Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 136.
28]
Jus und Recht.
Freitag, den 17. Juli.
Roman von Fred B. Hardt. Hinter ihm ficherte Dr. Friedolin:„ Na, wer weiß?" Dr. Werner ging mit unfreundlichen Gedanken nach Hause. Wie kam diese Frau dazu, ettvas Derartiges zu behaupten. Jedenfalls wollte er ihr sofort schreiben, schon um weiteren Phantastereien einen Riegel vorzuschieben. In der Kanzlei diftierte er seinem Bureauchef folgenden Brief:
,, Bei einer zufälligen Unterhaltung mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Friedolin erfahre ich soeben, daß Sie in einem an diesen Herrn gerichteten Brief sich dahin ausgesprochen haben, daß Ihnen nachträgliche Bedenken gegen die Zession der Schäfferschen Forderungen gekommen sind. Sie haben auch von einem Getäuschtsein geschrieben und diese Behauptung hat, da fie meine Person mitbegreift, ein gewisses Ineresse für mich. Wie Sie zu dieser Behauptung kommen, ist imr nuerfindlich. Ich gebe Ihnen anheim, sich unsere Unterredung nochmals ins Gedächtnis zu rufen, insbesondere unser Gespräch in Ihrer Pension und bei dem Notar Fabrice. Bei einer wahrheitsgemäßen Rekonstruktion dieser Verhandlung kann von einem Getäuschtsein absolut nicht die Rede sein und ich ersuche Sie, höchst vorsichtig zu sein bei Erzählung dieser Vorgänge und sich an die stricteste Wahrheit zu halten."
Meinhold zog während des Schreibens die Augenbraunen hoch und meinte dann bescheiden:" Ist der Brief nicht etwas scharf, Herr Doktor?"
sch finde nicht, Meinhold. Ich glaube, der Dame muß man sehr deutlich kommen. Der Brief geht so ab. Die Kopie zu den Akten. Das wird nun wohl der letzte Brief sein in dieser Blinkerschen Sache."
Hoffentlich," sagte Meinhold leiſe.
Ja, ja, Meinhold, ich weiß, Sie mochten die ganze Sache nicht. Lassen Sie nur gut sein, Meinhold, ich weiß es und mache Ihnen gar keinen Vorwurf."
Jedoch wurde Dr. Werner sehr augenfällig an diesen unleidlichen Prozeß erinnert durch eine Begegnung wenige Tage später. Als er über den Altmarkt fuhr, bemerkte er von dem Hinterperron der elektrischen Straßenbahn einen Herrn, der über den Platz ging. Sein Gang und seine Haltung dünfte ihm bekannt und veranlaßte ihn, genauer hinzusehen. Felix Blinker?- Zunächst dachte er an eine Täuschung, doch da die Tram den Spaziergänger überholte und er nun auch sein Gesicht erkennen konnte, war jeder Irrtum ausgeschlossen. Felix Blinker in höchsteigener Person mit frischgepreßten Bügelfalten, das Einglas im linken Auge. Dr. Werner schoß der Gedanke durch den Kopf, er ist aus dem Untersuchungsgefängnis geflohen! Nein, das war absurd. Eine so furzbeinige Dummheit begeht Felix Blinker nicht.
1914
nur denkbar, wenn die Staatsanwaltschaft ihre ursprüngliche Ansicht geändert hatte, und daraus ergab sich, daß man seine Anschuldigung für leichtfertig erhoben, für haltlos erachtete.
Nach und nach flogen ihm einzelne Nachrichten zu; er hörte einige Bemerkungen über den Fall im Anwaltszimmer; Felix Blinker habe behauptet, die Mieten des Grundstückes in der Werderstraße seien nicht zum Nachteile seiner Frau, vielmehr zu ihrem Vorteil gepfändet worden, damit andere Gläubiger nicht zuvor fämen. Das Gegenteil sei ihm nicht nachzuweisen gewesen. Und die 10 000 Mart habe seine Mutter mit Beschlag belegt, da er befürchtet hätte, daß Dr. Werner diese Summe als Honorar fich habe sichern wollen.
Und all diesen dreisten Ausreden hatte Staatsanwalt Diestel geglaubt! Als ob irgendein Ehrenmann in frivoler Weise von einem Winkeladvokaten beschuldigt worden sei und es sich nicht um einen Gauner handelte, dessen verbrecherisches Treiben stadtbekannt war.
Das große Selbstvertrauen, das Dr. Werner erfüllte, und eine unvorsichtige Mißachtung anderer Meinung, sobald sie im Gegensatz standen zu seiner eignen Ueberzeugung, verdunkelte ihm die Nebenwege, in die sich das sonderliche Verhalten der Staatsanwaltschaft verlaufen konnte.
5.
