Nr. 204.- 1914. Unterhaltungsblatt ües vorwärts Donnerstag, 13. Oktober. Der Hausftratege. Von Paul Reno. Er war Beamter bei einer Grohbank, in einem Warenhaus oder . nfellionsgetchäft oder irgendeinem Aschingerunternehmen mit »uiidertiiintiindsiebzig Mark Gehalt. Morgens um neun Uhr kam er i»S Bureau und ging, mit �wei Stunden Tischzeit, um sieben Uhr nach Hause. Am Sonntag fuhr er mit seiner ffreundin nach Hunde- tehle oder Grünau oder, kurz nach dem Ersten, noch weiter hinaus in die Mark. Niemand abnle, was in dem Jungen steckte, und er hätte regelmähig jedes Jahr seine Zulage bekommen, bis er drei- hundert Mark verdient hätte, wenn nicht die Not der Zeit seine un- veraleichlichen Eigenichaften treibhausartig entwickelt hätte, die still in seinem Innern ruhten. Wenn unsere Staatsmänner und General- stäbler jetzt von ihm hören, müssen sie unter dem Vorwurf zu- sainmenbrechcn, eine solche Persönlichkeit verkannt und in einem Bureau gelassen zu haben. Aber man hat es ihm wirklich nicht an- sehen können, daß er ein solch hervorragender Diplomat und Stratege ist. ffrenkden gegenüber war er immer bescheiden und auch seine schnoddrige Art zu sprechen, mutzte nur seine innere Furcht verdecken. Seit dem 2. August hat er sikh aber gründlich geändert. Stolz ist seine Heldenbrust geschwellt, denn er tragt in seinen inneren Rock- taschcn die genauen Einzelheiten aller Länder der Welt. Und seine Zurückhaltung ist geschwunden. So spannt er die Neugierde auf die Folter, schlictzt sie gleichsam in die eiserne Jungfrau, und heute, wo jeder Neuigkeiten wissen will, hat er mit seinen Fragen Glück. Er weitz einfach alles. .Sehen Sie', und erzieht aus einer der alphabetisch geordneten Taschen eine Landkarte,.unsere Lage ist glänzend, dieier Durch- marsch durch Belgien ist geradezu ein genialer Slrategenstreich sin KriedenSzeiten hätte er gesagt ein strategischer Geniestreich). Wir stehen hier' und er spietzt mit einem Fähnchen ganz Brüssel auf..Wir marschieren jetzt über Lille und AmicnS, rollen die französische Nordarmee auf und setzen uns in Rouen fest. Inzwischen haben die elsässischen Armeekorps Nancy genommen, stellen den Feind in der Marneebene, werfen ihn auf Pari» zurück, das sich au« Uebervölkerung übergeben mutz, sonst wird eS einfach zusammen- geschossen.' .Aber unsere Südtruppen stehen doch erst bei Mülhausen ?' Er lächelt Überlegen. .Sie haben eben keine Ahnung, mein Bester. Das mit Mül- hausen ist ein altes Kriegsspiel, das schon der jüngste Leutnant im Kasino im Traum löst. Unsere Truppen stehen schon viel tiefer in Frankreich .' -?- .Na ja, die Zeitungen. Meinen Sie denn, die haben eine Ahnung? Ich habe meine Nachrichten auS erster Hand, denn mein Onkel, der Hauptmann im Generalstabe...' ' .In meiner bescheidenen Stellung habe ich früher nickit gern davon gesprochen.' Er hat auch einen Vetter im Martneministerlum und befördert auf Wunsch deutsche Truppen über Antwerpen . Vlissingen oder Helgoland nach Grotzbritannien. In eine harmlose Unterhaltung platzt er plötzlich hinein..Jetzt lvenn die Kanonen sprechen, müssen wir schweigen'. Und dann spricht er. Er packt eine ungeheuere russische Landkarte auf den Tisch..Die Hauptsache ist. da? wir mir, Frankreich fertig werden. ehe Ruhland kommt. Hier unten in Schlesien und Posen haben wir nichts zu befürchten, da schneidet Rutzland zu schmal in Deutsch - land hinein: aber in Westpreutzen und Ostpreutzen drückt es mit feiner ungeheueren