Nr. 217.- 1914.

Unterhaltungsblatt öes vorwärts

Freitag, 39. Oktober.

Der Mbeitsbursche. Skizze von Ernst Preczang . Sie saßen am Kaffeetisch: Vater und Mutter Wiedemann und die beide» Enkellinder. Die Tür zum Nebenzimmer war nur angelehnt. Wenn sich die Kinder einmal ganz still verhielten, so still wie die Alten, dann hörte man die tiefen Atemzüge einer Schlafenden aus dem anderen Raum. Der Tag war erst im Werden. Er brauchte stets längere Zeit, ehe er aus den Stuben, die nach dem Hofe zu lagen, die Nacht ver- drängte. Das Dunkel war hier von einer besonderen Hartnäckigkeit. An wolkigen Tagen wie heute setzte es dem Licht einen schier un- überivindlicken Widerstand entgegen. Trotzdem las Vater Wiedemann s�jne Zeitung. Für die groß- gedrucklen Kriegsnachrichten reichte das Dämmerlicht aus. Und für die Inserate auch. Wieder einer hinüber.' Vater Wiedemann hob den Kopf. Kollege Krüger... Kopfschuß..., nee, Du kennst ihn nicht. Mutter. Hat früher bei Borsig mal neben mir gestanden. Hab'n gern ge- habt. Ack ja." Er seufzte und legte die Zeitung fort.Sie fallen wie die Fliegen." Mutter Wiedemann stellte die Tasse vorsichtig auf den Unter- satz, wischte sich mit dem Handrücken den Mund, nickte und sagte halblaut:.Ich kann'S gar nicht ausdenken, daß auch unser Albert" Hoffentlich nicht... Hoffentlich brauchen wir's nie auszu- denken, Mutter." Er erhob sich und trat an's Fenster.»ES hat keinen Zweck, sich vorher Kopfschmerzen zu machen." Nee". Mutter Wiedemann stand auf.Wir haben schon so viel, wie wir brauchen... Hanseken", sie wandte sich an den sieben« jährigen Knaben.Wird Zeit in die Schule. Deine Stullen sind schon in der Mappe". Hans steckte den Rest seiner Schrippe in den Mund und trank hastig den Kaffee aus:Kommt Vater bald wieder, Großmutter?" Na." Sie lächelte.Heute wohl noch nicht, meine Junge. Aber Du kannst ihm ja mal schreiben. Du k a n n st doch schon schreiben?" Alle Buchstaben I" Hansens Augen strahlten.Auch die großen. Aber ich schreib'n ganz langen Brief." «DaS tu man. dann freut Vater sich." Sie gab ihm die Mappe unter den Arm. strich ihm das braune Haar glatt und setzte ihm die Mütze auf.So". HanS reichte allen die Hand und ging. Vata soll tomm", sagte Klein-Annchen. Gewiß doch, Puppe." Die alte Frau nahm das Kind, reinigte 'hm den Mund und setzte es in eine Ecke des Zimmers auf eine Decke.So. Nu spielt Klein-Annchen." Sie reichte dem Kinde Spielsachen und begann, den Tisch abzuräumen. Vater Wiedemann kratzte in seinem Tabakskasten herum:Die letzte Piep. Nu werd werd ich mir wohl vaterländischen Havanna vom Kartoffelfeld holen müssen." Das Lualmen ist übrig, Anton." Vater Wiedemann lachte leise:Der Spruch kann auch b�ld n ehrwürdiges Jubiläum seiern." Er zündete die Pfeise an. Heut spricht jeder Groschen mit. Früher hat Albert gesorgt, letzt?" Sie machte eine Geste nach dem NebenzimmerWaS meinst Du. wann sie gestern zu Bett gegangen ist?" Zwölf war'S durch." Ja. Sitzt und sitzt und läßt den Faden nicht abreißen. Geht das so weiter, dann findet Albert'ne totkranke Frau, wenn er nach Hause kommt." Wenn er sie noch findet." Vater Wiedemann gab der Näh- Maschine am Fenster einen Stoß mit dem Fuß.Am liebsten Ichmiß ich das Ding auf'n Hof." Damit kommen wir auch nicht weiter." Der Alte sog ergrimmt an der Pfeife.Aber die Schwind- sucht, was, die bringt uns weiter?" Na. noch haben wir sie nicht, und" sie horchte plötzlich nach der Tür:Ruhig l" Eine junge blaffe Frau trat ein. Zankt Ihr Euch schon am frühen Morgen?" Ach, Vater wollt' bloß Deine Nähmaschme auf'n Hof schmeißen." Die junge Frau lachte. Vater Wiedemann lächelte sie an und sagte:Morgen, Milchen. Du sollst doch nicht immer so lange" Ja, ja, Vaterken. Ich weiß schon. Das Lied fingst Du jeden Morgen. Aber die Kinder woll'n leben, und wir doch auch. Oder soll Albert'n großen Berg Schulden vorfinden, wenn er zurück- kommt? Daß er gleich wieder ausreiße» möchte?" Vielleicht reißt er auch aus, wenn"

