Kr. 191.- 1914.
Unterhaltungsblatt des vorwärts
SlNwli»g,27.Septe«itr.
wer litt!
Ich sah uuzählige Leiche» liege« und die Gerippe vo» juoge» Männer» ich sah sie die Trümmer aller Gefalleue» des große» Krieges. Aber ich sah, daß sie anders Ware», als mau gedacht; sie selber läge« im Friede«; sie litte«»icht, die Lebenden bliebe» und litte» die Mütter litte», die Frauen»nd Kinder, der sinnende Waffengefährte und die übriggebliebenen Heere sie litten. _ Walt Whitman  . von Maubeuge   bis Soiffons. Ein holländischer Zeitungsmann, FranS von Erlevoordt, der mit Genehmigung der deutschen   Heeresleitung von der belgisch  - svanzösischen Grenze bis Soiffons vordrang, gibt nach derKöln  . Zeitung" im AmsterdamerHandelsblad" folgende Schilderung: Ich eile durch zahlreiche Dörfer, die alle dieselbe Erscheinung bieten: die Einwohner stehen an den Straßenecken zusammen und erörtern mit gedämpfter Stimme die Aussichten der Verbündeten gegen den Feind; sie sehen uns verwundert an: ein Auto mit Pri- vatpersonen in diesen Zeitläuften? Ein lange schon ungewohnter Anblick. Sie weisen uns den Weg und grübeln nach, wer wir sein mögen. Fragt man die Leute nach der Richtung oder der Entfer- nung nach einem südlicher gelegenen Ort, so lautet die Antwort böslich, und wenn unser Wagen dann eine Weile hält, und die Zu- schauer unsere französische Marke gelesen haben, so werden sie sofort viel zutraulicher, umal wenn auf die Frage: Pas des Alle- mands?(keine Deutsche) eine verneinende Antwort ergeht. Ein prächtiger Menschenschlag wohnt in dieser Gegend, gesittetes Volk auch in gewöhnlichen Arbeiterkreisen: sie sprechen ein sehr wohl- klingendes Französisch, in einem Tonsoll, der stark an die Nor- mandie erinnert, stark singend, mit äußerst biegsamen Stimmen. Nirgendwo Verwüstungen, Ter Uebergang ist auffällig, wenn man aus Belgien   kommt, wie ich mit dem Aus- gangspunkt Aachen, von wo man gleich etwa 10 Kilometer von der Stadt jenseits der LandeSgrenze die Vernichtung Spur auf Spur wahrnimmt, wo verheerte Dörfer in ununterbrochener Reihe als Meilensteine dienen, wo man durch Lüttich   über den Universitäts  - platz, durch Namur   mit den Maasstaden fährt, an denen sich nun- mehr Ruinen im Fluß spiegeln. Wenn man sich der französischen  Grenze nähert, sieht man armselige Stätten, schwarz ausgebrannte Häuser, eingestürzte Kirchen, umgestürzte Türme; dann aber fällt um so deutlicher auf, daß diese sprechenden Zeugnisse der Kriegs- furie plötzlich aufhören, sobald man belgisches Gebiet Verlasien hat. In dem Grenzstrich etwa 20 Kilometer vor Maubeuge   bis Soissons  , dem Ziel unserer Fahrt, haben wir keine Verheerung bemerkt, von keinem Brande vernommen und nirgend Berichte von Mißhandlungen und Plünderungen erhalten. Indes liegt das Ziel selbst, Soissons  , in Trümmern, allein das hat auch seine Ursache: der Ort ist schon zweimal deutsch   gewesen, und am Tage unserer Ankunft wieder französisch geworden. Doch darüber später. Ich habe mit vielen Leuten über diese Tinge gesprochen, mit Männern aller gesellschaftlichen Schichten. Einen Arzt haben wir befragt, ein Vikar stand uns Rede, einem Hufschmied lösten wir die Zunge, ein Vermieter von Kraftwagen gab uns seine Ansiibt zum besten, allein, wenngleich in allem, was sie mir zu sagen hatten, etwas von dem natürlichen, angeborenen Haß gegen Deutsch- land lag, so stießen wir doch nirgendwo auf den persönlichen Ab- scheu von Mensch zu Mensch; diese Franzosen hassen die Deut- schen lediglich, weil sie Deutsche sind; der Durchmarsch, das will ich betonen, hat keinen Menschenhaß geweckt, weil eben nicht ge- raubt, nicht geplündert und nicht gebrannt worden ist. Ist dieser Gegensatz zu Belgien   nicht merkwürdig? Kann man annehmen, daß das durchziehende Heer plötzlich von der Grenze an eine Wand- lung erlebt habe, daß aus einer Räuberbande eine ehrliche Krieger- schar geworden sei? Nach den Berichten dieser französischen   Dorf- bewohner, die sich in Herz und Seele mit der belgischen Rasse eins fühlen, und doch über den belgischen Nachbarn sprechen wie über Kinder, die törichte Dinge begangen haben und mit kindlichem Sinn groß auftreten wollten, die wohl aus reiner Unwissenheit sich selbst die böse Suppe eingebrockt haben, steigen uns Zweifel auf, ob die ordentlichen Kriegsscharen jemals Räuber gewesen sind.
