Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 145.
87
Jus und Recht.
Donnerstag, den 30. Juli.
Roman von Fred B. Hardi.
Es schlug fünfmal. Noch eine Stunde! Da klirrte der Schlüssel in der Türe und ein Wärter irat ein mit einer offenen Dellampe und brannte das Gas an. st es schon sechs Uhr?"
Es hat gerade geschlagen."
Er hatte einen Schlag überhört und eine Stunde gewonnen.
Um fieben kommt Ihr Abendessen, Herr Rechtsanwalt," sagte der Wärter.„ Es sind auch Akten und Briefe für Sie gekommen, die find beim Oberauffeber, Sie bekommen sie
aber heute abend noch." „ Danke."
1914
ganz, daß die Untersuchungshaft eine nicht weniger qualvolle Folter ist. Die armen, von Unruhe gepeinigten Menschen werden durch eine längere Untersuchungshaft ebenso mürbe gemacht, wie nach Anlegung von Daumenschrauben oder des spanischen Stiefels. Und sind ihre Aussagen, die sie in ihrer Angst machen, nicht ebenso widerfinnig, wie die der Gemarterten? Hat der Untersuchungsgefangene noch genügend geistige Frische, um jedes Wort seiner Aussage genau
zu bewerten?
,, Und wehe ihm, wenn sich in der Hauptverhandlung ein Widerspruch zwischen den Protokollen und seinen Aussagen ergibt! Dann heißt es gleich, natürlich der Herr Unterfuchungsrichter hat das Protokoll gefälscht und der Vorsitzende notiert sich der Angeklagte verwickelt sich in Widersprüche. Diese Bemerkung wird immer zu seinen Ungunsten ausgelegt. In die Psyche eines Untersuchungsgefangeneen einzudringen, ist eben nicht Sache des Vorsitzenden, trotzdem jeder weiß, Die Tür schlug zu. Er rückte den Tisch nabe an den wie solche Protokolle zustande kommen. Berängstigt, viel. Gasarm, der an der Wand hing und schrieb an Ursula. Doch leicht noch vom Untersuchungsrichter angeschmanzt, macht er wie er den Brief durchgesehen hatte, zerriß er ihn wieder. feine Aussagen, die aber nicht wörtlich, wie er sagt, sondern Es waren sehnsüchtige Liebesworte geworden. Er batte so, wie der Untersuchungsrichter sie auffaßt, protokolliert werfeinen Brief geschrieben, er hatte sie gefüßt und in seinen den. Und diese Niederschrift, die meist noch in einer verArmen gehalten. Und er dachte an den Untersuchungsrichter, schachtelten Sprache, die er gar nicht versteht, abgefaßt ist, an die Gefängnisbeamten, die den Brief lesen würden. Dieser wird schnell vorgelesen und dann heißt es- Gedanke war ihm unerträglich, er fam ihm wie eine Beschreiben Sie. Und damit hat er sich ein für allemal festschmutzung seiner Liebe vor. Er nahm einen neuen Bogen gelegt. Wie oft habe ich gegen diesen Unfug als Verund schrieb nur wenige Zeilen der Beruhigung, gleichzeitig teidiger gekämpft!"
-
,, daß ich Ursula ganz anders
mun unter
auch an Frau Gabriele Was den gutgemeinten Bemühungen des Pastor schreiben möchte, können Sie sich vorstellen, doch auch ver- Friedrich nicht gelungen war, gelang Dr. Werner jeẞt unstehen, daß ich das nicht tue, wenn ich Ihnen sage, daß alle bewußt selbst. Sein phantasiereges Temperament führte ihn Briefe gelesen werden, ehe sie abgehen." Und dann fügte abseits. er noch hinzu. Bei unserer alten Freundschaft flehe ich ,, Kennen Sie den grotesken Fall, der sich voriges Jahr Sie an, stehen Sie Ursula bei, helfen Sie ihr. Ich fann es in einem Dorfe bei Graz zugetragen hat?" ia nicht."
Was Dr. Werner besonders erregte, war das Ungewisse feiner Lage. Er war wie der Arzt, der selbst erfranft ist, die Krankheit genau kennt und sich der Unzulänglichkeit seiner Hilfe bewußt ist. Er kannte genau die Interna des Geschäftsganges bei der Staatsanwaltschaft, um die Gefährlichkeit seiner Lage, seine eigene Machtlosigkeit in der ganzen Schwere zu erfassen.
