g, 135-1915 Unterhaltungsblatt öes Vorwärts s�i�wi Der tzunö. Mm Paul Hau« Eitel. (Schlich.) Ueberall schien eS sich zu regen; leise, schwache Laut« stiegen auf von den Trümmern, drangen auS den nackten Fensterhöhlen. den schwarzen Löchern in den Mauern und vereinigten sich zu einem einzigen Klageschrei, der in der Luft erstarb. Alle diese Häuser schienen plötzlich lebendig geworden;— mit ihren Todes- wunden in der Brust, ihren verstümmelten Körpern glichen sie Sterbenden, die ihr letztes Röcheln ausstießen. Vom grauen Himmel senkte sich langsam die Dunkelheit her. nieder und hüllte daS Städtchen in einen dichten Schleier. Eine Ratte, groß, dick und fett, huschte schnell an dem Hund vorüber. Er sah ihr mit einem traumverlorenen Blicke nach, ohne sich zu rühren, wie sie auf der Straße unschlüssig eine Weile stehen blieb, mit dem Kopf in der Lust schnüffelnd, und schließlich in einem Kellerloch des vorspringenden Hauses au der Straßenecke der» schwand. Tarauf tauchte an einem Fenster eine Katze auf, die erst vor- sichtig ihre Nasenspitze herausftreckte und dann mit gesträubtem Schwanz am Sims erschien. Er blinzelte feindselig zu ihr hin- über, doch verhielt er sich mäuschenstill. Nur sein Schwanz zitterte in leise unterdrückter Erregung. Mit ihren grünen Augen funkelnd, maß ihn die Katze, dann sprang sie mit einem weiten Satz hinunter— und fauchend ihren Stücken krümmend, marschierte sie ganz gelassen, fast phlegmatisch an ihm vorüber. Der Hund knurrte drohend. Ihm zuckte eS in allen Gliedern. seiner Todfeindin an die Kehle zu springen, aber ein Blick auf seine kleine Herrin, die er nicht verlassen durfte, unterdrückte seine Gelüste. Von fernher klang ein Geräusch, wie ein wuchtiger schwerer Schritt, der rasch über das Pflaster dahineilte; eS drang berüber wie aus einem tiefen, ungeheuren Grabe und verhallte allmählich, immer schwächer werdend, mit einem schwachen, trau- rigen Seufzer in der Straße. Und nun krabbelte es, je dunkler es wurde, immer lebendiger an allen Ecken und Enden, kleine schwarze Schatten, die Leichengräber des toten Städtchens, tauch- ten auf zwischen den Trümmern und huschten lautlos vorüber. In der Nacht fing es an zu regnen. Es war ein dünner Regen, der in feinen, gleichmäßigen Strahlen herunterfiel. Er klatschte dumpf und monoton auf das Städtchen nieder, er kühlte seine Wunden, seinen großen, brennenden Schmerz und wusch den grauen Totenstaub von den Trümmern. Der Neufundländer erhob sich unruhig und lief um das Kind. unentschlossen, wie er sich hinlegen sollt«. Er streckt« seinen Kopf vor, um des Kindes Gesicht vor dem Regen zu schützen, aber da- fühlte er, daß es daneben naß wurde. Leise winselnd erhob er sich von neuem, und nur zögernd und langsam streckte er sich über ihm auS, so daß er mit seinem ganzen Körper da» Kind bedeckte. Er tat eS beinahe ängstlich, als fürchtete er, ihm weh zu tuu oder es zu erdrücken. Ohne ein Auge zu schließen, lag er die ganz« Nacht wach. Riesengroß und gespenstisch ragte der Trümmerhaufen vor ihm auf und hob sich schwarz und gigantisch wie ein breiter, von Blitzen zerrissener Berg von dem finsteren Himmel ab. Aber plötzlich- erhob er sich unruhig und spähte scharf nach der Straßenecke: in demselben Augenblick erscholl auch schon ein dumpfes Gepolter, dem ein langes, rieselndes Geräusch wie Steinregen folgte. Und da- zwischen klang ein schwacher, schriller Laut, der jäh verstummte. ... Der obere Teil des