Nr. 2B5.- 1914.

Unterhaltungsblatt des vorwärts

Sonnabend, 21. November.

Die Leber im Haushalte des Zellenstaates. Von Dr. Alex Lipschiitz. Die Leker ist ein vielbeschäftigtes Organ im Zellenstaat unseres Körpers. Da hat sie jzunächst als Drüse tun. die Galle be­reiten. die in den Darm gelangt und bei der Verdauung mithilft: ohne Galle hapert's mit der Verdauung der Fette. Wenn einer einen Stein im Gallengange hat und die Galle nun nicht in den Darm gelangen kann, wie das bei derGelbsucht" der Fall ist die gelbbraune Galle, statt sich in die Darmhöhlung �u ergießen, hat auf dem Blutwege ihren Weg zu ollen Zellen im Körper gesunden, so kann er Fett nur schwer verdauen, der größte Teil der Fette geht unverdaut mit dem Kote ab. Dann hat die Leber so etwas wie eine Schutzsunktion", Polizeifunktion, in unserem Körper: sie fängt all' die giftigen Stoffe ab, die im Haushalt der Zellen im Zellenstaate entstehen, die giftigen Schlacken deS Stoffwechsels wie das Ammoniak, das zu Harnstoff verarbeitet, entgiftet wird, die'en Stoffe aus der Gruppe des Karbols, Jndol, Skatol usw., die aus dem Darme ins Blut hineingelangen und andere mehr. Und auch all die Gifte, die wir selber in unseren Körper hinein- bringen, weil wir uns mit Alkohol und Nikotin gegen unsere Gesundheit verschworen haben, fängt die Leber ab, um sie, so weit es geht, unschädlich zu machen. Aber damit noch nicht genug: die Leber ist ja auch noch Reservekammer im Zellenstaat. Was nicht sofort an Zucker, der nach der Mahlzeit aus dem Darme ins Blut gelangt, in den Muskeln oder sonstwo im Körper verbraucht wird, das wird in die Leber gefahren und hier in den Leberzellen in Form kleiner Älümpchen Glykogen oder tierischer Stärke gespeichert. Ist einmal größerer Bedarf an Zucker im Körper da, dann, werden die in der Leber gespeicherten Vorräte flüssig gemacht. Das ist gewiß eine ganze Menge schon, was die Leber zu leisten hat. lind man hat in der Physiologie schon seit langem ge- munkelt, daß die Leber auch noch mehr kann: daß sie eine Rolle spielt im Eiweißbaushalt unseres Körpers. Und was früher nur so ein Reden war, das ist heute zu einer Tatsache geworden: die Leber ist eine wichtige Station im Eiweißhaushalt. ES ist daS große Verdienst von W. Berg vom Anatomischen Institut in Slraßburg, diese Tatsache aufgedeckt zu haben. Was W. Berg ge- fundcn und worüber er in einer Reihe eben erschienener Arbeiten berichtet hat, sei hier in Kürze erzählt. W. Berg hatte bin und wieder die Lebern von Tieren, von Salamandern von Fröschen und von Staninchen, mikroskopisch unter­sucht, und da waren ihm eigentümliche Tröpfchen in den Leber- zellen aufgefallen, die er nur bei wohlgenährten Tieren finden konnte, nicht aber bei Tieren, die einige Zelt gehungert hatten. Berg bat sich dann eikrig an diese Tröpfchen in den Leberzellen herangemacht. Gearbeitet hat er mit Hille von allerlei Methoden, wie sie in der mikroskopischen Technik gebräuchlich sind, denFärbemethoden", den Methoden derMikrochemie", der Kleinchemie", wo daS zu uniersuchende Stückchen Organ in eine Farblösung oder in irgendeine andere chemische Lösung versenkt wird. Und er hat dabei herausbekommen, daß die eigentümlichen Tröpfchen, die in den Leberzellen gutgenährter Tiere vorkommen, Tropfen von Eiweiß sind. Gewiß, alles Protoplasma besteht aus Eiweiß! Aber Berg hat eben mit Hilfe der Mikrochemie nachweisen können, daß die Tröpfchen in den Leberzellen nicht aus den- selben Eiweißstoffen bestehen wie das Protoplasma. ES