Na, was denn?" Die junge Frau nahm Klein-Annchen und setzte sich mit dem Kinde auf's Sofa. Mutter Wiedemann goß Kaffee ein. Vata soll tomm" sagte Annchen. Ja, ja, mein Kind. Also, was denn Vaterken?... Du meinst, er reißt vor nr i r aus?" Er war immer stolz auf Dich, auf seine hübsche Frau." Den Luxus können wir uns eben nicht mehr leisten. Er kann ja auch stolz sein, weil ich meine Pflicht tu." Das ist nicht Deine Pflicht, uns Alten auch noch mit durch« zufuttern." Unsinn. Wenn Mutter die Kinder nicht besorgte, könnt' ich nicht so arbeiten. Und Du Du gibst doch Deine ganze Alters- rente mit'rein." Vater Wiedemann lachte grimmig auf:Nu sei still. Milchen, ja? Damit kannste Dir'nen Spatz fett machen." Es hilft alles. Ihr tut, was Ihr könnt. Und ich tue. was ich kann. Bastal" Sie blickte zur Wanduhr auf.Wenn Ihr mich bloß nicht immer so lange schlafen lassen wolltet!" Darüber gibt's keinen Streit mehr, was, Mutter?" Vater Wiedemann sprach energisch. Nee, Milchen." Die alte Frau legte die Hände übereinander und sah die Schwiegertochter ernst an:Darin sind Vater und ich ganz einig: Geweckt wirst Du nicht!" Die junge Frau lächelte:Mit Euch soll einer fertig werden I Was, Klein-Annchen?" Klein-Annchen schlug die Augen groß zur Mutter auf:Vata soll tomm." * Der alte Wiedemann hatte sich seinen alten, verschoffenen Paletot angezogen, eine Stulle eingesteckt und war ausgegangen. Er wollte, iagte er, einen läugeren Spaziergang durch die Stadt machen. Den Regenschirm hatte er auch mitgenommen, denn die Wolken hingen dick und grau über den Straßen. Es zwickte in den Zehen und muckerte im Knie, und Bater Wiedemann wurde an seinen Rheumatismus erinnert, der sich im Sommer höchst friedlich und zurückhaltend benahm, aber bei den ersten Herbstnebeln unge- mütlich wurde und nur durch sehr viel Wolle oder einen warmen Ofen zu beschwichtigen war. Es hilft nicht, dachte der Alte, ich muß die Knie durchdrücken. Und überhaupt:'n bißchen forsch! Denn wer nimmt so einen taperigen Graubart? Haltung mutz er sich geben und eine Miene, die an Bäume-Ausreitzen erinnert. Ja, Vater Wiedemann ging mit seinen achtundsechzig Jahren noch einmal auf die Arbeitssuche, nachdem er vor drei Jahren für immer, wie er damals glaubte. Feierabend gemacht hatte. Es war nicht schön, nein, aber sich selber als lastendes Gewicht für einen andern fühlen, das war erst recht nicht schön. Albert hätte das nie zugegeben und Emilie auch nicht. Aber der Sohn schlug sich irgend- wo mit den Russen herum, und die Schwiegertochter sollte einfach vor die vollendete Tatsache gestellt werdeu. Nickt einmal Mutter Wiedemann wußte etwas von seiner Absicht. Die hätte ihn einfach ausgelacht:So'ne alten Rösser kaust kein Mensch." Viel Hoffnung hatte er selber nicht. In seinem eigentliche» Berufe, als Schlosser, stellte ihn kein Mensch mehr ein. Aber cS gab ja leichtere Arbeiten. Dies und das, wovon er sich zunächst keine ganz klare Vorstellung machte. Man mußte nur suchen und nicht müde werden. Die Stiefelsohlen hielten's ja vorläufig noch aus. Und während Vater Wiedemann sich aufreckte und langsam die Siratze entlang wanderte, dachte er: Man müßte Verbindungen habenKonnexionen", wie das so schön heißt. Wen kenne ich? Wer kennt mich? Arbeitskameraden, ja. hundert. Arme Teufel wie ich. Aber Leute von Einfluß? Er suchte in seinem Gedächtnis. Und erinnerte sich schließlich eine? Schulkameraden, der später bei Borsig im Kontor gesessen hatte. Jetzt war er Prokurist in einem großen KonfeklionSgeschäft. Hm, man könnte eS wohl mal versuchen. Ein guter Rat würde vielleicht dabei herausspringen. (Schlutz folgt.)