Landmasie auf uns. Die feindlichen Truppen haben genügend Aufmarschgelände, können sich breit entwickeln. Das Gute ist nur. datz das russische Heer sich in einem erbärmlichen Zu- stände befindet.' Den Onkel der Schwägerin seiner verheirateten Schwester hat «r zum vortragenden Rat im Ministerium de« Aeutzern avancieren lafien, und so kennt er heute schon die Landkarte nach dem Kriege. Belgien , die russischen Ostseeprovinzen deutsche Reichslande, ein selbständiges Königreich Polen unter deutscher Oberhoheit als Puffer zwischen Ruhland und un», Serbien gibt eS nicht mehr und die neutralen Staaten erhalten zur Belohnung:... Ich tagte ja. alle haben diesen Kommis mit hundertfünfund- siebzig Mark Monatsgehalt verkannt. Ueber Nacht ist er der am besten unterrichtete Mann und der mächtigste geworden. Er führt den Krieg und zerteilt Europa , er lätzt seine ganze Verwandtschaft in die höchsten Aemter aufrücken, und er wird auch wirklich bald glauben, datz alles wahr ist. was er uns erzählt. Datz eine solch unschätzbare Kraft noch immer tatenlos zu Hause sitzen mutz, will mir Nicht in den Kopf. .WaS sind Sie eigentlich in Ihrem Militärverhältnis?' fragte »ch eines Tages unseren Strategen. .Landsturm ohne Waffe.' Aussprache von Kriegsnamen. Von W. H o l z m e i e r/ Wie aber, wenn die beiden zusammentreffen, das sz und das oz? Polnisch wie Russisch haben eine Leidenschaft, die beiden zusammenzubringen. So sehr, datz die Russen sogar?i,.ien eigenen Buchstaben für die Lautverbindung schrsch haben. Die Polen aber müssen sich schon dazu verstehen, in diesem Falle vier Buchstaben- zeichen anzuwenden, nämlich ezoz. Der König Stanislaus Leizczynski wird also geschrieben wie F'gura zeigt und spricht sich(oder sprach sich) wie leschtichynski. Also das mutz man machen können: beim Schreiben keinen von den vier Buchstaben vergessen und beim Sprechen etwas gewandt sein. Denn allzu schwierig ist es ja dies- mal nicht. Schwieriger wird eS erst, wenn die Lautverbindung am Anfang steht. Aber auch nicht allzu schwierig, finden'wir. Man braucht sich wirklich nicht mit Zitzepanski zu helfen, wenn man Szozspanslci geschrieben sieht: man bringt es gewitz fertig, wenn auch nicht gerade schtschepanjski, so doch schlschepanSki zu tagen, und das genügt. Und nun versuche man einmal ganz ruhig und entschlossen, den Namen des OrteS Szczuczyn auszusprechen, der zurzeit wohl im Armbereich des Herrn von Hindenburg liegen wird. Er heitzt Schtschutschhn, nicht wahr? Das geht doch? UebrigenS wird man ihn auf manchen Karten auch so geschrieben finden. Denn man umschreibt diese polnischen Zischlaute ganz gern im Deutschen , und dagegen ist ja auch gar nichts einzuwenden. Kehren wir jetzt zu dem tröstlichenPichemtz'l' meines Freundes zurück; die Festung Przornz�l wird ja ohnehin in der nächsten Zeit wohl eine grotze Rolle spielen. Da wird dem aufmerksamen Leser zunächst auffallen, datz das vorgeschriebene j hinter dem s bei dieser Aussprache weggefallen ist. Aber das macht nicht«: das wird auch übrigens schon mit darin gewesen sein: die deutschen Ohren konnten es nur nicht auffassen ganz im Ernst, so liegt ohne Zweifel die Sache. Also das ist eS nicht, weshalb wir auf das Wort zurück- kommen. Sondern es handelt sich jetzt um die sehr wichtige und häufige Laulverbindung prz. Sie klingt wirklich nickt so halsbrechend wie es aussieht. Nämlich das z ist blotz ein Aussprachezeichen. E« soll blotz bedeuten, datz da« r