it. 20?.- Ion VdtWarts Suwalti. _ In denTrenzboten" gibt George Cleinow eine ans eigener Anschauung beruhende Schilderung des Gouvernements Suwalti. Es ist noch keinegeheiligte russische Erde", die mit dem Gou- vernement Suwalki   unter deutsche   Verwaltung geraten ist. Vor» wiegend von Katholiken bewohnt, ist Suwalki   alter litauischer Be- sitz, um den Preußen, Schweden  , Litauer, Polen   und Russen viele Jahrhunderte gekämpft hatten, ehe im Jahre 1867 Alexander II.  die alte polnische Wojwodschaft Augustowo in die beiden Gouverne- ments des Weichselgebietes Lomscha   und Suwalki   zerlegte, um die Bekämpfung des polnischen Großgrundbesitzes durch den Gou- verneur mit Hilfe der Litauer gerade in Suwalki   möglichst un- gestört betreiben lassen zu können. Zur direkten Russifizierung des Gebtets, wie sie etwa im östlichen Teile von Lublin  , im sogenannten Cholmer Lande, Platz gegriffen hatte, war Suwalki   bisher noch nicht reif. Noch bedurfte die Regierung, wie in den baltischen Pro- dinzen bei der Russifizierung der Deutschen  , eines Deckmantels. Der gütige Zar, das demokratische russische Volk, nahm sich noch lediglich derbedrückten" Niedern Schichten, der Litauer an, gegen die polnischen Usurpatoren. Infolgedessen wird die Besitzergreifung von Suwalki   durch unsere Truppen bei den Russen kaum große nationale Erregung wecken: diegeheiligte russische Erde" beginnt erst hinter der Linie Wilna Brest-Litowsk Lublin Przemysl, im logenannten Nordwest- und Süowestgebiet und in Ostgalizien  . Das Gebiet des heutigen Gouvernements Suwalki   ist zu- lammen mit Kowno  , Grodno   und Wilna   in seinen wechselvollen Schicksalen auch einmal deutsches Kolonialland gewesen. Das de- zeugt noch heute, abgesehen von den Namen ehemals deutscher   Edel- leute, wie v. Bistram, v. Lengning und anderer, das Vorhanden- lein von mehr als 50 000 Lutheranern, von denen sich bei der letzten Volkszählung(1397) rund 40 000 noch alsnjemcy", das heißt als Deutsche   russischer Untertanenschaft, bezeichneten. Klimatisch, geologisch, in Fauna und Flora unterscheidet nichts das Gouvernemnet von Ostpreußen  . Der uralisch  -baltische Höhen- rücken� geht hier breit durch und zeigt mit seinen Wäldern, Sumpfen, Seen denselben Charakter wie die Romintener Heide. Die guten Weiden gestatten die Aufzucht eines dem ostpreußischen verwandten guten Pferdeschlages Wenn alles wilder und urwald- artiger, an einzelnen Stellen unberührter, meist aber verwahrloster aussieht wie in Ostpreußen  , so trägt die Natur nicht die Schuld daran: der Unterschied im äußeren Aussehen der preußischen und russischen Provinz gibt den Maßstab für den Unterschied zwischen preußischer und russischer Verwaltungspraxis. Jetzt im Herbst hat die litauische Landschaft gerade am flach absteigenden Nordhang des Höhenzuges einen wunderbar eigenen Reiz. Der Horizont wird begrenzt durch dunkle Wälder; die sanften Hügelketten sind bedeckt von weiten, endlosen gelben Stoppelfeldern; nur hin und wieder werden sie schon jetzt von einer emsigen Pflugschar aufgerissen, die das Gelb in Grau vcr- wandeln. Dafür beleben zahlreiche Gänsescharen die Fläche; ihr Gefieder scheint in dem eigenen träumerischen Licht zu glitzern und zu gleißen; wie Trompeten schmettert der Ruf der Gänseriche über die Flur. Hin und wieder werden graugelbe Schweinehcrden sichtbar und an den Feldrainen Kinder, die Hüter dieser Scharen. Ueber das ganze Land verstreut die Bauernhöfe. Geschlossene Dörfer gibt es hier nicht, es sei denn eine alte deutsche   Hau- landkolonie am Waldrande. Größere Gehöfte sind selten, obwohl das Standesreg.ster gegen dreitausend