Dr. 62.- 1915.Unterhaltungsblatt öes vorwärts5oMag, liPfyDer poftverkehr üer Kriegsgefangenen.Von der schweizerischen Postverwaltung ist soeben ein« Etatisti!herausgegeben worden, die Aufschlug gibt über den riesigen Post«veriehr der Kriegsgefangenen. Die Verwaltung, die die Vermittlungder Postsendungen für die Gefangenen der kriegführenden Staatenübernommen hat, gibt folgende Zahlen bekannt:Postanweisungen sind umschrieben worden und weiter-spediert im Monat Februar an französische Kriegs«gefangene in Deutschland: 1öS 000 Stück im Betrage vonrund zwei Millionen Franken; an deutsche Kriegsgefangenein Frankreich: 21 100 Stück im Betrage von 374 300 Fr. Imganzen sind seit dem Monat Dezember 1914 bis Ende Februar 1915an französische Kriegsgefangene in Deutschland 503 000Postanweisungen im Betrage von 7 380 000 Fr. und an deuts cheKriegsgefangene in Frankreich 107 400 Anweisungenim Betrage von 2 023 000 Fr. umspediert worden. Seit I.Dezember v.J.vermittelt die schweizerische Postverwaltung auch den Kriegsgefangenen-verkehr zwischen Oesterreich- Ungarn einerseitsund R u st l a n d anderseits. Dieser Verkehr beträgt seit dem ge-nannten Datum bis Ende Februar an Postanweisungen an russischeKriegsgefangene in Oesterreilb-Ungarn 11 000 Stück, an österreichischeGefangene in Rußland 10 300 Stück im Gesamtbetrage von rund830 000 Fr.Neben dem Posianweisungsverkehr spielt der Paket« und Brief-Verkehr eine sehr bedeutende Rolle. Wurden doch durch das Post-bureau Genf(Transit) vom Monat Dezember bis Ende Februar530 000 Pakete an französische Kriegsgefangene in Deutschlandund 317 000 Pakete an deutsche Kriegsgefangene in Frankreichtransportiert. Für den Transport der Pakete läßt die schweizerischePostverwaltung direkte Bahnpostwagen Genf-Lindan und umgekehrtrollen.Der Gedankenaustausch zwischen den Angehörigen und Kriegs-gefangenen kommt selbstverständlich in ungeheuerlich hohen Zahlendurch den Brief- und Kartenverkehr zum Ausdruck. Sosind von dem eigens zu diesem Zweck errichteten Kriegsgefangenen-Postbureau Bern allein im Monat Februar 2 227 000 Briefe undKarten und rund 114 000 kleine uneingeschriebene Paketchcn fürkricgsgefangene Franzosen in Deutschland sowie 1 585 000 Brieseund Karten und 57 000 kleine Pakete für kriegsgefangene Deutschein Frankreich umgeleitet worden. DaS Total der seit Dezember 1914umgeleiteten Briefe, Karlen und kleinen Paketchen beläuft sich auf9 500 000 allein für deutsche Kriegsgefangene inFrankreich.Ein anschauliches Bild über diesen Verkehr ergibt die Tages-statistik pro Monat Februar: Täglich wurden durchschnittlich 130 187Briefe und Karten, 6110 uneingeschriebeue Pakeichen bis 350 Grammund 10 403 eingeschriebene Pakete bis 5 Kilogramm in Empfang ge-nommen und umgeleitet. Außerdem wurden täglich 0544 Post-anweisungen im Betrage von 94 746 Frank in Empfang genommen.umgeschrieben und weitergeleitet. Dieser Vermittelungsdienst, derganz bedeutende Hilfskräfte erfordert, wird von der schweize-rischen Po st Verwaltung vollständig taxfrei be-sorgt. Daß zu diesem Dienst nur durchaus sprachkundigesPersonal verwendet werden kann, ergibt sich am Rand, wenn dieEntzifferung der Adressen möglichst rasch von statten gehen soll; esist unglaublich, welche große Mühe und Arbeit die letztgenannteTätigkeit mit sich bringt.Dieser