8t. 254.- 1914.
Unterhaltungsblatt des vorwärts
Sonntag, 13. Dezember.
Kriegshetze- als Hefihäst.
L Eine der 'f'egcs iit durch die
Voraussetzungen der Möglichkeit des ... vu.u, u.o Wirksamkeit der gewissenlosen Hetzpresse ge- ?aisen worden, die in allen Ländern den Völkerhass als lukra» !??- Geschäft betrieben hat. In England hatten darin die �lmes" und„Daily Mail" die führenden Rollen, deren Besitzer °rd N o r t h c l i s f e ist. Dieser Mann, der zwar im Hintergrunde aber durch seine einsluhreichen, nur nach seinem Willen redi» 'lWen Blätter die öffentliche Meinung Englands in einzigartiger °?!se beherrscht, erscheint auch vielen englischen Liberalen als ein Zonales Unglück, sein Tun als ein nicht wieder gut zu machender "lh.� Zum Ausdruck dieser Ansicht macht sich die liberale„Daily wz" ft, einem offenen Brief an Lord Northcliffe , der an Schärfe •» grimmiger Wahrheit der erhobenen Anklagen nicht überboten letoen kann. , Wer die Laufbahn Northcliffes überblicke, werde schwerlich eine JJ' für das allgemeine Wohl, für die Ideale der Menschheit darin tonnen;„aber er wird keine Schwierigkeit haben, auf die ?tge hinzuweisen, die Sie angestiftet haben, auf den Haß, den gesät, auf�die Sache, die Sie verlassen haben, auf Ihre Fäl- Mgen, die Sie überall verbreiteten. Sie haben all das getan, .A weil Sie irgendeinen Glauben hatten, nicht, weil Sie irgend- ;1 Prinzip hochhielten. Sie haben das alles getan, weil Sie den L°lg suchten, und der Erfolg ist das einzige, wovor Sie Achtung unter all den Geheimnissen und Heiligkeiten des Lebens. i5 Sic den Krieg gegen die Buren predigten, war es nicht, weil � die Buren haßten und England liebten; es war nur, weil � Ihre Zeitungen zu verkaufen verstanden. Als Sie den Krieg M Frankreich predigten und verkündeten, wir würden Frank- '•i„mit Schmutz und Blut bedecken" und seine Kolonien Deutsch . � geben, geschah es nicht, weil Sie irgendetwas gegen Frankreich sondern weil Sie wußten, wie man die Augenblicksleiden- gasten des britischen Pöbels ausbeutet. Als Sie auf die schwersten .%egeln gegen Rußland drangen wegen des Unfalls in der '®fee, da wußten Sie sehr wohl, daß da nur ein Versehen vor- 5- Aber Sie wußten auch, daß das KriegSgeschrei Ihnen eine � Reklame für Ihre Zeitungen gab. Als Sie im vergangenen Äling durch Ihre Zeitungen von den„Times" abwärts den "tgerkricg" prophezeien ließen, da kümmerten Sie sich nicht ! das Wohl des Landes und um die Parteien. Das Vaterland 'etl Sie nicht, und Sie haben mit allen Parteien kokettiert. Ja i»t Ihre Neigungen reißen Sie so ohne jeden Grund aus Ihrem A»tl wie Ihren Haß. Als Sie den Kaiser mit kriechender Be- Gerung umgaben, als Sie ihn„unfern Freund in der Not" �uten und für ein Bündnis mit Deutschland eintraten, da .'•ah das nur, um Ihre Predigt zum Krieg gegen Frankreich planier.--u machen. Mit einem Wort: Sie waren durch 2» Jahre wurnalistische Brandstifter in England, ein Mann, stets bereit, <Lelt im Flammen zu versetzen, um daraus ein Zeitungsplakat dachen." �cr Verfasser führt dann weiter aus, wie der jetzige Weltkrieg Lieblingsidee des Zeitungsmagnaten gewesen sei, und wie er ? triumphiere, daß er und seine Zeitungen richtig prophezeit !»n. Aber die Anklageschrift schließt mit den Worten:„Der M wird vielen Dingen ein Ende bereiten, und unter diesen »sich, so dürfen wir hoffen, auch da? Ende des unheilvollsten uusses befinden, der jemals die Seele des englischen JournaliS- * verdorben und vergiftet hat." .Und wir hoffen, nicht nur in England, sondern auch in allen '»ten Ländern.
