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Denn das Festmahl fand nicht in der Hauptstadt im Savoy-| Berlin . Zweck der Walderholungsstätte ist, gesundheitlich gefährdeten Hotel statt. Auch nicht im Gebirgsdorf im Hotel zum Schwarzen Menschen, die des Tags über der Berufsarbeit nachgehen, für die Bären, sondern

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" Gleich an Ort und Stelle," sagte der Oberingenieur. Also im Verwaltungsgebäude?" fragten ihn die Leute. Aber der Ingenieur lächelte nur. Und dann hatte er es doch turchgesetzt bei der Direktion. Trotz des Spottes des Sekretärs. " So was Verrücktes," sagte dieser, ein Festmahl im Tunnel; hat man so etwas erlebt?"

Eben darum," sagte der Direktor.

,, Und es wird keinen guten Eindruck machen." Unser Unternehmen will überhaupt keinen Eindruck durch ein Festmahl machen, sondern durch die Züge, die durch unsern Tunnel laufen, Herr Sekretär..

Nacht in den offenen, im Wald gelegenen Liegehallen eine Schlaf­stätte zu gewähren. Die Schläfer liegen also völlig in der freien Luft. Die Krankenkassen und die Landesversicherungsanstalt haben fich bereit erklärt, ihren Mitgliedern die Mittel zu einer solchen Nachttur zu gewähren, da sich gezeigt hat, daß bei rechtzeitiger Einleitung solcher Kur die Arbeitsunfähigkeit verhindert wird. Tuberkulose Frauen, die in elendem Zustande die Nachtkur begannen, haben in wenigen Monaten überraschende Kuren erzielt. Erfolge, die erreicht wurden nur durch den Genuß frischer Nachtluft, ohne daß sie ihre Arbeit aussetzen brauchten. Asthmatifer konnten beffer atmen, Bleichsüchtige bekamen Farbe, Nervöse fanden die ersehnte Nachtruhe. Dabei handelt es sich meist Und dann liefen die ersten Züge durch. Giner von jeder um schwächliche Frauen. Die Pfleglinge schlafen in warmen Seite. Darinnen saßen die Geladenen. Das waren die mächtigen Schlafsackhängematten. Nun ist ganz gewiß ein großer Teil der Leute von der Hochfinanz, deren Geld den großen Bohrer durch den Berg getrieben hatte. Das waren die Staatsbeamten, deren Gutachten die Tunnelwände tapezierten. Das waren die Besitzer großer Eisenwerke, deren Schienenstränge unter dem Gebirge liefen. Das waren die Gemeindehäupter, deren Dörfer rings um den Tunnel lagen. Das waren die Erbauer der elektrischen Wagen, die jetzt die feftliche Menschenfracht von beiden Seiten an den Tunnel trugen.

Und wie nun die beiden Züge nördlich und südlich an den Gebirgsrampen hinaufkletterten, da sahen fröhliche Menschen her­aus in die Pracht der Berge. Die Ingenieure dachten an das gute Werk, die Staatsbeamten an die guten politischen Folge­rungen und die Finanzleute an gute Ueberschüsse. So war alles gut und guter Dinge, was da in den beiden Zügen saß.

Und das waren nicht nur Menschen, die mit den Zügen fuhren. Da fuhr das gute Glück mit und lief die Trittbretter ent­lang und spiegelte sich fröhlich an den Scheiben. Da saß die Ar­beitsamkeit rittlings auf der Lokomotive und sang ein Arbeitslied. Da stieg ein wollenstrahliges Gebilde aus dem Schornstein der Lokomotive und flatterte vor ihr her, lockend, neckend, überredend: Der Mut, der Mut, der nie gebrochene Mut.

Für beide Züge aber tat sich zu der gleichen Zeit dasselbe dunkle Tor auf: der Tunnel. Als hätte der Berg ein Doppelmaul, durch das er alles, was auf Schienen rollte, saugend einzog und verschlang. Aber die Verschlungenen hatten nichts dagegen. Ihre weißen Tücher winkten froh noch einmal ins Freie, dann prasselte der Widerhall der dunklen Wände auf sie ein.