Die Leute hatten die in Belgien   vorgekommenen Verheerun- gen erfahren, allein sie schöpften ibre Nachrichten nicht aus Zei- tungen, da es solche ja schon seit Wochen nicht mehr gibt, und so waren sie denn auf Berichte von Fremden und Bekannten ange- wiesen. Was sie wissen, haben sie auch von Deutschen   selbst auf deren Durchzug erfahren. Aus dem nun, was mir von den Dorf- bewohnern wiedererzählt wird, klingt immer wieder durch, daß es den Deutschen   durchaus wider den Sinn ging, das Blutgericht zu vollstrecken, daß die Verheerung ihrer Ansicht nach eine notwendige, durch die Selbsterhaltung gebotene strenge Maßregel war... Ueber uns kreisen Riesenvögel. Es sind deutsche Flieger, sie ziehen dem Feinde und wohl auch dem Tode entgegen, ihrer sieben an Zahl, dicht beieinander; dann jedoch schwärmen sie aus, sobald sie in den Bereich der französischen   Gewehre und der besonders gegen sie angefcrligten Maschinengewehre kommen, und steigen immer höher. Hier aber sind sie nur einige hundert Meter über dem Boden; wenn sie sicher sein wollen, müssen sie zehnmal höher fliegen. Es sind allesamtTauben", Eindecker, in Metall und Zeug blau gestrichen, um möglichst wenig am Himmel abzustechen. Sie fliegen nach Süden, diese menschlichen Zugvögel, vielleicht surren sie über die Kampflinie dahin nach derLichtstadt", lassen auf Paris   ihre Geschosse fallen; es ist der moderne Lichtsalut in dem Krieg mit diesen verfeinerte» Kampsmitteln. . Unser Wagen schnellt die Hauptstraße von Crepy entlang. Es ist ein malerisch gelegenes Torf, dessen Häuser in buchstäblichem Sinne des Wortes an die in Grün erstrahlenden Hügel angelehnt sind, auf denen das Obst so reichlich hängt, französische Birnen, weltberühmt, die nun auf den niedergezogenen Zweigen verfaulen, weil niemand da ist, um sie zu pflücken und sie zu versenden. Laon  kommt in Sicht, noch fern zwar, aber deutlich erkennbar daran, daß der schlanke Turm des Städtchens kerzengrade in die Luft ragt, während der Ort sich an einen Bergrücken anschmiegt. Wir fahren nun wohl eine Viertelstunde lang hinter einer deutschen Kolonne her: Ulanen die Lanze am Griff; einem Regi- ment Infanterie und vielem Feldgeschütz wohl mehrere hundert L-tück, jedes gefolgt von einem Protzkasten, auf dem in weiten Körben verpackt die Granaten in Reihen liegen, dann wenigstens ebenso viele Trotzwagen und ein reichliches Dutzend Feldküchen, dampfend und rauchend wie eine Kleinbahn. Es wird während des Fahrens gekocht, und über dem Fahren wird gegessen, denn die Zeit drängt, und es geht durch die Truppe im Aufmarsch eine ner- vöse Hast. Die straffen Züge der Offiziere sagen viel, obschon der Mund schweigt. Der Eilschritt der Truppe läßt nicht nach. «päter, da wir wieder an den Straßenrand gedrängt sind, über- holt uns im Galopp ein Zug Husaren, und nun wissen wir, daß wir uns auf einem Gelände befinden, wo die Ankunft von Verstär- kungen ersehnt wird... Ich fliege durchs Land mit einem besondern Paß, einem miserlichen Freigeleit, daß ich mich bewegen mag in Deutschland  , Belgien   