Eckhauses mit seiner schiefen, lose hängenden Mauer war eingestürzt, von dem Regen vollends durch- waschen, bi» einig« Steine nachgaben. Mit seinen scharfen Augen durchdrang der Hund die Dunkel- heit und sah unter dem Schutt einen schneeweißen Kopf auf- tauchen, der sich rasch rot färbte. ES war ein Grei», der, wohl vom Hunger getrieben, aus irgend einem Kellerloch hervorge. krochen war, um sich im Schutze der Nacht und de» Schweigen» der Kanonen einige Nahrung zu verschaffen und in jenem kritischen Moment um die Ecke bog, als die Mauer einstürzt«. Das langsam herunterfallende Geröll begrub ihn vollständig unter sich. Da es still blieb und der erschlagen«, vom Unglück überraschte Greis sich auch nicht mehr unter seinem Grabe regte, beruhigte sich der Hund bald wieder. Gegen Morgen hörte der Regen endlich auf. Grau und trübe brach der junge Morgen herein und hüllte die ganze Erde in einen feuchten, undurchsichtigen Nebel. Und al» wären sie selbst von der weiten, starren Melancholie deS TodeS ringsherum erfaßt, schwiegen heute die Geschütze; nur ganz von fernher drangen zu- weilen einig« schwache Töne herüber, bi» auch sie schließlich in dem großen Schweigen erstarben. Fast jeden Tag ging der Neu firnd länder einmal hinaus, nur auf wenige Sekunden, um nach seiner großen Herrin zu sehen, bloß um ihr guten Dag zu sagen, von irgendeiner dunklen Hoff- nung in seinem Innern erfüllt, daß sie«-ineS Tages a-fstehen könnte. Aber er kehrte immer mutloser und scheuer zurück und ließ seinen Kopf immer tiefer hängen. Mühsam richtete er sich auf seine Beine, um den Regen aus seinen langen Haaren zu schütteln, aber er war so steif und kraft- los, daß er beinahe umfiel. Der Hunger meldete sich von neuem bei ihm, mit wütendem Grimm, er bohrte sich wie ein langer, stechender Schmerz durch alle seine Rippen hindurch. Er schloß die Augen und winselte leise, um die furchtbaren Qualen zu unter- drücken. Die alten Brotkrusten oben in den Winkeln hatte er längst verschlungen. Und ein paarmal war er nahe daran gewesen, der Versuchung seines erschöpften rebellischen Magens nachzugeben, aber der starre Blick oes Kindes, der ihn zu durchdringen schien und ihn jedesmal mit Unbehagen erfüllte, hielt ihn gleichsam an seinen Platz gebannt. � Reglos liegend blickte er halb schläfrig auf eine umgestürzte Bratpfanne, die mitten auf der Straße lag und deren verbogener Sttel senkrecht gegen den Himmel strebte. Daneben lag, mit dem Gesicht in der Pfanne, eine große Puppe, der ein Arm und ein Fuß fehlte. Und weiter hinten ragte ein Kinderwagen zwischen zerbrochenen Tellern, Mauersteinen und einer Nähmaschine empor, hoch auf einem Waschbottich thronend. Ein langes, breites, rot- seidenes Band wehte von der aufgeschlagenen Klappe gleich einer Fahne herunter. Inmitten der zerstörten Trümmer tauchte dieser Kinderwagen heil auf mit seinem roten, flatternden Bande, wie der glückliche Vorbote eines langen, segensreichen Friedens für die kommende Generation, einer stillen, freudvollen, rosigen Zukunft... Da erschien unten in der Gasse ein verwilderter Hund mit einem großen blutigen Stück in seinem breiten Maule, der schnell dahinttottete. Dieser Anblick versetzte den Neufundländer so in Wut, daß er gern seinem Feinde an die Kehle gesprungen wäre, um ihm das Stück zu entreißen, aber er muhte diesen Versuch bald wieder aufgeben, da er fühlte, daß er der Schwächere war. Sein verhaßter Gegner stieß nur ein dumpfes