hier in be- sonderer Weise ausgesprochen wird, und zwar wie das französische j oder das deutsche weiche ich. Der Name Przeworsk klingt also wie Picheworsk. Datz es so ist, erkennt man auch daran, datz rz genau dem tschechischen r mit dem Winket darüber, dessen Spitze nach unten gekehrt ist, entspricht. Da wird also das z einfach durch diesen Winkel vertreten. Wie aus dem r ein weiches sch werden kann? Nun, dieses sch ist eben ein aspiriertes weiches s, und in s verwandelt sich ja das r leicht in allen Sprachen. Dem hochdeutschenwar' cnt- spricht das plattdeutsckewas'; was im Griechischen bei dem Neuatliker Zlenophon tbarolu(mutig sein) heitzt, das lautet bei dem älteren Thukydides ttrareslu, und das lateinische Wort oorpus(Körper, Körperickasl) heitzt im zweiten Fall oörxoris: der Stamm oorpor verwandelt also im ersten Fall, wo er ohne Endung austritt, sein o in u und sein r in e. Nebenbei gesagt, aus diesem corpus ist das französische oorpe geworden, nach dem historischen Prinzip ge- schrieben, aber gesprochen wie korr oder kohr; da eS bekanntlich vor allem auchHeereskörper' bedeutet und deshalb jetzt in jedermanns Munde ist, so wollten wir doch die Gelegenheit noch eben wahr- nehmen und auf diese Aussprache hinweisen; man darf auch im Dentscken nicktArmeekorptz" sagen. So also wird aus einem r ein weiches f und dann ein weiches sch. UebrigenS behaupten die Polen , wenn man das rz richtig sprechen wolle, so müsse man doch eine letzte Spur des r leise mit- rollen lassen. Aber das kann nur ein Pole machen. Wir wenigstens bedanken uns. Wir haben uns einmal bemüht, es einem jungen Schweden reckt zu macken, der uns klar machte, datz man Nordenskjöld wie nuhdenichöld aussprechen müsse, aber so datz man da« r dock mithöre: c» war auch am berühmten Stammtisch, und da» Radebrechen dauerte eine kleine halbe Stunde; aber ein- mal und nie wieder: so was kann nur ein Landeseingeborener machen I DoS rz tritt nicht blotz hinter p auf, sondern auch hinter anderen Mitlauten, z. B. b und d. Brzeia.ny lautet wie Bscheschanh(zwei weiche sck I) und ckrzova(Bäume) wie dschewa. Auch zu Anfang des Wortes findet es sich: Rzsszäv in Galizien spricht sich wie sckeschuww. Selbst hinter Slimmlauten kommt eS vor: XaUrzyns. (Katharina)--- kaiaschina, kusnierz(Kürschner)--- kutznieich. Der Drucker heitzt änikarz(drukasch), und der Setzer übrigens zsosr (setzer, genau wie im Deutschen ); natürlich sind dies Lehnwörter aus Gutenbergs Zeit. Und nun lue man un« den Gefallen und spreche möglichst schnell den Namen des Orteö Szozebrzeszyn auS, der auch in der Nähe der Stelle liegt, wo Dankl und Auffenberg gesiegt haben: es klingt natürlich wie scktschebscheschyn und geht ganz leickt, nicht wahr? Eben, wenn man erst die Prinzipien kennt, die Prinzipien der pol- nischen Rechtschreibung l Es gibt noch einen rein polnischen Buchstaben, das durchstrichcne 1, L; es bezeichnet ein hartes l, aus dem Gaumen gesprochen, indem man die Zunge fest an die oberen Zähne legt: man braucht es wohl nicht nachzumachen, aber man mutz darauf achten, datz man es im Druck, namentlich auf der Karte, nicht für ein t hält: ilolkisv---- scholkieff, 3Lodz--- lobst. Ueber den polnischen Nasallaut sprachen wir schon beiläufig. Er wird durch(- ong, nicht ang) und durch y< eng) be­zeichnet, aber im Deutschen gewöhnlick durch nachgesetztes n oder m ersetzt; man schreibt meist Dombrowski statt Distbro-wski, Krenski statt Kr�ski. Die m polnischen