick hielt er Umschau in der Bandschaft, die eben war wie ein Tisch. Drüben lag eine kleine Stadt, eng zusammen­gefauert aus Angst vor der Weite. Auf diesem und jenem Hause blitte ein Ziegel unter der Sonne auf, als stünden ihm Schweiß­tropfen auf der Stirn vor lauter Feierlichkeit an einem Tage, der voll Lichtweihe und Strahlenfülle war, wie ein Marienaltar im Mai.

Der Fremde ging auf dem schmalen, grasbewachsenen Fuß­wege, der einen großen Bogen um ein undicht bestandenes Gehölz und eine feuchte Wiese zog. Seine Gedanken waren mit bitter­ernsten Mienen zusammengetreten und hielten Rückschau. Darum vertraute er sich dem Pfad an und ließ das Städtchen aus den Augen; ließ drüben vor dem lichtverglasten Horizont die buckligen Weiden und die hungerschlanken hohen Pappeln ihren Weg pilgern, dem alten Rheinstrom zum Trost, der hier melancholisch um sein Ende zu trauern beginnt, und hatte all der Dinge ferner nicht acht. Plößlich stand er still und schaute angestrengt hinüber, wo die Bahngleise weißblinkend auf dem berußten Erddamm zur Stadt zurückliefen. Weit hinten hörten sie mit einem Male auf, als grüben sie sich in die Erde, und die Stadt mit den Domtürmen war in Ferne eingesponnen und unsichtbar. Jetzt lief der schmale, faum noch erkenntliche Pfad am Rande des Baumbestandes vorbei. Hier warf sich der Wanderer kurzen Entschlusses ins Gras, streckte fich langhin ins Alleinsein und legte die Hände über der schmerzen­den Stirn zusammen.

Was war denn das, was sich in der Stadt da hinten als frauses unverständliches Schattenspiel faum ausgespielt hatte? Eine Greffheit von Gestalten und Dingen hatte sich plötzlich über ihn hergeworfen wie ein Karneval, und dann gab es auf einmal tein Weiter in diesem Geschehen, daran er faum erkannt hatte, ob es lustig oder traurig war. Nichts von dem; nur klein, elend, lächerlich

war es.

Immer und immer wieder war es ihm bedeutet worden, daß er Offizier sei, daß er nicht der Mensch sein dürfe, der er war. Und das machte ihn trozig; denn er empfand, daß da nichts Un­edles war, was in ihm aufbegehrte. Nach etwas, für das sich selbst ganz einzusehen es der Mühe wert gewesen, suche er vergebens. Und da er nichts fand, das ihn auszufüllen vermochte, und ihn das Gefühl der Leere quälte, betäubte er sich er liebte, spielte, trant. Er liebte ohne Gefühl, und er spielte mit wenig Glüd. Er ver­spielte schließlich, was er hatte, und noch ein gutes Teil mehr.

Aber damit war es nicht genug: ein verpfändetes Ehrenwort ging auch noch mit darauf. Und das war so gut wie das Ende. Für die gutgesagte Schuld Deckung zu finden, das zu versuchen erschien ihm lächerlich. So wartete er ab, obschon er den Ausgang wußte. Es war nur noch eine höhnische Freude an diesem Possenspiel.

Zwei Regimentsfameraden suchten ihn auf, todernst und feier lich. Sie sprachen lange hin und her, wie mit verteilten Rollen, und saßen steif auf ihren Stühlen. Sie sprachen viel von Ehre und solchen Dingen. Ehre ist ein harter Wetstein; wem an ihm das Messer geschliffen wird, der muß bluten.

So hatten sie abwechselnd ihre Anschauungen und ihr Urteil abgegeben. Auf einmal war es dann ganz still, als säßen sie hüben und drüben von einem schwarzen Gedankenstrich, den jene beiden feindlich und abweisend zwischen ihn und sich gezogen hatten. Und da es für sie hier nichts mehr zustun gab, standen sie auf und gingen, gingen von ihm, wie Feinde.

Als Frieder dann in die halbdunkle Stube zurücktrat, fand er auf dem Tisch ein Ledertäschchen mit Banknoten und eine Pistole. Geld und Waffe; das war so gedacht: bezahle deine Schulden, und dann geh hin und gib dir das ins Hirn. Das war eine gerade, stahlfalte Logik, und doch saß Frieder eine lange Nacht da, und sie wollte ihm nicht in den Kopf. Am Morgen warf er sich in den Zug und fuhr heraus aus der Stadt.

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Und nun, lag er hier und mühle fich wieder um den einen Gedanken. Er fonnte lachen über das Sinnlofe, das an dem Aud gang dieser Affäre war, aber darüber hinweg fam er nicht, einen Umweg fand er nicht. Er wußte, daß er die Waffe brauchen würde. Aber er war gnädig mit sich selbst, schenkte sich noch diesen einen Tag, der jungfräulich über den Wiesen lag.

Heute trug er einen losen grauen Sommeranzug, niemand wußte hier von ihm, und endlich einmal war er nichts weiter als ein Mensch. ben Strobbut u

Er sprang auf, griff den Strohhut und die gelbe Ledertasche bom Boden und vertraute sich aur ferneren Wanderschaft dem schmalen Fußpfad an, der gleich wieder da war, ihn zu führen. Drüben im Städtchen wurden jezt Glocken laut, zivei, drei, und jede wollte der andern über sein. Der vergoldete Hahn auf der Turmspite zitterte förmlich.