ist Eiweiß, das noch nicht zu Protoplasma, zu lebendiger Zellensubstanz ver- arbeitet worden ist. Da war sofort der Gedanke gegeben, daß eS sich hier um eine Speicherung von Reserveeiweiß in den Leberzellen handelt, daß die Leberzellen wie Kohlehydrate so auch Eiweiß speichern. Berg ist diesem Gedanken weiter nachgegangen und hat eine Reihe von schönen Versuchen ausgeführt, die mit aller Sicherheit zeigen, daß dieser Gedanke richtig gedacht war. Wie schon erwähnt, fehlen die Elweißlröpfchen in den Leberzellen von Tieren, die einige Zeit gehungert haben. Berg fütterte nun solche Hungertierc, Kaninchen und Salamander, mit einer sehr eiweißreichen Nahrung, z. B. mit Casein(Milcheiweiß) oder mit Froschfleisch, und unterwarf dann nach einigen Tagen die Lebern dieser Tiere der mikroskopischen Untersuchung. Prompt fand er nun in den Leberzellen dieser Tiere die besagten Elweißtröpfchen. Fütterte er aber Tiere, die einige Zeit gehungert halten, statt mit eiweißreicher Nahrung mit einer sehr eiweißarmen Nahrung, die vornehmlich aus Kohlehydraten bestand, z. B. mit Mehl und Zucker, oder mit einer fettreichen Nahrung, z. B. mit Olivenöl, so kam eS nicht zur Bildung der be-

sagten Tröpfchen in den Leberzellen. Das sagt uns niit aller Sicherheit, daß es sich tatsächlich um eine Anhäufung von Eiweiß- tröpfchen in den Leberzellen handelt. Nach allen diesen Versuchen unterliegt es gar keinem Zweifel mehr, daß die Leber nicht nur ein Organ für die Sveicherung von Glykoble oder Kohlehydraten ist, sondern auch für die Speicherung von Eiweiß. Eine Reservekammcr allerersten Ranges im Haushalte der Zellen im Zellenstaat.' Die Befunde von Berg hat bald darauf ein anderer Forscher, Tischmeneff. durch Versuche bestätigt. Er gab Mäusen, die zwei Tage gehungert hatten, reichliches Futter und untersuchte dann chemisch den Eiweißgehalt ihrer Lebern: es zeigte sich, daß die Tiere Eiweiß gespeichert� hatten und zwar ein Eiweiß, daS von dem Protoplasmaeiweiß der Leberzellen verschieden war. Berg war aber mit all' dem Schönen. lvaS er über die Rolle der Leber als einer Reservekanrmcr für Eiweiß so sicher festgestellt hatte, nicht zufrieden. Und er bat in tätigem Forswerdralig im Verein mit Cahn-Bronner eine weitere Reihe ganz prächtiger Ver- suche ausgeführt. Berg bat sich nämlich folgendes gesagt: Wir wissen heute aus den Untersuchungen von Abderhalden, daß das arteigene Eiweiß im Körper aus den Bausteinen des ortfremden Eiweiß neu aufgebaut wird; wenn nun die Leber ein Organ für Eiweißspeicherung ist. so muß eS gelingen, eine Anhäufung der erwähnten Eiweitztröpschen in den Leberzellen zu erzielen, auch wenn man den Hungertieren nicht Eiweiß, sondern Eiweißbausteine verfüttert. Berg hat nun Salamandern und Ka- ninchen, die einige Zeit gehungert hatten, ein Gemisch von Eiweiß- bausteinen, Aminosäuren aus künstlich verdautem Fleisch, wie es als Erepton jetzt käuflich ist, zu essen gegeben. Und schon nach wenigen Tagen konnten in den Leberzellen die bewußten Eiweißtröpfchen nachgewiesen werden. Das. was Berg hier gefunden hat, paßt ganz ausgezeichnet zu dem, was Abderhalden eben, zunächst noch in hypothetischer Weise, über die mögliche Bedeutung der Leber alS eines Eiweißspeichers im Zellenstaat eniwickelt hatte. Aus dem Darme gelangen während der Verdauung immer wieder Aminosäuren, Eiweißbausteme inS Blut. Alle Zellen im Zellenstaat fangen Aminosäuren ab, um sie zum Aufbau von Protoplasmaeiweiß zu benutzen. Aber wir müssen annehmen, daß nach einiger