Vermittlungsdienst, der im Interesse oller Kriegs-gefangenen und deren Angehörigen der kriegführenden Staaten aus-geübt wird, erstreckt sich aber noch auf weitere Dienste derschweizerischen Postverwaltung. Porlofreibeit ist bewilligt wordenall den vielen Organisationen und Gesellschaften, deutschen, fran-zösischen und österreichischen, die sich mit der Fürsorge für dieKriegsgefangenen beschäftigen. Außerdem werden alle in derSchweiz selbst aufgegebenen Pakete bis zu 5 Kilogramm,Briefe. Karten usw. an die Kriegsgefangenen aller Nationalitätentaxfrei befördert.Nicht in den Bereich der Kriegsgefangenenfürsorge gehören so-dann all die vielen Erleichterungen, die für die in der Schweizwohnenden Angehörigen der zur Fahne einberufenen Krieger geschaffen worden sind: Portofreiheit ist all den deutschen, franzosischenund österreichischen Hilfsvereinen bewilligt worden für alle ein- undausgehenden Korrespondenzen, ebenso für alle Liebesgabensendungenbis zu 5 Kilogramm. In reichlichem Maße wird die Portofreiheitsodann benutzt für die Tausende von interniert Gewesenen deutscherund französischer Nationalität, die seit einiger Zeit unser Land durchfahren. So ist dafür gesorgt, daß all den in Mitleidenschaft ge�zogenen Kriegern und deren Angehörigen alle nur erdenklichen Er-leichterungen geschaffen werden ohne Rücksicht auf die Nationalität,eine Tatsache, die überall dankend anerkannt wird.Theater.Der Krieg in öer Sanöwüste.Nach der Niederkämpfung deS Burenaufstandes hat GeneralBotha jetzt mit einer Annee, die nach englischen Berichten50 000 Mann stark sein soll, den Kampf gegen Deutsch-Süd-Westafrika eröffnet. Große Aussichten, den Feind indiesem Feldzuge zu schlagen, hat man im Kaplandselbst nickt, denn der Johannisburger Korrespondent der„Daily Mail*, L. R. Neame, beeilt sick, in einemlangen Aufsatz die unerhörten Schwierigkeiten dieses Krieges in dersüdafrikanischen Sandwüste zu betonen. Botha hat sein Heer, sogut es ging, ausgerüstet; er hat Flugzeuge, schwere Artillerieund andere Hilfsmittel aus England erhalten, ohne dieer den Vormarsch gar nicht hätte wagen können. Der be-wohnbare Teil von Deutsch-Südwest liegt ja bekanntlichim Mittelpunkt einer sonnendurchglühltcn, Wasser- und schattenlosenWüste von Treibsand. Nur wer diesen Sandgürtel aus genauerErfahrung kennt, kann die Schwierigkeiten begreifen, die sich einemDurckmarsck entgegenstellen. Der Gürtel schwankt in seiner Breitezwischen 60 und 120 Kilometer. Durch ihn muß das englische HeerWasser und ebenso Nahrung für Mannschaften und Tiere führen,ja nicht nur das, sondern alles nur Denkbare, was ein Heerbraucht. Die Mittagshitze steigt bis zu 46 Grad Röaumur;die Sandstürme, die zu Mittag gewöhnlich wüten, sind so dicht,daß das nächste Zelt im Lager nur wie ein undeutlicher Fleck er-scheint und sonst alles unsichtbar ist. Die Truppen sinddann so in Schweiß gebadet, daß sie nur die dünnste Kleidung,einen Sonnenhelm und ein Paar Stiefel tragen können. Sehrhäufig sind Fälle, in denen die Soldaten durch die Sonne bis zumWahnsinn getrieben werden und nach dem Hospital zurückgeschicktwerden müssen. Zehntausende von Schleiern und Schutz-brillen find zum Kampfe gegen den Sand und gegen das er-barmungSlos blendende Sonnenlicht für das Heer Bothas geliefertworden. Die Pferde magern