Die Zaltlanöinseln. Im fernen Südatlantik, in den.wenig befahrenen Gewässern, östlich der Route von Buenos Aires nach dem Kap Horn Wehnen, i» unser AuÄandsgeschwader in heldenhaftem Kampfe !>>lickier Uebermacht erlegen, und die Falklandinseln, in deren die mehrstündige, ungleiche Seeschlacht stattgefunden hat, •tcii fortan für uns Deutsche mit einer wehmütigen Erinne- verknüpft seilt. Wer wußte bisher bei uns etwas von den ndinseln? Eine Welt liegt zwischen unserem Erdteil und fernen Archipel, eine endlose Wasserwüste, und gering ist Zahl der Deutschen , die je ihren Fuß auf diese Inselgruppe haben. Ein weltentrücktes Dasein führen die Falkland- inseln
; sind sie doch noch 450 Kilometer vom südamerikanischen Festlande entfernt. Sie liegen ungefähr auf gleicher Breite mit der Südspitzz Patagoniens und der Magelhaensstraße, und ihre geographische Brette auf der Südhalbkugel entspricht etwa der Mitteldeutschlands auf der Nordhemisphäre. Aber wie verschieden ist trotz dieser gleichen Breite das klimatische Bild der Falkland- inseln von dem, das sich bei uns zeigt! Weit und breit vom Ozean umspült, vom südlichen Eismeere bereits merklich beein- slußt, fehlt diesem Archipel völlig der Sommer in unserem Sinne. Gerade jetzt, im Dezember, ist dort die Zeit der längsten Tage und der kürzesten Nächte, ist die Zeit der höchsten Wärme des Jahres. Aber es wird während der gegenwärtigen Südsommers- zeit auf den Falklandinseln nicht wärmer als bei uns etwa im April, wofür allerdings auch der Winter nur mäßige Kälte bringt, etwa wie der Winter auf unseren Nordseeinseln. Sucht man für Land und Klima dieses Archipels nach einem Vergleich, so könnte man die Falklandinseln etwa mit den Lofoten an Nor. Ivegens Nordküste in Parallele stellen. Wie diese sind die Falk- landinseln von tiefeinschneidcnden Buchten reich gegliedert, so daß sie eigentlich nur eine große Zahl schmaler Halbinseln bilden. Der Archipel besteht aus zwei großen Inseln, Ost-Falkland und West-Falkland, die durch den Falklandsund voneinander getrennt sind. Etwa 200 kleinere Eilande umgeben die beiden großen Inseln. Am ausgedehntesten ist die Insel Ost-Falkland. Sie hat eine Länge von 300 Kilometern und ihre Breite erreicht an der ausgedehntesten Stelle 200 Kilometer. West-Falkland ist nur 200 Kilometer lang und bis zu 00 Kilometer breit. Wie man sieht, sind es Inseln von sehr großer Ausdehnung, angesichts der die Zahl der Bewohner geradezu verschwindend gering ist. Sie be- trägt noch nicht einmal 2000 Köpfe. Diese Bewohner treiben hauptsächlich Schafzucht. Rund eine Million der nützlichen Tiere gibt es auf dem Archipel. Auch Pferde, Rinder, Schweine und Kaninchen kommen vor, aber sie sind verwildert. In früheren Zeiten einmal eingeführt, blieben sie sich, als sich die Ansiedler wieder zurückzogen, selbst überlassen, haben sich aber stark vermehrt. Die einheimische Tierwelt ist da- gegen sehr arm an Arten. Auf West-Falkland kommt ein zur Gattung der Hunde gehörendes Raubtier, der Warrah vor, eine Art Wolfsfuchs. Sonst sind noch Seelöwen, Pelikane. Pinguine und Seeschwalben, Sturmvögel und wilde Gänse vorhanden, die die felsige, tiefzerrissene Fjordküste beleben. Diese Fjorde bilden zahlreiche ausgezeichnete Häfen, die den Walsischfahrern und Robbenfängern des antarktischen Meeres willkommene Zufluchts- stätten in den häufigen Weststürmen bieten, die oft mit furcht. barer Gewalt in jenen Gewässern loben. Ein ewig grauer, mit Wolken verhangener Himmel gibt der Landschaft das Gepräge; Regenwetter ist die Regel, Sonnenschein die seltene Ausnahme. Infolgedessen gedeiht üppiges Gras, Bäume jedoch können sich gegen die fortwährenden wütenden Stürme nicht halten; nicht einmal Strauchwerk gedeiht, und nur niedriges Myrtengestrüpp das sich dem Boden