Brummen durch seine Nase aus, ohne sich in seinem gleichmütigen Trab sonderlich zu be- eilen, und es schien fast, als ob er ihm im Vorübergehen einen höhnischen, spöttischen Blick zuwarf. Dann verschwand er, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, in der nächsten Straße. Der Wächter heulte ihm noch lange nach in dumpfer, ohn- mächtiger Wut. Er fühlte alle seine Qualen wieder wach werden und krümmte sich auf dem Pflaster. Vor seinen Augen tanzte immer das Stück Fleisch, groß und verlockend, er verbarg seinen Kopf zwischen den Pfoten, preßte ihn fest an die Kleider des Kindes, aber überallhin folgte ihm das Bild und vermehrte seine Qualen. Di« ganze Luft schien erfüllt von dem Geruch deS Fleisches, das ihm seine Phantasie vorgaukelte. Zwei Tränen rollten aus seinen Augen, die er zusammenkniff; sie ttoffen langsam und schwer her- unter. Er schluchzte still, lautloS, während ein schwaches Zittern wie Frost seinen gekrümmten Rücken überlief. Und schließlich erhob er sich schnell, plötzlich wütend, und mit einer ruckartigen Bewegung schnappte er nach seinem zusammengeschrumpften Unterleib und biß kräftig hinein, voller Zorn, um seinen rebellierenden, grausam wühlenden Magen zum Schweigen zu bringen. Er wagte letne kleine Herrin nicht anzusehen und wandte sich von ihr ad. Aber selbst im Rücken glaubte er, ihren vorwurfsvollen starren Blick zu fühlen, als durchschaue sie ihn, daß er sie verlassen wollte. Aber der wilde Trieb in seinem Innern zog ihn mechanisch fort— dem Geruch des Fleisches nach, das vor seinen Augen tanzte. Langsam wie ein Dieb schlich er von bannen, mit geducktem Kopf. Zehn Schritte weiter blieb er stehen und warf sich nieder auf den Boden. Er stieß ein schwaches Geheul aus, als wollte er seine klein« Herrin für all die Qualen, die er litt, verantwortlich machen— aber doch wagte er es nicht, sich noch einmal nach ihr umzuwenden, da er fürchtete, wieder schwach zu werden. Dann trottete er schnell dahin, den Schwanz eingezogen, in einem eigentümlich schlotternden Gang wie ein Betrunkener. Er war bereits so erschöpft, daß er mehrmals umfiel, und alle paar Schritte mußte er innehalten, um neue Kraft und Atem zu schöpfen. Beständig sah er sich furchtsam um, von einem merkwürdigen Ge- fühl beschlichen, als ob er ein großes Verbrechen zu begehen im Be- griff wäre, einem Gefühl, das noch durch seine völlige Ermattung gesteigert wurde. Aber starr und leblos lag die Gasse da, wie eine tote Schlucht. Von irgendwo aus einem Keller, unter einem balb zusammengestürzten HauS begraben, drang, halb erstickt unter dem Geröll von Steinen, Schutt und Scherben, eine dumpfe, schrille Die Erweckung öer Maria Carmen. 26s von Ludwig Brinkman«. Am nächsten Tage ward ich von dem Muchacho deS Dr. Castannares zum Herrn Osorw geführt. Ich fand ein sehr altes, gebrechliches Männlein, das kümmerlich von irgend einer Rente lebte und sich sonst mit ein wenig Gärtnerei beschäftigte: das war vielleicht das ein- zige, was dem dürstigen Greise und seiner noch dürstigeren Umgebung einigen Reiz gewährte. Er bat, ich mochte mich zu ihm auf einer rohen Steinbank vor dem Hause nieder- setzen, und erzählte mir von seinen Palmen, Feigenbäumen und Magnolienbllschen: von dem eigentlichen Gegenstande, auf den ich allein begierig war, wich er aus Vorsatz, vielleicht aber �auch aus seniler Gedankenflucht, beständig ab. schließlich aber gelang es mir doch von ihm eine Aus- kunft über die Maria