zu Skeletten ab und sterben wie dieFliegen. Bei jedem Windhauch entstehen hohe Dünen, und die Eisen-bahnlinien müssen von Tag zu Tag neu ausgegraben(?)werden, da die Schienenwege mit Sand hoch überdecktsind. Aber es gibt keinen anderen Weg, um gegen dieDeutschen vorzugehen, die sich in das Innere ihrer Kolonie zurück-gezogen haben, wo es Wasferlöcher und Quellen gibt und blühendesLand ist.BothaS Armee ist der deutschen Truppe, die er im Kampf be-gegnen wird, zahlenmäßig sicherlich überlegen. Ob dies aber zueinem Siege genügen wird, erscheint dem englischen Berichterstatterfraglich. Die Deutschen sind vortrefflich ausgerüstet, haben zahl-reiche Maschinengewehre, eine bedeutende Artillerie und reichlichenVorrat an Munition und Nahrungsmitteln. Die von ihnen ge-legten Landminen sind den Streitkräften der Union schonsehr unangenehm geworden, und man erzählt, daß in den letztenMonaten in Windhuk Handgranaten in Menge hergestellt wordensind.(?) Mit dem guten Eisenbahnsystem im Innern des Landes, aus-gezeichneten Telephon- und Telegiaphenanlagcn, die über das ganzeGebiet verstreut find, mit einer Anzahl von Flugzeugen, die sie be-sitzen, erscheinen die Deutschen als sehr gefährliche Gegner, zumal siefür den Kampf in der Wüste trefflich vorbereitet sind, was sich nichtvon allen Truppen Bothas sagen läßt. Wie gut der Nachrichten-dienst in Deutsch-Südwest funktioniert, dafür spricht ein kleiner Vor-fall. Wenn die Soldaten der Unionsarmee Fußball spielen, schicktihnen der drahtlose Telegraphist aus Windhuk sarkastische Bemer-kungen, in denen er sich darüber lustig macht, Tclephondrähte.die unterm Sand versteckt sind, wurden des öfteren entdeckt. DieDeutschen haben sich auch durchaus, nicht auf die bloße Verteidigungihrer Kolonie beschränkt, sondern sie sind zu verschiedenen Male»bereits angriffsweise vorgegangen, in den nordwestlichen Teil derKapkolonie eingedrungen und mit einer beträchtlichen Truppenmachtdort siegreich gewesen. Selbst wenn Botha mit seinem Heer denSandgürtel durchquert hat, wird er hier den starken deutschen Ver-teidigüngsstellungen gegenüber einen schweren Stand haben, und sowird dieser asrikanische Sandkrieg„ein langes Geschäft" sein— und,wie wir im Vertrauen auf unsere Schutztruppe annehmen dürfen,auch ein sehr schlechtes für die Engländer.Volksbühne(am Wülowplatz): Berg Ehbind unds e i n Weib. Friedrich K a y ß l e r und Helene F e h d m e r gabenihre Kraft ungewöhnlicher Menichendarstellung auf der Bühne andas isländische Drama, dessen Schauplatz so seltsam anmutet unddessen Urheber Johann Sigurjonsson unS noch gänzlich fremdgeblieben war. Eine neue Welt tut sich hier auf. Island ist esmit seinen heißen Sprudeln, glitzernden Schnee- und Gletscherfeldern.Und darein ein Volk: stark und schroff wie die Bergnatur, dasHirn und Herz voll kraftstrotzender Gedanken und glühender Dichter-träume. Denn das wollen wir doch gleich feststellen, was uns an diesemNordlanddrama als das Besondere auffällt: die so ganz unliterarischaus sich selber hervorquellende Eigenart und Schönheit der isländi-schen Volkspoesie. Sigurjonsson ist ja wohl ein junger Isländer.Mag er noch des vollen Rüstzeugs einer auf Lebens- und Kunst«erfahrung beruhenden Bühnentechnik ermangeln; mag seine Sprachenoch teilweise Buchsprache sein, seine