Personen von Adel aufweist. Die Nähe von Großgrundbesitz deutet sich dem Wanderer durch weite Wiesen, auf denen Pferde weiden, an. Fabrikschornsteine kennt man in diesen glücklichen Gefilden kaum. Die Bauernhöfe sind meist von hohen Bäumen, schwarzen Edeltannen und herbst- gelben Birken und Ebereschen umstanden, deren saftigrote Früchte auf dem dunkeln Hintergrunde fast so kräftig glühen, wie die Ka- melien und Azalien in den Gärten des Comer Sees, lieber alle dem liegt jetzt ein blaugrauer schweigsamer Himmel ohne Sonnen- schcibe und geheimnisvoll, als ginge Keistuds Geist über die Fluren, zieht Altweibersommer über die Felder, raunt ein Etwas durch die Stille. Litauen  ! sagenreiches, märchenreiches! Auch ohne die zahlreichen Lager umherziehender und Pferde stehlender Zigeuner an den Waldrändern atmet dies Land eine Romantik, wie sie mir weder in den Bergen der Schweiz  , noch im Kaukasus  , noch in BoS- aien je zum Bewußtsein gekommen ist. Der Hauptstrom Litauens  , der Njcmen, kommt als Verkehrs- weg in Betracht: er ist eine viel gewundene, tief, an manchen Stellen bis 60 Meter eingeschnittene Grenzlinie gegen Osten und es vie Erstürmung üer Mühle. Von Emile Zola  . Und er schritt von bannen. Eine Stunde später befand sich die von dem Offizier auferlegte Kontribution an Proviant und Geld auf dem Mühlenhofe. Die Nacht brach herein. �rangoise verfolgte angstvoll die Bewegungen der Soldaten. Sie wich nicht von der Stube, in welche Dominique einge- schlössen war. Gegen sieben Uhr empfand sie eine stechende Aufregung; sie sah den Offizier zu dem Gefangenen hinein- gehen; eine Viertelstunde lang hörte sie die Stimmen der beiden Männer im lebhaften Wechsel. Eine Zeit nachher erschien der Offizier auf der Schwelle, um in deutscher Sprache einen Befehl zu geben, welchen sie nicht verstand. Aber als l2 SoldatenGewehr im Arm" im Hofe Posta faßten, er- griff sie ein Beben; es war ihr, als trete der Tod an sie heran. Es war beschlossen: die Hinrichtung sollte stattfinden. Die zwölf Mann blieben zehn Minuten lang im Hofe stehen. Dominiques Stimme ertönte laut m entschlossener Weigerung. Endlich trat der Offizier heraus, warf die Türe heftig ins Schloß und rief dem Gefangenen zu: Es ist gut, überlegen Sie sich die Sache. Ich gebe Ihnen fWst bis morgen früh!" Und er winkte den zwölf Mann, abzutreten. Frangoise blieb wie geistesabwesend stehen. Vater Merlier, welcher seine Pfeife nicht aus dem Munde genommen hatte und die Rotte mit einfacher Neugierde betrachtete, trat jetzt zu ihr und ergriff sie mit väterlicher Milde am Arme. Er führte sie fort in seine Stube. Verhalte Dich ruhig," sprach er zu ihr;sieh zu, daß Du schlafen kannst. Morgen, wenn's Tag ist- wollen wir sehen." Als er fortging, schloß er sie vorsichtshalber ein. Es war sein Grundsatz daß die Frauen für wichtige Dinge nicht ge- schaffen und nicht tauglich seien, daß sie leicht alles verdürben. Aber Fran?oise legte sich nicht zu Bette. Sie blieb auf der Kante desselben lange sitzen und lauschte aufjedes Geräusch im Hause. Die im Hofe gelagerten deutschen Soldaten sangen und lachten; sie mußten bis elf Uhr essen und trinken, denn der Lärm hörte nicht einen Augenblick auf. In der Mühle selbst erschollen zeitweilig dumpfe Schritte, ohne Zweifel Schildwachen, welche zur Ablösung kamen. Aber was ihr Interesse vornehmlich gefesselt hielt, das waren die Geräusche, welche aus dem unter ihrer Stube liegenden Räume herauf- Norden, kein eigentlicher Verkehrsweg für das Gouvernement. Der Kanal von Augustowo, der den Njemen mit dem Narew verbindet und die ungeheuren Sümpfe und Waldungen in der südöstlichen Ecke