Unterhaltungsblatt öes vorwärts

Nr. 134.

Mittwoch, den 13. Juli.

1914

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20]?us und Recht. Noman von Fred B. Hardt. Notar Fabrice lächelte kaum merklich und sah zu Dr. Werner hinüber.Bien, c'est alors en ordre. (Schön, das ist also in Ordnung.) Ich werde Ihnen seht die Urkunde verlesen." ..Ganz unnötig, bitte geben Sie her." Pardon, ich möchte sie doch vorlesen. Dann können Sie unterschreiben." Er las die Urkunde langsam und deutlich vor. Dann reichte er Frau Blinker-Crighton die Feder, und mit fester Hand setzte sie ihre Unterschrift unter das Protokoll, große steile Buchstaben. Adele Violet Blinker, nde Crighton. Der Notar war aufgestanden, um ihr Platz zu machen. dann nahm er behutsam eine alte Porzellane Streudose und schüttete feinen weißen Sand auf die steilen großen Buch- staben und die Unterschrift von Dr. Werner und seine eigene, die zierlich und ganz dünn war. Dr. Werner begleitete Frau Blinker-Crighton wieder zurück nach der Villa Elfriede. Sie gingen schweigend neben- einander. Er war ärgerlich auf sich selbst und wußte nicht warum, ärgerlich auf die alte Dame, die neben ihm ging und nichts fagte, ärgerlich auf die hochfahrende Antwort, die sie gegeben hatte. Er sah wie blind auf die Villen und Gärten, deren Bäume in Herbstbuntheit prangten, er sah nicht die lachende Schönheit des Sees, nicht die Dent du midi, deren Spitze mit glitzerndem Schnee eingehüllt war. Er fühlte nach der Brust- tasche ja das Schriftstück war da, geborgen in seinem Portefeuille. Wenigstens das! Aber froh wurde er nicht. Wenn sie nur etwas sagen wollte! Woran mochte si? denken, an ihren Sohn? Werden Sie den Winter hier bleiben?" Wie dumm diese Frage war! Sie waren fast am Garten der Villa angelangt. Drüben vor dem Hause stand eine junge Dame in Hellem Rock mit zwei Herren zusammen, einer lachte. Die junge Dame gab ihm mit ihrem Racket einen spielenden Schlag auf die Schul- ter. Der Herr nahm seinen Strohhut ab und verbeugte sich zeremoniell. Da lachte der andere, der eine gestreifte Kricket- Kappe trug. Wie Marionetten sahen die hellen Figuren aus. Die Sonne stand gegen sie, daß ihre Gesichter ganz schwarz waren, aber sie bewegten sich und zwischen ihnen liefen Wünsche. Frau Blinker-Crighton hatte nicht geantwortet. Sie nahm das Lorgnon und sah nach den drei Menschen hin. Wie sagten Sie, Pardon I" Nichts, gnädige Frau. Ich glaube, ich werde mich hier verabschieden. Mein Zug geht um ein Uhr zwanzig und ich muß noch nach dem Hotel zurück." Lunchen Sie dort?" Nein, ich werde im Zug essen." Frau Blinker-Crighton schien dies zu beruhigen. Wir sind zum Lunch im Hotel gebeten. Meine alte Freundin, die Lady Fitz-James, hat uns eingeladen. Der junge Herr dort in der gestreiften Kappe ist ihr Neffe, Mr. Low aus Kapstadt . Ein charmanter Mensch. Er ist sehr verliebt in Maud." Ist die junge Dame Fräulein Maud?" Ja natürlich, sie haben Tennis gespielt." Frank Werner war unwillkürlich stehen geblieben. Tennis gespielt?" Sie hatten die Partie schon gestern verabredet." Ja, die mußte man wohl einhalten! Ich möchte Ihnen hier Adieu sagen, Mrs. Blinker-Crighton." Wie froh er war! Nein, wahrhaftig, sie verdiente es nicht, daß er sich um ihr Schicksal sorgte. Gott sei Dank, in einer Stunde saß er im Zug. Da drehte sich Frau Blinker-Crighton nach ihm um. Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen, Dr. Werner," sagte sie verlegen. Bitte."