Sruchftücke aus Solöatenbriefen von öer Westfront. L... den 1«. S. 1914. .... Mit der Fahrt nach B. war es zunächst noch nicht?, wir erhielten Gegenbefehl und gondeln j:tzt in Frankreich rum weit hinter der Front. Was jetzt mit uns wird, weiß ich noch nicht. Uns ist aber nicht mehr wohl, seit wir keinen Kanonendonner mehr hören. Die letzten ü Tage, wo wir bei N. in Feuerstellung waren, waren aber auch scheuhlich. Wir verloren fünf Richtkano-

niere auf einmal und dann hatten uns die Franzosen auch noch an einem Geschütz den Rohrrücklauf unbrauchbar geschossen. In der Schanze, in der ich stand und die ja recht gut ivar, sahen am letzten Tage nicht weniger wie 13 Volltreffer zwirkönnenfürjeden Schutz garantieren. Teutschland ist sehr mit dem Kriege verschont geblieben. Das ist aber mit und an unserer Grenze wie abgeschnitten. Saar - bürg und Umgegend ist wohl etwas mitgenommen, aber wenig im Verhältnis zu Frankreich . Und daß es bei Saarburg auch heiß hergegangen, beweisen die Massengräber..... Wer ahnte wohl, daß wir wieder so schnell über die Grenze kämen.... In einem anderen Feldbriefe werden uns Eisenbahn- strapazen geschildert: CT. , den 26. 9. 1914. Endlich nach 69 Stunden Bahnfahrt und einem Marsch von zirka 29 Kilometern sind wir hier in diesem Gau angekommen. Das war aber eine Fahrt, lieber Junge. Ich habe die ganze Tour auf einem offenen Güterwagen, hoch oben thronend auf einem Bcobachtungsposten mitgemacht; ich habe aber auch was gesehen! Ich bereue es nicht! Denke Dir nur: erst das ganze Saartal entlang, dann an der Mosel , über Trier , dann das Kill- tal über Sourbrodt, Röntgen, Eupen , HerbeStal, bei Aachen kamen wir weit vorbei. Die erste Gegend reich an Naturschönheiten, die letztere reich an Industrie. Von Herbestal ging es über die bel- gische Grenze. Jetzt hörte es natürlich mit den freudigen Begrüßungen und den überaus reichen und guten Spenden auf, denn das darf ich nicht vergeffen zu erwähnen, die Anwohner an der Strecke, die wir passierten, haben an Spenden Außerordentliches geleistet. Seit 3 Wochen fährt alle halbe Stunde Zug auf Zug und jeder wird versorgt mit Kaffe, Butter und sogar belegten Broten, Tabak und was sonst noch Genutzmittel sind; und dies stiften sie alles aus eigenen Mitteln. Da ging es uns also noch einmal gut und das freute uns sehr. lieber der Grenze merkte man ja sofort, daß man in Heindes- land ist: die vielen Wachen und Patrouillen. Von Zerstörung merkte man ja nicht viel, nur die verschiedenen Forts bei Lüttich und Namur .. Bei der Zivilbevölkerung