durchquert, kommt wohl nur für diese und den Durchgangs- verkehr für Holz aus Lomscha   in Betracht. Die Eisenbahn, die den Truppenübungsplatz von Oranh mit der Gouvernementshauptstadt verbindet und von dort nach Grodno   Schnellzugsstation der Eisen­bahn Petrograd Wilna Warschau. führt, wurde bisher vor- wiegend nach russisch  -militärischen Gesichtspunkten betrieben: man braucht für die 130 Kilometer lange Strecke sieben Stunden; durch den nördlichsten Teil der Provinz führt die zweigleisige Hauptstrecke, die Eydtkuhnen mit Kowno   und darüber hinaus mit Wilna   und Petrograd   verbindet. Einige wenige Chausseen, die die Hauptfach- lichsten Orte: Kowno   an der Nordostecke, gegenüber Wirballen an der preußischen Grenze, Wilkowiski, Mariampol  , Suwalki   und Augustowo mit Grodno   im Südosten verbinden, sind zusammen etwa 350 Kilometer lang, was bei einer Fläche von 12 551 Quadrat- kilometer und rund 800 000 Einwohnern bezeichnend ist für die wirtschaftliche Erschließung des Gebiets. Unter diesen Verhält- nissen würde der leicht ausführbare Bau einer Anschlußbahn von kaum 100 Kilometer Länge zwischen Suwalki   und Marggrabowo geradezu revolutionierend wirken. Möge dieser Bau die nach der Befreiung des Gebiets vom russischen Joch erste Kulturwohltat unserer Truppen an den Bewohnern von Suwalki   sein. Noch heute darf das Gouvernement als rein landwirtschaft- liches mit großer Waldwirtschaft bezeichnet werden. Die indu- strielle Gütererzeugung wird sieben Millionen Mark kaum über- steigen, die Zahl der industriellen Arbeiter wird nicht wesentlich höher als 2500 sein. Die Industrie verarbeitet ausschließlich ein- heimische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Eine gewisse Rolle spielt im nördlichen Teil die Bürstenbinderei und Lederverarbeitung. Eisen- und Maschinenindustrie, über Schlosserei hinausgehend, be- schränkt sich auf die unbedeutenden Eisenbahnwerkstätten. Von der rund 1 115 000 Hektar großen Gesamtfläche des Gouvernements befinden sich 630 000 Hektar in bäuerlichem, 260 000 Hektar in son- stigem Privatbesitz: 225 000 Hektar sind Staatseigentum. Zieht man in Betracht, daß von diesem Staatseigentum im Jahre 1907 allein 945 221 Rubel oder rund 2 Millionen Mark auf Einnahmen auf Forstwirtschaft entfielen, aber nur 29 708 Rubel aussonstige", so wird man folgern dürfen, daß der Staatsbesitz vorwiegend aus Wald» und Sumpfland besteht. Die Städte sind kläglich. Es gibt khrer zehn. Sie hatten noch 1901 zusammen ein Ausgabenbudget von 118 653 Rubel, darunter die Hauptstadt Suwalki   übrigens eine der in sanitärer Beziehung höchststehenden Städte des Weichselgebiets mit 43 244 Rubel. Sollte die Summe sich im Laufe der Jahre bis heute wirklich ver- doppelt haben, so wäre das außerordentlich. Die wenigen Zahlen lehren, wie gering das wirtschaftliche Leben und die Selbst- Verwaltung in Suwalki   entwickelt ist, wie alles Leben unter einem unsichtbaren Druck zu stehen scheint. Unvergleichlich viel mannigfaltiger, als die Wirtschaft ver- muten läßt, ist die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Ratio- nalitäten und Glaubensbekenntnissen. Den Stock bilden die, 400 000 Litauer, die etwa fünf Sechstel des Gouvernements, begrenzt im Süden durch die Schivarze Haneza, besetzt halten, während die Polen   mit 165 000 Seelen vorwiegend das südliche Sechstel be- wohnen. Die Städte und Flecken beherbergen gegen 125 000 Juden. Außerdem gibt es noch etwa 40 000 Deutsche  , die vor- wiegend in den mittleren Kreisen Mariampol   und Kalvaria wohnen (in der Stadt Suwalki  , wo eine evangelische Kirche ist, gegen 900); ebensoviel Russen; diese bilden, abgesehen