Tief fuhren sie dem Berg ins dunkle Herz. Sein Schweigen schlug mit schwarzen Flügelschlägen an die Fenster. Aber drinnen strömte Licht aus hundert Birnen. Und das Licht drinnen führte mit dem dunklen Schweigen draußen einen Tautlosen Kampf zwischen Fenster und Tunnelwand. Schattenregimenter zogen an den Wänden auf und kämpften wütend gegen Lichtgeschosse.

In dem einen Zuge aber faß ein Mensch, der war ein Dichter. Wie dieser unter die Geladenen fam, ist nie ermittelt worden. Es heißt, er sei mit einem Aktionär verwechselt worden. Wie dem auch sei, der Dichter saß darin und schloß die Augen, als es rings um ihn schnatterte von der Unterhaltung der Geladenen. Da hatte er ein sonderbares Gesicht:

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So schnell der Zug auch fuhr gerade so schnell lief der Berg und alles, was darauf war, den Hang hinauf. So tam es, daß der Dichter alles sehen konnte, was auf dem Berge sich begab und lebie. Denn gefchloffene Dichteraugen, wenn sie aufwärts blicken, haben das Vermögen, durch das Innere eines Berges wie durch Glas zu schauen. Da sah er Hirten ihre Tiere aufwärts treiben, verfolgte breite Bäche, wie sie, dünner werdend, haarscharf auf die Quelle an der Spiße zielten. Da hörte er das Laub in breiten Wäldergürteln rauschen, sah er Tannenheere aufwärts stürmen bis zu einer dünnen Vorhut, die ihre grünen Speere in das graue Berggeröll stieß. Da sah, er weite Matten grüßen und die zitternden Gräferspißen fragend zueinander neigen:" Was für ein fremdes Rollen leiten die Adern des Gebirges bis an unfere Wurzeln?" Da sah er Tiere mit den Ohren an der Erde:" Was brummt der Berg? Wer hat ihm was zuleide getan?" Da sah er Gletscherzungen lecken, fah er wilde Schründe flaffen, hörte er das Flügelrauschen ferner Bögel, fah er die Mittagssonne Flammen­kränze um den Gipfel flechten

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günstigen Wirkung der kräftigenden Waldluft zuzuschreiben. Zweifel­los beweisen aber diese Erfolge auch, daß überhaupt die viel reinere Nachtluft der Gesundheit äußerst zuträglich ist. Wer also nicht so glücklich ist, ganz im Freien schlafen zu können, der halte wenigstens des Nachts die Fenster etwas offen, und zwar auch im strengsten Winter. Daß man sich dabei vor direktem Zug bewahren muß, ist selbstverständlich. Ebenso muß man dafür sorgen, daß der Schläfer trotz des offenen Fensters behaglich warm liegt.

Aus dem Pflanzenreich.

ist

Blumen Jubiläen. Zwei Sommerblumen feiern jetzt ihr Jubiläum, eine wildwachsende, die Nachtferze, und eine Garten­pflanze, die Fuchsie. Gerade 300 Jahre ist es her, daß die Nacht­ferze( nach Reinhardt 1614 von Padua aus) in Europa ein­geschleppt wurde. Ihre Heimat ist in den östlichen Staaten der Union zu suchen, aus denen der wachsende Verkehr sie nach Europa brachte. Längs der Flußufer, und in neuerer Zeit befonders entlang den Eisenbahndämmen, hat sie sich ausgebreitet, und heute ist sie faft allgegenwärtig: auf Sandboden, auf unbebautem Land, auch in Es vernachlässigten Gartenwinkeln ist sie zu finden. eine stattliche Staude, die über einen Meter hoch wird: bei Tage ist ihr Anblick gewöhnlich nicht sehr erfreulich, denn man sieht ein strunfartiges Gewächs mit dicken Stengeln und vielen Blättern, aber felten offene Blüten. Nur wer die Pflanze gegen Abend zu sehen bekommt, merkt, daß es eine schöne, prächtige Blütenpflanze ist. Gegen Abend nämlich öffnen sich die Knospen. Dieser Vorgang erfolgt so schnell, daß man ihn mit den Augen verfolgen fann: die aufrechtstehenden Knospen erschließen sich, gewöhn­lich alle gleichzeitig, beinahe ruckartig, nach etwa einer Minute sind die Blüten in die wagerechte Lage übergegangen, die Blumenkron­blätter sind zurückgeschlagen und die schwefelgelbe Unkrautpflanze entsendet ihre lieblichen Düfte, mit denen sie Nachtfalter an Lodt. Wer zu ungeduldig ist, das Sichöffnen der Blüten abzuwarten, kann es selbst herbeiführen, ohne der Pflanze zu schaden: man braucht nur die geschlossenen Kelchzipfel, die die Blumen­frone zusammenhalten, an der Spitze zu lösen, so reckt und streckt sich die Blume fräftig. Der Insektenbesuch, auf den die Nachikerze die eigentlich rechnet, bleibt häufig aus; fommen teine Gäste, amerikanischen Insekten, die an sie angepaßt find, fehlen natürlich in Europa so schreitet sie zur Selbstbestäubung, die auch zur Bildung feimfähiger Samenkörner führt.