psychologische Herausarbeitungnoch oft auf Stelzen einer etwas großsprecherischen Pathetik gehen:— Eigenwerk ist, was er gibt, das fühlen wir, obgleich wir unSan seine Menschen mit ihren Geschicken nur zögernd zu gewöhnenvermögen,Die Handlung deS Schauspiels dreht sich, wie ja schon derTitel erkennen läßt, um„Berg Eyvind und sein Weib". Unter demNamen„Kari* hat er Dienste als Verwalter bei der jungen reichenBauernwitwe„Halla" genommen. Einst stahl er dem Pfarrer, der ihm nichtgleich aus der Not helfen wollte, zwei Schafe. Für diese Dieberei be-kam er zehn Jahre Zuchthaus, brach aber aus und'hauste, ein Geächteter, tiefim Gebirge— bis er hierher kam. Kari und Halla_ sind zweischöne und starke Menschen. Was Wunder, daß sie zueinander inLiebe entbrennen. Hallas Schwager, auch ein wohlhabender Bauer,spekuliert insgeheim auf sie und ihren Hof. Kari ist ihm da sehrim Wege. Weil er aber von seinem Vergehen Kunde erhalten hat,so hetzt er ihm die Obrigkeit auf den Nacken. Will Kari nicht insGefängnis, fo muß er flüchten, Halla jedoch nimmt Schande undElend auf sich und zieht mit ihm in die Berge. Hier leben sietrotz Not und Einsamkeit glücklich, wenn auch nicht ungestört, Jahreund Jahre. Halla erträgt das furchtbare Los deS Geächtetseinsohne Seufzen und Klagen— bis auch sie sündig wird. Zuerstzwingt sie Hungersnot, ihr Kind auszusetzen. Dann geht es wiederbesser. Ein zweites Kind kommt. Mit inniger Liebe wird es gehegtund gepflegt. Dann aber als der Schwager ihren Schlupfplatz aus-gekundschaftet hat und nun mit Polizeiorganen erscheint, um Berg Eyvindzu fangen, da wirft Halla das Mädchen in den Wasserfall. Die volleTragik" des Daseins setzt ein. Die beiden haben nichts mehr zuessen. Und jetzt übermannt sie die Verzweiflung am Leben und anihrer Liebe. Der Schlußakt endigt furchtbar traurig: Halla rennthinaus in den Schneesturm in ihren Tod. Hier entrannen demDichter die Fäden zu einer dramatisch geschürzten Handlung. Zweifel-los das Schönste und Urwüchsigste ist die Liebesoffenbarung dieserzwei Menschen inmitten der grandiosen heimatlichen Bergnatur.Prachtvoll echt stimmten die landschaftlichen Dekorationen unddie isländischen Originaltrachten,Außer Kayßler und Frau Fehdmer, kraft deren großartigemSpiel das Drama erst volle Bedeutung erlangte, taten RobertA tz m a n n(als Aussätziger) und Aurel Nowotny(als vagabun-dierender Arbeiter) merklich hervor. vir-Nvtize«.— Vorträge. Am Dienstag, den 16. März, abends 8 Vi Uhr,veranstaltet die Stadtgemeinde Neukölln in der Realschule, Boddin-straße 34— 41, mit Herrn Dr. V. Pohlmeyer einen Lichtbildervortragüber das Thema:„Die geistige und volkswirtschaftliche E n tw i ck c-lung der Vereinigten Staaten Nordamerikas". DerEintritt ist frei,— Im Institut für Meereskunde spricht am Sonn-abend, den 20. März, Frau Marie B ö t e f ü r über ihre Erlebnisseals Kriegsgefangene Englands auf der Heimreise vonKamerun.— D i e deutsche Frau und die Mode. Der Vereinfür Verbesserung der Frauenkleidung läßt am Donnerstag, den18. März, abends 8 Uhr, im Künstlerhause, Bcllevuestr. 3, überdieses Thema einen Vortrag von Frau Klara Sander halten. An-schließend Vorführung von Kleidern.