ist alles, soweit sie Geschäft haben, im alten Gang, aber die meisten Betriebe stehen still, und das will für solch ein industriereickes Land wie Belgien etwas heißen. Mir hat es von der ersten Minute an gefallen und ich kau» uns nur dazu gratulieren. So etwas können wir doch noch nicht aufweisen. Der erste Teil außerordentlich reich an Naturschönhciten und der andere Teil reich an großartigen Gruben und Hüttenwerken, und dabei das ganze Land trotz des mehr- wöchigen Kriegszustandes noch so sauber, daß eS eine Freude ist, es anzusehen. C... ist auch ein ganz schöne? Städtchen und ich hatte da absolut nichts auszusetzen, aber jetzt kommt eines: Wir find in einer Kürassierlaserne einquartiert, die solltest Du sehen. Wir waren schon in St. D. in einer elenden Kaserne, aber die war noch Gold gegen das. Es ist das erste Mal. daß ich mich freute, in Deutschland Soldat zu sein. Die Artikel, die ich darüber schon früher gelesen habe, sind da noch zu milde abgefaßt. Bloß die Zimmer und Klosetts! Da mochte ich meinen Kodak sphotographi- scher Apparat) da haben. Also ich sage bloß, ich habe etwa» erlebt.

/lugenerkrantungen im Kriege. Es ist nickt unwahrscheinlich, datz in diesem Kriege die Zahl der an den Augen Verletzten erheblich größer sein wird, als im Ver- hältnis zu dem letzten großen Kriege, den Deutschland durchzumachen hatte, anzunehmen ist. Stieg doch der Prozentsatz der Augen- Verletzungen im russisch-japanischen Kriege um das Zweicinhalbfache des Krieges 1870/71. Sie machten über ein Fünftel aller Kopf- Verletzungen aus. Vermutlich ist diese Tatsache mit der erhöhten Wirksamkeit der im modernen Kriege verwendeten Sprengkörper in Verbindung zu bringen. Die meisten Verwundungen am Auge kommen durch Gewehrschüffe und Granatsplitter zustande oder durch indirekte Geschosse, die der Explosion eines Artilleriegeschosses ihr Da- sein verdanken, wie Steinsplitter. Sand und Erde. Dabei ist eS gar nicht nötig, daß das Auge unmittelbar getroffen wird. Es genügt schon eine Zertrümmerung der die Augenhöhle begrenzenden Gc- sichtSknochcn, um das Sehorgan erheblich zu gefährden. Da namentlich entzündliche oder Lähmungserschcinungen leicht auf da« gesunde Auge übergreifen, so darf man nicht den rechten Zeitpunkt versäumen, das verletzte Auge zu entfernen. Doch wird davor ge- warnt(Deutsche Medizinische Wochenschrist" 1914, Nr. 41), damit zu voreilig zu sein. Die Indikation zu diesem Eingriff pflegt erst

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vier Tage. Von W. M. G a r s ch i n.