Der andere Jubilar der Blumenwelt, die Fuchsie, findet sich seit 150 Jahren in Europa ; sie wurde( nach Strang) im Jahre 1764 zu uns gebracht, und zwar nicht eingeschleppt, fondern eingeführt. Der Botaniker Plumier, der im Dienste Ludwigs XV. Südamerika bereifte, hauptsächlich, um Forschungen über den Fieberrindenbaum anzustellen, entdeckte ste in den Wäldern Perus und brachte sie nach Frankreich . In der Heimat ist die Fuchsie eine häufige Pflanze, deren zahlreiche Arten als Unterholz in den Wäldern, als letternde Schlingpflanzen und als Bergpflanzen auf den höchsten Gipfeln zu finden sind; in manchen Ländern, in Chile , in Mexiko und in Guatemala hat man neue Fuchsienarten gefunden, und in Neuseeland entdeckte man ein neues, von Amerika weit entfernt liegendes Fuchsienland. Unternehmungsluftige Gärtner führten immer neue Arten Franzosen und Engländer zuerst

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ein und suchten durch ihre Kunft neue Abarten zu gewinnen. Eines aber wollte allen zunächst nicht gelingen: die Fuchsien blieben Und als er so weit war im Schauen mit geschlossenen Augen, Sträuche, wie sie es in ihrer Heimat find, und man hätte gern da geschah es, daß der Zug mit einem langen Pfiffe in der Berges- Fuchsienbäume gezüchtet. Der erste, dem dies gelang, war ein mitte anhielt. Der Pfiff verebbte. Nein, jest tam ein nahes Echo. leidenschaftlicher Fuchsienzüchter, ein Bäcker namens de Brayne in Echo? Nein, das war kein Echo, das war der Zug der Gegenliche Erfolge erzielte. Von den 50er Jahren an mehrten sich die Fuchsias Mecheln, der bei seinen Zuchtverfuchen in den 40er Jahren erstaun­

seite, der auch in diesem Augenblick in der Bergesmitte einlief. Weit ausgebuchtet war hier der Tunnel. Mächtige Bogen­lampen hingen sonnenhaft von dem Gewölbe. Das war Tag, das war der helle Tag im Herzen des Berges.( Schluß folgt.)

Kleines Feuilleton.

Hygienisches.

bäume und wurden immer größer, ja auf einer Ausstellung in Mecheln wurde eine Hochstämmige Fuchsie von nahezu acht Metern Höhe ge­zeigt! In Deutschland züchtete man Fuchsien seit den vierziger Jahren, und auch hier hat die Zucht, besonders die der hochstämmigen Fuchsien schöne Erfolge gehabt.... Eine besondere Bewandinis hat es mit gewissen neuseeländischen Fuchsien: nach Neuseeland brachte nämlich ein englischer Gärtner eine Buchtform der Fuchsie, die Fuchsia globosa und aus dieser Zierpflanze ist eine Obsipflanze ge­worden: aus den Blüten dieser Fuchsie werden nämlich in Neusee­ land , dessen Selima ihr sehr zuzusagen scheint, schöne rote Früchte von hohem Wohlgeschmack, die als Fuchsiafirschen" verkauft und verzehrt werden.

Ist das Schlafen bei offenem Fenster gesund? Der Naturarzt" erinnert in der Julinummer zur Beantwortung dieser Frage an den Bericht der Walderholungsstätte in Pankow bei Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin.- Druck u. Verlag: Borwärts Buchdruckerei u.Berlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.