Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Ein Schulfall. Für den Literaten wie für den Geistesarbeiter überhaupt, ist während des Krieges eine schwere Zeit. Nicht allein, daß alles öffentliche Interesse von den Fragen, die sonst im Leben bestimmend lyirken, abgelenkt und den Ereignissen auf den Schlachtfeldern zugewendet ist, bedingt auch die scharfe Kriegszensur, dag der Publizist in seinem Schaffen gehemmt ist.— Und dennoch ist es, wie kürzlich Ernst L i s s a u e r im Schutzverband Deutscher Schriftsteller in Berlin ausführte, eine ganz falsche Meinung, daß heute, wo das Waffenhandwerk an erster Stelle stehe, der Mann der Feder zu schweigen habe. Aufgabe des Schriftstellers nämlich sei es als Dichter oder als Publizist, das Wesen der Nation aus- zudrücken.... Er müsse der«eel sorger der Nation sein. Von den hohen sittlichen Aufgaben, die hier dem Schrifttum gestellt sind, spürt mau freilich in diesen Tagen bei uns sehr wenig. Die Zeitungen und Witzblätter, ja selbst die Unterhaltungsblätter sind einfach auf den Krieg eingestellt und begnügen sich damit, dem rohesten Sensativnsbcdürfnis der Leser zu dienen. Ernst- hafte Publizisten und feinsinnige Dichter waten im Blut und sind gegen früher nicht mehr zu erkennen. Der Krieg hat einfach ver- Heerend gewirkt. Und zwar nicht bloß auf dem Schlachtfelde, son- dern auch in den Köpfen so mancher Schriftsteller, die der Ver- suchung nicht widerstehen können, besonders effektvolle Episoden vom Kriegsschauplatze..dichterisch" zu verarbeiten. Nun hat frei- lich der Dichter das unbestrittene Vorrecht, es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen; was dabei aber manchmal zum Vor- schein kommt, wollen wir an einem Schulbeispiel etwas näher betrachten. Vor sechs Wochen etwa ging durch die Zeitungen eine kleine Notiz. Sie trug den Titel: Der Reiter ohne Kopf. Es wurde da von einem österreichischen Soldaten erzählt, daß er gesehen habe, wie einem Kosaken im Kampfe der Kopf auf einen Hieb vom Rumpfe geschlagen worden sei und der kopflose Kosak dann noch etliche fünfzig Schritte von seinem Pferde weiter getragen wurde. Der Anblick soll gräßlich gewesen sein, was ja auch zu glauben ist. Ob so etwas möglich ist oder nicht, soll hier nicht weiter unter- sucht werden. Diese Geschichte nun erschien nachher eines Sonn- tags im„Prager Tagblatt", und zwar in ganz neuem Gewände. Aus dem Kosaken ist ein deutscher Kavallerist und Sozial- d e m o k r a t geworden. Der„rote Schulze" wird er vom Leutnant Bernhard, der diese Geschichte angeblich erzählt, genannt. Ter „rote Schulze" war in der Kaserne natürlich ein widerspenstiger Soldat und verdankte seinen Namen seiner roten Gesinnung. Aber seit er im Felde und im Kampf stand/war er wie umgewandelt und ver beste Soldat. Also dieser„rote Schulze" wird eines Tages von Todesahnungen befallen und vertraut es dem Leutnant an. Und wirklich! Noch am selben Tag kommt es zum Treffen, und der „rote Schulze" jagt auf seinem Pferd schnurstracks in die feind- lichen Kosaken hinein, nicht ohne vorher seinen Kameraden zuzu- rufen:„Adieu, Herr Leutnant! Adieu, Jungs?" Im Handum- drehen ist er bei den Kosaken, von denen er drei ins Jenseits be- fördert; dann ereilt ihn sein Schicksal: ein anderer Kosak schlägt