Nr. 238.- 1914.

Unterhaltungsblatt des Vorwärts Mittwoch, 25. November.

Herbstwanderung.

Vor einiger Zeit, so um die Zeit des Laubfalls, hat es mich in die Herbstsonne hinausgetrieben. Vielleicht, dachte ich, ist es möglich, für einige Stunden den großen Völferkrieg zu vergessen und dem Sinn mit frischer Luft ein wenig aufzuhelfen.

Weit, wie ein dunkler Strich, zieht sich der Buchenwald   an der Küste entlang. Man wandert auf einem schmalen Pfade hoch oben unter den Bäumen am Ufer dahin, blickt die abschüssigen Dünen hinunter und schaut auf die blanke, ruhige See, die so rein von Schiffen ist, als wäre sie ausgefegt und feierte nun. Ja, wie Feiertag ist es auf den sonst so belebten Wasserstraßen. Nur ein paar schüchterne Fischerboote schaufeln nicht weit vom Strande auf der Flut. Es weht ein schwacher Nordwest. Er rollt winzige Schaumköpfe vor sich her und wirft sie in endloser Reihe an den Strand. Wind und Meer spielen ein wenig in der Herbstsonne. Ganz friedlich. Und man ist gerade im Begriff, dieser friedlichen Stimmung die beste Seite abzugewinnen, als dort unten der Sand aufstiebt. Vier graue Reiter sprengen am Fuße der Dünen entlang. Eine Ulanenpatrouille. Die Pferde sinken knöcheltief in den lockeren Sand; es sprüht von den Hufen und bildet eine kleine, wirbelnde Staubwolfe. Die Augen der Reiter sind auf das Meer gerichtet, aber das Meer ist still und friedlich und spielt wie vorher mit dem Winde. Die Pferde im Sande werden allmählich zu hüpfenden Punkten und entschwinden dem Auge ganz.

Es wendet sich in den Wald. Der weiß doch nichts von Krieg und Kriegsgeschrei. Die Sonne sprengt ihr Gold zwischen die dunklen Baumschatten und jetzt ihre hellen, lustigen Stringel an Stamm und Zweig, an Büschen, Farnen und auf dem Moose um­her. Ein herber Duft steigt auf, mischt sich mit dem Atem der See und würzt die Lunge, spornt sie zu tieferen Zügen. Eine Last will von den Nerven weichen: wie schön ists auf diesem Stern! Wie schön das Arbeiten und danach ein sonniger, friedlicher Ruhe­tag, der Brust und Augen erquickt. Der Friede scheint wirklich, der Krieg eine Unwirklichkeit.

Bis dir ein Drahtgitter den Weg versperrt. Ein Stachel­drahtgitter. Dort, wo die Düne steil abfällt, beginnt es und zieht sich ein gutes Stück in den Wald hinein. Du hebst erstaunt die träumerische Nase und siehst hinter dem Gitter ein Schild:" Be­treten streng verboten!" Und aus dem Schatten der Bäume da­hinter löst sich eine Gestalt, die trägt einen feldgrauen Helm auf dem Kopf, hat einen grauen Mantel an und ein Gewehr über der Schulter. Langsam wandelt sie heran und sagt:" Bitte weiter gehen!" Gtwa so wie ein Schußmann in Berlin   bei einem Straßenauflauf. Man hat durchaus nicht das Gefühl, eine Ver­fehrsstodung verursacht zu haben, sintemalen man der einzige Zivilist in einem halbstündigen Umkreis sein dürfte, aber man folgt natürlich dem freundlichen Wink, läßt See und Drahtgitter rechts liegen und wandert tiefer in den Wald hinein.

Irgendwo wird schon Friede sein.

Die Buchen drängen sich zusammen. Das Unterholz wird dichter. Die Wacholderbüsche stehen schwarz und steif und hellen sich nur auf, wenn ein Sonnenblik flüchtig über sie hinspielt. Irgendwo flopft ein Specht, ein Rabe fliegt frächzend zwischen den Stämmen auf, aber nirgend ein freudiger Vogelton. Oben in den Wipfeln spielt Sonne und Wind, und zuweilen flattert es bon fallenden Blättern um dich her. Aber die Holzfäller scheinen zu feiern. Hier wenigstens und heute. Keine Säge Kreischt, kein Artschlag hallt.