und Frankreich  , soweit diese Länder von den Deutschen  besetzt sind; unbehindert bin ich meiner Aufgabe als Zeitungs- mann. Es steht ausdrücklich auf meinem Paß, daß ich meine eigenen Wege ziehen darf und daß, wo immer und unter welchen Umständen ich mich befinden mag, die Militärbehörden mir jeg- lichen Beistand haben angcdeihen zu lassen. Ich habe das Akten- stück persönlich in einer der deutschen Grenzgarnisonen holen müssen; es ist eine unbeschränkte Vollmacht. Nur in einem Falle ist noch der Stempel des befehlsführenden Armeekommandanten nötig: wenn ich in der Richtung der Kampflinie durchdringen will und unmittelbare Lebensgefahr besteht. Dagegen ist mir eine Losung auf den Wog mitgegeben, daß ich nichts vermerken soll, was geheim bleiben soll, und wenn mir etwas derartiges zur Kenntnis gelangt, daß allein mein Sinn davon wissen darf, worüber ich dem General Z., der mir den Paß ausstellte, mein Ehrenwort geben mußte. Nun kommt mir das Aktenstück gelegen, denn hier in (Thauny, 10 Kilometer von Soissons  , wo der«treit mit voller Wucht tobt, will die Kommandantur mich nicht durchlassen. ES ist wirklich lebensgefährlich: zehn Minuten vorher haben wir telephonische Nachricht erhalten, daß ein Auto mit drei Offizieren an einem keine Viertelstunde entfernten Punkte durch eine französische Streistvache beschossen worden ist; zwei Insassen sind getötet worden, und nur durch eilige Flucht ist der Wagen wieder hierher gelangt.Ich darf Sie unter diesen Umständen nicht gehen lassen, ich trage die Verantwortung, wenn etwas vor- kommt," sagte mir der Major vom Dienst. Unser Paß liegt vor ihm� auf dem Tisch. Wir werden eindringlich, wir möchten unsere Reise fortsetzen. Der Major bleibt auf seiner Ablehnung, wir be- harren auf unserm Gesuch. Vergebens. Da sagen wir die Pa- rolc.Sie können gehen, und Gott behüte Sie," lautet der Be- scheid, und einen Augenblick später fährt unser Fährzeug vom Rat- hausplatz an einer ganzen Reihe von Fahrzeugen vorbei.
Außerhalb ChaunhS bemerken wir auf der nassen schlmmigen Straße noch die Spuren von der Beschießung des OffizwrsautoS: den aufgewühlten Boden, das Zeichen, daß der Wagen in aller Eile Kehrt machen muhte; doch wir fahren unbehelligt durch; wohl haben wir zweimal Schüsse auf einem Abstand von weniger als 50 Meter vernommen, allein die Schützen liegen im Unterholz versteckt, und wir beruhigen uns in dem Gedanken, daß es blinde Patrone war zur Warnung des Zivilisten, der so rucksichts- loS ist, jetzt zwischen zweiVölkern" hindurchzufahren. Der Ort Soissons   liegt an der Spitze des Dreiecks, Chaunh- Laon-Soissons: die verstärkte Stellung ist mittelmäßig, ein Boll- werk, das nicht gerade als Fort anzusprechen ist, wohl die stärkste Stellung in dieser Gegend, aber nicht so fest, daß für die Eni- nähme besondere Matzregeln nötig wären und eine ordentliche Be- rennung ins Werk gesetzt werden müßte. Vor vier Tagen hatten die Deutschen   sich des Platzes be- mächtigt, waren dann wieder daraus verdrängt worden, nahmen ihn wieder ein, und nun standen sie, wie mir