Str. 163.- 1914.
Unterhaltungsblatt öes vorwärts
Sollllilbtlld, 23. August.
Kriegstage in Petersburg . m. Friedlich konnte die Woche vor der Mobilisierung nun nicht ge« nannt werden. Krieg herrsckte in allen russischen Jndustriestädien zwischen Arbeiterschaft und Regierung. Besonders in Petersburg . Im Zentrum der Stadt ging so ziemlich alles seinen gewöhnlichen Gang, aber draußen in den Norstädlen. in dereil von Mietskasernen, Bretierbuden und Schuttslächen gebildeten Straßen, lieferten sich Proletariat und bewaffnete Macht blutige«charinüßel. Nach der Meinung aller Leute soll sich die Polizei bei diesem Anssland weniger brutal benommen haben, als bei den früheren. Die Presse stellte lange Beirachtungen an über die eigentliche Ursache dieses General- streiks und kam teilweise zu dem Schluß, das Ausland oder eigent- lich deutsch -jüdisches Geld sei dafür verantwortlich zu machen, denn nur Deutschland und Oesterreich könnten ein Interesse daran haben, daß die innere Ruhe des„d e IN o k r a t i s ch st e n Landes der Welt" ferade zu der Zeit gestört werde, wo das verbündele Frankreich einen Präsidenten zu Besuch sende. I» diese unsinnigen Betrachtungen fiel die Meldung sam 23. Juli), Oesterreich habe Serbien ein Ultimatum gestellt. Tags darauf setzte die Hetzpresse ein mit einer beispiellos gehässigen Kampagne gegen die„verbrecherische Abenleuerlust" Oesterreichs und besonders gegen Deutschland , den„Regisseur des Anschlags aus das friedliebende Slawentum". Der„Petersburgski Kurjcr"— um nur ein Beispiel von den Hunderten anzuführen— nannte das österreichische Ultimatum eine„ihrer Frechheit und ihrem Zynismus nach beispiellose Verhöhnung nicht allein Serbiens , sondern auch der Mächte des Dreiverbandes". Das Blakt verlangte wieder- holt und nachdrücklich als„Antwort auf die Gewalttat Austro-Deutschlands die unverzügliche Mobilisierung der Truppen an der Westgrenze". Der freche Borstoß Oesterreichs gelte nicht Serbien . sondern dem gesamten Slawentum. Das friedliebende, allmächtige Rußland müsse das Schwert für die unglücklichen serbischen Brüder ziehen. Die Hilfe der Verbündeten— Frankreich und England— sei sicher. Der Dreiverband bedeute Frieden und Erhaltung des eigenen, der Dreibund aber Ueberfall und Ansichreißen fremden Gutes. Auf diesen Ton waren, abgesehen von der„Retsch", sämtliche Blätter gestimmt. Diese Einheitlichkeit in der Verurteilung der österreichischen Forderung und in der Forderung nach Mobilisation zwang zur Annahme, sie würden von einer stelle, und zwar einer kriegslüsternen, bedient. Die liberale„Retsch" war die ganze be- wegte Zeit hindurch das einzige Petersburger Blatt, das eine be- sonnene, zur Ruhe mahnende Sprache führte. Sie ist dafür kon- fisziert und tagelang am Erscheinen gehindert worden. Die Hetzarbeit in den Zeitungen ward von einer nicht weniger starken Aufstapelung der geineinsten menschlichen Triebe begleitet. Dank der geistigen Zurückgebliebenheit der Volksmasse und besonders dank dem vollständigen Fehlen sozialistischer Organe fand das mordspatriotische Gaunertum tatenlüsternen Anhang in Menge, konnten die Manifestationen Formen annehmen, die jeden Menschen mit namenlosem Ekel erfüllen müssen. Da es mich verlangte, zu erörtern, welche Wirkung die Hetzarbeit de- Presse auf das Volk habe, begab ich mich am Abend nach der Bekanntgabe des österreichischen Ultimatums ins Innere der Stadl. An der Ecke des Newski- Prospekts und der Sadawajastraße fand ich eine abwechse- lungsweise singende und heulende Menschenmenge. An der Vorder- „saite des Eckhauses, bei dem Kontor der„Wetschernee Wremja", wurden mittels Anschlag die Maßnahmen und- die Stimmung im In- und Auslande bekanntgegeben. Unnötig, zu sagen, daß alle .