ihm von hinten mit einem Hieb den Kopf ab. Aber merkwürdig! Der„rote Schulze" sinkt nicht vom Pferd! Nein, er reitet noch weiter und der Anblick de? kopflosen Reiters erfüllt. die: Kosaken mit Entsetzen und Furcht, so daß sie. sich frei- willig gefangen nehmen lassen, soweit sie nicht in wilder Flucht davonliefen. Und das Geheimnis des„roten Schulze"? Angebunden hatte sich der ahnungsvolle Engel an den Gaul, damit er nicht herunter- fiele, wenn er umjien Kopf kommen sollte. Käme doch einer und bände mal solche Dichter anl
yunöert?ahre Zeitungsöruck. find nun hundert Jahre her, als eines Montags den Druckern im Pressesaal der„Times" die Order zuging, bis auf weiteres mit dem EinHeben der Zeitungsformen zu Wärtern Das Eintreffen höchst wichtiger Nachrichten vom Kontinent stehe in Aus- ficht. So sagte man den Druckern, in Wirklichkeit aber sollte in der Nacht vom Ä./29. November die von dem deutschen Erfinder König zusammengestellte Schnellpresse zum ersten Male im„Times"« Betrieb die Zeitung drucken. Eine Dampfmaschine setzte die im Nebengebäude heimlich auf- gestellte König-Maschine in Betrieb, die Räder fingen an zu kreisen,
4s Zehn Wochen Sanitätsdienst. (Schluß.) Wir treffen kleine Gruppen Infanterie, die von vorn kommen.„Was Ivollt Ihr denn, da vorn ist nichts mehr, Ihr kriegt Feuer!" Bis an die Mieten auf der Höhe kommen wir, legen uns in den Graben, der Leutnant reitet vor. Am Dorf platzen wie gestern die Schrapnells. Da kommt wieder der Flieger, er kann nur uns sehen, sonst ist alles leer. Wenn nur nicht wieder wie gestern jetzt die Dinger näher kommen! Wir drusseln ein vor Müdigkeit. Da— züüht. Knix— Sand fliegt uns um die Ohren. und wieder platzt die nächste Granate bei uns. Alles stürzt zurück, die Wagen jagen zurück, die Puste reicht kaum aus, immer zurück, zurück, und krachend fegen die Granaten die Straße hinauf, die wir zurück müssen. Auf einem Wagen sitzt ein Leichtverwundeter, er erhält noch eine Brustverletzung. Im Schloßgarten angekommen, steht die Koinpagnie fertig zum Abmarsch. Unser Kollege R. fehlt, er lag neben mir im Graben. Wir rücken auf die Dorfstraße. Artillerie steht zur Deckung des Rückzuges links am Feld. Da kommt unser Kollege verbunden heran, ebenso unser Unteroffizier, den Arm in der Binde. R. hat einen Granatsplitter flach den Rücken unter der Haut hinauf, am Halse heraus und zur Backe wieder hinein, wo er deutlich sichtbar stecken blieb. Noch einige von uns sind verwundet, keiner schwer, sie bleiben im Lazarett zurück. Nun beginnt der Rückzug, den Tag,� die Nacht durch bis gegen 4 Uhr früh, wo wir zwei Stunden im Graben ruhen. Dann geht es wieder weiter nach dem Marnetal über Croue nach Norden. Am 9 September schlagen wir bei Ouvergnon das Feldlazarett auf freiem Felde auf. Das Gut an der Straße hätte sich gut geeignet, aber es brennt darin. Gegen Abend rücken wir vor, Verwundete zu holen. Ein Tesl wird bald zurückgeschickt; so liege lch denn bald bei Kgkao, den es heute zum ersten Male ein Viertel Liter gibt, auf dem Felde. Das Feldlazarett übernimmt Tags darauf den Verbandplatz, und wir rücken in der Richtung auf Soissons weiter, das wir am 1l. September passieren. Ein netter Marsch jeden Tag aus den zerfahrenen Straßen über die ausgelveichten Felder. Sa