wie russischen Namen so häufige Endung ow lautet im Polnischen eigentlich 6w, mit dem Akzent, und das o soll fast wie u klingen, die Silbe also wie uff; doch kann man wohl ruhig beioff' bleiben: Torrmszü-w tomaschuww oder tomaschoff. Schlietzen wir nun abermals mit Lemberg , wie schon früher einnial: polnisch heitzt es I/rvö-w-(lwuww, lwoff); der Name ist der 2. Fall der Mehrzahl vom Stamme kw= Löwe, so als wenn das Wort auf deutsch soviel wie Löwenberg hiehe; es soll aber, wie gesagt, von.Leoberg" kommen, was denn ja schlietzlich ungefähr das- selbe wäre. Nun ein paar Worte über da» Russische. Es ist daS wirklich mit wenigen Worten abzumachen. Die Russen haben bekanntlich ihr eigenes Alphabet und ihre eigenen Buchstaben, die den griechischen näher verwandt sind als den lateinischen, weil die Russen doch ihr Christentum von Konstantinopel her bekommen haben. DaS hat den Vorteil gehabt, datz die West- und mitteleuropäischen Völker die russischen Wörter mit den in ihrer eigenen Sprache für die be« treffenden Laute gebräuchlichen Buchstaben für sich umschreiben mutzten. So sieht denn auch der Deutsche die Namen Iwanow und JswolSki gleich in einer ihm mundgerecht gemachten Form vor sich. Es kommen dabei kleine Abweichungen vor: man setzt wohl für das w am Ende(das man mitsprechen mutz) ein ff, so datz eS dann Jwanoff heitzt(die Franzosen fchreiben Ivanoy; aber daS macht ja nichts aus. Was die russischen Buchsfsiben anlangt, um darüber noch ein paar Worte zu verlieren, so sind eine Reihe von Zeichen dabei, die weder von griechischer noch lateinischer Art sind, weil sie be- sondere, dem Russischen eigene Laute bezeichnen. Für den Fall, datz man sie einmal auf Bildern zu sehen bekommt, als Ausschriften oder Abzeichen oder so, wollen wir folgende besondere Eigentümlichkeiten anmerken. Das russische n sieht wie ein grotzes lateinisches HauS; darum haben die brandenburgischenKllrassiere dieses II auf den Schulterklappen, in Erinnung an Nikolaus I. Das grotze lateinische dl gibt es auch bei den Russen, aber in verdrehter Form, so datz der schräge Strich von unten links nach oben rechts geht, und diese« Zeichen bedeutet i. Das w, das am Ende so häufig ist, wird durch das große lateinische B ausgedrückt, während hinwiederum das russische b ein latemisches B darstellt, dessen oberer Bogen winkeleckig gemacht und nicht ganz zugezogen ist. Das y wird durch eine Buchstabengruppe ausgedrückt, die aus einem kleinen lateinischen d mit daneben gestelltem grotzen i besteht, während das richtige lateinische grotze y vielmehr u bedeutet: trägt eS ein Kosak auf den Achselklappen, so bedeutet da«, er ist ein Uralkosak usw. Also man laste sich nicht durch Aehnlichkeiten täuschen. Mehr möchten wir vom Russischen nicht sagen. Die Serben sodann benutzen ein dem russischen ähnliches Alphabet, und ihre Namen werden also auch umgeschrieben. Dagegen möchten wir zum Schluß noch eine andere Sprache kurz heran- ziehen, nämlich das Ungarische. ES ist daS von großer Bedeutung, weil im Ungarischen zum Teil dieselben Buckstabengruppen widerkehren, die wir im Polnischen fanden, aber mit anderem Lautwert. Das ungarische cz bedeutet tz und nicht tsch; z. B. Debreczen(so heitzt es auf ungarisch :Debrecziu' ist deutsche Mode) w>rd gesprochen wie Debretzcn(alle ungarischen Wörter haben den Ton auf der ersten Silbe. Das az sodann klingt im Ungarischen wirklich wie tz, nicht wie sck, z.B. Lzsgoä(Szegedin) sprich wie