„Nachrichten zugunsten. Rußlands und des Slawentums sprachen. Jede Meldung wurde mit ohrenbetäubendem Geheul beantwortet. Gegen elf Uhr hielt ein gutgekleideter Mann von der Vortreppe des Hauses eine Ansprache, worauf sich ein Teil der Menge zu einem Umzüge ordnete und denNewskiprospekt hinunterzog. An der Spitze des Zuges wurde eine russische Fahne und ein Bild des Zaren getragen. Der Haufe sang:„Gott , errette die Deinen", wenn man das Geheule Gesang nennen will. UebrigenS wurde er ständig durch Rufe: Hoch Serbien ! und: Nieder mit Oesterreich! oder: Nieder mit den Wurst- machern!(Deutschen !) unterbrochen. Die Menge, die fast immer entblößten Hauptes gesungen und gebetet und: Tod den Deutschen ! geschrie» halte, fiel an der Liteny- straße aus den Straßenboden, drückte den Kopf auf das Pflaster und betete gemeinsam zu Gott um Beistand gegen die Feinde des Zaren. Im Aufspringen bekreuzigten sich die Andächtigen und schrien dabei wie auf Kommando: Nieder mit Oesterreich! Tod den Wurstmachern! Nebeu dem Zuge fuhr ein Offizier, der mit dem Säbel den Takt zum frommen Gesang schlug sowie das Signal zum Gebrüll wider Deutsche und Oesterrcicher gab. Der Zug ging dann wieder betend und brüllend den Newski- Prospekt hinauf und wollte, wie ich aus den Worten der um mich mitmarschiercnden Manifestanten entnehmen konnle. zur deutschen Botschaft. Wir trafen aber an der Polizeibrücke eine starke Kette berittener Gendarmen, die den Weitermarsch aufhielten. So wendeten sich dann die Manifestanten, nachdem sie vor der Schutzmannschaft durch Hochrufe ans den Zaren ihren Patriotismus kundgegeben hatten,
wieder um, brüllten und bedrohten die Geschäftshäuser mit deutsch - klingenden Inschriften. An diesem Abend wurde es nichts mit einem Sturm auf die deutsche Botschaft. Doch dazu sollte es bald kommen. Es ist wohl nicht unnötig, hier zu sagen, daß, als diese Mani- festation stattfand, weder von Oesterreich noch von Deutschland eine Kriegserklärung noch irgend eine gegen Rußland gerichtete Maßnahme vorlag. Offenbar strebten die unsichtbar, aber emsig agierenden Lenker dieser Volksmasse danach, Stimmung zu machen. Daß ihnen das glänzend gelungen, konnte einige Tage später niemand mehr bezweifeln. Mein Forscheichrang hatte mich zwei Abende bestimmt, mit den Manifestanten zu marschieren. Aus das Lebensgefährliche meines Tuns machten mich zwei russische Freunde aufmerksam: Es brauche mich nur ein übelwollender Bekannter als Deutscher zu bezeichnen, so sei ich sicherlich nicht vor dem Latcrnenpfahl zu retten. Auf Schutz der Polizei sei in diesem Fall unter keinen Um- ständen zu rechnen; sie sähe die deutschenseindliche Stimmung gar nicht ungern. Wenn sie, die die kleinste Arbeiter- Versammlung mit Säbel und Peitsche auseinanderjage, jetzt dieses drohende Wutgeheul allabendlich auf der Straße dulde, so sei das Beweis genug, daß sie mit dem patriotischen Jan- Hagel eines Sinne? sei. Kühle Uebcrlegung oder menschliches Fühlen sei von dieser stumpfsinnigen, in Bigolleric und Zarentreu« er- sterbenden Masse nicht zu erhoffen. Einen Feind des Zaren zu be- seitigen, erscheine ihr