sind wir bei Lavoux am späten Abend des 12. Sep- tember angelangt. In Strömen gießt der Regen herab. Flink in eine Scheune, die zu beiden Seite» bis unter das Dach voll Stroh ist---- Nach einem kurzen Marsch sind wir in einem großen Gutshof, Lamont-Maison. Den ganzen Tag Ruhe, ein wenig Binden reißen und wickeln. Hier erreicht uns endlich nach 14 Tagen die Feldpost, eröffnet eine Annabmestelle im Wohnhaus. Am großen runden Tisch in der großen Stube sitzt der Postbeamte und nimmt Anweisungen an. Alles steht voll. Ter kann arbeiten, Fast alle schreiben ihr« Anweisung, schicken das überflüssige Geld nach Haus«. In einem Berliner Zweigpostamt kann auch nicht mehr aufgeliefert werden. Von morgens 9 bis abends S Uhr hört der nicht ad-
und bald schuf, wie es in einem Bericht aus jener Zeit heißt,„das harmonische Spiel der König-Maschine Hunderte und Tausende von gedruckten„Ttmes"-Blättern für das lesebegierige Publikum". Mit Spannung verfolgten König und Bauer, die beiden Fabri- kanten der Maschine, in jener Nacht die Tätigkeit der Presse, über- wachten alle Belvegungen, bis endlich alle Nummern der„Times" sertizgedruckt vorlagen. Auch der Besitzer der Zeitung, ein Mr. Walter, hatte dem Druck seines Blattes beigewohnt, und aar Morgen um sechs Uhr des nächsten Tages trat er mit den gedruckten „Times"-Blättern in der Hand in den Druckersaal ein, um triumphierend zu verkündigen, daß jetzt die Drucker nach Hause gehen könnten. Denn die Zeitung sei durch die Maschine fertig- gestellt worden. In einem schwungvollen Zeitungsartikel dieser Nummer aber war zu lesen:„Man hat die Maschine nur mit Papier zu versorgen, sie selbst treibt die Form hin und her, bringt den Bogen auf die eingeschwärzie Form, druckt ihn und liefert ihn dann in die Hand einer zu seinem Empfang bestellten Person. Gleichzeitig geht die Form zurück zum abermaligen Empfang von Farbe für den Druck des nachfolgenden BogcnZ; das komplizierte Verfahren geschieht mit solcher Schnelligkeit und Gleichzeitigkeit in allen Belvegungen, daß nicht weniger als 1109 Bozen in einer Stunde gedruckt werden." Inzwischen ist das Zeitungswesen zu einer Macht geworden, zu einem wichtigen öffentlichen Faktor und Gradmesser, der die Sorgen und 5lämpfc der Völker widerspiegelt. Und mit der zu- nehmenden Bedeutung des Zeitungsbetriebes selbst sind auch die technischen Hilfsmittel gewachsen. Aus der ersten Zeitungspresse, die damals im„Tllnes"-Saal aufgestellt wurde, ist eine Rata- tionsinaschme geworden, ein Zeitungsclefant. Den Gegensatz zwischen früher und jetzt charakterisiert die neueste Rotaiionsnraschine, die auch aus der Fabrik von König und Bauer stammt und 9ö-seltige Zeitungen druckt. Wie in einer der letzten Nummern von Uhlands Zeitschrift«Der Ma- schinenkonstrukteur" miigeteilt wird, werden auf der Maschine 24 Bogen zweimal zusammengefalzt als fertige Zeitung hergestellt. Der Fachmann kann sich eine Vorstellung davon machen, wenn er hört, daß diese Maschine mit einer Papierzeschwindigkeit von 299 Meter in der Miirure und mit 12 999 Druckzhlinder-Umdreh'angen arbeitet. Die gesamte Länge der Maschine mit Einschluß der Rc- scrverollen beträgt 19 Meter, die Höhe ungefähr 4 Meter. Auch auf diesem Arbeitsgebiet hat die Technik die Produktion gesteigert