heged. Wie sch wird nur das s zuweilen am Ende aus- gesprochen; ein besonderes Zeichen gibt eS dafür nicht. Da­gegen gibt es ein Zeichen für tsch; aber eS ist nickt das polnische oz, sondern vielmehr es; der seinerzeit vielgenannte Minister schreibt sich Bukaes(nicht Lukaez) und spricht sich lukatsck. Das weiche sch, da« der Franzose durch j ausdrückt und der Pole durch i, sieht vollends im Ungarischen so aus: zs. Die Stadt Pretzburg z. B. heißt auf ungarisch Pozsony, sprich poschonj', und der Name Elisabeth heißt Ersssdst, erschcbet. Da« mit dem Ton auf der ersten Silbe sodann ist wahr, trotz den Akzenten, die so viele ungarische Stimmlaule Halen und die oft dagegen zu sprechen scheinen. Der Geburlsort von Nikolaus Lenau heitzt Csatää und man spricht eS wie tschattahd, mit dem Ton auf der e r st e n Silbe; denn ein Akzent über einem ungarischen Stimm- laut bedeutet nur, datz der Stimmlaut lang zu sprechen ist, sonst nichts, und bat mit der Betonung der Silbe nichts zu tun. Und damit möge es genug sein. Hoffen wir, datz sie alle bald in Frieden wieder werden miteinander sprechen können und sich einer um des andern Eigenheiten wieder in Liebe und Freundschaft kümmern können, aufs höchste im Tone heiterer Neckerei! 81 Die Erstürmung öer Mühle. Von Emile Zola . Alles was Sie fordern", versetzte der Müller mit seinem gewohnten Phlegma.Nur fürchte ich, daß das so leicht nicht sein wird." Der Offizier hatte sich gebückt, um einen Zipfel des Mantels aufzuheben, welcher das Gesicht des Gemordeten bedeckte. Eine gräßliche Verwundung wurde sichtbar. Di« Wache war in die Kehle gestochen worden, und die Mordwaffe stak noch in der Wund«. Es war ein Küchenmesser mit ichwarzeiil Griffe.'''' Seht dies Messe, an," rief der Offizier dem Vater Rsrlier zu;vielleicht wird es uns in unseren Nachforschungen fördern." Der Gre's hatte bei diesen Worten gezittert. Aber er faßte sich sogleich wieder und antwortete, ohne daß eine Muskel seines Gesichts zuckte: Jedes Haus in unserer Gegend besitzt solche Messer; vielleicht ist Euer Mann des Krieges überdrüssig geworden und bat selbst Hand an sich aelegt." Schweigt!" herrschte der Offizier dem alten Mann wütend zu.Ich weiß nicht, was mich zurückhält, das Nest an allen vier Ecken in Brand zu stecken." Der Zorn verhinderte ihn glücklicherweise, die tiefe Er- schiitterung zu bemerken, von welcher das Gesicht des fungen Mädchens betroffen wurde. Sie hatte sich auf die Steinbank neben dem Brunnen setzen müssen. Ihre Blicke blieben un- willkürlich auf dem Leichnam haften, welcher fast dicht vor ihren ZFüßen ausgestreckt lag. Es war ein großer stattlicher Mann, welcher mit seinem blonden Haar und seinen blauen Augen Dominiaue äbrsich sah. Diese Aehnlichkeit traf sie ins Herz. Sie dachte daran, daß der Tote vielleicht auch dort hinten, in Deutschland , eine trauernde Liebste zurückgelassen hatte. Und sie erkannte ihr Messer in der Kehle des Er- mordeten. Sie sie hatte ihn getötet. Unterdessen sprach der Offizier von schrecklichen Maß- regeln, die er über Recreuse verhängen würde, als Soldaten herbeigelaufen kamen. Man war soeben erst hinter den Aus- bruch Dominiques gekommen. Dies Ereignis verursachte eine außerordentliche Aufregung. Der Offizier begab sich an Ort und Stelle, schaute durch das offengebliebene Fenster, begriff den Sachverhalt und kehrte wutschnaubend auf den Hof zurück. Vater Merlier schien über Dominiques Flucht höchst be- troffen zu sein. Der