anzuschmiegen weiß, kommt in Fülle vor. Die FaMandinseln gehören seit dem Jahre 4535 den Eng- ländern. Ein Engländer namens Dawis hat sie auch im Jahre 4592 entdeckt. Die ersten Niederlassungsvcrsuche machten im 48. Jahrhundert die Franzosen. Wenig später setzten sich die Eng- länder auf West-Falkland fest. Im Jahre 4333 wurde der Archi- pel von den Englandern von neuem in Besitz genommen und nunmehr zielbewußt kolonisiert. Die Einkünfte der Inseln sind durch die Ausfuhr von Wolle, Schaffellen und Talg so bedeutend, daß die Kolonie seit langem keine Zuschüsse vom Mutterlande ge- braucht.� kleines Ieuilleton. > Unterzeug im krieg. Bei der kalten und naßkalten Witterung, die wir auf den Kriegs- chauplätzen haben, bewegt die Frage guter warmer Unterkleidung ür unsere Soldaten naturgemäß die gesamte Bevölkerung— gibt es Joch niemand, der nicht den Vater, einen Sohn, Bruder oder andere nahe oder entferntere Angehörige und liebe Freunde im Felde hat. Die Liebesgaben fließen denn auch reichlich, allerdings können sie bei der großen Zahl der den Unbilden der Witterung ausgesetzten Trup- Pen gar nicht reichlich genug gespendet werden. Und doch finden wir in den„Blättern für Polksgesundheitspflege" eine Mahnung zum Matzhalten, selbstverständlich nicht zum Maßhalten mit dem Spenden von Liebesgaben, aber zum Maßhalten in der warmen Unterkleidung für den einzelnen. Auch hierin kann man zuviel tun und ein Zuviö
ist stets schädlich. Besonders unter der Landbevölkerung, die ja einen sehr großen Teil unserer Soldaten stellt, findet man die Anschauung noch weit verbreitet, daß man sich übermäßig warm anziehen müsse, um sich vor Erkältung zu schützen. Wer gerade ein Zuviel an warmer Unterkleidung fiihrt zu Ueberhitzung und infolge davon erst recht zu Erkältungen. Der Verfasser der Warnung erzählt, daß er in seiner langen Dienstzeit oft die Erfahrung gemacht habe, daß vom Lande kommende Soldaten zuviel Unterzeug tragen, bei Untersuchungen war zu sehen, ivic eine Unterjacke nach der anderen von dem noch darunter befindlichen Wollhemde abgezogen werden mutzte, bis dann die natürlich in Schweiß gebadete Haut ,um Vorschein kam. Auch im Kriege von 4870/74 zogen einzelne Soldaten, die recht viel wollene Liebesgaben erhalten hatten, wenn der Tornister voll war, ein Unter- zeug über das andere. Bei den Fußtruppen ist es überhaupt falsch, Unterkleider aus dicht getvebten Stoffen wie Barchent und gewebte Wollstoffe auf den: Marsche zu tragen, da sie die Hautausdünstung verhindern, die bei den langen anstrengenden Märschen für die in Schweiß geratenden Soldaten überaus notwendig ist, wenn nicht Rheumatismus und andere Erkältungskrankheiten entstehen sollen. Auf dem Marsch soll man vielmehr poröse Filet- oder Trikotunter- kleider tragen, denn diese heben die Ausdünstung der Haut nicht auf und die zwischen den Maschen befindliche Luft hält genügend warm, weswegen auch gestrickte Wollsachen besser sind als gewebte. Aus demselben Grunde sind auch wollene Strümpfe auf dem Marsch nicht zil empfehlen, sondern lieber Fußlappen und baumwollene Strümpfe. Anders liegen die Verhältnisse beim Reiter und Wagenführer, der oft lange Strecken ruhig sitzend zurücklegt, ohne den Körper stark zu be- wegen. Für ihn ist wollenes Unterzeug zu empfehlen, während der Infanterist seine Wollsachen während des Marsches im Tornister tragen und sie erst iin Biwak oder Quartier anziehen soll, ebenso natürlich in den Schützengräben, in denen sich die Leute ja bei der modernen Kriegführung tagelang aufhalten müssen. Also auch beim Gebrauch des Unterzeuges soll man mit Ueberlegung handeln, man muß Bekleidung für Marsch und Kampf, für Biwak und Quartier unterscheiden und die Kleidung vorher passend wählen, soweit es sich t vorher übersehen läßt. Bei dieser Gelegenheit sei auch noch einmal an die bekannte Feld- zugs- und Manövererfahrung erinnert, daß bei Frostgefühl, lvenu warme Unterkleidung gerade mangelt, ein Bogen Zeitungspapier, der unter den Rock geknöpft oder in die Stiefel gelegt wird, eine ganz wunderbare Wärmewirkung hervorruft,