Zeit der Bedarf der Zellen an Eiweißbausteinen gedeckt sein wird. Aber aus dem Darme rückt immer mehr und mehr an Aminosäuren nach. Es müßte jetzt zu einer Anhäufung von Aminosäuren im Blute kommen. Das ist aber nicht der Fall. Und Abderhalden hat sich gesagt, daß hier wahrscheinlich Organe mit ihrer Tätigkeit ein- springen, deren spezielle Aufgabe es ist, Aminosäuren abzufangen und sie zum Ausbau von arteigenem Eiweiß, von B l u t e i w e i ß, zu benutzen. Die Leber könnte eS zum Beitpiel sein, hat sich Adder- Halden gesagt. Wenn nun diemageren" Stunden nack der erledigten Verdauung kommen und die Zellen wieder Eiweiß brauchen, dann steht ihnen das arteigene Eiweiß des Blutes zur Verfügung, dos sie zu zelleigenem Eiweiß, zu Protoplasmaeiweitz, verbauen. Der Eiweißgehalr des Blutes wird aber dabei nicht ver- ändert, das ist eine bekannte Tatsache. Wie ist das möglich? Ein- fach so, daß aus der Vorratskammer für Eiweiß im Zellenstaat, aus der Leber, immer wieder Eiweiß ins Blut nachgefüllt wird, das all die vielen Zellen im Zellenstaat brauchen können. ES fehlte aber bislang der sichere Nachtveis, daß eS eine solche Vorratskammer für Eiweiß in unserem Körper wirklich gibt. W. Berg hat diesen Nach- weis nun erbracht: die Leber ist diese Vorratskammer für Eiweiß im Zellenstaat. Schneeschuhe und Schneeschuhläufer im Kriege. Starker Schneefall im Gebirge bringt jetzt auch den Schnee- schub als militärisches Hilfsmittel zur Geltung. Der Schneeschuh verhindert ja infolge seiner großen Tragfähigkeit das Einsinken des Läufers in den Schnee, ermöglicht dem Infanteristen also auch im Winter eine Fortbewegung in Gegenden, in denen sonst zu dieser Zeil ein Forlkommen ausgeschlossen ist. Da der Schneeschuh- läufcr dabei nicht an die Wege, sondern nur an eine sonst vom Menschen und vom Pferd nicht zu beschreitende Schneedecke ge- Kunden ist, wird sogar der Umkreis militärischer Operationen noch bedeutend erweitert. Der in den europäischen Heeren eingeführte Schneeschuh ist der aus Norwegen stammende Telemark-Ski, der sich wegen seiner langen Form für die militärischen Zwecke am besten eignet. Auf ihm kann ein marschmäßig ausgerüsteter Soldat ohne nennenswerte Ermüdung sieben bis acht Kilometer in

der Stunde zurücklegen. Selbst bei schwer befahrbarem Geläut darf man von ihm noch dieselbe Leistung erwarten, wie sie ei lüchtiger Infanterist auf guter Landstraße auszubringen Hermas Berghänge kann der Schnecsckmhläufer ebenso wie der Fußgänger> Serpentinen ersteige» und bergab ist er dem Fußgänger erhebli überlege». Gewaltleistungen von täglich 100 Kilometer sin bei gülistigem Gelände für militärische Schneeschuhläufer kein Seltenheit. Der Ski stammt nicht, wie man vielfach annimmt, au Skandinavien . Dcnophon berichtet uns von der Verwendung de- Schneeschuhes im armenischen Hochlande, und eS scheint, alS od die älteste Heimat des Skis in Asien be, den mongolischen Völkern der mittelasiatischen Steppe gesucht werden muß. Von dort ist der Schneeschuh zu den Lappen gekommen, von denen wiederum dir norwegischen Gebirgsbanern feinen Gebrauch kenne» lernten. Heine sind weite Landstriche Norwegens , Schwedens und Finnlands ohne den Schneeschuh einfach undenkbar, da er allein während einer ge räumen Zeit des Jahres die Verbindung mit der Außenwelt üb-n- Hunderte von Meilen hinweg ermöglicht. In Norwegen enlstand.: auch zuerst militärische Stiableilungen, die besonders zu Auflläruiigc zwecken und zur Beunruhigung des Feindes dienten. Im Jahre 1747 