Nr. 169. 1914.
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Unterhaltungsblatt des Vorwärts
I.
Es war noch vor der Revolution und dem japanischen Felde zuge. In den Ostseeprovinzen wurde tapfer russifiziert, und die Kurländer bemühten sich nach Kräften, ihre loyale Gesinnung nach
außen hin zu dokumentieren. Ich verfehrte mit einer Reihe von Offizieren des stehenden Heeres und des Gendarmeriekorps. Erstere, meist arme, gutmütige, in der Kaufmannswelt wenig geachtete Kerle, die von ihrer Gage notdürftig vegetieren konnten, nahmen jedes gespendete Gläschen Schnaps und Sakuska( Zubiß) mit inniger Dankbarkeit an. Eine gewisse Schlaffheit der Lebensanschauung machte sich bei allen bemerkbar. Sie lebten vom Bumpen und Nichtwiedergeben, und am Gagetage suchten sie möglichst schnell aus der Kaserne zu entwischen, denn draußen standen die Juden mit ihren Rechnungen. Und wem es nicht glückte, sich in schneller Flucht durch einen gefälligen Jswoschtschick( Droschkenfutscher) zu retten, dem nahmen sie das Geld ab. Ich habe des öfteren hungernde Offiziere eingeladen, denen es so gegangen war. Kredit wurde ihnen gar nicht oder nur in der beschämendsten Form eingeräumt. Ihre Dankbarkeit war grenzenlos, wenn man ihnen ein paar Rubel lieh. In der Kaserne wohnten die wenigsten der jungen Offiziere, da sie es dort vor Gestank und Unsauberkeit nicht aushalten Ein Oberleutnant, mit dem ich öfters im Hotel zufammentraf, berichtete mir, daß er sich immer die Läuse nachher absuchen müsse, wenn er in der Kaserne Dienst gehabt hätte. Und diese sprichwörtliche Verlausung des russischen Soldaten wurde mir nur allzuflar, als wir im Stadttheater Soldaten als Statisten befchäftigten, die sich in Ermangelung anderer Räumlichkeiten in unseren Garderoben ankleiden mußt.n.
fonnten.
In den vornehmeren Villenvierteln Ribaus, in der Nähe des Strandes, fanden sich allabendlich eine Menge Soldaten ein, die um ein Stückchen Brot und Papyros( Zigarette) bettelten, und sie auch meist erhielten. Sie erklärten, daß sie nicht genug zu essen befämen und ganz entseßlich Hunger hätten. Das Essen selbst sei meist so voll Schmutz und Unrat, daß sie Ekel dabor empfänden. Ich kannte in Libau einen Plazmajor( Quartiermeister), der bie Verpflegung des dort garnisonierenden Infanterieregiments in feiner Gewalt hatte. Er war ein äußerst dicker und gemütlicher Herr, der allabendlich im Hotel Petersburg Stammgast war. Er beteiligte sich leidenschaftlich an den Hazardspielen, denen ein großer Teil der jüngeren Kaufleute frönte. Ich sah ihn stets mit hohen Banknoten operieren. Später erfuhr ich, daß er ganze hundertzwanzig Rubel monatliches Gehalt bezog. Man sagt ja in Rußland ganz offen: Er stiehlt"! Aber nicht mit Entrüstung oder gar Empörung. Nein, mit einem kleinen listigen Augenzwinkern und wohlwollendem Schmunzeln. Wehe dem Geschäftsmann, der es versäumen würde, seinen Tribut vom einfachen Schußmann bis zum höchsten Polizeibeamten zur richtigen Zeit abzuladen! Der Quartalsoffizier( Gchilfe des Pristavs) holt sich feine 25 Rubel meist schon als Vorschuß lange vor der bestimmten Zeit. Der Pristav( Polizeihauptmann) macht's nicht unter 100 Karben ( scherzhafter Ausdruck für Rubel") und der Gorodewoi ( Schußmann) holt sich das Seine, so oft er fann. Dafür aber hat der russische Geschäftsmann Ruhe. In dem Utschastok( Bezirk), bem er angehört, braucht er keine Meldung zu fürchten. Er schaltet und waltet, wie er will. Es gibt für ihn keinen Ladenschluß, keine Eqnntagsruhe. Er hat bezahlt, ihm kann nichts passieren.