jetzt als eine gottgewollte Tat. Ich glaubte das alles für Bangemacherei halten zu müssen. Allein, wenn ich heute an die zerschlagenen Fensterscheiben, die Verwüstung von Geschäftslokalen, die Demolierung des deutschen Botschaftsgebäudes und an den ermordeten Botschaftsbeamten Kattner denke, dann muß ich gestehen, daß die Warnung berechtigt, nur zu berechtigt war. Ihr habe ich vielleicht zu verdanken, daß ich mit heiler Haut aus Väterchens Machtbereich gekommen bin. C h a g r i n. von öer Grenze bis Lüttich . Den folgenden, packenden Bericht eines aus Bremen gebürtigen, 'beim Sturm auf Lüttich schwer verwundeten Reserve- Offiziers ent- nehmen wir der. W e s e r- Z e i t u n g": Unsere Fahrt ging in 27 Stunden wie ein Triumphzug an die belgische Grenze. Strömender Regen. Marsch durch die Ardennen. Die Dörfer wie ausgefressen; nachts beschossen und alarmiert; keine Ruhe. Um 5 Uhr morgens(6. August) Marsch durchs Ourthe- tal, langsam, überall Hindernisse. Bäume gekappt, Felsen gesprengt, schließlich über Reste von Brücken und Straßen, ein furchtbarer Marsch. Nachmittags Ouartier in Co mblin au Pont(südlich von Lüttich . Red.): die Häuser rasch geöffnet, Komplimente— kein Stroh, kein Essen! Am Bahnhof entdecke ich eine Wirtschaft: Bohnen, Wein, großartig! Nun sollte Ruhe folgen. Aber!— DaS Nest sah sehr übel aus. zwischen hohen, stellen Schieferwänden ein- geklemmt, die Ourthebrücke vor unö halb gesprengt. Um 7 Uhr abends Alarm. Hauptmann stürzt heran:„Sturm auf Lüttich I' Unmöglich, die Leute können nicht gehen, die Forts find 3S Kilo- meter entfernt. Bereits nach 3» Minuten schießtS von den Höhen herab, ja jetzt direkt neben uns. Revolver los und darauf I Drei Kerle fliehen— eine ganze Horde.„Leve?: les mains!"(„Hände hoch!") Kriegsgericht! Weiter— es wimmelt von Truppen aller Gattungen. Furchtbarer Regen. Gewiltersturm, rabenschwarze Finsternis. Immer weiter I Die Leute fallen, sie bleiben liegen, massenhaft. Um 12 Uhr Mondenschein, besseres Wetter, Granatendonner...Plötzlich Nachricht: Unsere Bagagfc überfallen, eine Kompagnie zurück, das Dorf niedergebrannt, die Lcnte erschoffen. Franktireurscheußlichkelten! Wir inzwischen stürmen iveiter � dicht vor Lünich. Wirr, Siegen hinter einem Walde ab. Vier Regimenter Tornister abgelegt, eiserne Ration heraus. Letzte Erniahnung. Antreten zum Sturm! Granaten pfeifen, aber ohne Ziel. Hohlweg: unsere Artillerie sitzt hilflos bis an den Bauch im Schlamm und kann nicht vorwärts: wir vorbei; kein Marsch— Galopp! Plötzlich wilder Kugelregen neben uns — unsere eigenen Leute beschießen uns. Die Erkennung gelingt noch. Direkt vor der Feuerlinie der Forts... Wildes Geschrei: „Parole Wörth 1" Freund und Feind nicht zu erkennen: ich liege vor einem Baum- und Drahtverhau, Kamerad Leutnant G. neben mir. Hauptmann rechts. Granaten plötzlich überall. Höllen- lärm, Gcwehrfcuer, daß die Lust heiß ist. Einige Schritte vor uns bessere Deckung. Ich stoße Leutnant G. an:„Vorgehen?* Keine Antwort— tot! Hauptmann springt auf: in die Brust getroffen, hintenüber. Ich, Arm hoch: Kompagnie hört aus m e i n Kommando: ich springe los, furchtbarer Schlag, flieg« drei Schritt« zurück, ivahn- sinniger schmerz: Granate in die linke Hüfte! Ein Offizier vor mir ruft noch seinen Namen, gibt mir die Hand— und tot! Vor mir eine Fahne, Träger tot; ich will hinkriechen, da zweiter und dritter Schuß in den linken und dann in den rechten Arm. Ich beiße vor Schmerz in die Erde: ein verwundeter Offizier neben mir ruft nach Verstärkung, aber alles geht nach links ab. Wenige Schritte vor uns der belgische Schützengraben. Trotz Kugelregens passiert mir weiter nichts. Fast zwölf Stunden gelegen, inzwischen von einem Arzt verbunden, kann noch nicht transportiert werden. Mittags von Leuten weggetragen, treffe in halbem Fieber Regiment; furchtbare -—