Carmen zu erhalten. „Es liegt viel, viel Silber da drunten, aber man kann es nicht herausbringen: zu tief— und zu viel Wasser I* Das war alles, was ich zu hören bekam. Ich fuhr darauf mit der Bahn nach Ocotlan. Trotzdem ich mich noch recht schwach fühlte, wagte ich es doch, mir ein Pferd zu mieten. Ein ungeheures Gewitter prasselte auf das Land her- nieder: als es sich indessen verzogen hatte, wehte ein ange- nehmer, frischer Wind über die Wüste, der mich nach all der Oual und Glut in Oaxaca sehr erfrischte. Und ich bin guter Dinge im Hause der Maria Carmen wieder angelangt. Stuart ist sehr optimistisch bezüglich der Aeußerungen der edlen Sennora Castannares und ihres würdigen Oheimes Osorio. „Dergleichen Neberlieferungen enthalten gewöhnlich einen wahren Kern, und Deine Berichterstatter sind doch gewiß uninteressiert gewesen! Das bestärkt nur, was unser Freund Tobar uns von jeher, nur viel genauer, viel klarer erzählt hat. Und doch ist diese Nachricht eben als Bestätigung hochwillkommen: es wird mir immer gewisser, daß wir Wasser im Ueberslusse haben. Und damit wir nicht gleich wieder, sobald der Schacht leer ist, auf Monate aufgehalten werden, mußt Du gleich eine Pumpe von anständiger Größe bestellen!" Mir wollte das nicht sofort einleuchten. Ich wandte ein, daß wir doch eigentlich erst feststellen müßten, mit welchen Wassermengen wir es zu tun hätten. Der Wirkungsgrad einer nur halb belasteten Pumpe wäre doch so erbärmlich schlecht, und eine zu kleine Maschine hätte erst recht keinen Zweck. Aber Stuart wollte von Oekonomie nichts wissen. „Wir müssen so rasch als möglich Erz fördern! DaS ist der beste für uns erreichbare Wirkungsgrad!" Da war aber eine andere Schwierigkeit: Unser hundert- pserdiger Generator war durch die vorhandene und die be- stellte Pumpe und die kommende Fördermaschine vollständig belastet. Wie sollten wir da noch eine weitere große Pumpe betreiben können? Aber Stuart entschied, daß die letztere nachts arbeiten müsse, der Maschinenbetrieb also Tag und Nacht ununterbrochen aufrecht zu erhalten sei. Indessen fiel mir eine Sorge, die mich schon seit langen Wochen gequält, schwer auf das Herz:„Wie ober, wenn dem Gasmotor oder dem Generator ein Unglück zustößt? Die Maschinen sind wie die Menschen, alle werden einmal krank, sterben sogar, wenn ihre Zeit gekommen!" „Armer Ward," murmelte Stuart. Doch dann schien er sich plötzlich zu besinnen:„Wenn wir einmal keinen Strom mehr haben, können wir alle einpacken!" „Hätten wir doch nur erst die Wasserkraftanlage! Aber das kann noch ein Jahr dauern! Und Powell nach all den anderen Anschaffungen mit einer Reserve-Sauggasmaschine zu kommen, dazu gehört mehr Mut als ich habe!" „Der Henker hole Powell!", fuhr Stuart zornig auf. „Me große Pumpe bestellst Du, sobald die Offerten da sind. Und wegen der Reserveanlage schreibst Du ihm ein ausführ- liches Gutachten: wenn er widerspenstig ist, wird sie gegen seinen Willen angeschafft!" So blieb mir denn nichts weiter übrig, als wegen einer Pumpe, die 40 000 Gallonen in der Stunde fördert, das Maxinium, das unter den vorliegenden Bedingungen aus dem Generator herauszuholen ist, Angebote einzuziehen. Und Powell widmete ich einen meisterhaften Aufsatz, der die Sach- läge bis in die kleinste Einzelheit darlegt und in grellen Farben das Unglück schildert, das über den Jmparcial herein- brechen könnte, nein, müßte, wenn nicht sofort, obgleich schon viel zu verspätet. Reserve geschaffen würde.