Sprechen Sie mit niemand im Hotel über die Sache meines Sohnes. Wir haben hier Rücksicht zu nehmen. Es wäre gräßlich, wenn jemand davcn erführe. Nicht wahr, diese Bitte erfüllen Sie mir?" Er mußte sich zusammennehmen, daß sein Widerwillen in seinein Gesicht nicht widerspiegelte. Das war die Bitte! Für den Sohn keinen Gedanken! Er verbeugte sich leicht: Das ist ganz selbstverständlich. Es war eine rein ge­schäftliche Angelegenheit, die mich zu Ihnen führte, und davon spricht man nicht als Anwalt. Darüber können Sie beruhigt sein, Mrs. Blinker-Crighton." Er zog den Hut und trat schnell von der Gartenpforte zurück, wendete sich und ging den nächsten Weg nach dem Hotel. Nach einigen Schritten, da er um die Ecke gebogen war, blieb er stehen und lachte auf, ein häßliches, mißtöniges Lachen. So war es am besten!" sagte er laut und schüttelte den Kopf. Eigentlich unglaublich!" Ein Mann, der in dem Garten Crysanthemen schnitt, hielt bei der Arbeit inne und sah auf und lugte nach ihm hin; dann blickte er sich wieder und schnitt andere Blumen. Der ist übergeschnappt," murmelte er. Dr. Werner kam in der späten Nacht in Dresden an und suchte schon am nächsten Morgen den Staatsanwalt auf, um ihn, die Urkunden zurückzugeben und ihn von dein Ausgange der Unterredung mit Frau Blinker-Crighton in Kenntnis zu setzen. Ter Diener teilte ihm mit, daß Staatsanwalt Grün- lich plötzlich erkrankt sei und Staatsanwalt Dr. Diestel ihn vertrete. Bei Nennung dieses Namens überkam Dr. Werner ein� unangenehmes Gefühl. Es widerstrebte ihm stets, mit diesem Beamten zu tun zu haben, außer im Gerichtssaal, wo er dann bei offenem Visier mit ihm die Waffen kreuzte, wohl auch zur Schellenpeitsche griff, um ihm lachend ein pathetisches Ornamentchen abzuklopfen. Das war Kampf und Kampfes­weise. Aber so, außerhalb dieses Turnierhofes mit ihm der- handeln zu müssen, war ihm unlieb. Staatsanwalt Dr. Diestel, wie alle schleichenden Naturen, hatte sich viel mehr in der Gewalt und empfing Dr. Werner mit wohl zurechtgemachter Beamtenwürde. Er sagte, er habe sich mit dem Blinkerschen Falle noch nicht beschäftigt, werde aber in den nächsten Tagen Felix Blinker voni Untersuchungs- richter vernehmen lassen, der inzwischen einige Erhebungen gmacht habe.Eine schriftliche Darstellung vom Notar Fabrice über die Unterredung mit dieser Frau Blinker könn- ten Sie Wohl nicht zu den Akten geben?" Er blätterte da­bei in dem Faszikel, ohne Dr. Werner anzusehen. Dr. Werner verneinte dies, da der Notar der ersten Unter- redung gar nicht beigewohnt hatte. O Verzeihung," meinte Staatsanwalt Dr. Diestel,dann dürfte ich Sie wohl mißverstanden haben. Ich glaubte, daß der Notar Fabrice auch bei der ersten Unterredung zugegen gewesen sei. Nun, das macht ja nichts, ich werde Ihre per- sönlichen Eindrücke zu den Akten registrieren, das wird wohl genügen." Ich dächte auch," sagte Dr. Werner schärfer, als er be- absichtigte. Er witterte bei jeder glatten Redewendung des Staatsanwaltes eine versteckte Ungezogenheit. Staatsanwalt Dr. Diestel schien den Ton zu überhören, denn er begleitet« Dr. Werner höflich bis zur Türe und ver- abschiedcte sich von ihm mit einer korrekten Verbeugung, wo- bei er leicht die Hacken zusammenschlug. Dann trat er an seinen Schreibtisch zurück, blätterte in den Akten und schrieb eine Notiz über die Aussprache mit Dr. Werner. Er blieb sinnend sitzen und kniff das eine Auge zu, als ob er an etwas sehr Lustiges dächte, zuletzt strick, er eine Resolution, die er tags zuvor geschrieben hatte, wieder durch und verständigte den Untersuchungsrichter, daß er die Untersuchungssache Blinker selbst bearbeiten wollte. Er gab Anweisung, ihm den Untersuchnngsgefangencn noch am Nachmittag vorzusiihren. Dr. Werner ging nach seiner Kanzlei zurück. Er war unlustig und nervös. Er hatte Frau Berta Blinker tele- graphisch bei der Abfahrt von Montreux unter kurzer Angabe des Ergebnisses der Reise für Mittag in sein Bureau bestellt.