und doch die Arbeit mechanisiert. Mit der Verdrängung von Arbeitskräften durch die damalige Schnellpresse sing es an, heute ist die Rotationsmaschine ein Automat, der die verschiedensten Operationen selbst übernahm und nur noch ein paar Arbeiter zur Bedienung und Beaufsichtigung übrig läßt. hat Luther die neuhochöeutfthe Sprache gejchassen! In den Schulen wird gewöhnlich gelehrt, dqß Luther unsere neuhochdeutsche Schriftsprache„geschaffen" habe, während die wissenschaftliche Forschung diese Auffassung bereits seit geraumer Zeit als unhaltbar erkannt hat. Professor Dr. Karl Franke, Ver- fasser der„Grundzüge der Schriftsprache Luthers ", untersucht in einem Aufsatze im neuesten Hefte der„Grenzboten", welches der geschichtliche Kern dieser berühmten Legende ist. Luther selbst soll ja nach seinen Tischreden gesagt haben, er habe keine gewisse, sonderliche eigene Sprache im Deutschen , son- dern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß ihn beide, Ober- und Niederländer , verstehen-möchten, und er rede nach der sächsischen Kanzlei, der alle Fürsten und Kömge in Deutschland nach- folgten. Auch soll er bemerkt baben, daß Kaiser Maximilian und Kurfürst Friedrich von Sachsen die deutsche Sprache in eine gewisse Sprache zusammengezogen hätten. Taraus ist nun soviel deutlich zu erkennen, daß Luther weder in seiner eigenen Mundart schreiben noch eine Schriftsprache schassen wollte, sondern daß er sich nach der schon vorhandenen Verkehrssprache der Kanzleien gerichtet hat. Tatsächlich bildet die deutsch -böhmische Kanzleisprache Kaiser Karls IV., die südost-mitteldeutschen'Eharakter hat, die Grundlage unserer neuhochdeutschen Schriftsprache, und es waren später zwischen der kaiserlichen Kanzlei zu Wien und der kursächsischen bestimmte Vereinbarungen über die Schreibweise getroffen worden, der sich auch andere deutsche Kanzleien angeschlossen haben. Um 1599 war der kaiserliche Kanzler Ziegler die höchste sprach-
reißende Strom der Absender nicht auf. Hier erhalte ich von Louis die ersten Zigarren, sind vier Wochen unterwegs. Wo wir uns am Tage ausgeruht haben, liegen wir auch nachts, in der Scheune, marschbereit, und beizeiten geht eS auch ab. Fünf Kilometer b:s Pargny, von wo ich dies jetzt schreibe. Es ist noch dunkel, da stehen wir auf der Dorsitraße. unsere Mchlsuppe schlür- send. ES regnet wieder. Bei Tagesanbruch liegen wir bald alle in einer Scheune. Eine Stunde nach der anderen vergeht. Wir gehen auch in ein verlassenes Haus. Die Maschine ist noch warm. Zucker, Kaffee finden wir und einen Batzen Pökelfleisch. Wir gehen ans Kochern Da heißt es antreten. Schnell das Fleisch in ein Tuch und oben auf den Affen. Es geht nicht weit, im Schloßgarten wird das Gepäck abgelegt, der Verbandsplatz aufgeschlagen. Wir rücken mit den Wagen vor, denselben Weg zurück, den wir nachts ge- kommen. Der Berg ist steil, rechts fällt er ab in ein herrliches Tal, dort liegt Filain, wo wir später über einen Monat lagen. Im Feld- rain wird gehalten. Das Artilleriefeuer ist sehr stark, an der Straße essen wir zu Mittag. Danach geht cS ein Stück weiter. Rechts im Feld stehen die Batterien und feuern, und tzor uns, auf der Höhe des schwach hügeligen, von Schluchten durchschnittenen Feldes, platzen die Schrapnelle. Wir