Du fannst eine Stunde und länger in diesem Frieden des Waldes wandern und stehst dann plötzlich auf einer Lichtung. 3ivei Straßen treuzen sich hier.

Die hohen dunklen Wände des Waldes weichen von einander und geben ein Feld frei. Ein langes, schmales Feld. Hinter dem Felde breitet sich ein großer, stahlblauer Binnensee. Und jenseits des Sees schmiegt sich ein kleines Dorf mit Rohrdächern und einem altersgrauen Kirchturm an einen braunen Acterhügel. Hier auf dem Felde und drüben auf dem Acer   stehen in langen Reihen gefüllte Startoffeljäde. Und Frauen Inien in langer Reihe und wühlen in der Erde. Ihre Hände sind in eifriger Bewegung, und die weißen Kopftücher wippen spaßig auf und nieder.

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[ Schluß]

Römerblut.

Von Selma Lagerlöf  .

Und genau dort, wo die beiden Straßen zusammenlaufen, steht selbst verringert ist, so wird auch seine Wärmeentwickelung nach ein fleines Försterhaus, mit einen Fenstern und weißen Gardinen lassen und damit der Farbenunterschied zwischen venösem und und ganz von Efeu umsponnen. Die Fenster sehen auf die Lich- arteriellem Blut fleiner sein. Die Tatsache gab Mayer viel zu tung und auf den See. Hühner und Enten gackern und schnattern denken. Das Studium des physiologischen Verbrennungsprozesses auf der Straße und im Gebüsch herum. Dachshunde kriechen unter Störper gebe, und er fand sie in der förperlichen Arbeit. Je mehr leitete ihn auf die Frage, ob es noch andere Wärmequellen im dem Softor hervor und fläffen dich an. physische Kraft der Mensch verbraucht, desto stärkere Verbrennung Dies wäre denn nun also die Idylle, die friedliche, kriegweite. muß er durch größere Nahrungszufuhr erzielen. Deshalb ist das Erfährt man hier überhaupt etwas von den blutigen Ereig-| Ernährungsbedürfnis in falten Ländern größer als in warmen. nissen da draußen? Wie sich so dem jungen Forscher fern von der Heimat der feine Mechanismus des menschlichen Organismus immer deutlicher offen­

Nichts erinnert daran.

Das heißt dort an der alten, dicken Kastanie vor der Tür barte, erkannte er den Zusammenhang zwischen Wärme und Arbeit was ist das?

Ein Brett ein Papier.

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Und auf dem Papier steht: Kriegsnachrichten. Ja, hier, mitten im Walde, drei Stunden von der nächsten fleinen Zeitungsstadt entfernt, las ich die neueste, mir noch un­bekannte Wolff- Depesche.

Der Förster hat nämlich einen Fernsprecher. Und ich wanderte mit dem Bewußtsein heim: Der Strieg ist Pan. überall! Ueberall wie die Luft, wie der Wind.

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Der schwäbische Newton".