Zudem drängte sein eigenes Leben neuen Zielen zu, wie ein Baum, dessen Zweige durch ein Hemmnis zu Boden gedrückt sind, emporschnellen und sich sonnenhungrig streden. Im Sommerlauf hatte er noch mit Wünschen getändelt und nach ihnen nur sein Auge schweifen lassen, gleich dem Wanderer, der von nachbarlichem Hügel auf die liebliche Landschaft zu seinen Füßen schaut und in vorahnender Freude zögert, den Fuß dahin zu lenken, glücklich, schon des Schauens. Nun, da er sich beweglicher fühlte, frei von der übergroßen Verantwortung, die ihm der Prozeß Blinker gebracht hatte, schritt er rüstig und wohlgemut den Hügel hinab und wollte aus der Quelle trinken, die da unten plätscherte.
Der Herbst war besonders liebenswürdig dieses Jahr. Ein Tag voll milder Ruhe reihte sich an den anderen, und der Gedanke, daß nun monatelang unwirsches Wetter Herrschen sollte, wollte gar nicht aufkommen. Nur am Morgen, wenn Frank Werner nach der Stadt fuhr, lag ein feiner Dunst über dem Elbtal , der nach und nach Leben bekam, hin und her wogte und wallte, bald in Streifen und Kleine flatternde Wölkchen zerriß, die sich an den höchststehenden Bäumen noch festhielten, bis die Sonne sie verscheuchte. Den Tag über blieb es warm und der Himmel to blau, wie im Toskanischen . Ganz dünn und klar war die Luft, daß man von der Terrasse auf dem Hirsch jedes Haus in Blasewig erkennen konnte und dort, wo der letzte Silberstreifen des Stromes sich vor den nachgleitenden Augen verlor, tauchten zwei Bergschlösser auf, der Lilien stein und der Königsstein, in großzügigen Umrissen mit zarter grauvioletter Tusche an den Horizont gezeichnet. Im Wald war es still: die Bäume hatten ihr grünes Kleid mit einemt
Er mußte aber Klarheit haben und sprang bei der nächsten Haltestelle ab, ging nach einem Café, um von dort aus zu telephonieren. Er ließ sich mit dem Untersuchungsgefängnis verbinden, und der Oberaufseher Engler bestätigte ihm, daß farbenprächtig- bunten vertauscht, zitronengelb der Ahorn, die Felix Blinker am vorausgegangenen Abend entlassen
worden war.
Dr. Werner war helle Wut. Sein erster Gedanke, den Staatsanwalt aufzusuchen und von ihm eine Auskunft zu verlangen, verflüchtete sich bei ruhiger Ueberlegung, denn eine dienstliche Auskunft war Staatsanwalt Diestel nicht verpflichtet zu geben, nachdem er die Vollmacht für Frau Blinker niedergelegt hatte. Und er wollte ihn nicht um eine persönliche Gefälligkeit angehen. Er verbrachte einen nachdenklichen Abend und eine traumunruhige Nacht, in der Felix Blinker bald verschwommen, bald deutlich ihm erschien, er versuchte ihn zu faffen, zu stellen, was ihm nicht gelang und ihm ein peinigendes Gefühl der Beklommenheit hinterließ. Aber am nächsten Morgen stand er gleichgültig zu diesem Ereignis. Was hatte er noch mit diesem Menschen zu tun! Was kümmerte ihn, ob er noch einmal entschliipft war, er würde sich doch einmal in den Schlingen seiner Betrügereien fangen. Doch in diese Ueberlegung mischte sich das Gefühl einer persönlichen Kränkung: Die Anzeige, die er erstattet hatte, war in allen Punkten wohl überlegt und juristisch begründet. Und doch war Felix Blinker wieder auf freiem Fuße. Das war
Birken und Espen leuchtend gelb wie Schwefel, die Kastanien und die Nußbäume prangten in fattem Braun, und in flammendem Rot der wilde Wein. In dem Garten blühten Astern und Reseden und späte Rosen, die sich noch einmal aufrafften, um ihren Schwestern, die so langsam ihre Schönheit enthüllten, nicht nachzustehen.
Dankbar genoß die alte Frau Werner jeden dieser milden ruhigen Herbsttage, mit der haushälterischen Freudigkeit des Alters, das nicht mehr sicher ist, ob es vielleicht noch einmal die Birken im Frühjahrsschmuck sehen wird.
Sie ließ sich gegen Mittag in den Wald fahren und ging dort, auf den Arm von Fräulein Berger gestüßt, auf und ab. Sie traf fast täglich ihr? Hausgenossin Frau Pause, die wie eine gute Fee durch den Wald ging, da einige Körner streute, dert geschickt eine kleine Schachtel mit gelben, krabbelnden Mehlwürmern in ein Baumloch versteckte. Und schon flogen die Meisen herbei und pickten fast unter ihrer Hand die leckeren Bissen aus der Schachtel, wippten sich auf einen Zweig und hämmerten in sorgloser Grausamkeit den gelben Wurm in Kleine Stücke. Die Finken waren so zutraulich, daß sie ihr ein Stück des Weges das Geleite gaben, und wenn sie sich auf eine