halten auf der Straße, wo in Ab- ständen von etwa 59 Meter je ein Artillerist leidlich gedeckt liegt, bis vorn an der Beobachtungsstelle. Sie geben an die Batterie die Entfernung und Feuerart weiter, die vorn bestimmt wird. Aus der Schlucht vor der Höhe, auf ihr aus einem kleinen Häuschen, von den Strohmieten weg, wo sie gesammelt sind, holen wir die armen Kerle zurück in die Wagen. So geht es eine Zeit- lang hin und her. Wir sehen, wie Infanterie ausschwärmt und ein- schieben will; des starken Jnfanteriefeuers wegen bleiht sie hinter der Höhe nach liegen. Unaufhörlich bestreicht das feindliche Ar- tilleriefeuer den Hügelrücken. Eben laden wir einen der letzten ein; der Rittmeister hat sich eine Flasche Wein bringen lassen, da kracht bei uns eine Granate. Nun aber zurück. Die Wagen jagen wie wild die Straße hinab; wir l«usen rechts anfs Feld, an einer Er- höhung uns hinwerfend. Aber pünktlich platzen sie auch hier, nur zu hoch, als daß sie uns in vollem Maße gefährlich werden können. Immerhin haben zwei Mann ihr Teil weg, leicht der eine, Ver- letzung au, Auge, der andere hoch oben am Oberschenkel einen Schrapnellschuß. Bis in einen verlassenen Schützengraben laufen wir zurück und gehen dann im Dunkeln nach Pargny zurück. Auf einem Heuboden finden wir Platz, ein schönes Lager. Vorher kochen wir im Hause vorn die Pökelknochen. Die alte Frau schreit immerfort:„Malheur, Malheur", läßt sich gar nicht beruhigen. Wir essen uns tüchtig satt und haben noch ein gutes Frühstück übrig. Gegen 11 Uhr ist das Jnfanteriefeuer äußerst heftig, hört sich so nah an, als ob es 199 Meter von uns wäre, aber wir schlafen ruhig ein. Am 14. 9. gehtS nach Filain. eine halbe Stunde. Wieder ein Landgut, schönes Schloß, 1797 erbaut, sehr schön eingerichtet. Nun spielt sich unser Leben anders ab, besser für uns. Und wenn wir vorher gewußt hätten, daß wir einen Monat dableiben, hätten wir es noch besser eingerichtet. Am ersten Tag« hier versuchen wir wieder vorzugehen, um die
lich« Autorität in Deutschland , und zahlreich« Urkunden verbrei« teten seine Schreibart weithin. Bei Lebzeiten Maximilian» l. schien es, als sollte sich die Einigung der deutschen Schriftsprache auf Grund der kaiserlichen Kanzleisprache vollziehen. Aber nach seinem Tode, als Kurfürst Friedrich der Weise als Reichsverweser ein- einhalb Jahre die Reichsleitung führte, stieg der Einfluß der kur- sächsischen Kanzlei, und der neue Kaiser Karl von Spanien , der die deutsche Sprache weder redete noch liebte, war nicht der JDionn, seines Vorgängers Sprachreform fortzusetzen und die kursächsische Kanzlei in den Schatten zu stellen. Eher der Kurfürst von Mainz , der jetzt wieder als Erzkanzler die Reichstagsabschiede ausfertigte, natürlich in westmitteldeutscher Kanzleisprache. Aber gerade da- durch wurde wieder das Schwergewicht des Mitteldeutschen über« Haupt verstärkt, und dann Ivar es schließlich� von Bedeutung, daß der größte deutsche Schriftsteller jener Zeit der kursächsischen Kanzlei vor der kaiserlichen den Borzug gab. Ein zweites sprachliches Verdienst Luthers ist, daß er der Eni- fremdung der deutschen Kanzlei- inid damit überhaupt der Schrift- spräche von der lebendigen Volkssprache Einhalt tat. Denn er lvollte in seine Schriftsprache keine