ein Gardeleutnant sagte, so klug da, wie zuvor. Ich war einer der ersten, die von Maastricht   nach Lüttich  auszogen, als die 42-Zentimeter-Geschütze die Festung beschossen; das Dröhnen der Schchüsse war bis in den Norden der Provinz Limburg   vernehmbar. In jenen Tagen glaubten wir, daß dies das schwerste sei, was unsere Ohren zu vernehmen bekämen, allein man stelle dem das Artillerieduell gegenüber, oas ich an dem Abend in Soissons   hören konnte. Es sind ganze Salven von Kanonen, deren 20 und mehr zu gleicher Zeit abfeuern, und deren Gebrüll keinen Halt in der Luft findet, denn der Klang schwillt zu einem langanhaltenden Donner, der sich rollend die Buschränder entlang hinzieht und sich in einem endlosen Widerhall vermehrt, ungebrochen wie das- stetige Brausen einer stürmischen See. Ich möchte nun den Fachmann sehen, der systematisch ruhig und besonnen über eine Feldschlacht zu berichten vermag. Ich vermag es nicht. Ich bin zu sehr Gefühlsmensch und beherrsche meine Empfindungen nicht so, daß ich mit dem Bleistift in der Hand Aufzeichnungen machen könnte. Denn es zieht über einen dahin wie ein Orkan. Noch ist es fern, kaum zu unterscheiden von der Artillerie des Feindes; man wird nur mit- genommen von dem, was man hört, und doch fühlt man sich so an- gespannt, es ist so seltsam, so überwältigend, daß man den körper- lichen Sinnen gewaltsam gebieten muß, um es beobachten zu können. Soldaten haben mir erzählt, daß man mit einem Schlage be- täubt wird, daß man nur mehr mechanisch arbeitet, während die Gedanken stillstehen, weil man durch den Eindruck überwältigt wird, und nicht in der Lage ist, die Dinge in einen logischen Zu- sammenhang zu bringen. Ich glaube es gern, ich muß mich selbst vergewissern, daß ich hier stehe, daß ich es bin, daß ich mich hier vor dem Zelte eines Unteroffiziers befinde, und daß um mich herum einige tausend Meter von hier die Geschütze in einemfort ihr mörderisches Werk verrichten. Jeder Stoß bedeutet die Vcr- nichtung von so viel Menschenleben, jeder Ausbruch des Pulvers vermehrt den Verlust entsprechend. Ein Schuß bedeutet 100 Mann, zehn bedeuten 1000, hundert bedeuten 10 000 Feinde, die weg- gefegt sind, das ist der jetzige Krieg. Mathematisch geht alles richtig zu. Es werden Menschen niedergemäht, bis die Rechnung aufgeht. Wagen voller Verwundeten ziehen am Feldlager vorbei, in der Richtung von Chauny  . Das Blut tropft von der Karre her- ab, die weißen Notverbände sind allesamt gefärbt. Die Gesiäster der Betroffenen verzerrt. Allein sie klagen nicht, sie lassen sich durch die Gehilfen vom Roten Kreuz wegführen, die alle zn Menschenkennern geworden sind, und mit einem Blick die Vcr- wundeten inleicht" undschwer" zu trennen wissen. Tödlich ist nur ein Schuß durch den Kopf und in die Herzgegend. Alles, weiterhin vonedeln Organen" getroffen wird, hält den Schjjk aus, sei es durch einen Lungenflügel, sei es ein Kehlschutz, sei es" durch einen Knochen, alles das gilt als leichte Verwundung. Und nur das Blei im Unterleib gehört zu den schweren Verletziuigen.