Gin mir bekannter Baumeister hatte in Moskau den Auftrag, ein Haus zu bauen, das in einer Nebenstraße mit ziemlich weiter Bassage gelegen war. Plöblich erfolgte vom Polizeimeister ein Verbot der Bauausführung wegen Verkehrsstörung. Der Baumeister, dem auf diese Weise ein großer Verdienst entgangen wäre, und der nicht einsah, warum just er dort nicht bauen sollte, ließ fich beim Polizeimeister melden. Dem Gewaltigen schien sein Besuch nicht unerwartet zu kommen, denn er ließ ihn sofort vor.( Ein Unitum in Rußland .) Nun, was bringen Sie Schönes?", begann er die Unterredung mit Vertrauen erweckendem Schmunzeln. Herr X., der seinen Pappenheimer kannte, wußte, daß offene Bestechung hier nicht angebracht sei, und begann deshalb ganz vorsichtig:" Gw. Hochwohlgeboren haben angeordnet, daß der Neubau zu verbieten sei. Ich wollte mir erlauben, Gw. Hochwohlgeboren darüber aufzuklären, daß ein Verkehrshindernis, wie befürchtet, absolut nicht entstehen kann. Wollen Ew. Hochwohlgeboren mir gestatten, den Plan der Straße und meinen beabsichtigten Bau aufzuzeichnen?" Bei diesen Worten zog X. eine Tausendrubelnote aus der Brieftasche, legte diese vor sich auf den Tisch und begann mit dünnen Bleistiftlinien die Lage der Straße und des Baues zu firieren. Der Gewaltige schaute leuchtenden Auges und aufmerksam zu.. Hm, hm.... Mir scheint, ich bin da falsch berichtet worden!"
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59]
Jus und Recht.
Roman von Fred B. Hardt.
" Das glaube ich auch", erwiderte X...." Behalten Ew. Hochwohlgeboren den Plan nur hier und prüfen Sie ihn selbst." Damit legte er den Tausendrybelschein auf den Schreibtisch. Ich hoffe auf baldigen Bescheid!" Er empfahl sich.... Schon am nächsten Morgen hatte er die Erlaubnis, und nun war es ihm ein Leichtes, die 1000 Rubel zur Bausumme hinzuzuschlagen.
II.
Die Freundschaft" des Gendarmerieobersten v. Basarewsky in Ribau, später berüchtigt durch sein brutales Vorgehen während der Revolution, war für mich vorteilhaft, da die politische Polizei in Rußland den obersten Rang einnimmt und sogar die Polizeimeister diesen Polkownits( Obersten) untergeordnet sind.
Sonnabend, 29. Auguft.
710
Das war meine Rettung! Willst Du versprechen, nicht mehr politisch gegen Rußland zu singen?" fragte er mich, tschestnoje slowo?( Ehrenwort)". Er hielt seine Hand hin. Ich schlug ein und fühlte gleichzeitig ein paar nasse Küsse auf Mund und Wangen. Man zog mich auf den Stuhl vor das Klavier, ich spielte einen Kamarinski und alles stampfte, schrie und jauchzte. Die Gläser wurden gefüllt, ich mußte anstoßen und trinken! Trinken, bis in die Nacht hinein, bis alles lallend und stammelnd sich in der großen russischen Besoffenheit wälzte und die Iswoschtschits ihre Arbeit mit uns hatten auf dem Nachhauseweg. So entging ich der Petropawlowskfestung.