Notizen. — Vorträge. Im Institut für Meereskunde spricht Dienstag, 45. Dezember, Dr. Paul Mohr über Deutsch - fand und die Türkei smit Lichtbildern). — Bühnenchronik. Gustav Friedrich hat die Leitung des Friedricb-Wilhelmstädtischen Theaters über- nommen und eröffnet seine Spielzeit am 22. Dezember mit der Operette„Gasparone " von Millocker. Das Werk gelangt in neuer Ausstattung und neuer Inszenierung zur Aufführung. — Theaterchronik. Die Direktion des Deutschen Theaters wird den Betrieb ihrer Bühnen über den 4. Januar hinaus fortsetzen. Ende dieses Monats wird der Shakespeare- Zyklus durch das„W i n t er m ä r ch e n" abgeschlossen. Der Januar bringt als erste Hauptmann-Jnszenierung:„Schluck und I a u", ferner Raimunds Zaubermärchen:„Alpenkönig und Menschenfein d". — Eine WeihnachtSzeitung für Krieger. Der Gedanke, den im Felde stehenden Truppen eine eigens für diesen Zweck hergestellte heimatliche Weihnachlszeitung zu übersenden, ist in Kassel verwirklicht worden. In einer riesigen Auslage ist die „Kurhessische WeihnachtSzeitung", die, wie schon ihr Name besagt, für die Truppen aus den kurbessischen Landesgebieten bestimmt ist, den vielen Tausenden von Weihnachtssendungen ins Feld beigelegt worden. — Eine wichtige Person lächkeit. Während die übrigen Franzosen mit der Waffe für ihr Vaterland kämpfe», hält nach einem Bericht des„Figaro" M. Lamorlette die Ehre und den Ruf der französischen Küche hock, und zwar mit größtem und nicht zu unterschätzendem Erfolge; ist es ihm doch in seiner Eigenschaft als Koch des Marschall French gelungen, Tag für Tag, so lange der Krieg bisher dauert, ein neues, mit allem Raffinement der französischen Küche hergestelltes Gericht auf den Tisch des englischen Oberbefehlshabers zu bringen. Am 2. Dezember war er beim 422. Gericht angelangt und empfing das 422. Kompliment des englischen Heersührers.
k Jtan Raguttn öen Krieg erlebte. Ter August war wieder gekommen und mit ihm die Ferien. � für die Schulkinder der Dörfer an der Oise gab es keine 'cn. das heißt, die Kinder der Reichen streckten sich wohl des 'gens in den Federn, aber die Kinder der Häusler und Tage- 'er, die mußten morgens mit dem ersten Hahnenschrei heraus. hockten ihre Tragkörbe aus, und dann ging es hinaus oft Unweit aus die Felder. Und was war ihr Tagewerk dort auf ifeldern? Gebeugt, gebückt unter der immer schwerer werden- Lost des Tragkorbes schritten sie über die steinigen Felder und ? die Kieselsteine zusammen. War der Korb voll— und er Kle gestrichen voll sein—. dann wurde er auf einen bereits �schütteten Haufen ausgeschüttet, und der kleine Sammler oder kleine Sammlerin erhielt von dem Aufseher einen Bon, der 'n Wert von sechs Centimen hatte. Da hieß es fleißig sein, R an Vater und Mutter abends eine Anzahl Bons abgeliefert 'eu konnten. Hastig wurde um die Mittagszeit ein Stückchen J verschlungen, und Feld aus, Feld ab wanderte die Schaar der 'er, um Steine für Brot zu sammeln. So ging es jedes Jahr und nicht nur währeiid der Ferien. .oft wurde die Schule geschwänzt, damit man Steine sammeln llc. lind wenn der Lehrer auch drohte und der Maire warnte; das Wetter schön, dann fehlten in den Schulen immer viele �r, und die Eltern zuckten die Achseln: die Not! die Not! So es auch in diesem Jahre. Freilich, es war auch nach Saint- en-Chaussee die Kunde von dem Krieg gedrungen. Der Lehrer bereits fort. Immer mehr Männer verschwanden aus dem .e. Wenn sie gingen, trockneten Frauen vor den Türen der togen Hütten mit den Schürzen ihre Tränen, während die jncr langsam, ohne sich umzusehen, in ihren Holzschuhen die 'itraße entlang klapperten. In dieser oder zener Ecke ange- 'ten, grüßten sie mit dem Paar Schuhe, das sie in der Hand zurück— und verschwanden. Viele für immer. In den aber wurde das Brot kleiner, und der Kaffee dünner. Da es also um so früher heraus, hinaus aufs Feld, und Steine lllmelt bis zum sinkenden Abend. Der Krieg nahm die Straßen lind der llnternchmer, der die Kinder von Saint-Just-en- Mfee ausnützte— er verdiente im Jahre 45 000 Franken an 5.