Verluste: 3 Hauptleute, 6 Leutnants tot, fast alle von meinem Bä- taillon. Dann aus Bahre, hierauf aus Leiterwagen, ich weiß nicht mehr genau wie, ins Lazarett. Katholische Schule, russi'ch-jüdische Studenten als Pfleger. Die ersten Tage hat ich gemeine Schmerzen und galt als ernstlich bedroht. Jetzt geht es einigermaßen. Es sind andere hier, die viel furchtbarer zu leiden haben als ich, da wird man ruhig. Eine Hauptmannsfrau war herbeigeeilt, um ihren toten Mann noch zu sehen; eine Granate traf das Auto, gestern ist sie hier begraben worden. Ich besitze nichts mehr: die Bagage geplündert, Tornister vor deni«türm verloren; was ich am Leibe balle, war so mit Blut ge- tränkt, daß olles verbrannt wurde. Eme Garnitur Umerzeug bat ein Russe mir gelaust; meine Uniform wäscht uud flickt«in alleS rührendes Mütterchen. Ich lese für 20 Centimes den„Gil BlaS". �
kleines Feuilleton. Monacos letzte Stunde. Ein aus Monaco heimgekehrter Deutscher schildert in der „Vossischen Zeitung" Szenen, die sich dort nach Ausbruch deS Krieges abspielten. Jetzt tun die Franzosen — schreibt er n. a.— als ob ganz Monaco samt der Spielhölle schon zu Frankreich geschlagen wäre. Angesichts der eingetretenen Anarchie bot der Kasinowirt Herr Blanc. der von, Fürsten Generalprolura für die Regierungsgewailen besitzt, die Spielhölle geschlossen. Die Szenen, die sich vom Sonntag bis Dienstag in den Sälen abgespielt haben, werden unvergeßlich bleiben. Man hatte sich wegen der Gewinne und Verluste gerauft, blutig geschlagen, die Fensterscheiben, die Spiegel zertrümmert, Tische und Stühle demoliert, kurz, man hatte wie wilde Vandalen gehaust. Die Opfer der Pariser Wirren glaubten, Frau Fortuna noch einmal die Hand bieten zu sollen. Der Andrang an den wenigen Tischen war ungeheuer. Es fehlte, da man aus den Massenbesuch nicht gefaßt war, an Croupiers. Die wenigen, die da waren,.mußten im Schweiße ihres Angesichts arbeiten, nicht zwei Stunden, wie sonst üblich, sondern zehn bis zwölf Stunden. Es läßt sich begreisen, daß sie am anderen Tage zusammenbrachen oder, nicht mehr Herr ihrer Sinne, falsche Gewinn- und Verlustberechnungen ausführten. Das gab den Anlaß zu den besagten Ausschreitimgen und zur Schließung des weltbekannten Lokals. Heute kamen Frau» zosen und verlangten die— Kasse. Neuer Kampf, Fußtritte, Faust« kämpfe. Den Franzosen gelang die Gewaltanleihe. Sie haben heute auch den neutralen Hafen von Monaco mit Kriegsschiffen besetzt, die allerdings alsbald wieder abdampsten. Wer wird unser schöne» Monaco erben? Einige sagen: Italien , andere sagen: Deutschland . Alle glauben, die letzte Stunde für den Tempel FormnaS hat ge« schlagen._ Notize». — Theaterchronik. Das Deutsche Künstler« Theater will die Vorstellungen baldmöglichst wieder aufnehmen und während des Krieges fortführen. Als erste Vorstellung wird Hugo Müllers neubearbeileteS„KriegSvolköstück"„Gewonnene Herzen" vorbereitet.— Das L e s s i n g- T li e a t e r will am 1. September die Vorstellungen eröffnen. Alle Mitglieder bekommen eine Ein- Heilsgage von 1?