— Ach, armer Ward! Ich habe erst meine geschäftlichen Notizen gemacht, ehe ich Deiner gedenke. Es ist aber wirklich keine herzlose Ge- schäftsmäßigkeit, die mich so handeln läßt: nein, es wird mir nur so schwer, das wirklich zu bedenken, was ich von Stuart gleich bei meiner Rückkehr erfahren habe, daß ich am liebsten davon schwiege. Doktor Castannares hat, während ich mich von der Schinderei mit meinem Zahne in seinem Hause langsam er- holte. Ward trotz seines anfänglichen Sträubens untersucht weibliche Stimme hervor. SS war der heulende Gesang einer Wahnsinnigen, und er klang inmitten des furchtbaren Schweigens in dem ungeheuren Grabe wie das Hohnlachen eines Gespenstes. Und zuweilen unterbrach eine laute Kinderstimme den Gesang der Wahnsinnigen, flehend, bettelnd und klagend. Der Hund, der eine Weile erstaunt aufhorchte, schüttelte seinen Kopf, gleichsam miß- billigeno. Etwas weiter unten blieb er stehen. Ein kurzer, zermalmter Beinstumpf, bereits halb verfault, ragte zwischen einigen Mauer- steinen hervor. Er war an verschiedenen Stellen halb durchgenagt und wies Spuren der scharfen Nagezähne von Ratten und Katzen nach, die nachts zwischen den Trümmern auf Raub ausgingen. Hungrig, mit wilder Gier, nagte der Hund an dem Knochen; das Fleisch war in Fäulnis übergegangen. Es schmeckte ihm in der Tat nicht, und er schlang, trotz seinem gierigen Hunger, nur einige Bissen hinunter. Sein Magen war schon zu erschöpft. Dann kehrte er wieder zurück, ganz ftirchtsam und nieder- geschlagen, im Bewußtsein, daß er eine böse Tat begangem Auf allen Vieren am Boden kriechend, rutschte er demütig zu seiner kleinen Herrin. Er sah sie nicht an. Stumm lag er vor ihr niedergekauert, und ganz plötzlich begann er, ihre kleine, steife, geballte Hand zu liebkosen, leise durch die Nase winselnd, langsam und ununterbrochen. Dann schob er sich immer näher zu ihrem Gesicht heran und setzte dort seine Zärtlichkeiten fort, heiß und gierig, von einem swrmischen Impuls getrieben, der mit einemmal ihn überflutete. Und in dem abgebrochenen Stöhnen und Winseln, in seinen heißen Küssen kam der ganze, ungeheure, fassungslose Schmerz. die wunde Trauer seiner Hundeseele zum Ausbruch, seine grauenvolle Einsamkeit und Verlassenheit in der weiten, starren Wüste des Todes... Er preßte seinen Kopf stärker an das Gesicht des Kindes, als wollte er sich ganz verkriechen, er umfing diesen regungs- losen kleinen Körper mit der ganzen innigen aufopfernden Liebe seines Hundeherzens, als fühlte er, daß er nicht mehr lange würde wachen können, und als wollte er das Kind bis über seinen Tod hinaus vor jeder Gefahr beschützem Ihn befiel eine große Schläftig-- keit, und er versuchte vergebens, sie abzuschütteln; die Augen fielen ihm immer von neuem zu. Er fühlte sich so matt werden, daß er kaum ein wenig seinen Kopf aufrichten konnte, und mit seiner langen roten Zunge zum letztenmal das fahle Gesichtchen des Kindes liebkosend, gleichsam zum Abschied, streckte er sich über das Kind aus. Die Kanonen begannen von neuem ihre brüllenden Geschosse gegen den Himmel zu schleudern, aber die langsam hereinbrechende Dunkelheit hüllte schützend mit ihrem dichten Schleier die beiden eng umschlungenen Körper ein. J\n öen Dardanellen. Von der Halbinsel Gallipoli schickt der Berichterstatter des Pa- riser.Temps" einen vom 24. Mai datierten Brief, der das Bild dieser paradiesischen Landschaft und der gewaltigen