Ich erinnere mich, wie wir durch den Wald liefen, wie die Flintenkugeln sununten, wie wir uns durch die Weiß- dornsträuche hindurchdrängten. Die Schüsse fielen immer häufiger. Am Waldrande zeigte sich etwas Rotes , das da und dort auftauchte. Ssidorow, ein junger Soldat aus der ersten Kompagnie(Wie ist er nur in unsere Linie geraten?" fuhr es mir durch den Kopf), hockte sich plötzlich auf den Boden nieder und schaute sich schweigend mit großen erschreckten Augen nach mir um. Aus seinem Munde quoll ein roter Blutstront hervor. Ja, ich entsinne mich dessen genau. Ich erinnere mich auch, wie, fast am Waldesrande, im dichten Gesträuch, ich... ihn erblickte. Er war ein großer, dicker Türke, doch ich rannte direkt auf ihn los, obgleich ich schwach und hager bin. Irgend etwas krachte, etwas wie mir schien Ungeheuerliches flog vorbei; in meinen Ohren be° gann's zu klingen.Da hat er wohl auf mich gefeuert," dachte ich. Doch er drückte sich mit einem Schrei des Ent- setzens rückwärts an einen vollen Weißdornstrauch. Man konnte den Strauch umgehen, allein er vergaß vor Schreck alles und kletterte auf die stacheligen Zweige hinauf. Mit einenl Stoß schlug ich ihm das Gewehr aus der Hand, mit einem zweiten versenkte ich mein Bajonett irgendwo hinein. Irgendwas hat da wohl gestöhnt, gebrüllt. Dann lief ich weiter. Tie Unseren schrien Hurra! fielen, gaben Feuer. Ich weiß genau, auch ich habe, als ich den Wald verließ und aufs Feld kam, einige Schlisse abgefeuert. Plötzlich ertönte das Hurra lauter und wir rückten alle schleunig vor. Das heißt nicht wir, sonderen die Unseren, denn ich blieb zurück. Mir schien das seltsam. Noch selt- samer war's aber, daß plötzlich alles verschwand; alle Schreie und Schüsse verstummten. Ich hörte nichts mehr, sondern sah nur etwas Blaues; es muß wohl der Himmel gewesen sein. Dann verschwand auch das.

Ich habe mich niemals in einer so seltsamen Lage bc- unden. Ich liege, scheint's, auf dem Bauche und sehe vor nir bloß ein kleines Stückchen Erde . Einige Grashalme,

eine Ameise, die an einem von ihnen mit dem Kopfe abwärts herunterklettert, irgendwelche vom vorjährigen Grase her- rührenden Kehrichtteils das ist die ganze vor niir liegende Welt. Und sehen kann ich nur mit einem Auge, weil das andere durch irgend etwas Hartes zugedrückt ist, wahrscheiu- lich einen Zweig, an den sich mein Auge anlehnt. Mir ist schrecklich unbequem; ich inöchte mich rühren, begreife aber durchaus nicht, warum ich's nicht kann. So vergeht eine Zeitlang. Ich vernehme das Gezirp der Grashüpfer, das Summen einer Biene. Sonst ereignet sich nichts. Endlich mache ich eine Anstrengung, befreie meine rechte Hand unter mir, und ich will niich, beide Hände am Boden aufstützend, auf die Knie erheben. Etwas Spitzes und Schnelles wie der Blitz durch­zuckt meinen ganzen Körper von den Knien zur Brust und zum Kopf und ich falle von neuem um. Wieder dunkel, wieder nichts. ** * Ich bin aufgewacht. Weshalb sehe ich die Sterne, die so bell am dunkelblauen bulgarischen Himmel glänzen? Bin ich denn nicht im Zelt? Warum habe ich dieses verlassen? Ich mache eine Bewegung und fühle einen peinigenden Schmerz in den Füßen. Ja, ich bin in der Schlacht verwundet worden. Gefähr- lich oder nicht? Ich greife nach den Füßen hin, da. wo es schmerzt. Das rechte sowohl als auch das linke Bein ist mit geronnenem Blut bedeckt. Sowie ich sie mit den Händen be- rühre, ist der Schmerz noch größer. Ein Schmerz wie Zahnweh: anhaltend, ans Herz greifend. In den Ohren ein Klingen, der Kops wird schwer. Dunkel begreife ich, daß ich an beiden Beinen verwundet bin. Was ist denn das? Warum haben sie mich nicht aus- gehoben? Sollten uns die Türken geschlagen haben? Ich beginne mich auf alles das zu besinnen, was mit mir vor­gegangen ist, zuerst trübe, alsdann deutlicher, und gelange zur Ueberzeugung, daß wir unmöglich geschlagen sein können. Denn ich bin umgefallen(dessen kann ich mich übrigens nicht erinnern: ich weiß nur noch, wie alle vorwärts liefen und mir etwas Blaues vor den Augen zurückblieb) und fiel auf der Wiese oben auf dem Hügel. Aus diese Wiese deutete unser kleiner Bataillonschef hin.Kinder, wir werden dort sein!" rief er uns mit seiner lauten Stimme