Die LothringensthenRippen*. Der zähe Widerstand, den die Franzosen  , gestützt auf ihre Festungen gegen den Ansturm der deutschen Armee von Osten her leisten, gründet sich auf die Landschaft, die auf der franzö- fischen Karte als Cotes Lorraincs oder die Lothringenschen Rippen verzeichnet sind. Es ist keine Uebertreibung, zu sagen, daß die natürliche Bodengestaltung, die in diesem Namen ausgedrückt ist, das wichtigste Bollwerk Frankreichs   gegen Deutschland   ist, und als solches hat es sich stets bewährt. Insbesondere sind die Namen
zi Ein Soldat des alten Zeitz  . Des NachtS legt ich mich ins Fenster, guckte weinend in den Mond hinauf und erzählte dem mein bittres Elend:Du, der jetzt auch überm Tockenburg slfstnebt, sag' es meinen Leuten daheim, wie armselig es um mich stehe, meinen Eltern, meinen Geschwistern, meinem Aennchen sag s, wie ich schmachte, wie treu ich ihr bin. daß sie all« Gott   für mich bitten. Aber du schweigst so still«, wandelst so harmlos deinen Weg fort? Ach, könnt' ich ein Vöglein sein und dir nach, in meine Heimat fliegen! Ich armer, unbesonnener Mensch! Gott   erbarm sich mein! Ich wollte mem Gluck bauen und baute mein Elend. Was nützt mir dieser Herr- liche Ort, worin ich verschmachten muß! Ja. wenn.ich die Meinigen hier hätte, und so ein schön Häuschen, wie dort gerad gegenübersteht, und nicht Soldat sein müßte, dann wär 3 hier gut wohnen; dann wollt ich arbeiten, bandeln, wirtschaften und ewig mein Vaterland meiden! Doch nein! Denn auch so müßt' ich den Jammer so vieler Elenden täglich vor Augen sehn! Nein, geliebtes, liebes Tockenburg. Tu wirst mir iminer vorzüglich wert bleiben! Aber ach! Vielleicht seh ich dich in meinem Leben nicht wieder, verliere sogar den Trost, von Zeit zu Zeit an die Lieben zu schreiben, die in dir wohnen! Jedermann erzahlt mir m von der Unmöglichkeit, wciln's einmal ins Feld gehe, auch nur eme Zeile fortzubringen, tvorin ich mein Herz ausschütten konnte. Doch, wer weiß? Noch lebt mein guter Vater im Himmel; dem ist's bekannt, wie ich aus Vorsatz oder Liederlichkelt dies Sklavenleben gewählt, sondern böse Menschen mich betrogen haben. Ha! Wenn alles fehlen sollte Doch nein! desertieren will ich nicht. Lieber sterben, als Spießruteiilaufen Und dann kann sichs ja auch ändern. Sechs Jahre wd mich aus- zubalien. Freilich eine'ange, lange Zelt. Wenns zumal wahr fein sollte daß auch dann kein Abschied zu hoffen Ware! Doch, was? Kein Abschied? Hab ich dock-ine. und zwar mir aisfgedrunaene Kapitulation!- Ha- Dann mußten sie mich eher töten! Ter König mußte mich hören! Ich wollte seiner Kutsche nachrennen, mich anhangen, bis er mir sein Ohr verleib. Da wollt' ich ihm alles sagen, was der Bnef ausweist. Und der gerechte Sprich wird nicht gegen allein ungerecht sein."- Tas waren so damals seine selbst- ��Äesen Umständen flogen Schärer und ich zusammen
wo wir konnten: klagten, überlegten, beschlossen, verwarfen. Schärer zeigte mehr Standhaftigkekr als ich, hatte aber auch mehr Sold. Ich gab jetzt, wie so viele andere, den letzten Dreier um Genever, meinen Kummer zu vertreiben. Ein Mecklenburger, der nahe bei mir im Quartier und mit mir in gleichen Umständen war, machte es ebenso. Aber wenn er seinen Brand im Kopfe hatte, setzte er sich in der Abend- dämmcrung vors Haus, fluchte und haselierte da mutier- ,eels allein, schimpfte auf seine Offiziere und sogar auf den König, wünschte Berlin   und allen Brandenburgern tausend Millionen Schwerenot auf den Hals und fand, wie der arme Teufel, so oft er wieder nüchtern ward, behauptete, in diesem unvernünftigen Rasen seinen einzigen Trost im Unglück. Wolfram und Mee'ms warnten ihn oft; denn sonst war er noch vor kurzem ein recht guter, umgänglicher Bursche. Kerl!" sagten sie zu ihm,gewiß wirst Du noch ins Toll- haus wandern!" Dieses war nicht weit von uns. Ost sah ich dort einen Soldat vor dem Gitter auf einem Bänkchen sitzen und fragte einst Meewis, wer er