wurden sie fest organisiert und heute zählt das nor- wegische Heer mehrere Regimenter mit einem besonderen Exerzier- rcglement. AlS größte kriegerische Tat dieser Trnppe, die sich in den Kämpfen gegen Rusien und Schweden wiederholt vorgctan hat, giir daS Gefecht bei Trangerr in Solör, wo die Skijäger ein schwedische Bataillon im Schnee umzingelten und gefangen nahmen. Von den Ländern Mitteleuropas haben zuerst die Schweiz und Oesterreich in seinen Tirolerlanden den Skisport zu militärischen Zwecken verwendet. In der Schweiz zeigten langjährige Versuche, daß sich der Schneeschuh auch im Hochgebirge bewährt, selbst do. wo keine großen ausgedehnten Rennflächen wie in der Ebene zur Verfügung stehen. Er ist daher heule fast allgemein im schweizer Heere eingeführt; die Besatzung der Gebirgs- befestigungen am St. Gotthard versieht ihren Wachtdienst ständig aus Schneeschuhen. Im Jahre 1S02 folgte Frankreich dem Beispiele Italiens , da« damals schon mit Schneeschuhen ausgestaltete Alpen - truppen belaß, und bildete drei Regimenter seiner Berggegcnden cbe» fall« im Skilaufen aus. ES berief hierzu norwegische Instruktion-: offiziere, die die Ausbildung planmäßig leiteten und somit dir französischen Alpenjäger schufen, die jetzt in den verschneiten Vogesrn gegen deutsche Truppen kämpfen. In Rußland sind alle Grenz- truppen mit Schneeschuhen ausgerüstet. Doch auch ander- Truppenteile, besonders dieJagdkommandoS" haben feit Jahren in jedem Winter längere Skiübungen veranstaltet,»n im Patrouillen- und Erkundungsdienst ausgebildet zu iverdem In Deutichland fanden die ersten milirärischen Schneeschuh Übungen 1891 im Harz statt. Später folgten solche in Hirschberg. Kolmar , OrtelSburg , Kulm, Schlettstadt und Oberbayern . Da- Verwendungsgebiel des Schneeschuhes erstreckt sich also einmal an- das Miltelgebirge und die Bogefen an unserer Westgrenzc, dann qk' die oft lange verschneiten an Rußland stoßenden Gefilde. Auch ber anderen Truppen als der Infanterie ist der Schneeschuh schon mit Vorteil verwendet worden, so von Artilleristen zur Aufklärung und Absperrung beim Scharfschießen. Ein schweizer Generalstabsoffizier hat die mannigfache Vc> Wendung deS Schneeschuhs folgendermaßen zusammengefaßt: Ein Skikommando ersetzt den Dienst von Kavalleriepatronillen. Der Vormarsch nachfolgender Truppeniörper wird dadurch erleichtert, das; diesem einige Skiläufer vorauseilen und den Schnee festschlagen. Skiläufer vermitteln den Verkehr zwischen Vorposten und Feldwachen, überbringen Meldungen und Befehle. Skiläufer vermögen, im Br- wußtiein, geräuschlos und infolge ihrer Geschwindigkeit überraschend aufzutreten, weil vorausschnellcn und in stetester Verbindung mit dem Feinde zu bleiben, wobei sie allerhand Seitenwege cinichlagen können. Auch die Sicherung der großen Halleplätze übernehmen Skiläuftr und im Umerkiinfls- und Sanitätsdienst laffen sie sich wegen ihrer Schnelligkeit vorteilhaft verwenden.

Die Mohammedaner in Rußland . Die Millionen von Mohammedanern, die in Rußland wohnen, bedeuten natürlich eine schwere Gefahr für das Zarenreich in seinen: jetzigen Kampf gegen die Türkei . Denn diese rnssischen Untertanen empfinden als Anhänger des Propheten eine starke Sympathie für die Vormacht des Islam. Merkwürdigerweise sind nun die Träger der panislamitischen Bewegung nicht in erster Linie die russischen Mohammedaner in Asien , fondern der Hort dieser gegenwärtig so

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Römerblut. Von Sclma Lagerlöf.