3u Julius Robert Mayers 100. Geburtstag( 25: Nov.). Wie könnt auch nur ein kleiner Teil des Urstoffs aus dem All entfliehen!" hatte bereits der Römer Lucrez in seinem Lehr­gedicht Von der Natur der Dinge" ausgerufen und weiter daraus geschlossen, daß die Summe aller Bewegungen unveränderlich sei: eine Gewalt ist fähig, die Summe der Dinge zu ändern." Aber diese jäh auftauchende Ahnung der Wahrheit war rasch wieder im Zeitenstrome versunken, wie das ewige Suchen nach dem per­petuum mobile" beties, nach einer Maschine, die, einmal in Be­wegung gebracht, für alle Zeiten Arbeit leistet. Andeutungen von dem Bestehen eines Gejezes, das jede Straftentstehung aus dem Nichts ausschloß, waren zwar schon in der Philosophie vorhanden; Descartes   hatte als Forderung der Erkenntnis, daß es nichts Neues in der Natur gebe, das Gesetz von der Erhaltung der Be­wegung aufgestellt, Leibniz das gleiche von der lebendigen Kraft" betont und auch bei Ktant spielt der Begriff als die Erhaltung der Substanz" eine Rolle. Durch den großen Chemiker Lavoisier   war die Unzerstörbarkeit des Stoffes zu einer feststehenden Tatsache der Naturkunde geworden. Aber erst Julius Robert Mayer   hat die die Quantität der in dem Naturganzen vorhandenen wirkungs­vollen Straft unveränderlich ist, weder vermehrt noch vermindert werden kann. Ihm gebührt der unvergängliche Ruhm, dieser Er­kenntnis, die die Welt gleichsam wieder auf feste Füße stellte, sie in einen unverrückbaren Rahmen einschloß, als erster die Bahn gebrochen zu haben; all die zügellosen Schwärmereien der Natur philosophie, die mit unbekannten, geheimnisvollen Kräften wunder­lichen Hokuspokus trieben, waren nun sinnlos geworden, alle in der Welt wirksamen Mächte offenbarten sich nun in ihrer letzten Un­wandelbarkeit. Der Bringer dieser neuen Geistessonne aber, ein anderer Prometheus, hat auch das tragische Schicksal des großen Lichtspenders an sich erfahren müssen; wir feiern heute in ihm einen Märtyrer der Wissenschaft, der zusammenbrach unter dem Widerstand der Ungläubigen und der Widersacher, und dem Glück und Ruhm zu spät tamen. Wie der vom Baum fallende Apfel, der Newton zur ersten Er­fassung des Gravitationsbegriffes führte, war es auch ein höchst unscheinbarer Anlaß, der in dem schwäbischen Newton" den Ge­dantenblitz" seiner großen Entdeckung entzündete. Er hatte in Tübingen   Medizin studiert und sich dabei mit Lavoisiers Theorie von der physiologischen Verbrennung viel beschäftigt. Danach unter­liegen die Nahrungsmittel im Körper einer langsamen Ver­brennung, deren Folge die Körperwärme ist. Je mehr Wärme der Körper nach außen abgibt, desto intensiver muß die innere Ver­brennung sein. Mayer ging nun als junger Schiffsarzt der holländisch- indischen Kompagnie nach den Tropen und ließ dort die Schiffsmannschaft oft zur Ader. Dabei stellte er fest, daß das menschliche Blut in der heißen Bone eine hellere Färbung aufwies als zu Hause. Diese geringfügige Einzelbeobachtung führte ihn bei scharfem und konsequentem Nachdenken zu den denkbar all­gemeinsten Gesichtspunkten, zur Entdeckung eines Naturgesetzes. Da die Wärmeabgabe des Körpers in den heißen Ländern ganz von

Ah, wo war Teresa? Eben noch hatte sie an Ninos Arm gehängt, jetzt aber sah er sie unten am Landungsplatz. Sie schlang die Arme um Leutnant Ugo. Er füßte sie, dann wollte er sich aus ihrer Umarmung lösen. Es war die Reihe an ihn gekommen, einzuſteigen.

Sie schien sich zurückzuziehen, aber da sah Nino etwas Tereja," sagte Leutnant Ugo, jage mir jezt mutig Blankes in ihrer Hand leuchten. Sie schien den Leutnant noch Lebewohl, wie eine Römerin. Ich muß gehen." einmal umarmen zu wollen. In demselben Moment wanfte dieser und schrie auf.

Du mußt?"

Ja."

,, Nun, so geh!"

Teresa!"

Geh doch. Ich werde versuchen, nicht an Dich zu denken. Du bist tot für mich."