>Ö M., dazu einen nach ihren bisherigen Einkünften abgestuften' Anteil an der Zweidrittel-Brultocinuahme. — Herrn von Jagow empfohlen. Deutschland feiert ja jetzt eine Art Wiedergeburt, und wenn man den patriotischen Uebermenschen glauben darf, die das rosige Heute de-Z deutschen Wesens deni schwarzen Gestern gegenüberstelle», so sind die Deutschen vor dem Kriege eine ganz verkommene Bande gewesen. Jetzt aber haben sie sich ausgerafft! Das„Berliner Tageblatt" stellt sogar fest, daß gefallene Mädchen ihre Unschuld wieder gekriegt haben: „Der schmachtende junge Mann mit der Polkatolle und der Talmi- eleganz des LebejünglingS hat sich zum ernsten VaterlandSvcrteidiger gewandelt, und die girrende junge Dame in der durch den viel« verheißenden Augenaufschlag Lügen gestraften Tugendpose ist zur gesühlSstarken beut s wen Jungfrau herangereift, die von dem ins Feld ziehenden Geliebten mit tapler nieder« gekämpfler Rührung Abschied nimmt."— Dieses gelesen habend und vom Spucknapf zurückgekehrt seiend, beschließt man. den Polizei- Präsidenten, der jetzt die Unzucht mehr als radikal ausrollet, an das„Tageblatt" zu weisen, wo die Jungfernschaften billig repariert werden. — Leute, die ihr Deutschtum entdecken. Alle mög« lichen Kunstimternehmer, die es in Friedenszeiten für ersprießlich hielten, mit ausländischen Namen ihre Ware zu decken, fangen jetzt au, sich jetzo wieder als Deutsche zu zeigen. So wird voir einem Operettenkomponislen milgeteilt. daß er sich jetzt wieder so nennt, wie er getauft, oder vielmehr nicht getauft wurde. Alles fürs Ge- schüft!
S4j
Roman von Fred B. Hardt. Im Saals erhob sich die Unruhe. Tic Menschen standen aus und drängten nach den Türen. Sie sahen voll Teilnayme und froher Erwartung nach Dr. Werner hin und einige nickten ihm zn. Aus dein breiten Korridor fanden sich die Menschen in Gruppen wieder zusammen, alle sprachen über den Prozeß' und jeder wollte mehr wissen als der andere. Ter eine kannte den Rechtsanwalt ganz genau, der andere mußte' sagen, er habe noch nie eine io glänzende Vcrteidi- gungsrede gehört-- natürlich würde er freigesprochen cherden, überhaupt...— „So ein Gauner, dieser Monsieur Felix- und seine saubere Frau Mama," meinte ein großer behäbiger Mann, der be- sonders viel wußte und von einem Kreis Zuhörer um- ringt war. „Solche Benrerkungen könnten Ihnen' einige Monate Gefängnis eintragen," war ein hagerer Mann beim Vorüber- gehen ein; er hatte im Saale angelegentlich mit Felix Blinker gesprochen. „Na nu! Gauner bleibt Gauner,"— schnaufte der Behäbige wütend—„der sollte mir nial kominen!" „Höchstens für den Herrn Staatsanwalt Tiestcl ist das noch ein Ehrenmann," kicherte ein Kleiner mit eineni blassen Schreibergesicht, verlor sich aber schnell unter die Umstehenden, als ihn ein Gerichtsdiener musterte. „Ich kann Ihnen eine Gescbichte von dem erzählen," sagte ein Mann mit einem roten Backenbart, der wie ein Agent aussah, und die Menschen drängten sich in lüsterner Neu- gierdc näher an ihn heran, doch seine Worte wurden in dem ollgemeinen Stimmengewirr nur von den Nahestehenden gehört., Auch andere gingen auf dem Korridor auf und ab, die