Hof- und Schloßwörter, sondern einfache Wörter aufnehmen; deshalb„sah er dem gemeinen Mann auf das Maul", befragte die Handwerker und sammelte Ausdrücke der Kinder bei ihren Spielen. Der Siegeszug des mitteldeutschen Wortschatzes nach Obcrdeutschland hatte zwar vor Luther begonnen, aber viele Wörter sind erst durch ihn gemeindeutsch geworden. Schließlich hat er dadurch höchst bedeutend gewirkt, daß die Luther - spräche im Laufe der nächsten Menschenalter in alle Schichten des Volkes, eindrang. Als Luther seine Schriftstellertätigkeit begann, fand er fünf hochdeutsche Trucksprachen vor; aber schon 1593 kennt Helber nur noch drei, nämlich die donauische, die Fortsetzung der kaiserlichen, die höchstrheinische, in der Schweiz und im Elsaß , und die mitteldeutsche, die schon die Lutherfprachc schlechthin ist und also bereits die beiden anderen mitteldeutschen Drucksprachen ist sich aufgesogen hat. Die selbstverständliche Tatsache, daß der Sieg eines bestimmten DialetteS seine Hauptursache in der wirtschaftlichen Vorgeschritten- heit jener Gegend hat, die ihn spricht, ist leider noch nirgends untersucht worden Der sächsische Staat war schon zur Zeit der Reformation das ökonomisch entwickeltste der deutschen Vater- ländcr.
Timm Kröger . „In diesen Zeilen will ich von einem Dichter schreiben, den die Literatur, aber das Volk noch nicht kennt. An der Ostgrenzc der Dithmarscben, dieser„Albencr des Nordens", in einer Land- schaft, die noch, möchte ich sagen, eine gewisse Keuschheit gegenüber unserer Kultur und jedenfalls ungebrochenes Volkstum bewahrt bat, ist et geboren— Timm Kröger ." Mit diesen Worten hat Detlev v. Liliencron vor 19 Jahren den Dichter Timm Kröger beim deutschen Publikum eingeführt, und der am 69. Ge- burtstag dieses Meisters deutscher Erzählungskunst geäußerte Wunsch, sein Werk möge die Aufnahme finden, die es verdient, hat sich an scineni 79. Geburtstag(29. November) erfüllt. Wir ver- ehren in diesem Schilderer norddeutschen Lebens und norddeutscher Menschen einen echten Heimatsdichter. Wie sein engster Lands- mann und dichterisches Vorbild Theodor Storm ist auch Kröger seinem Berus nach Jurist gewesen. Eo kam er bei einer aus- gedehnten Landpraxis in nahe Berührung mit dem Volk, und da er selbst einem uralten Bauerngeschlecht entstammt, so blieb ihm nichts verborgen in den Herzen dieser Menschen, die sich sonst so schlver dem Blick erschließen.„In diesem Sinne ist er ein Bauer geblieben," sagt Liliencron von ihm. Mit 47 Jähren hat der Kieler Recküsaniwalt 1891 sein erstes Buch„Eine stille Welt" veröffentlicht, lose Bilder und Geschichten, oft mehr Gedichte in Prrsa, als wirkliche Erzählungen. Der Land'. Vogt von Kcllinghusen. Liliencron , ermunterte den vielbeschäftigten Juristen, die in ihm wohnende Blüte der Poesie, die der Wen- staub zu vertrockueu drohte, zu hegen und zu pflegen. Es folgten einige andere Erzählungen, die die große Begabung Kröger?. seine Kunst der Gestaltung und Eharakteristik, in ein reinere? Licktt hoben. Aber zur vollen Meisterschaft entwickelte sich sein Erzähler- talent erst, nachdem er im Jahre 1998 die drückendsten Amts- geschäfte von sich geworfen hatte und sich ganz seinem SchaffWg widmen konnte. Von da an erschienen Schlag auf Schlag ein« Reihe von Meisterstücken, deren Krönung wohl die Novelle„Um den Wegzoll" ijl.