wäre. Ich hatte ihn me bei der Kompagnie gesehen:Just so einer, wie der Mecklenburger," antwortete Meewis,darum hat man ihn hier versorgt, wo er anfangs brüllte wie ein ungarscher Stier. Aber seit etlichen Wochen soll er so geschlacht wie ein Lamm sein." Diese Beschreibung machte mich lüstern, den Menschen näher kennen zu lernen. Er war ein Anspachcr. Anfangs ging ich nur wie verstohlen bei ihm hin und wieder, sah mit wehmütigem Vergnügen, wie er. seinen Blick bald zum Hlnimcl gerichtet, bald auf den Boden geheftet, melancholisch dasaß, bisweilen aber, ganz für sich, sanft lächelt«, und übrigens meiner nicht zu achten schien. Schon aus seiner Physiognomie war mir ein solcher Erdcnsohn in seiner Lage hellig. Endlich wagt ich es, mich zu ihm zu setzen. Er sah mich starr und ernst an und schwatzte zuerst lange, meist unverständliches Zeug, das ich doch gerne hörte, weil mit- unter etwas höchst Vernünftiges zum Vorschein kam. Was ihm am meisten Mühe zu machen schien, war, soviel ich merken mochte, daß er von gutem Haus, und nur durch Ver- druß in diese Umstände gekommen sein mußte, jetzt aber noch Nachreu und Heimweh erbärmlich litt. Nun entdeckte ich lhm durch Umwege auch meine Gcmütsstimmung, Haupt- sachlich in der Absicht, zu horchen, was er allenfalls zu meiner Entweichung sagen würde; denn der Mann schien mir ordcnt- Ilch einen Geist der Weissagung zu haben:Brüderchen!" Iprach er aus Veranlassung eines Diskurses einst zu mir. Brüderchen, halt Du still! Deine Schuld ist's sicher, daß
Du leidest, und was Tu leidest, mehr oder minder verdiente Züchtigung. Durch Zappeln machst Du's nur ärger. Es wird schon noch anders und immer anders kommen. Ter König allein ist König; seine Generals, Obersten  , Majoren sind selber seine Bedienten, und wir, ach! wir, so hinge- worfene, verkaufte Hunde, zuni Abschmieren im Frieden, zum Totstechen und Totschießen im Krieg bestimmt. Aber all' eins, Brüderchen! Vielleicht kommst Du nahe an eine Türe- geht sie Dir auf, so tu, was Tu willst. Aber halt still, Brüder� chen! nur nichts erfrettclt') oder erzwungen, sonst ist's mit einmal aus!" Dergleichen und noch viel anderes sagte er öfter zu mir. Aller Welt Priester und Leviten hätten mir nicht so gut predigen und mich zugleich' so gut trösten können wie er. Indessen murmelte es immer stärker vom Kriege. In Berlin   kamen von Zeit zu Zeit neue Regimenter an; wir Rekruten wurden auch unter eins gesteckt. Da ging's alle Tag vor die Tore zum Manövrieren, links und rechts avancieren, attackieren, retirieren, Pelotons- und divisions- weise chargieren, und was der Gott Mars sonst alles lehrte. Endlich gedieh es zur Generalrevue: da ging's zu und her. daß dies ganze Büchelchen nicht klecken würde, das Ding zu' beschreiben; und wenn ich's wollte, so könnt ich's nicht. Erst- lich wegen der schweren Menge aller Arten Kricgsgerüinpe:. die ich hier großenteils zum erstenmal sah. Zweitens hatÖ ich immer Kopf und Ohren so voll von dem entsetzlichen Lärm der knallenden Büchsen, der Trommeln und Feldmusik, des Rufens der Kommandeure und dergleichen, daß ich oft hätte bersten mögen. Trittens war mir das Exerziz seit einiger Zeit so widerlich geworden, daß ich nur nicht mehr bemerken mochte, was all die Korps zu Fuß und zu Pferde für Millions- zeug machten. Freilich kam mich hernach manchmal große Reue an, daß ich die Dinge nicht besser in Obacht genommen; denn allen meinen Freunden und allen Leuten hierzulande wünscht ich, daß sie solches nur einen Tag sehen möchten, es wurde ihnen zu hundert und aber hundert vernünftigen Be- trachtungen Anlaß geben. Also nur dies wenige. Da waren unübersehbare Felder mit Kriegsleuten bedeckt; viele tausend Zuschauer an allen Ecken und Enden. Hier stehen zwei große Armeen in künstlicher Schlachtordnung; schon brüllt von den Flanken das grobe Geschütz aufeinander los. Sie avancieren, kommen zum Feuer, und machen ein so entsetzliches Donnern,
ErPlagen.