Häufig hatte ich dem Herrn Obersten unter Scherzen und Die Einnahme Brüssels bedeutet für Belgien nicht im entKlavierspiel die Zeit zu verfürzen. Aber es fam auch einmal anders. Da ich als Operettenfomiker( Operette füllte so ziemlich ferntesten das, was etwa die Eroberung von Paris für Frankreich das ganze Repertoire) fast täglich auf der Bühne stand, so benutzte bedeuten würde. Die belgische Residenzstadt ist weder ein befestigter ich meine freie Zeit zum Dichten von Couplets, in denen ich Waffenplatz noch ist sie die kulturelle Metropole ihres Landes, das Libauer städtische Verhältnisse geißelte oder auch kleine politische trotz seines fleinen Umfanges eine ganze Anzahl hochberühmter Anspielungen brachte, die mit Rußland in keinem nahen 3u- Städte besitzt, die in wirtschaftlicher, politischer oder kunstgeschichtlicher Wir hatten eines Tages den Vogel- Bedeutung mit Brüssel wetteifern fönnen. Ich erinnere nur an fammenhang standen. händler". Vor Anfang der Vorstellung mußten wir das" Bósche Antwerpen, Gent und das altberühmte Brügge . Aber des Interessanten bietet auch Brüssel genug und wer zaráchnaja"( die russische Nationalhymne) auf der Bühne singen, wobei sämtliche darstellenden Mitglieder in Balltoilette zu erscheinen jemals hier geweilt hat, wird sich des seltsamen Straßentreibens, in haben. Die Operette war bis zum zweiten Aft gediehen, und ich dem französische und flämische Elemente sich mischen, und des fam zu meinem Couplet:„ Man munkelt recht fatal, es liegt in wunderbaren Stadtbildes immer wieder gern erinnern. Auf einem Berge unweit der Stadt Brüssel" war es, wo der Luft drin, so etwas, wie ein Skandal!" Ich hatte zirka 5 bis 6 Verse verfaßt, da ich stets zu Zugaben gezwungen wurde und der fromme Herzog Gottfried von Bouillon im Jahre 1097 die Der Kaltenberg, mich mit dem Applaus des obersten Ranges, der im Gegensatz zu christlichen Völker zum ersten Kreuzzug aufrief. Deutschland mit Gymnasiasten und Studenten gefüllt ist, nicht gut auf dem dies geschah, liegt aber heute nicht mehr vor den Toren, entziehen fonnte. Polizeimeister von Radetzky, ein famoser Mensch, sondern beinahe im Mittelpunkt der Stadt. Seinen Gipfel nimmt Kurländer von Geburt, hatte mich ein für alle Mal der Zensur die prunkvolle Place Royale( Königsplay) ein, das enthoben, und so schaltete ich ziemlich frei und ungeniert. An Zentrum des vornehmen Viertels, das abweichend von anderen jenem Abend aber brachte ich einen Vers über den damaligen Prä- Großstädten hier nicht im Westen, sondern im Osten gelegen ist und sidenten Loubet und seine freundschaftlichen Beziehungen zum sich am Rande eines Hügelrüdens hinzieht. 3aren. Nach dieser Strophe erhob sich ein starker Applaus. Ich Viertel, die obere Stadt", trägt einen durchaus modernen Charakter wiederholte den Vere. Plötzlich sah ich, daß in der Loge einige und sucht in der Anlage seiner Straßen und im Brunt seiner Offiziere aufstanden und mit großem Geräusch die Türe zum monumentalen Gebäude Pariser Vorbilder nachzuahmen. Die tief Innengang öffnen! Nach einer kleinen Weile rasselte die Bühnen- im Tale gelegene untere Stadt", wo die große Masse des Volkes tür , ich hörte eine erregte Stimme, und es senkte sich inmitten wohnt, hat dagegen ihr altertümliches und urwüchsiges Gepräge bes meines Vortrages der Vorhang. Plötzlich erfüllte eine Menge wahrt. Während man oben überwiegend französisch sprechen hört, Beute der Bühne. Oberst v. B. tritt mit entstelltem Gesicht auf mich herrscht unten das Flämische vor. zu und erklärt mich für verhaftet.