(Eine Anzahl davon, darunter„Die alte Truhe", armen Kerle zu holen, aber wir können nicht heran, die feindliche Artillerie befeuert das ganze Gelände und so unregelmäßig, daß man an keiner Stelle sicher ist. Also geht es abends wieder vor. Mit der Zeit kommt man dahinter, daß wenig Mannschaft, tüchtig anareifend, ebensoviel leistet, wie ein Haufen, wo man sick im Wege steht. Dazu kommt, daß wir die Vcrwundeien von den Sammelstellen holen, wo sie die Krankenträger der Truppe schon hingeschleppt haben. Da auch die oftmals erst nachts herankommen können, liegen manche mit dem ersten Verband zwei Tage, allerdings sind Acrzte an den Sammcl- stellen. So wechseln dann die Patrouillen ab. Wir sind in dem Monat wohl nur viermal draußen gewesen, gestern nun wieder hier in Pargny. Ter Dienst ist eingeteilt. Wie geht es nun zu, wenn das Feldlazarett so lange an einem Platze liegt? Abends kommen die Wagen mit den Verwundeten. Ein Teil der Krankenträger ladet sie aus und bringt sie zu den Aerzten in den Operationsraum. Sind sie verbunden, in die Verwundeten- zelte, die dicht vor dem Schloß im Park ausgeschlagen sind; vor ihnen brennen hohe Feuer. Oder aber sie kommen gleich in die einae- richteten Häuser, die Schule oder Kirche, die ausgeräumt sind. So ging es in den ersten zwei Wochen die halbe Nacht. Eine Patrouille(das sind immer 12 Mann) hat Wache, eine andere muß vormittags die Verwundeten zum Nachsehen den Aerzten in daS Operationszimmer tragen. Andere haben als Krankenpfleger zu tun in den Häusern. Da 14 Patrouillen in der Kompagnie sind, haben wir an manchen Tagen gar nichts zu tun. Um Quartier hat sich niemand gekümmert, jeder ist im Dorf untergekrochen, wo er Platz fand. Am Tage muß alles im Schloß- garten sein. Da haben die einzelnen Patrouillen denn bald eine Feuerstella gebaut, wenn es regnet, die Zeltbahnen darüber oder auf den Boden geflüchtet. Unsere Patrouille hat sich in eine Hälfte des Treibhauses geflüchtet. Hier ist es zwar feucht, aber der Regen kann nicht herein, und an den Seiten ist Platz für die Affen» in der Mitte können 19 Mann liegen. Wir gehen drei Man» in einem Pferdestall schlafen. Mit der Zeit haben wir Stühle, fein gepolstert, ein paar Bänke ans der Kirche um unsere Feuerstelle, die aus Sand» steinen aus der Mauer gebrochen, wirklich schön aufgebaut ist. Im Treibhause steht eine eiserne Maschine, und Holz und Kohlen sind massenhaft vorhanden. Da liegen Kartoffeln, und so gibt es bald Puffer, wenn wir Talg haben; bald Schmorbraten mit Kartoffeln, ja, ich habe schon Rostbeef zum Frühstück gehabt. Allerdings ist die Fleischlieferung mangelhaft, oft setzt sie aus, dann ist wie im Zoologischen Garten Fasttag für die Raubtiere. So sind denn bis zum 18. 19. die Tage hingegangen, und nun sind wir wieder hier in Pargny. Unsere Fleischlieferung hat auf- gehört, das Quartier ist schlechter, wenn auch so, daß wir es ganz gut aushalten; unsere Feuerstelle feblt uns abends, wo die Post uns die Zeitung bringt, die dann gelesen wird. Du siehst, bisher ging es leidlick, und wir hoffen, daß wir da? Kommende aushalten, wenn die große Schlacht an der AiSne zu End« ist. Wan? Ja, das wissen die Götter! Hoffentlich bald!.,.