zu. Und wir waren da; also sind wir nicht geschlagen... Warum hat man mich denn nicht fortgetragen? Denn die Wiese hier ist ein freier Platz, alles ist zu überschauen. Und gewiß liege ich nicht allein hier. Sie feuerten so häufig. Man muß einmal den Kopf wenden und nachsehen. Jetzt kann man's bequemer tun, denn als ich noch, zu mir kommend, den Grashalm und die Ameise sah, die mit dem Kopfe ab- wärts kroch, und niich zu erheben versuchte, fiel ich nicht in die alte Lage zurück, sondern auf den Rücken. Daher sind mir auch die Sterne sichtbar. Ich will mich hochrichten und sitzen. Das geht schwer, wenn beide Beine zerschmettert sind. Man muß es einige- mal versuchen: endlich, mit Tränen in den vor Schmerz her- vorgedrungenen Augen, setze ich mjch. Ueber mir ein Fleck dunkelblauen Himmels, an welchen: ein großer Stern leuchtet und einige kleinere, ringsum ctivas Dunkles, Hohes. Es sind Sträucher. Ich liege im Gesträuch: man hat inich nicht gefunden! Ich fühle, wie die Haarwurzeln auf meinem Haupte sich bclvegen. Allein, wie bin ich in die Sträucher geraten, wenn sie mich auf der Wiese verwundet haben? Wahrscheinlich bin ich, verwundet, hierher gekrochen, vor Schmerzen besinnungs- los. Seltsam ist es bloß, datz ich mich jetzt nicht rühren kann, während ich doch bis zu diesen Sträuchern mich her- zuschleppen vermochte. Es kann jedoch sein, daß ich da nur eine Wunde hatte und«ine zweite Kugel mich erst hier erreichte. Blasse rosige Flecke tauchen nm mich her auf. Der große Stern ist verblaßt, die kleinen sind verschwunden. Da geht wohl der Mond auf. Wie schön ist's jetzt zu Hause!... Irgendwelche wunderliche Töne dringen zu mir her- über.... Als ob jemand stöhnen würde. Ja, das ist Ge- stöhn. Liegt etwa in meiner Rahe irgendein gleichfalls Ber - gessener, mit zerschmetterten Beinen oder mit einer Kugel im Leibe? Nein, das Stöhnen ist so nah, doch in meiner Nähe, scheint's, ist niemand.... Du, mein Gott, aber das bin ich ja selber! Leise, klagende Seufzer; ist's möglich, daß ich Ivirklich solche Schmerzen habe? Es muß wohl sein. Aber ich empfinde bloß den Schmerz nicht, weil es in meinem Kopfe wie Nebel, wie Blei liegt. Besser ivär's, sich hinlegen und einschlafen, schlafen, schlafen.... Werde ich aber auch jemals erwachen? Das ist ganz gleichgültig,(Forts, folgt.)