Dieses vornehme
Am Königsplatz kreuzen sich die wichtigsten Straßenbahnlinien, Obwohl mir nicht gerade angenehm zu Mute war, suchte ich liegen zahlreiche öffentliche und private Paläste, vornehme Hotels einen scherzenden Ton anzuschlagen, da ich selber tatsächlich aufs und teure Restaurants. Das größte und auffallendste Gebäude ist äußerste erstaunt war. Der Direktor, der nicht besonders gut auf ein reichberzierter forinthischer Säulentempel mit fupfergedecktem mich zu sprechen war, weil ich vor nicht langer Zeit die Interessen Glockenturm. Es ist die hofkirche, die weihevolle Stätte, an der Mitglieder gegen ihn vertreten hatte, rief mit schlecht verhehlter der ehemals der feusche Cleopold zu seinem Gott zu beten pflegte. Schadenfreude:" Jawohl, Sie haben ganz Recht! Der Kerl ist reif Vom Königsplatz nach Norden hin läuft die Rue Royale für Sibirien !" Wir einigten uns schließlich dahin, daß die Vor-( Königstraße), eine endlos lange, schnurgerade Straße, die stellung ihren Fortgang nehmen sollte, um das Publikum nicht zu erst draußen im Vorort Schaerbeck durch die weithin sichtbare Kuppel beunruhigen. Ich gab mein Ehrenwort, feinen Fluchtversuch zu einer schönen neuromanischen Stirche ihren malerischen Abschluß unternehmen, während der Oberst mir zusicherte, daß ich die Nacht findet. Die Rue Royale bietet nach Westen hin zahlreiche interessante Ausblicke über die Unterstadt, den schönsten vom in meiner Wohnung bleiben dürfte. Am andern Morgen eilte ich zum Hauptpolizeiamt. Der Kongreßplas aus, einem hochgelegenen Plateau, in dessen Polizeimeister fonnte mir nur mitteilen, daß Herr v. B. noch am Mittelpunkt sich die Erinnerungsfäule zu Ehren des National felben Abend einen seiner berühmten Wutanfälle gehabt hätte. tongresses von 1830-31 erhebt, der die definitive Trennung Belgiens Wenn man vor der den Westrand des Aber er soll es büßen!" so habe er hinzugefügt, und nichts habe von Hollaud aussprach. ihn beschwichtigt, obwohl eine ganze Anzahl guter Freunde sich für Blazes abschließenden steinernen Ballustrade steht, so hat man unter mich ins Mittel legte. Herr v. B. teilte mir nun mit, daß die sich das wunderbare Panorama der alten Stadt mit ihrem GePetersburger Offiziere der Politischen Polizei, welche gerade an wimmel von engen, winkligen Gassen und den zahllosen Kirch dem Unglückstage zur Revision nach Libau gekommen waren, mit türmen, die aus dem grauen Häusermeer aufragen. Am fernen ihnen Herr v. Bajarewsky und sein Gehilfe, Herr v. Butomow, Horizont wird das Bild durch eine malerische Hügelfette begrenzt. Vom Königsplatz hinunter erstreckt sich die vornehme Rue de ein fleines Champagnerfrühstück absolvierten. Mein Plan war gela Regence , die der Rue Royale in vieler Hinsicht ähnelt. Sie faßt: ich mußte ihn persönlich sprechen! führt unter anderem an dem früheren Palast des Grafen Egmont vorbei. Von dem alten Bauwerk, vor dem sich jetzt das Standbild der beiden Schicksalsgenossen Hoorn und Egmont erhebt, ist freilich nicht mehr viel erhalten; Feuer und moderne Um- und Anbauten haben das meiste zerstört. Das Denkmal liegt in mitten schöner gärtnerischer Anlagen, die nach Art der Londoner Squares" mit einem hohen schmiedeisernen Gitter umgeben sind. Dieses Gitter erfreut sich bei Kunstfreunden einer gewissen Berühmt heit wegen des originellen Schmuckes, den es in Gestalt von zierlichen, die Vertreter der einzelnen Bünfte darstellenden Bronzestatuetten besigt. Eines der eigenartigsten Gebäude der Welt bildet den südlichen Abschluß der Rue de la Regence: es ist der riesige Justizpala st, der größte Monumentalbau des 19. Jahrhunderts. Nicht weniger als 2 Heftar mißt der Flächenraum, den der Koloß bedeckt. Der Grundriß ist fast quadratisch, die Vorder- und Rüc fronten sind 180, die Seitenfronten 170 Meter lang. Die Höhenunterschiede des Terrains machten gewaltige Unterbauten erforder lich. Auf Terrassen erhebt sich die wuchtige Steinmasse des Ge
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Oberleutnant Butomom war ein Duzfreund von mir; ich ließ ihn durch den Kellner herausrufen, und er hielt es für das Beste, mich dem Oberst persönlich gegenüberzustellen. Aus der Tür des Separées ertönte lautes Singen und Rachen. Kaum trat ich ein, Oberst v. B., stark angetrunken, erblickte da berstummte alles. mich. Mit einem" Du Hund!" zog er seinen Säbel und stürzte sich auf mich. Die andern Offiziere fielen ihm in den Arm. Ich versuchte nun, ihm die Ungefährlichkeit und das Unbeabsichtigte meiner Barenbeleidigung" flar zu machen, indem ich mich der vollständigen politischen Ünerfahrenheit beschuldigte und ihm er flärte, daß es mir nie einfallen würde, ein Land zu beschimpfen, dessen Gastfreundschaft ich genösse. Nichts schien ihm ein Entschuldigungsgrund. Mit mehr als derben Worten redete er sich immer wieder in eine neue Wut hinein, bis endlich ein anscheinend noch höherer Offizier sich ins Mittel legte. Mir chatt der Cherr Man muß großartig gefallen, ist gutter Rinstler, serr fommisch! Kinstlerr alles verzeihen! Was cheißt chierr Pollitick? Pollitic ist nicht für Kinstler!"