— Beim Einkauf von Konserven ist darauf zu achten,daß der Büchsendcckel eingesenkt erscheint, eine natürliche Folgedes luftleer gemachten Raumes. Wölbt er sich dagegen nach außen,so ist das ein Kennzeichen dafür, daß sich Zersetzungsgase gebildet� haben und der Inhalt der Vüchfe verdorben ist.02)Ueberfluß.Von Martin Andersen Nexö.�„Man ist doch glücklicherweise ein Mann," sagte Karlmit Selbstgefühl.„Pah!" Tortea Hansen pustete verächtlich.Karl ließ den Blick unschlüssig über die Stühle gleiten,dann zog er den leichtesten ins Zimmer, legte sich auf dieKnie und niühte sich mit ihm ab, die Hand ganz unten umdas eine Stuhlbein: mit Anstrengung hob er den Stuhl vomBoden. Die Ausführung erforderte keine Kräfte, sonderneine kleine behende Drehung des Handgelenks, er hatte Aagedas Kunststück mit einem Tisch niachen sehen und sich dannheimlich mit dem leichten Schlafzimmerstuhl geübt.„So ein lumpiger Rohrstuhl," sagte seine Wirtin,„daskann ich wahrhaftig auch." Sie legte sich aus die Knie undversuchte, irgendwo sprang ein Haken bei ihr ans, so eifrigwar sie.„Da ist eine Rippe geknackt," sagte Karl mit großerHandbewegung, und Else legte sich lachend über den Tisch.Der Stuhl rührte sich nicht vom Fußboden.„Versuch Dueinmal, Else," sagte sie und stand auf, init rotem Kopf vorunterdrücktem Lachen.„Ach, Ihr müßt lieber nicht Euer Unvermögen kon-statieren," sagte Karl in knabenhaftem Ton.„Ihr tut einembloß leid. Um so mehr, weil ich diese Sache ausführenkonnte, als ich zehn Jahre alt war. Jetzt habe ich ganzandere Nummern auf dem Programm, aber die zeig ich erst,wenn Aage Sörensen und ich als starke Männer auftreten—"So fuhr er dann fort. Und die beiden lachten über seinemunteren Uebertrcibungen und seine bescheidene Eitelkeit.„Er ist ja ein rechtes Kind." sagte die Mutter zu Else,„genauwie ein kleiner Junge, der seinen Griffel über die Schulterlegt und ruft' Hop-sa! als ob es ein schwerer Balken wäre."In dieser Zeit kam Karl auch auf den Gedanken, einenRiemen statt der Hosenträger zu tragen, weil man sich dannstarker fühlte.Eines Morgens bekam er einen ganz kurzen Brief folgen-den Inhalts von seinem Vater:Lieber KarlINur ein paar Worte, um Dir mitzuteilen, daß DeineMutter ernstlich kra�k ist und im Krankenhaus liegt. Essteht eine Operation bevor, deren Ausfall nicht vorherzusagenist. Der Hausarzt meint, sie habe durch ihren fanatischenGebrauch des Korsetts die Niere losgeschnitten und vielleichtauch andere Unterleibsorgane geschädigt. Aus dem. Kranken-hause liegt noch keine ganz endgültige Diagnose vor.Da ich die wunderbare Kunst des Heuchclns nicht gelernthabe, sehe ich die Ereignisse verhältnismäßig mit Ruhe an,zum großen Acrgcr unserer Freunde, die mich als eine ArtMörder betrachten. Herrgott, als ob das jederzeit dasSchlimmste wäre, was man sein könnte. Es ist doch eingrößeres Verbrechen, sich selbst zu morden als andere. Undin diesem Punkte hatte ich wohl Grund, mich schuldig zufühlen.Du kannst dies doch gewiß als Zugeständnis Dir gegen-über hinnehmen, ohne zu stark zu triumphieren?Du findest es gewiß erbärmlich, aber ich habe in denletzten Tagen wieder etwas Menschliches in mir erstehen ge-fühlt. Und ich bin bescheiden(oder hinfällig genug, wenn Dulieber willst), die Reste meiner selbst aus der Hand des Zu-falls zu empfangen.Dein Vater.Tie Nachricht von der Krankheit der Mutter berührteKarl für den Augenblick ganz vorübergehend, wie fremdesLeid. Aber sie