Sie stand nicht auf, sondern blieb auf dem Boden liegen. Sie sah ihn nicht einmal an. Er strich über ihr blauschwarzes Haar. Sie rührte sich nicht. Er seufzte tief, er wußte nicht, was er sagen oder tun solle, und ging wirklich.

Mit einem angstvollen Griff drückte er Ninos Hand. Es war, als vertraute er ihm Teresa an. Abends, gegen zehn Uhr, standen Nino und Teresa am Hafen. Ein paar große Dampfer lagen da, bereit, abzugehen, und eine Menge Boote warteten darauf, die Soldaten hinzubringen. Einige tausend Menschen standen auf dem Quai, um die Abfahrt anzusehen.

Nino war dort unten. Er riß Teresa an sich. Er zog sie in den Volkshaufen, in das heißeste Gedränge. ,, Stehe hier still."

Sie lachte beinahe irrfinnig. Jetzt wird er nicht reisen, Nino," sagte sie.

Nino pacte fie am Handgelenk. Schweig," jagte er und drückte so, daß es schmerzte.

Meinethalben können die Gendarmen.

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Nino drückte mit eiserner Faust zu, und sie schwieg. Das war ein Drängen, ein Hin- und Herstoßen. Nino blieb gelassen in dem dichtesten Getümmel. Er versuchte nicht zu fliehen. ,, Recht so," flüsterte ein Neapolitaner Nino zu. Nur still stehen, daß die Gendarmen keinen Verdacht schöpfen. Rein Neapolitaner wird Euch verraten."

Teresa begann plöglich zu schluchzen.

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Laß das sein," sagte er, Du darfst nicht." Und ihre Tränen versiegten. Sie stand stumm und still da, lange Nino es wollte. Er hatte sie ganz in seiner Gewalt.

Leutnant Ugo wurde fortgetragen, die Polizei begann nach der zu forschen, die ihn verwundet hatte. Nino und Teresa hörten, wie man Fragen an die Menge stellte. Wohin ist sie geflohen? Wer hat sie gesehen?"

Aber war das ein anderes Bild, jetzt nach der Niederlage! Früher, im Winter, hatte man nicht genug jubeln können, als die Truppen an Bord geführt wurden. Jetzt lag nichts so als Düſterfeit über den Wartenden. Man hätte am liebsten die Boote und Dampfer versenkt, damit sie keinen Sohn Italiens   nach dem verfluchten Barbarenland führen könnten. Die Soldaten famen so still, als wollten sie sich fortschleichen. Es war eine große Signorina- nein, eine Kleine.- Hier Reine Musif, feine Hochrufe. Aber aus der wartenden Menge stieg ein dumpfes Murren der Empörung auf, und man be- hat man sie gesehen nein, hier. Sie hatte den Weg zur schleunigte die Einschiffung so viel wie möglich. Man war Station genommen nein, nach Santa Lucia. Und die Boli­nicht ganz sicher, daß das Volk nicht auf den Gedanken ver- zisten zerstreuten sich nach rechts und nach links. fiele, die bfahrt zu verhindern. Nino führte Teresa zur Eisenbahnstation, und sie reisten füihn nach Hause. Er verließ sich darauf, daß Leutnant Ugo sie nicht angeben würde.

Teresa schien etwas Aehnliches zu hoffen. Sie werden es nicht zulassen, Nino, sagte sie. Alle diese Männer werden es nicht zulassen, daß man ihre Söhne fortführt, damit sie von den Barbaren geschlachtet werden."

Aber ein vollbesettes Boot nach dem anderen wurde weg­gebracht, und die Menge lieg es geschehen. Einige Menschen durch­brachen die Reihen der Soldaten, aber nur um zu küssen und Abschied zu nehmen. Nino jah Leutnant Ugo am Quai stehen und die Einschiffung überwachen.

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In der Zeitung las er am nächsten Tag auch, daß der Leut nant erklärt habe, er kenne die Frau nicht, die ihn verwundet hatte.

Er war verwundet, aber nicht gefährlich. In der nächsten Woche fam ein Brief von ihm an Tereja.