Dummkopf!" sprach er leise;er verdirbt alles!" Frantzoise hörte sein Wort und wurde von Angst er- griffen. Ihr Vater argwöhnte die Mitschuld seiner Tochter nicht im entferntesten, ffr schüttelte den Kopf und sprach halblaut zil ihr: Jetzt wird's uns schön ergehen!" Dieser Schuft ist's gewesen! Dieser heillose Schuft!" schrie der Offizier.Er wird sich in den Wald geflüchtet haben. Aber er muß gefunden werden oder das Dorf soll für ihn bluten!" Und sich zu dem Müller wendend, fuhr er fort: Hedal Ihr müßt's wissen, wo sich der Kerl versteckt hat!" Vater Merlier deutete mit seinem schweigsamen Lächeln auf die lange Kette der waldbestandenen Hügel. Wie soll man dort einen Menschen finden können?" Ohol Es wird Sckstupfwinkcl dort geben, die Euch wohlbekannt sind. Ich werde Euch zehn Mann mitgeben. Ihr sollt ste führen." Das will ich schon tun, nur wird man ganz gut eine Woche brauchen, um alle Wälder der Umgegend abzusuchen." Die Ruhe des Greises setzte den Offizier in Wut. Er sah tatsächlich die Lächerlichkeit einer solchen Streife ein. In diesem Augenblick traf sein Blick auf das bleich und zitternd auf der Steinbank sitzende Mädchen. Die angsterfüllte Hol- tung desselben fiel ihm auf. Er schwieg eine Zeitlang, wäh- rend er bald den Müller, bald Frantzoise betrachtete. Ist der Schuft," wandte er sich endlich mit barscher Frage an den Greis,nicht der Liebste Eurer Tochter?" Vater Merlier wurde leichenblaß; man konnte glauben, er würde sich auf den Offizier werfen, um ihn zu erwürgen. Er reckte sich empor, aber gab keine Antwort. Franxois hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt. Ja. so ist's," fuhr der Preuße fort,Ihr selbst oder Eure Tockster habt dem Schuft zur Flucht verholfen. Ihr seid seine Mitschuldigen.... Ich frag' Euch zum letzten Male� wollt Ihr ihn ausliefern?" Der Müller gab keine Antwort. Er hatte sich zur Seite gewendet und schaute mit gleichgültiger Miene in die Weite, als ob der Offizier nicht zu ihm gesprochen hätte. Das brachte den Zorn des Offiziers auf den Höhepunkt. Gut denn!" erklärte er;dann werdet Ihr an seiner Stelle erschossen!" Und er befahl abermals eine Exekutionsrotte zum Auf- marsch. Vater Merlier behielt seine Ruhe. Er zuckte kaum leicht mit den Achseln: dieses ganze Drama erschien ihm von äußerster Bedeutungslosigkeit. Wahrscheinlich glaubte er nicht, daß man einen Menschen so ohne jede Förmlichkeit er- schießen würde. Als die Rotte aufmarschiert war, sprach er mit Nachdruck: Also ist'S Ernst?... Mir schon recht! Wenn Ihr ab- solut ein Opfer haben müßt, dann ist's besser, ich bin's als ein anderer." Aber Franyoise war in die Höhe gesprungen und stam­melte von Sinnen: Gnade, Herr, Gnade! Fügen Sie meinem Vater kein Leid zu! Töten Sie mich an seiner Stelle.... Ich habe Dominique zur Flucht verholfen. Ich allein bin schuldig." Schweig doch, Kind!" rief Vater Merlier.Warum lügst Du?... Sie ist die Nacht hmdurch in ihrer Kammer eingeschlossen gewesen. Herr. Sie lügt, verlassen Sie sich darauf." Nein, ich lüge nicht," rief das junge Mädchen mit Feuer.Ich bin am Fenster hinuntergeklettert, Hab Domi- mque zur Flucht getrieben: Das ist die Wahrheit, die volle einzige Wahrheit!" Der Greis war leichenblaß geworden. Er sah's ihr frei- lich an den Augen an. daß sie nicht log: und diese Kunde er- füllte ihn mit Entsetzen. Ah! Die Kinder mit ihren der- liebten Herzen! Wie sehr verdarben sie alles! Und dann wurde er ärgerlich.(Forts, folgt.)