von den Beamten, ziem- lich abgeschlossene Kolonien ganz im Süden in den Kreisen Augu- stowo, Suwalki   und Deyney. Schließlich wohnen seit dem 15. Jahr- hundert in den Kreisen Kalvaria und Wolkowyski noch ein halbes Tausend Tataren, die die polnische Sprache und Lebensweise an- genommen haben. Litauer und Polen   sind römisch-katholisch  , die Russen jedoch in Sekten gespalten. Gegen 20 tzOO von ihnen gehören zu den söge- nannten Altgläubigen(Staso-obrjadce), ein sehr konservatives Element, das streng an den- alten russischen   Gebräuchen festhält und am Zarentum hängt und somit dem deutschen Regiment Schwierigkeiten bereiten dürfii. Neben ihnen stehen gegen 10 000 Sektierer, die seit Jahrhunderten in offener Auflehnung gegen die Staatskirche leben, teils sogenannte Bespopowch, die keine vom Staat angestellte Priester anerkennen, teils Gleichgläubige(Jedi- nowjiry), die im Jahre 1800»er russischen Staatskirche verbunden (uniiert) wurden. Das Vorhandensein der verschiedenen Arten von Altgläubigen in Suwalki   stellt den Verwaltungschef dieses Gebiets vor Aufgaben drangen. Sie legte sich wiederholt auf die Dielen und preßte ihr Ohr gegen dieselben. Diese Stube war just diejenige, in welcher Dominique eingesperrt worden war. Er mußte zwisckien Wand und Fenster auf und abgehen, denn sie ver- nahm lange Zeit den regelmäßigen Takt seiner Schritte; dann trat eine große Stille ein; er hatte sich wahrscheinlich gesetzt. Uebrigens hörte aller Lärm wtzt auf. alles sank in Schlummer. Als das Haus in tiefer Ruhe zu liegen schien, öffnete sie so behutsam als möglich das Fenster und lehnte sich hinaus. Draußen war eine laue stille Nacht. Die dünne Mond- sichel. welche hinter die Wälder von Sauval trat, erhellte die Landschaft mit dem matten Licht einer Nachtlampc. Der lang- gestreckte Schatten der hohen Bäume zog schwarze Furchen in die Wiesen, während an den freien Stellen das Gras den Eindruck eines mattgrünen Samtteppichs machte. Aber Fran- Ovife kümmerte sich nicht sonderlich um den geheimnisvollen Reiz der Sommernacht. Sie suchte die Gegend mit dem Blicke ab nach den durch die Deutschen   auf dieser Seite jedenfalls aufgestellten Schildwachen. Sie sah den Schatten deutlich an der Morelle entlang postiert. Ein einziger Posten stand vor der Mühle auf dem anderen Ufer des Baches, in der Nähe von einer Weide, deren Zweige ins Wasser niederhingen. Franvoise erkannte den Posten ganz deutlich. Es war ein großer Bursche, welcher unbeweglich, das Gesicht zum Himmel emporgewandt, mit der träumerischen Miene eines Schafhirten dastand. Nachdem sie so die Oertlichkeiten sorgfältig inspiziert hatte, setzte sie sich wieder auf ihr Bett. Sie blieb dort'eine Stunde lang, in tiefes Nachdenken versunken, sitzen. Dann lauschte sie wieder: in dem Hause regte sich kein Hauch. Sie kehrte wieder zum Fenster zurück und warf einen Blick hinaus; aber wahrscheinlich schien ihr eine der Spitzen der Mondsichel, welche noch hinter den Bäumen hervorschaute, störend, denn sie entschied sich für das Warten. Endlich schien ihr der richtige Augenblick gekommen zu sein. Die Nacht war ganz finster, die dehnte sich wie in eine Tintenlache. Sie übersah noch eine Zeit- Schildwache drüben war nicht mehr zu sehen, die Landschaft dehnte sich wie eine Tintenlache. Sie übersah noch eine Zeit- lang das Ufer: dann faßte sie sich ein Herz. Neben dem Fenster führte von dem Mühlrade bis zum Speicher hinauf eine eiserne Leiter, deren Sprossen in die Mauer eingefügt waren und die den Müllern ehemals dazu gedient hatte, zu allen Seiten des Nadwe»kes zu gelangen; später war der Mechanismus geändert worden, und