Seit der Reise nach Neapel   ließ sie sich in allem von Nino lenken und leiten. Nun fam fie auch mit dem Briefe zu ihm,

und daß die eine Kraft nur in die andere übergeht, daß nichts int Haushalt der Natur verloren wird und nichts Neues hinzufommt. Der Grundgedanke des neuen Gesetzes war da, und er sprach ihn unbeholfen und unflar aus in einem kleinen Aufsatz Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur".

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Solange er seine weltbewegenden Ideen in sich entwickelt, ge hegt und gefördert hatte, war er glüdlich gewesen im Gefühl der Schöpferfreude und des großen Wurfes, der ihm gelungen. Kaum aber trat das Kind seines Geistes ans Licht der Welt, da begann sein Leidensweg in der rauhen Wirklichkeit. Poggendorf, der Her ausgeber der angesehensten physikalischen Zeitschrift, lehnte die Schrift des unbekannten jungen Mannes ab und in den von den Chemikern Liebig und Wöhler herausgegebenen Annalen" fand sie dann einen nicht recht passenden und ziemlich unbeachteten Unterschlupf. Mayer hatte sich unterdessen als Arzt niedergelassen und geheiratet. Schon 1844, zivei Jahre nach dem Erscheinen des ersten Aussages, hat er eine neue Schrift fertig, die unter dem Titel Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhang mit dem Stoffwechsel" seine bedeutendste Leistung enthielt. Hatte schon der Amerikaner Thompson, der als bayerischer General unter dent Namen Graf Rumford   eingehende Versuche über Kanonenbohrung anstellte, die Einsicht gewonnen, Bewegung könne in Wärme um= gesetzt werden, so erwies Mayer die Aequivalenz( die Gleichwertig­keit) zwischen Wärme und mechanischer Arbeit und zeigte, daß scheinbar verschwindende Wärme sich in Energie umsehe, scheinbar verschwindende Energie in Wärme, daß Bewegung die Temperatur eines Körpers zu erhöhen vermöge. Man erklärte ihn damals, wie Liebig erzählt, in Heidelberg   und Karlsruhe   für einen Narren. Ein Professor der Physik sagte ihm, um ihm das Sinnlose seiner An­schauung zu beweisen, wenn er recht hätte, dann müsse ja Wasser, in einem Gefäß geschüttelt, erwärmt werden. Worauf Mayer stillschweigend wegging, das Experiment ausführte und dann in das Studierzimmer des anderen mit der Erklärung zurückkehrte: Es ischt so!" Als sein wichtigstes Verdienst hat er selbst immer hervor­gehoben, daß es ihm, ohne Versuche, gelungen sei, das mechanische equivalent der Wärme zu berechnen.

Gerade darin machte ihm aber der englische   Physiker Joule die Priorität streitig. Er gab 1847 der Pariser Akademie von seiner zahlenmäßigen Bestimmung des Aequivalenzwertes Nachricht, und als nun Mayer demgegenüber sein Entdeckungsrecht betonte, nahmen weder die Akademien noch Joule von seiner Erklärung Notiz. Ein jüngerer deutscher Physiker, Seyffer, behandelte den Dilettanten" in einem ebenso brutalen wie ungerechten Angriff sehr von oben herab, indem er seine Arbeiten als vollkommen unwissenschaftlic bezeichnete. Noch schlimmer war es aber für Maher, daß ein un­endlich viel höher stehender Forscher, Hermann Helmholt, der mit einer mathematischen Charakter tragenden Abhandlung über die Erhaltung der Kraft" hervortrat, seinen Namen überhaupt nicht erwähnte. Helmholtz   ist wegen dieses gewiß auffälligen Umstandes, besonders von Dühring, maßlos angegriffen worden. Aber wenn man ihn des böswilligen Verschweigens anflagte, so hat man ihm Unrecht getan. Er wußte damals, wie Siegmund Günther   in seiner Geschichte der anorganischen Naturwissenschaften betont, von Mayers Arbeiten noch nichts und hat später rückhaltslos anerkannt, daß Mayer zuerst unabhängig und selbständig den Gedanken ge­funden, der den größten neueren Fortschritt der Naturwissenschaft bedingte". Diese nachherige Anerkennung vermochte freilich nicht gut zu machen, was die allgemeine Hebe der Fachgelehrten gegen den genialen Außenseiter verschuldet. Vor der Wissenschaft schien der mehr philosophisch denkende als mathematisch rechnende Geist, der sich der Größe seiner Ideen flar bewußt war, gerichtet. Als ein echtes Genie hatte sich Mayer viel vom Kinde bewahrt, so eine besondere Bartheit des Empfindens, einen festen Glauben an die Gerechtigkeit und Harmonie des Daseins. Nun tief im Innersten getroffen und wehrlos der Roheit der Welt ausgesetzt, in seiner Nervenkraft durch traurigite häusliche Ereignisse untergraben, brach er unter dem Pamphlet Seyffers wie unter dem Todesstoß zu­sammen. Er verfällt in Melancholie, springt vom zweiten Stock seines Hauses zum Fenster heraus und bricht beide Beine. Man