Wenn ihr in Rom gewesen seid, so sind euch gewiß die kleinen Landgüter vor der Stadtmauer aufgefallen. Man hat ein paar Hufen Land, auf denen man Artischocken, Erbsen und Blumenkohl zieht, je nach der Jahreszeit. Man hat ein paar niedrige, strohbcdeckte Wohnhäuser, einen niedrigen Eselstall, einen großen gemauerten Brunnen und ein paar Hühner- steigen." Man hat natürlich eine Menge Federvieh, und nicht nur Hühner, Truthähne und Enten, sondern auch Pfauen und Fasane. Und dann schafft man sich, um ein bißchen besser leben zu können denn Grünzeug und Hühner werfen keinen glän- zenden Gewinn ab, ein paar große Fässer römischen Schloßwein an und legt sie in eine der niedrigen Hütten, deren jede nicht mehr als ein Gelaß hat; dahin stellt man auch einen Ladentisch und ein Wandbrett mit Gläsern und Liter- flaschen, draußen aber aus dem Hofe, zwischen den: Brunnen und den Hühnersteigcn. stellt man lange Bänke und feste Tische auf. Hier hinter der Stadtmauer wehen die Campagna- winde stark und ungehemmt. Darum bringt man kleine Schutzdächer über den Bänken an und umgibt sie mit Rohr- wänden, durch die die Sonne hereinrieselt, gelb wie Gold. Zuletzt läßt man auch ein Schild malen und bangt es über das kleine Mauerpförtchcn, das nach der Straße und der Stadt führt. Und die Osteria ist fertig. Nino Beppone war nun zehn Jahre Kellner in solch einer kleinen Osteria gewesen; man darf aber nicht glauben, dgß er des Lohnes und der Trinkgelder wegen so lange geblieben wäre, oder weil er zu nichts anderem getaugt hätte. Nino war ein prächtiger, ja ein gebildeter junger Mann. Wenn er sich damit begnügte, Kellner in einer Osteria vor dem Stadttor zu bleiben, geschah es, weil er in Teresa, die älteste Tochter des Hauses, verliebt war. Ah, wie Nino sie liebte! Sie war so schön. Sie war gerade in der Art schön, wie Nino es haben wollte: mit großen, starken Zügen und warmen, klaren Farben. Sie ging so stolz und so leicht wie eine Königin. Sie sprach mit einer hellen, klingenden Stimme, und so deutlich, daß keine Silbe ihrer Worte verlor.engehen konnte. Sie lachte so rein, wie ein Silberglöckchen läutet. Ihre Hände waren schön, weiß und fest, und ihr Händedruck stärkend wie Segen.

Alle, die in die Osteria kamen, wollten bei ihr bestellen und verlangten, daß sie immer hinter dem Schanktisch zur Hand sei.Wo ist Teresa?" fragten sie sicherlich, wenn sie sie nicht sahen. Und das begriff Nino sehr wohl. Wußte er nicht selbst, um wie viel besser die Suppe schmeckte, wenn sie sie aus dem Kochtopf schöpfte, als wenn ihre Schwestern es taten? Es war nicht zu verwundern, daß jedermann mit ihr zu tun haben wollte. War es nicht schon eine Freude, in demselben Räume zu weilen wie sie? Er war fest davon überzeugt, daß die Leute nicht so sehr um Wein zu trinken hereinkämen, als vielmehr um Teresa alle ihre Sorgen anvertrauen zu können. Wenn einem der Esel gestorben war, wenn man ihn im Ballspiel besiegt hatte oder wenn der tolle Pictro wieder einem das Messer in den Leib gestoßen hatte, so war es eine Erleichterung, es ihr zu erzählen. Nino wußte, daß junge, frische Burschen, die gar keine Sorgen hatten, zuweilen dasaßen und sich lange, trau- rige Geschichten ausdachten, nur damit sie ein Weilchen bei ihrem Tische stille stehe, ihnen zuhöre und sich ihrer ein wenig annehme. Ach nein, sie waren nicht in sie verliebt, aber sie wollten doch, daß sie den Wein in ihr Glas gieße oder ihnen eine Mandarine zustecke, wenn sie gingen, und ihnen ver- spreche, sich in ihren Gebeten ihrer zu erinnern. Die anderen Schwestern verheirateten sich, sobald sie ihr