—, konnte viele Steinhaufen zur Abfuhr gebrauchen. klavpertcn also jeden Morgen Hunderte von Holzpantinen � das Dorfpflaster. Es waren Mädchen, Buben, Frauen und e. die auszogen. Kinder von acht und neun Jahren an waren »ter. und alte Männer von siebzig und achtzig Jahren zogen Ter Führer der Kinder aus dem ttnterdorf war ein zwölf- ger Junge, groß und stark gebaut, mit dem Gesicht eines Alten. chabtc sich auch so. Und die anderen Kinder folgten ihm aufs i. Wollten sie auf dem Wege nach den Feldern dem Spiel, jetzt, selbstverständlich dein Soldatenspiel, obliegen, dann rief
er sie zur Vernunft und sagte:„Geht, laßt doch diese Dummheiten — wir müssen zur Arbeit kommen." Und sie ließen sie. Jean Ragoutin war der Sohn einer Witwe. Er war eigent- sich schon seit zwei Jahren der Ernährer der Familie, die, außer der Mutter und ihm, noch als einem kleinen Mädchen bestand. Die Mutter hatte vor zwei Jahren, kurz zuvor war der Vater gestorben, einen Unfall erlitten, der sie hu jÄer schwereren Arbeit unfähig machte. Da hatte Jean die Ernährung der Familie in die Hand genommen und bis heute durchgeführt. Von seiner Jugend freilich war ihm nichts geblieben. Die Not und der harte Kampf um das Brot hatten ihm die Jugend geraubt. Der Krieg hatte sich an der oberen Oise noch nicht direkt bemerkbar gemacht. Wie aus weiten, weiten Fernen kam manch- mal in das entlegene Saint-Just-en-Chausiee diese oder jene Nach- richt. Mit einem stumpfen Gefühl des Mißtrauens und des Zweifels las man sie, besprach sie einige Augenblicke und hastete dann weiter in der Arbeit, denn diese war das Wichtigere— sie brachte das karge Brot. Jean war ein Junge, der dachte. Und sein Denken führte ihn seltsamerweise dazu, daß alle diese Ge� schichten mit dem Kriege nicht wahr seien. Immer beschäftigt mit dem großen Grundgedanken: wie schaffst du Brot für zu Hause und dich— lächelte er nur vor sich hin, wenn er vom Kriege hörte. Denn wie sollten die Menschen dazu die Zeit finden? Mußten die Armen von Saint-Just-en-Chaussec nicht jede Minute ausnützen, um ihren kargen Lebensunterhalt zu erwerben? Blieb ihnen Zeit zum Kriege? Ja, die wenigen Reichen seines heimatlichen Fleckens hatten Zeit. Aber dann dachten auch sie nicht an den Krieg. Sie gingen, wenn sie Zeit hatten, auf die Jagd und schössen Hasen, und das war Jean sehr lieb. Er ging dann mit als Treiber oder Träger und verdiente oft einen Hasen und einige Sous. Aber Krieg— nein, das gibt es nicht. Die Armen müssen für ihr Leben sorgen und die Armen, das sind die mehreren. So kamen die letzten Tage des August. Eines TageS kamen Soldaten durch Saint-Just-en-Chaufsee. Sie sprachen eine fremde Sprache. Aber es konnten keine Feinde sein, denn der Maire empfing sie feierlich. Sie zogen die Oise aufwärts. Am Abend desselben Tages kam ein Mann von der belgischen Grenze her, erzählte lange Geschichten von Kanonendonner, brennenden Dör- fern und dies und das. Jean hörte die Geschichten auch und lächelte. Aber da begannen Automobile durch die Hauptstraße zu rattern. Sie trugen alle Fahnen nnt einem roten Kreuz. Und aus den Augen der Männer, die die Automobile ftihrten. sprach ein Entsetzen und� ein Furchtbares. Dann kamen andere Wagen, von abgebetzten Pferden gezogen. Im Stroh der Wagen lagen bleiche Menschen mit blutigen Verbänden um den Kopf, an den Armen, an den Beinen. Hier und da hielt ein Wagen an, man lud einen Mann ab, und der, der abgeladen wurde, war tot. Jean sah dies alles. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Aber er konnte es nicht glauben. Hatte es in seinem Herzen nicht gezuckt, wenn'er bei den Jagden einen Hasen aufgefunden hatte, dem die Läufe abgeschossen waren. Und das wvr doch nur ein Tier. In dm Wagen aber hatten Menschen mit abgeschossenen Armen und Beinen