nicht nur aus Neugierde gekommen waren, die Rechtsanwalt Tr. Werner kannten, Klienten und jüngere Kollegen. Sie schauten teilnehmend auf eine Gruppe von Herren, die im Gespräch in einer Fensternische standen. Man wußte ja, wer sie waren und wie tapfer sie für Tr. Werner eingetreten waren, seine Freunde. „Nun, ich denke, Justizrat Losso hat gründlich in dieses Lügengespinst hineingeleuchtet," sagte Kommerzicnrat van Bosch,„er hat glänzend gesprochen." „Schade, daß er nicht mehr Hiebe ausgeteilt bat. Tiefer Staatsanwalt Ticstel hätte sie gründlichst verdient," meinte Karl Henkel. „Ich glaube, so war es das beste. Nach den über- triebenen Worten des Staatsanwalts, die ruhige Sachlichkeit von Tr. Renker und die feine Ironie von Losso," entgegnete der Koniincrzienrat van Bosch,„vor allem habe ich mich über unseren Freund gefreut, daß er so rubig blieb." „Die Jammerzeit bat jetzt ihr Ende. Wir nehmen ihn wobl gleich mit? Oder müssen noch andere Formalitäten erledigt werden?" fragte Major von Köstritz . „Ich denke, daß er nach der Freisprache sofort entlassen wird," antwortete Kommerzienrat van Bosch,„ich habe in- zwischen meiner Frau telephoniert und ihr Bescheid gegeben, sie freut sich herzlichst. Dr. Werner wiederzusehen." „Ich weiß nicht, Frank gefällt mir gar nicht,"— meinte Karl Henkel und sah über die beiden hinweg.—„Er hatte während der ganzen Sitzung etwas Fremdes an sich, als ob ihm all dies nichts mehr anginge. So teilnahmlos...." In einiger Entfernung stand Meinhold, umringt von mehreren Reportern, die allerhand Näheres wissen wollten; über die Bcrgrößerung der. Praxis, über den neuen Köm- pagnan, wovon in der Sitzung gesprochen worden war, ob der Rechtsanwalt zunächst Urlaub nehmen wollte oder gleich seine Tätigkeit wieder aufnehmen würde.-- Auf alle diese verschiedenen Fragen antwortete Meinhold, er wüßte gar nichts über die Dispositionen seines Chefs. Und zu Flips
gewendet:„Was die so lange zu beraten haben! Tie Sache ist doch ganz klar." „Gestatten Sie,"— drängte ein kleiner zappelnder Mann—„können Sie mir nicht sagen, Herr Biireauchef, ob die Fräulein Braut auch in der Verhandlung war?" „Das können Sie ja morgen den Herrn Rechtsanwalt im Bureau fragen." antwortete für Meinbold Flips, der zwischen ihnen stand. Er kaute ungeduldig an einem Bleistiftstummel und sah alle Augenblicke nach der Uhr. „Junger Mann, Sie sind sehr naseweis! Ich schreibe für das Jntelligenzblatt." „Meinetwegen für die Fliegenden." Und Flips drehte rhm den Rucken und sah wieder nach der Uhr. Ter Reporter rückte den Klemmer zurecht und schrieb aiif einen Block:„Wie wir hören, war unter den zahlreichen Tomen der Gesellschaft, die der Verhandlung mit größtem Interesse beiwohnten, auch die junge dildbübschc Braut des Angeklagten, eine Verwandte eines unserer angesehensten ,)ctnanzgröße», die mit llngeduld den Augenblick er- wartete. Währenddessen gingen Frank Werner und Tr. Renker aiis dem kleinen Gange auf und ab. der sich neben dem schwurgerichtssaal hinzog und aus den Hauptkorridor mundete. Justizrat Losso hatte sich in ein leeres Richter- ziininer zurückgezogen, um sich auszuruhen. Ter weißhaarige, brummige Tiener setzte sich auf einen Stuhl neben dem Ein- gang und wehrte die Neugierigen ab. die auf den kleinen Gang eindringen wollten. Man hörte sein gutmütiges Sächsisch, wenn er Neugierige wegschob—„Na, da is nischt zu gucken."— Tann gähnte er und nickte ein. Frank Werner ging schweigend auf und ab. er war zu müde, als daß er Worte hätte sprechen können und Worte vertragen. Tos fühlte auch Tr. Renker und ging stumm neben ihm her. nur ab und zu glitten seine Blicke besorgt über ihn hin. (Forts, folgt.)