In diesen Tagen suchte ihn der Anstaltsgeistliche Pastor Friedrich auf. Pastor Friedrich stand mit beiden Füßen fest auf seinem Glauben und hatte sich dem überaus mühevollen Beruf des Gefängnisgeistlichen gewidmet. Es gehört eine große Selbstbescheidung zu diesem Beruf: Wie schwer ist es, denen, die verbittert und verwundet hinter Gefängnismauern Schmachten, an der menschlichen Gerechtigkeit verzweifeln oder grollend die Buße auf sich nehmen, die Menschen ihnen auferlegt haben, von der Allgüte Gottes zu sprechen. Auch die Stellung des Anstaltsgeistlichen in der Hierarchie der Beamten bietet wenig äußerliche Anerkennung. Der Anstaltsarzt ist immerhin noch Helfer der Staatsgewalt, er flickt die Knochen zusammen, damit man den Gefaßten noch hängen fann, aber der Geistliche, der die Psyche des Gefangenen heilen will, erscheint den meisten sehr verdächtig, nach der Seite des Humanitätsdufels. Psyche? Damit kann man nichts anfangen! Und der jüngste Assessor dünkt sich über den Anstaltsgeistlichen erhaben; so eine Art Roßarzt bei der Kavallerie.
Taftvoll vermied Pastor Friedrich banale Trostworte und versuchte Dr. Werner in ein ablenkendes Gespräch zu verstricken. Doch dieser war zu grollerfüllt und verzweifelt, um ihm zu folgen und ließ sich in seinen Gegenwartsschmerz zurückgleiten.
„ Das Entsetzlichste ist die Untersuchungshaft," rief er aus. Wäre ich auf freiem Fuße, könnte ich mich ganz anders wehren, aber so bin ich an Händen und Füßen gefesselt und muß untätig zusehen, wie man die Messer schleift." Bastor Friedrich war auch aufgestanden und ging erregt in der Zelle auf und ab. Er konnte bisweilen ein sehr streitbarer Herr sein. Schmerzlich rief er aus:
Wir denken schaudernd an die Folter des Mittelalters und blähen uns in dem Wahne, daß solche Zustände einer längst vergangenen, rohen Zeit angehören, übersehen aber
Pastor Friedrich schüttelte den Kopf. ,, Der hätte auch dem Blödesten die Augen öffnen sollen über den Wert solcher Aussagen. Also hören Sie:
-
"
Ein Bäcker und seine Frau waren unter dem Verdachte des Mordes ihrer achtzehnjährigen Tochter verhaftet worden. Das Mädchen war ein leichtsinniges Ding, vom Vater öfter hart gezüchtigt und der Stiefmutter nicht sonderlich wert. Das wußte man im Dorf. Eines Tages war sie verschwunden. Nach und nach wurde der Verdacht laut, die Bäckersleute hätten die Tochter beiseite geschafft. Bei der Haussuchung fand man einen blutigen Rock, der dem Mädchen gehörte sie hat beim Schweineschlachten geholfen, sagten die Eltern und im Ofen verkohlte Knochen, die nach Ansicht des Gerichtsarztes Menschenknochen sein konnten„ Knochent vom Schwein, die der Hund angenagt und wir in den Ofen geworfen haben," verteidigten sich die Leute. Beide leugneten. Dreizehn Monate zog sich die Untersuchung hin. Eines Tages gestand der Mann, einen Tag später die Frau. Beide wurden zum Tode verurteilt, zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Nach zwei Jahren erschien das Mädchen im Dorfe mit einem Soldatenkind in den Armen. Die Ermordete leibhaftig. Nachträglich ergab sich: Das Mädchen war in der Nacht auf und davon, ihrem Schatze nach, der irgendwo in Böhmen zu den Soldaten ausgehoben worden war. Das Blut an dem Rock war wirklich Schweineblut, denn sie hatte beim Schlachten geholfen, und die Knochenrefte waren wirklich von Schweineknochen. Wie konnten die alten Leute gestehen, sich selbst eines so grausigen Verbrechens bezichtigen?
Der Untersuchungsrichter hat mir immer wieder und immer wieder vorgehalten, daß mir es gar nichts nüße, wenn ich meine Unschuld beteuerte. Ich hätte eben meine Tochter erschlagen, fie mit meiner Frau gemeinsam zerstückelt und im Backofen verbrannt. Da rette mich kein Zeugnen, die Beweise seien erdrückend. Das einzige, was mir helfen könnte, wäre ein Geständnis, dann hätte ich wenigstens Aussichten, begnadigt zu werden. Und so habe ich halt unterschrieben, was der Untersuchungsrichter mir vorgelesen hat." So sagte der Mann aus und ebenso die Frau."
,, Nach dreizehn Monaten Folterung eine falsche Selbstbeschuldigung!" Pastor Friedrichs Augen funkelten zornig hinter den großen Brillengläsern.