vermochte seiner frohen Stimmung nicht aufdie Dauer Abbruch zu tun.Sein Wille zum Leben stieg mit jedem Tage, den er mitElse verbrachte: wie ein Geizhals achtete er auf seine Kräfte,indem er früh zu Bett ging und gut aß,— er tat alles, umsich zu kräftigen. Seine Gedanken ließ er in die Ferne vor-auseilen und weitreichende Zurunftspläne entwerfen.An einem stillen Frosttage Ende Dezember machten erund Else einen Morgcnfpaziergang ins Land hinein: in derletzten Zeit begleitete sie ihn immer. Wie gewöhnlich sprachensie von der Zukunft.„Dann werde ich ein richtiger Riese," sagte er hell,„unddann gebe ich Dir ein Kind, ein gesundes, kräftiges Kind."Sie preßte seinen Arm und begann zu trällern, ihrjunger Körper federte beim Gehen.„Willst Tu's nicht auch am liebsten zum Frühjahr, wennalles keimt und wiedergeboren wird und ich so stark werde?Es muß doch wunderschön sein, zusammen mit der ganzenNatur zu empfangen!" Er sprach träumerisch.„Du sollst mich bekommen, wann Du willst," erwidertesie leise.„Aber ich will stark und unbändig sein wie ein jungerSonnengott, denn das verdienst Du, gesegnet wie Du bist!Ich will mich über Dich senken wie ein Regen von Feuer, undDu sollst die Erde sein, die schöne fruchtbare Erde."„Dann soll es ein Junge sein, Du— einer, der Dir ähnlich werden kann!" Flammend sah sie ihn an.„Nein, ein Mädchen, das ebenso gesund und natürlichwerden kann wie Du— und so schön. Und sie soll frei auf-wachsen— wie Du und Deine Mutter— und eines Tageseinen Mann wunderbar glücklich machen."„Nein, es soll ein Knabe sein! Denn er soll klug seinwie Du und Deine Augen haben: und er soll sich auflehnenkönnen gegen all das, was verkehrt in der Welt ist. Daskönnen Madchen nicht, denn uns erscheint alles gut, wenn wirnur selber glücklich sind."„Ja, und gerade das soll er lernen, daß unser eigeneskleines Glück wichtiger ist als die großen Forderungen derganzen Welt. Dem Leben in seiner Gesamtheit ist am bestendamit gedient, daß jeder einzelne nur an sich selber denkt.Wie im Walde: jede einzelne Pflanze ist nur mit dem eigenenWachstum beschäftigt, und doch steht das Ganze im schönenFlor."„Wenn man einander lieb hat, so denkt man gewißmeistens an den andern.— Ich denke wenigstens nur anDich," sagte sie hastig.Das ist ungesund, wollte er antworten— schädlich.. Unddie Worte seines Vaters:„Selbstmord ist ein größeres Ver-brechen als Mord!" kamen ihm als Kcrnspruch auf dieLippen. Aber dann fiel ihm ein, daß seine eigene Muttergerade diesen schonungslosen Egoismus an ihm geübt hatte,und alles das, was er infolgedessen gelitten hatte, und er be-eilte sich, für die Frauen eine Ausnahme festzustellen. Undals er diesen Vorbehalt entdeckte, lachte er.„Gewiß," sagte er warm,„wir wollen auch anein-ander denken. Aber nichts ins Blaue hinein, nur an die, dieuns am nächsten stehen. Wenn jeder das tun will, so wirdtrotzdem der ganzen Welt geholfen."„Ja, wie nun Mutter zum Beispiel, sie hat ja nur Un-gelegenheitcn davon, daß wir es gut haben, und trotzdemdenkt sie immer an uns. Das ist doch nur lieb von ihr, nicht?"Grübelnd leuchteten ihre Augen:„Mutter wird sich so überdas Kind freuen, glaube ich: sie möchte die kleinen Kinderam liebsten aufessen.-- Du bist doch auch ein wenig un-zufrieden damit, daß Deine Mutter krank ist, nicht?"(Forts, folgt.)