gelegen. Das konnten doch nicht Menschen gemacht haben. Er ent- schloß sich endlich, an ein furchtbares Unglück zu glauben, das passiert sei. Am anderen Morgen nahm Jean Ragoutin seinen Tragkorb, um Steine zu sammeln. Es war ein wundervoller Augustmorgen. Leuchtend stand eine dunstumflorte Sonne am Firmament, dessen milchiges Blau keine Schatten und Wolken zeigte. Ueber die Felder schwirrten die Insekten, in den Büschen schmetterte und sang es. Nur wenige Kameraden hatten sich ihm heute angeschlossen, aber der alte einbeinige Aufseher war da. Er erzählte vom Krieg. Aber Jean lächelte sein ungläubiges Lächeln. Er warf einen Blick auf die Welt umher. Sonst hatte er wenig Sinn dafür. Aber unwillkürlich stieg heute in ihm der Gedanke auf: an einem solchen Tage ist das ja gar nicht möglich. Die Schar kam an ihr Arbeitsfeld. Jean schritt, halb auf dein Boden liegend, dahin. Stein um Stein flog in den Tragkorb. Plötzlich horchte er auf. In der Ferne ein Ton wie ein Knurren. Er horchte nur einen Augenblick. Tann arbeitete er weiter. Wer der Ton hatte in seinem Herzen eine Angst vor einer Gewißheit ausgelöst, die ihn zittern machte. Und das Knurren kam näher und wurde zu Schlägen, die man einzeln heraushören konnte. Der Aufseher wollte die Schar der Kinder sammeln. In diesem Augenblick rasselte eS unten auf der Straße daher, bog plötzlich nach dem Felde ab, mühte sich den Hang hinauf, durchbrach den Busch, der das Feld oben begrenzte, und tauchte hinter ihn: unter. Es waren Kanoueii. Die Schar der Steinesammler, erschreckt und neugierig, verkroch sich seitwärts unterhalb der Batterie in einer Bodenmulde. Es dauerte nicht lange, da löste sich oben aus den: Busch ein Rauch los, dem unmittelbar ein Knall folgte. Die Kinder duckten zusammen wie getroffen. Und wieder dauerte es nicht lange, da kam aus lveiter Ferne ein surrendes Etwas, schlug krachend auf das Feld und stäubte eine Wolke von Erde, Sand und Steinen in die Lust. Jean schaute und horchte auf das Schauspiel. ES war also doch wahr: Menschen, erwachsene Menschen spielten Krieg! Sie hatten wirklich die Zeit dazu. Und sie spielten ihn mit allen Schrecken, setzten Menschenleben dabei ein! Und mehr und mehr furchten die surrenden Dinger, die aus der Ivetten Ferne kamen, das vor ihm liegende Feld. In Jeans Herzen kam es fast wie eine Freude, denn die Granaten legten Millionen von Kieselsteinen bloß. Das wird eine Ernte geben! Ah, Mutter— das gibt Brot! Mutter, schoß es ihm durch den Kopf. Einige tausend Meter weiter und die Kugeln aus der Ferne schlagen in Saint-Just-en-Ehaussee ein, zischen hinein in die Hütte der Mutter, Und die arme lahme Mutter---! „Halt! halt! Jean, bist Tu verrückt!" schrie der Aufseher. Wer Jean jagte bereits über das Feld dahin. Als wenn die Granaten aus der Ferne alle diesen laufenden Punkt suchten, so schlugen sie vor, hinter und ober ihm ein. Jean aber lief. Plötzlich ein furchtbarer Krach gerade vor ihm, ei» Schrei klang durch den Augustmorgen, Steine, Erde und Mcnschcnteile wirbelten in die Lust. Als wenn die Maschinen begriffen hättci« daß ein schuldloses Opfer gefallen sei, ür einen Augenblick setzte ein geradezu beängstigendes Schweigen ein, Von Jean war nichts mehr zu sehen. L. 0,