Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 137.

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Jus und Recht.

Sonnabend, den 18. Juli.

Roman von Fred B. Hardt.

Und in der Tat war Ursula voller Unruhe und Sehnsucht. Daß es Frank nicht möglich gewesen war, mit ihnen Ende Juli nach Scheveningen   zu reisen, hatte ihr weh getan, aber sie hatte eingesehen, daß er nicht freikommen konnte. Nun waren sie schon seit fast vier Wochen zurück und er schwieg immer noch, trotzdem sie sich täglich sahen, und jeder Blick aus seinen Augen von Liebe sprach, jeder Händedruck wie eine Liebfosung war. Warum sprach er nicht? Es waren Stunden gekommen, in denen fie fürchtete, daß er nur mit ihr tändle. Da war der Stolz des jungen Mädchens verletzt und sie wurde abweisend und hochmütig. Doch währte das nicht lange, denn wenn Frank kam und erzählte, und fein Wesen Wärme und Frische ausstrahlte, fühlte sie sich doch wieder ganz in seinem Banne. Wenn Frau Gabriele ihre Unruhe fühlte, war sie mütter­lich zärtlich zu ihr und sprach Liebes über Frank. Doch auch sie verwunderte sich über ihn. Dieses Zögern paßte so gar nicht zu seinem schnell entschlossenen Wesen, zu seinem fecken zu

greifen.

Jezt im Herbst kam sie wieder öfters auf den Hirsch, um Jezt im Herbst kam sie wieder öfters auf den Hirsch, um Frau Werner zu besuchen.

Ursula und Frank ritten regelmäßig am Sonnabend in der Heide. Beide waren passionierte Reiter und Frank fühlte fich nie so voller Herrenlust, als wenn er im Sattel saß. Wenn er einen Graben nahm oder eine Hecke, biß er die Zähne auf einander, um nicht laut aufzujauchzen. Und Ursula war eine vortreffliche Partnerin bei diesen langen und bisweilen tollen Ritten. Im Reitrock und englischen Reitjacke, den flachen schwarzen Hut auf dem vollen braunen Haar, war sie die ver­förperte Jugend.

Sie ritten im Schritt nur wenige Minuten über die Straße und trabten bald auf glatten wohlgepflegten Wegen durch den Waldpark. Fast unmerklich verlief fich der Park in den dichteren Wald. Feingliedrige Akazien und zierblätteriger Ahorn und Nußbäume blieben zurück und robuste Ulmen und Rüstern schlossen sich dichter zusammen. Dann ging der Laub­wald in Tannen und Fichtenbestände über. Bärtige Kiefern gesellten sich zu und hüteten die Einsamkeit und Stille. Breite Reitwege und schmale Waldschneisen, deren Ausgang sich vor den Blicken verschlossen, kreuzten sich und führten auf dem weichen sandigen Boden lautlos und mühelos hügelan und tal­wärts. Bisweilen wurde der braune, dicht mit Nadeln bedeckte Waldboden heller und grüner, Brombeeren und dorniges Ge­strüpp machten widerwillig halt, grüner Lattich wucherte und rundliche Moospolster waren auf dem Boden ausgebreitet. Der Wald wurde licht und lichter, dralle Ebereschen ließen ihre roten Beeren sorglos niederfallen und weißstämmige Birken im hellgelben Herbstlaub wisperten sich verliebte Torheiten zu. Dann fielen die Pferde aus dem Galopp in einen vor­sichtigen Schritt, die Hufe glänzten naßschwarz, wie aus Eben­Holz gedrechselt, und der Boden, sacht nachgebend, wurde dunkel, wo die Hufe ihn berührten. Bald aber trabten sie wieder berg­an auf festem Boden, und wenn der Weg auf ein Plateau mündete, griffen die Pferde mächtig aus, sich gegenseitig mit mutwilligem Schnaufen aneifernd und drängten sich dicht an­einander. Die beiden Reiter waren des eigenwilligen Galoppes froh, vergaßen den korrekten Kurzgalopp und ließen die Pferde ausgreifen, bisweilen selbst durch eine Nachhilfe das tolle Tempo gleichhaltend, nur bedacht einem überhängenden Zweig auszubiegen oder eine fnorrige Wurzel, die über den Weg wucherte, zu umgehen.

Sie ritten stundenlang und fanden doch nie den Ausgang des Forstes, der sich meilenweit dehnte, bis über Klotsche hinaus. Sie suchten immer neue Wege und öfters hatten sie sich verritten, und fanden sich erst zurecht, wenn sie sich nach dem Stande der Sonne richten konnten, oder von einer Anhöhe aus die Turmspite der weithin sichtbaren Kirche von Bühlau erblickten. Dieses planlose Reiten mit scherzhaften und ver­wirrenden Ueberraschungen erhöhte den Reiz, gab ihnen das Gefühl des Abenteuerlichen. Sie dünkten sich dann ganz auf sich gestellt, und das Unbekümmertsein um Zeit und Ziel er faßte sie jedesmal wieder, wie die erwartungsvolle Unruhe