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Flange Nächte, die er traumlos im stumpfen Schlafe dalag.| dieser Aussprache mit Rammerherrn von Rehberg beiwohnte.
Nach diesen schrecklichen Tagen hatte er die Uhr nicht mehr aufgezogen. Was kümmerte ihn die Zeit? Den Kalender, der auf seinem Tische stand und in dem er Einträge zu machen pflegte, hatte er zerrissen. Was fümmerten ihn die Tage, die feinen Sinn, feine Bedeutung mehr für ihn hatten. Nur Ruhe wollte er haben.
Es war ganz still im Gefängnis. Auch vom Hofe her kam fein Laut zu ihm. Er trat an das Fenster und öffnete das fleine Biered. Eine feuchte laue Luft drang herein. Ein träger Wind hatte sich in den Hof verflogen und flapperte ängstlich an einem losen Fensterflügel und fauchte bösartig an den schwarzen Mauern entlang. Da drüben, das Hinter haus, das elende Armeleute- Haus; einige Lappen hingen an einem eisernen Hafen, und der Wind zerrte an ihnen. Ein Fenster war offen, oben im vierten Stock, ein schmales einflügeliges Fenster. Ein Mädchen stand dort in der Kammer und flocht sich die Haare, dann zog sie eine Jade über und sette den Hut auf, sie trat vom Fenster zurück. Eine Türe wurde zugeschlagen Sonntagnachmittag. Das Mädchen ging aus, irgendwohin durch menschenleere Straßen, um andere Menschen zu treffen, leere Menschen, die alle Furcht batten, allein zu sein und ihre Furcht mit billigen törichten Vergnügungen verscheuchen wollten. Und morgen würde sie wieder scheuern und waschen, und so einen Tag nach dem antern. Ein farbloses, nußloses Leben.
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Er aß, was man ihm brachte, saß ſtundenlang in unfruchtbarem Grübeln verloren auf dem Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt. Wenn das Gas ausgelöscht wurde, nahm er ein Schlafpulver. Die Kerzen brannte er nicht mehr. Uneröffnet lagen die Briefe auf dem Tisch, er las feinen Brief, auch nach feinem Buche griff er mehr. Mit dem Oberaufseher sprach er fein Wort und hatte Pastor Friedrich, der jeden Tag gekommen war, um ihn durch ein freundliches Bort, ein gutes Gespräch abzulenken, gebeten, nicht mehr zu kommen. Er fonnte niemand um sich sehen, niemandes Nähe ertragen. Nur das Schweigen des Gefängnisses, das ihn stumpf machte und mählich verblödete.
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,, Eine Prämie für die Dummheit anderer. Und Frank muß das auspatschen, was dieser Kranz schon auf dem Kerbholz hat. Viel Freude wird er nicht haben an dieser Allerhöchsten Entschließung, der arme Frant."
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Nein, viel Freude hatte Frank Werner nicht, als ihm Dr. Renker die Nachricht brachte. Ihm war ein Tag GeEin gebrandmarktes Leben, die fängnis wie ein Jahr. flirrende Kette der Unehre, die er am Fuße schleppte, mitschleppen würde ein ganzes Leben. Er empfand sogar Un willen gegen seine Freunde, daß sie diesen Schritt unternommen, für ihn gebeten, sich gedehmütigt hatten. Doch war diese Nachricht etwas Neues, etwas, das ihn zwang, aufzu horchen und zu dem er Stellung nehmen mußte. Als er allein war, rechnete er nad), wie lange noch die Haft dauern würde. Das erste Aufflackern seiner erwachenden Lebenskraft. Der Kontakt zwischen ihm und dem Leben war wieder hergestellt. Doch war er wie ein Kranfer, der nach langem, fieberndem Hindämmern die Augen wieder öffnet, aber seine Umgebung noch nicht klar erkennt.