sechzehntes Jahr erreicht hatten; eine zog fort, und eine blieb mit Mann und Kindern daheim. Aber Teresa wollte nicht heiraten, und Nino wußte schon, warum. Er wußte wohl, daß sie weder ihn noch irgendeinen anderen aus dem Landvolk wollte, einen Signor wollte sie. Ja. ja. Teresa war sehr stolz. Das sah man schon an der Art, wie sie ihr Haar hoch aufsteckte, ganz wie eine Sig- norina, und an ihren Sonntagskleidern. Zu Hause trug sie eine grüne Schürze und ein rotes Tuch um den Hals; wenn sie aber nach Rom ging, war sie immer schwarz gekleidet. Und sie hatte einen großen Hut mit vielfach gebogener Krempe und einen Federkragen um den Hals, so lang, daß er bis zum Kleidsaun: reichte. Natürlich gefiel ihr der Gedanke, eine Signora zu wer- den. Das einzige Unnatürliche war bloß daß sie nicht einsah, daß sie schon eine war. Eigentlich war es Nino nicht unerwünscht, daß Teresa keinen Campagnabo nehmen wollte. Er war dick und rund wie ein Mehlsack, und er hatte auch so eine graue Müller- färbe. Und nur ein paar kleine Striche statt richtiger Augen. Er war zu häßlich für sie. Aber da es nun seine guten Wege

hatte, bis ihr Signor kam, und da kein anderer den Versuch wagte, sie fortzuholen, konnte Nino wenigstens jahraus jahr­ein als ihr Kamerad umhergehen. Und das war kein geringes Glück. Die Tage draußen auf dem Mcicrhof erschienen Nino voll Seligkeit. Des Morgens, wenn Teresa ihre Vögel be­treute, trug Nino ihr die Schale mit dem Mais. Vormittags half er ihr, das Unkraut ausjäten oder das Gemüse in Ord- nung bringen, das auf den Markt geschickt werden sollte. Und abends, wenn die Arbeitsleute auf ihrem Heimweg eintraten, ein Glas goldgelbenCastello romano" zu trinken, da stand sie am Fasse und füllte in die Maße ein, und er nahm st- aus ihrer Hand. Wenn es ein großer Tag war, Festtag odn- Markttag, und das Volk war zusammengeströmt, so daß alle Bänke übervoll waren und der ganze Hof von Drehorgel- spielern und Verkäufern von gebratenen Aepfeln und Kasta nien wimmelte, und er und sie mußten atemlos und heiß mit ihren Flaschen und Gläsern zwischen den Tischen hin und her eilen, dann nickten sie einander zu, wenn sie zu sammentrafen. Da fühlten sie sich so kameradschaftlich wie Soldaten, die in den Kampf ziehen. An Abenden aber, wo keine Gäste kamen, saß Nino dn und erzählte Teresa aus Büchern, die er gelesen hatte. Du ließ sie ihn von dem alten Rom erzählen, und am liebsten hörte sie von dem Aufstand der Plebejer gegen die Patrizier und von den mächtigen römischen Matronen. Nino wußte wohl, warum. Es war dasselbe Blut, sie fühlte in sich das gleiche Blut. Ain nächsten Tage trug sie den Kopf noch viel stolzer, als früher. Nino wußte, daß er wie ein Tollhäusler handelte. Jedesmal, wenn er von Cornelia, der Mutter dci Gracchen, erzählte, entfernte er sie weiter von sich. Warum konnte er diese Erzählungen nicht sein lassen? Warum liebte er sie am allermeisten, wenn sie den Nacken so hoch hob, und wenn ihre Augen blitzten? Als sie vierundzwanzig Jabre alt lvar, hörte Nino die Leute sagen, daß es bald zu spät für sie sein würde, noch einen Mann zu bekommen. Sie sei nicht mehr schön. Nino konnte nicht begreifen, was sie meinten. War sie denn nicht schön? Eines Tages jedoch merkte er, daß sie recht gehabt hatten. Sie war wirklich im Begriffe gewesen, alt zu werden. Sie mußte ganz verblaßt gewesen sein, obgleich er es nicht gemerkt hatte. Nun merkte er es daran, daß sie wieder aufzublühen begann. Die frische Jugenschönheit erhellte aufs neue ihr Gesicht. Was war das für ein Wunder? Nino erschrak bei- nahe, als er es sah.(Forts, folgt.)