,, Lies ihn, Nino," bat sie.

Er erbrach das Kuvert, sie stand zitternd daneben. it es aus, Nino?" fragte sie.

Nino antworte Ja, so angstvoll, als verkünde er ihr ein Todesurteil.

,, Laß mich hören," sagte sie und richtete sich auf. Nino las ihr vor, daß Leutnant Ugo sie nicht mehr liebte. All meine Liebe ist tot," schrieb er ,,, meine arme Liebe ist tot." Sie zudte verächtlich die Achseln. ,, Die Liebe eines Signor verträgt es wohl nicht, Blut zu sehen," sagte sie.

" Du, Teresa," schrieb Leutnant Ugo, Du warst für mich des Vaterlandes Stolz, Du warst das wiedergeborene Rom  , Du warst das starke Weib der Vorzeit. Du warst die, die die Römer einft zu Helden machen sollte, Du solltest Seelenstärke genug haben, uns hinauszuschicken, um die Welt zu erobern. Vergib mir, daß ich mich täuschte. Nun weiß ich, daß die alten Röme rinnen tot sind, die Töchter des neuen Rom   senden keinen Mann hinaus, um Ehre zu erringen, sie haben nur den Mut, ihn zu hindern, seine Pflicht zu tun."

Tereja legte ihre Hand auf die Ninos. Ich will nicht mehr hören," sagte sie.

Nino schwieg.

Wenn ich es nicht getan hätte, Nino," jagte sie ,,, wäre er jekt tot. Ich verstehe nicht, was er meint. Ich sah ihn tot in einer Bergschlucht liegen. Da läge er jetzt, wenn ich nicht ge­wesen wäre. Wie hätte ich ihn da ziehen lassen fönnen?"

Findest Du auch, Nino, daß ich feige bin?" fragte sie. ,, Bin ich, entartet? Habe ich keinen Tropfen Römerblut in meinen Adern?"

Nino sah zu ihr auf, wie sie da schön und stolz und trozig vor ihm stand. Er liebte sie so, wie er sie immer geliebt hatte, und er sah seine ganze Zukunft vor sich. Sie würde nie heiraten, er würde sie nie verlassen fönnen, und sie würden das Leben zu­sammen leben, fie als Herrscherin, er als Knecht. Die Zeit, die nun vorbei war, in der er beinahe Herrscher gewesen war, die kehrte nicht zurück. Sie würde bald wieder die Zügel der Ge walt an sich nehmen.

,, Sag mir, Nino," fragte sie ,,, waren die Frauen des alten Rom   wilde Tiere? Gaben sie zu, daß man ihnen das raubte, was sie liebten?"

Nie hatte Nino so wie jetzt begriffen, was das neue Italien  von dem alten unterschied, ober er schloß die Augen vor allen Zeugnissen der Geschichte, er war aufs neue Tercias Stlave und Knecht geworden und antwortete, wie sie es wünschte, in ihren Adern fließe Römerblut, das edelste Römerblut.