schon seit langer Zeit verschwand die Leiter hinten unter dem dichten Epheugerank, welches diese Seite der Mühle bedeckte. der Kulturpolitik, die in den übrigen Gouvernements des Weichsel­gebiets nicht vorhanden sind. Die Altgläubigen, deren eS im innere» Rußland   an die 15 Millionen gibt, haben sich auf dem Konzil von Moskau   am 13. Mai 1667 von der Staatskirche getrennt. Man erkennt den Altgläubigen ohne weiteres daran, daß er beim Gebet oder Schwur das Kreuz nicht mit drei Fingern schlägt, sondern mit zweien, mit dem Zeigefinger und Mittelsinger! Im Jahre 1905 hat die russische Regierung die Altgläubigen dadurch versöhnt, daß sie die bis dahin verschlossenen Kirchen öffnen ließ und das Kirchenvermögen wieder herausgab. Unerbittlich zeigte sie sich bis in die jüngste Zeit nur gegen eine Absplitterung der Alt- gläubigen, gegen die Bespopowch. Ein interessantes Merkmal des Gouvernements ist die völlige Abwesenheit eines geistigen Zentrums. Die Hauptstadt ist eine reine jüdische Händlerstadt ohne politische Interessen, da diese niedergehalten werden durch das Vorhandensein der Gouverne- mentsrcgicrung und zahlreicher Truppenstäbe. Die litauische Intelligenz hat ihren Sitz außerhalb Suwalkis in der Stadt Kowno  , von wo sich ihr Einfluß längs der Eisenhahn bis zum Hauptzollamt Kibarty  (Wirballen) ausdehnt. So ist es auch verständlich, daß das Gouvernement als seine Vertreter in der Reichsduma zwei Litauer aus Kowno  , Andrej Bulät, einen Sozialrevolutionär, und Peter Leonas, einen konstitutionellen Demokraten erwählte, und be- zeichnend für die Stimmung in der Landbevölkerung ist, daß sie, als die Zahl der Abgeordneten für das Gouvernement im Jahre 1907 von zwei auf einen herabgesetzt wurde, nicht den konstitutionellen Demokraten, sondern den Sozialrevolutionär mit seinem radikalen Agrarprogramm wählte. Eine höherstehende jüdische Intelligenz von einiger politischer Bedeutung gibt es in Suwalki   nicht; da- gegen im nördlichen Teile mit dem Zentrum in Wilkowiski und Mariampol gut organisierte marxistische und zionistische Arbeiter- vereine. Im übrigen hat die jüdische Intelligenz ihren Rückhalt in Grodno  , Kowno   und Bjalystok. Die Zukunft des Gouvernements in sozialer und Wirtschaft- lichcr Beziehung wird aber wohl im wesentlichen davon abhängen, ob es gelingt, dre Agrarfrage, die heute Litauer und Polen  , das sind Bauern und Großgrundbesitzer, scharf voneinander trennt, glücklich zu lösen. Gegenwärtig gibt es gegen 200 000 Seelen Land- loser außerhalb der Städte, und Suwaln stellt einen ungeheurn Prozentsatz für die Sachsengängerei und sonstige Wandetarbeit im Westen. Zur Vorbeugung gegen Seuchen ergreift Dr. Rosenthal in der Feldärztlichen Beilage zurMün- chener Medizinischen Wochenschrift" das Wort. Zu Kriegszeiten muß aus einer ganzen Reihe von Gründen mit einer erhöhten Seuchengefahr gerechnet werden, ganz besonders jetzt, da das hygienisch wie überhaupt so weit rückstandige Rußland zu unseren Feinden gehört. Eine solche Gefahr pflegt immer gleichzeitig über- trieben und unterschätzt zu werden, und gegen beides muß eine warnende Stimme erhoben werden. Das ist besonders notwendig, weil weder gegen die Cholera, noch gegen den Typhus eine voll- kommene Sicherheit gegeben ist. Der Einwand, daß die Krieg- führung die Grenze und damit auch die Einschleppung von Krank- heiten besser absperre, als es in Friedcnszeiten geschehen könnte, ist nicht zutreffend. Außerdem gibt es freilich eine Schutzimpfung sowohl gegen Cholera wie gegen Typhus, aber sie haben zwar einen zunehmenden Erfolg, geben aber doch keine unbedingt zu- verlässige Bürgschaft für die