Aus diesem Zustande der völligen Gleichgültigkeit wurde Frank Werner durch eine Nachricht, die ihm Dr. Renker in der dritten Woche seiner Haft brachte, heilsam herausgerissen: seine Freunde hatten, ohne sein Wissen, ein Gnadengesuch eingereicht, seine moralischen Qualitäten hervorgehoben, die sich während einer langjährigen Freundschaft bewährt hätten und eine Verfehlung aus verwerflichen Motiven ausschlössen. Nachdem eine Woche und noch eine weitere verging, ohne Und darauf kam es an: die Umgebung zu erkennen. Nicht daß eine Entscheidung erfolgte, schwand die Hoffnung, und die Engigkeit der Zelle, das Leben, das ihn draußen erwartete, die Freunde blieben auch durch die nachfolgende Entschließung wenn diese siebenundvierzig Tage verronnen sein würden, enttäuscht und betrübt: Von der noch zu verbüßenden vier- und die Distanz zwischen sich und diesem Leben klar zu er monatigen Gefängnisstrafe waren zwei Monate im Gnaden- fassen, an dem sich nichts geändert hatte, nur daß er selbst an weg erlassen, von einer weitergehenden Begnadigung aber einen anderen Platz gedrängt worden war. Abstand genommen worden.
Der Unwille der Freunde verdichtete sich, als ihnen Kammerherr von Rehberg mitteilte, der Minister habe sich bei einem gelegentlichen Zusammentreffen im Klub dahin aus. gesprochen, daß das Justizministerium eine Wandlung der Wie war as a, es trostlos und häßlich! Aus dem Souterrain drangen schwermütige langgezogene Gefängnisstrafe an Allerhöchster Stelle unmöglich habe beTöne einer Ziehharmonika. Der Wind haschte nach den fürworten fönnen, nachdem in der gesamten Bresse das Urteil Tönen und warf einzelne hinüber über die Mauer, Töne der abfällig fritisiert worden sei. Es könne den Anschein erelenden Einsamkeit in der Stadt. Da saß auch einer in weden, als ob der König diese Straffammer desavouieren Hemdsärmeln auf dem Bett, und suchte mit den langsam wollte. Das sei unter allen Umständen zu vermeiden, da schon schleichenden Stunden fertig zu werden, bis das Licht in den Gassen angezündet wurde, und er den Kragen umbinden und den Hut nehmen würde und gelangweilt und mürrisch ausging.
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mehrere Urteile gerade dieser Straffammer Anlaß zu einer öffentlichen Kritik gegeben hätten, selbstverständlich ganz grundlos, wie der Minister nicht verfehlt habe, zuzufügen. ,, Also, wenn das Urteil einer anderen Straffammer, die sich nicht so oft blamiert hat, vorläge, wäre eine weitergehende warf Karl Henkel ein, der Und trostlos und häßlich blieb es in ihm, lange Tage und Begnadigung eingetreten,"
Wie war das alles trostlos und häßlich!
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In dem Ringen um diese schmerzliche Erkenntnis kam ihm ein Brief des Kommerzienrats van Bosch, wenn auch ohne dessen Absicht, zustatten, den er in diesen Tagen erhielt. Wegen der Zukunft machen sie sich keine Sorgen. Es ist sicher, daß ein Mann von Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten fich eine ehrenvolle und befriedigende Tätigkeit wieder schaffen fann. Und ich denke, daß Sie Ihre Freunde hoch genug einschäßen, um die angebotene Hilfe wenigstens für die erste Zeit nicht abzulehnen..." Er jah im Geiste seine Freunde, wie sie betrübt, aber schon voll frischer Hoffnungen, sich bemühten, ihm einen neuen Lebensweg zu ebnen; man würde versuchen, ihn als Syndikus in eine Bank oder in ein industrielles Unternehmen zu bringen, vielleicht hatte schon Kommerzienrat van Bosch mit der Direktion der Australia- Linie Fühlung genommen, in derem Aufsichtsrat, er eine führende Stellung ( Forts. folgt.) einnahm.