1914

einer Reise ins Ungewisse, die aber bald in die beruhigte Sicherheit überging, daß diese Reise das Erhoffte bringe, das Zusammen- Alleinsein. Und danach hatten sie beide Sehnsucht, wenn sie auch nicht darüber sprachen. Bisweilen wollte Ursula wohl, es sei Zeit zurückzukehren und freute sich, wenn Frank diese Sehnsucht doch sichtbarer werden lassen, dann meinte sie ärgerlich die Augenbrauen zusammenzog, bis er ihr schalkhaftes Lächeln bemerkte und selbst lachte.

und mußten die Pferde heftig und unvermittelt zum Stehen Auch heute waren sie auf unbekannten Wegen galoppiert bringen. Der Weg war auf einen freien Blaz gemündet und dicht vor ihnen fiel das Plateau in einen steilen, sandigen Ab­hang ab. Die Pferde schnauften und fauten auf der Kandare. Sie gaben die Zügel frei, um den Tieren ein tieferes Atem­holen zu gewähren. Sie selbst atmeten schwer und müsam und sahen sich mit leuchtenden Augen an, sie hatten ihre Kraft gemessen und sich gleich stark gefunden. Wie fie ruhiger und gleichmäßiger atmeten, drängte Frank sein Pferd dicht an den Goldfuchs Ursulas heran und legte seine linke Hand auf den Sattel, mit der rechten wies er nach vorn.

Landschaft hinaus: Ueber ein weites Meer von Baumkronen Ursula nickte mit dem Kopf und sab still verträumt in die glitten die Blicke zum Tal, dazwischen, wie Sandbänke, die weißschimmernden Lichtungen und in der Ferne schon etwas verschwommen die Silhouette von Dresden  . Sie schauten lange schweigend.

Dann sagte Frank: Ich habe viel Schönes auf meinen Reisen gesehen. Sicherlich bunter und farbenprächtiger, auch Er sanit mächtiger und großzügiger, wie diese Landschaft." einen Augenblick nach. Und doch, wenn ich nach dem Hirsch fahre, und die Albrechtsschlösser auftauchen, auch wenn ich auf der Terrasse von unserm Haus nach Dresden   hinabblicke, oder wieder hier, dieses Bild, da wird in mir etwas rege, das ich bet dem anderen Schönen nicht empfunden habe. Das hier wirkt vertrauter auf mich. Hier fühle ich, das ist Heimat. Nicht da, wo ich geboren bin, das triste Leipzig  . In Dresden   fühle ich, daß mein Leben verankert ist, mein Geschick fest verknüpft. Ich bin mit dieser Landschaft, mit dieser Stadt verwachsen."

Ursula schwieg noch, doch ihre beiden Hände, die lässig den Bügel hielten, zitterten leise.

Ich habe manchmal darüber nachgedacht, und habe nicht ganz die Erklärung gefunden. Es fehlte noch wie das letzte Schlaglicht auf einem Bild. Aber jetzt weiß ich es ganz genau, daß es so ist."

Er legte die Hand leise und zärtlich um Ursulas Schuiterit und bog ihren Kopf zu sich herüber. Und weiß auch warum.

Weil wir uns lieben, Ursula." Und er füßte sie auf den frischen jungen Mund, der sehn= süchtig den seinen suchte, als ob in dieser Liebkosung ihre ganze Bärtlichkeit sich nicht ausschmiegen könnte, ließ sie Zügel und Gerte der Hand entgleiten und beugte sich tief nach hinten über, schlang ihre Arme fest um seinen Hals und küßte ihn in als und frauenhaftem Begehren.

Der Goldfuchs schüttelte eigenwillig seinen Kopf und scharrte ungeduldig. Frank löste die kosenden Arme und sprang ab, um die Gerte aufzuheben und die Zügel zu raffen.. Er stand vor ihr und begrub sein Gesicht in ihrem Schoß und füßte ihre Schenkel. Ursula griff in seine dichten blonden Haare, hob seinen Kopf und sah in seine leuchtenden Augen.

Endlich, Frank. Du hast mich lange warten lassen." Sie ritten zurück, eine gerade Waldschmeise entlang, die den Weg abkürzt, im Schritt, in zärtlichem Geplander. Was in all den Monaten des verliebten Bauderns der eine gefühlt und gehofft hatte, sollte nun der andere hören, sprudelnd und ganz hingegeben Frank; schalfhaft, bisweilen verhüllend Ursula. Sie sprachen nur von sich und es kam ihnen gar nicht der Gedanke, daß ihre Liebe auch andere verstrickte, daß die neue Gestaltung ihres Lebens auch nach anderen übergriff.

Unvermittelt sagte Ursula: Was wird Deine Mutter sagen, Frank?"

Das weiß ich ganz genau. Wenn sie uns heimkommen sieht, mit diesen Augen, da brauchen wir kein Wort zu sagen. Sie wird sich herzlich freuen. Es ist doch ihr innigster Wunsch gewesen, daß ich eine junge Frau ins Haus bringe. Und daß Du diese junge Frau sein würdest, hat sie längst gewußt, wenn