Verhütung einer Seuche. Allein die Kriegsgefangenen und Deserteure sind Träger einer möglichen Uebertragung der Krankheitskeime au? dem Feindesland. Außer- dem können leider unter unseren eigenen Truppen Erkrankungen vorkommen, wenn sie verseuchte Orte im Feindesland besetzen. Daß die Cholera schon durch die russische   Mobilmachung eine starke Ausbreitung von den südlichen und inneren Provinzen, wo sie seit Jahren herrscht, nach den Grenzgebieten erfahren hat, ist als eine Tatsache zu betrachten, und auch Dr. Rosenthal ist der Meinung, daß die 562 Todesfälle, die unlängst aus Moskau   in einer Woche alsakute Magendarmentzündung" genannt wurden, eigentlich auf die Cholera zu deuten find. Die Schutzimpfung nach dem bisherigen Verfahren ist schon aus dem Grunde keine be- sonders verlockende Maßnahme, weil sie eine mehrtägige Erkran- kung und zuweilen recht hohes Fieber hervorruft, so daß man wohl kaum eine ausrückende Truppe in dieser Weise behandeln kann. Daher ist es besonders nötig, daß jeder einzige, ob er nun selbst im Felde tätig oder auf seinem heimischen Posten geblieben ist, gewisse Regeln als feste Gewohnheiten annimmt, die ihn selbst vor Frantzoise schwang sich kühn über die Brüstung des Fen- sters, erfaßte eine der Eisensprossen und schwebte in der freien Luft. Sie begann herabzusteigen. Ihre Röcke behinderten sie sehr. Plötzlich löste sich ein Stein aus dem Geniäuer und fiel mit einem dumpfen Klatschen in die Morelle. Vor Schreck erstarrt, war sie stehengeblieben. Aber sie merkte, daß der Wasserfall mit seinem beständigen Rauschen auf eine gewisse Entfernung jedes Geräusch übertönte, welches sie machen könnte, und sie stieg nun kühner hinab, mit dem Fuße zwi- schen dem Efeu nach den Sprossen tastend. Als sie sich iy gleicher Höhe mit der Stube befand, welche Dominique als Gefängnis diente, hielt sie an. Eine unvorhergesehene Schwierigkeit aber hätte sie bald all ihres Mutes beraubt. Das Fenster mit der Unterstube befand sich nicht genau unter dem Fenster ihrer Stube, sondern war ein Stück von der Leiter entfernt, und als sie die Hand ausstreckte, traf sie nur die Mauer. Sollte sie wieder hinaufsteigen, ohne ihren Plan zu Ende zu führen? Ihre Arme erschlafften, das Murmeln der Morelle zu ihren Füßen fing an. ihr Schwindel zu ver- Ursachen. Da löste sie kleine Kalkstückchen auS der Mauer und warf sie nach Dominiques Fenster. Er hörte nicht, viel- leicht schwieg er. Sie bröckelte fort und fort Kalkstückchen ab, sie riß sich die Finger wund. Und sie war am Ende ihrer Kraft; sie fühlte schon, wie sie rücklings herabstürzte, als Dominique endlich behutsam öffnete.. Ich bin's." flüsterte sie.fasse mich geschwind! Ich falle!" Es war das erstemal, daß sie ihn duzte. Er beugte sich hinaus, packte sie und zog sitz in die Stube. Hier erfaßte sie ein Tränenkrampf: aber sie unterdrückte ihr Schluchzen, um nicht gehört zu werden. Mit einer äußersten Anstrengung gelang es ihr, ruhig zu werden. Wirst Du bewacht?" fragte sie mit leiser Stimme. Dominique, der noch ganz verblüfft war ob ihres Er­scheinens. machte ein Zeichen nach der Türe hin. Auf der anderen Seite vernahm man ein Schnarchen: die Schildwache, vom Schlaf übermannt, mußte sich quer vor die Türe gelegt haben, in der Meinung, daß der Gefangene auf diese Weise nicht entschlüpfen könnte. Du mußt fliehen," fuhr sie lebhaft fori.Ich bin ge- kommen. Dich darum zu bitten und vor Dir Abschied zu nehmen." Aber er schien sie nicht zu verstehen. Er rief einmal übers andere: Was! Du bist's! Du bist'sl O. wie hast Du mich erschreckt! Du konntest den Tod finden!" Er faßte ihre Hände und küßte sie. Worts, folgt.)'