Die ersten Häuser waren nicht mehr fern, und ihre rückwärts gelegenen Gärten schoben sich weit zwischen die Felder heraus. Da bog auch schon der Wiesenpfad ab und führte Frieder über einen schmalen Graben hinweg auf die Straße, die ins Städtchen eintrat.

Er kam an ein Straßenkreuz. Pudelköpfige Akazien machten von hier eine lange Allee hinab auf einen sonnigen Platz, der voll Menschen war. Dahinter stand die Kirche, feierlich und mit vielen dunklen Schattenfalten in ihrem alten Steingewande. Der Platz war ziemlich tief gelegen und floß über von dem Gewoge der Menschen und Farben. Dazwischen schlug die Sonne mit ihren flachen Strahlenflingen, und überall blizten Lichter auf. Staub wölfte, Füße scharrten, und über dem Auf- und Abfluten schwirrte es von Stimmen.

Frieder ging auf die Menschenmasse zu. Es war ein Schieben und Drängen. Kinder schrien auf. Aus dem Kirchenportal quollen fahle Wolfen von Weihrauch. In der schwarzen Tiefe glomm das alte Goldwerk des Hochaltars hinter den fladernden Kerzen auf. Frieder stand eingeklemmt in einen Haufen Menschen und konnte die Arme faum rühren.

Mit einer Fronleichnamshymne brach drinnen die Orgel Tos, Männergesang fuhr dazwischen, Kinderstimmen zitterten darüber. Von geschüttelten Meßnerglödchen zerflatterte filbernes Klingeln und aus dem Kirchenportal schob sich ein Strom junger Mädchen in Weiß, einen breiten Weg ausschwemmend in der Menge, die auf dem Platz wimmelte. Blechinstrumente schmetterten ein jubelndes Lied; von den Häusern schlugen die metallenen Klänge verdoppelt zurüd. Bunte Fahnen widelten sich auf über einem Zuge schwarz­gekleideter Männer, taten einen lahmen Flügelschlag und hingen schlaff in der bewegungslosen, heißen Luft. Sonne, Staub, Men schengewühl.

Alle sangen, schrien und beteten den heißen Atem aus sich heraus. Sie öffneten ten Mund wie Erstidende. Wie Blutende gingen die Meßknaben in ihren grellen Gewändern mit im Zuge. und fortwährend streuten die Blechinstrumente ihre Töne aus, blizten die Messingtrompeten in der Sonne. Ein goldflimmernder Baldachin wurde zwischen Kerzen vorübergetragen, zitterte weih­rauchumkräuselt in der Sonne. Leer und dunkel, fast feierlich drohend, stand das offene Kirchenportal.

Die Menge hatte Frieder mit heruntergezogen auf die Knie. Ihre Hände zitterten gegen die Brust an. Auch Frieder ehrte schweigsam diesen ihm fremden Kult. Aber er wollte sich befreien von einer Befangenheit, die ihm unbequem geworden, und er reinigte das von bewegten Bildern übersatte Auge in der sonnen­verglasten blauen Leere des Himmels, an der Weite und ihrer Ewigkeit.

Und wie er den befreiten Blick zurückrief, sah er drüben auf dem Plaze, der von dem der Prozession nachströmenden Volke fast leer geworden war, eine Frau, die zu ihm herüberschaute, sich als­dann umdrehte und auf das Kirchenportal zuging, aus dem die Teßten Harzschwaden rauchten. Das fühle Dunkel des Gewölbe innern sog das freudige Rot ihres Kleides gierig auf.

Frieder machte ein paar müßige Schritte über den Plak, der die heiße, breitruhende Sonne müd auf seinem Staubteppich trug. Von Weg und Hize erschöpft, wußte er nicht, wohin sich wen­den, und so floh er endlich in das Dunkel der Kirche, von dem Kühle ausging, wie von einem Brunnen.

Drinnen erkannte sein geblendetes Auge die Fliesen nur als einen bleichen gebreiteten Schimmer. Sinnlich lockte der verhaltene Glanz der Goldzieraten, der vermischte Duft von Blumen, Kerzen, Harzen, das aufreizende Rot der Fensterrosen.

Und als Frieder den Kopf ein wenig zur Seite bog, flammfe dort, dicht neben ihm, das rote Kleid der jungen Frau aus dem Dämmer. Bleich lag das feine Profil unterm Haar. Der Mund war nur ein feiner Riß, und die Brauen waren schmale, dunkle Sicheln.

Mit einer plöhlichen Kühnheit wandte Frieder sich ihr zu, redete sie flüsternd an, und sie sprach mit einer gütigen, ruhigen Stimme auch zu ihm.

So sprachen fie lange, bald vertraut miteinander, als empfän den sie eine Schidsalsgemeinschaft. Sie fühlten in dieser Stein­einsamkeit des Kirchenschiffs das wilde Klopfen ihrer Herzen. Eine unheimliche Angst vor der plöblich empfundenen hohen Leere des Raumes drängte sie näher zueinander hin.

Da lärmten von draußen her, sich nähernd, die Blechinstru mente, hacten noch immer die gleichen Fronleichnamsweisen. Ge­