Kämpfe aus ihrem historischen Hintergründe zu einem großzügigen StimmungS- blld zusammenfaßt: „Die Mittagsglut lastet aus dem Meere. Lange silbern« Streifen ziehen sich auf dem Wasser bis zu dem vergoldeten Ge- stade Asiens hin, dessen Staub im Lichte erglänzt«. Ein Dorf au§ rosigem Marmor steigt auf dem gewellten Grün, dann endet der Berg in Steppen, die von spärlichen Bäumen und Sträuchern be- grenzt werden. Auf unserer Seite der Meerenge ruht zwischen zwei moosbedeckten vortretenden Landspitzen und Felsen der dunkle See der Bucht zwischen Zypressen und Pinien. Um diesen Seefelsen- kessel herum stehen wilde Feigenbäume und zarte Mandelstämmchen, Olivengärten und einsame Zedern bilden Terrassen, die gewundene Pfade auf den von Gräsern, Klee , Mohn und Margueriten bedeckten Boden durchziehen. Dieser Teil des besetzten Gebietes war bisher den Schüssen der asiatischen Forts zu direkt ausgesetzt, als daß man sich ruhig hätte niederlassen können. Auch bat sich die Natur gegen die Verwüstung der Menschen gewehrt. Ueberall sind auch d'e Bäume abgeästet, der Boden niedergetreten, die Wiesen aufgewühlt. zerstampft. Aber in diesem versteckten Amphitheater, auf dem hier und dort umherliegende Granatsplitter die einzigen KrieaSspuren sind, erleichtert eine schwache Brise daS Herz von seinem dumpfen. Druck. Hier kann man wenigstens atmen. Auf der Wiese weiden Pferde. Leute gehen hin und her. Auf den Wogen tummeln sicb schwatzend Badende. Kaum wird die Ruhe der Landschaft durch die unvorhergesehene Ankunft einiger Schrapnells gestört, die wie Raketen bei einem ländlichen Fest platzen. Unter dem jungfräu- und Stuart gegenüber das grausame Verdikt ausgesprochen: Schwindsucht— halbe Lunge— hoffnungslos!— Wir hatten ja stets eine Vermutung darüber gehabt, daß es um Wards Befinden nicht zum besten stehe: aber auf solche grausame Gewißheit sind wir denn doch nicht vor- bereitet gewesen. Der allzeit praktische Stuart hat den Doktor Eifenbart sofort gefragt, ob der rasche Wechsel des Klimas den Kranken retten oder wenigstens sein Leben verlängern könnte: doch der in Sünden wider den heiligen Geist ergraute Zyniker erklärte emphatisch, daß die Wüste von Taviche unter allen denkbar möglichen Klimaten das beste wäre und daß eine lange Reise den Zustand des Kranken nur verschlimmern, nicht aber zu bessern vermöchte. Uebrigens könnte eS auch ein Jahr dauern, bis der Patient das letzte Viertel Lunge aus- gehustet habe. Ich kann jetzt kaum zu Ward hingehen, ihm Liebes zu erweisen— es wird mir gar zu schwer. 4- Ich weiß jetzt schon genau, daß Powell uns die Reserve- rnaschine nicht zugestehev wird: der will erst Einnahmen sehen, ehe er an weitere Ausgaben denkt. Wenn schließlich meine Pläne mit dem Wasserwerke rasch genug lebendige Wirklichkeit werden sollten, so körnst' es mit einigem Glück vielleicht doch gelingen, ohne den zweiten Sauggasmotor auszukommen. Ich bin also endlich zu Dickinsou hinausgeritten, nachdem mein böser Zahn den Besuch wiederum um fast ein- Woche hinausgeschoben hatte. Der brave Mann hat wirklich viel in dieser kurzen Spanne Zeit geleistet: er hat in den Grundzügen die Konstitution einer Gesellschaft ausgearbeitet, der A.8ocia.üäu de Electricidad de los iliceros de Taviche. An alle Minenbesitzer des Distriktes ist er herangetreten, in einer doppelten Absicht, einmal die Herren zur Kapitalbeteiligung zu veranlassen, dann aber sie dazu zu bestimmen, auf ein paar Jahre einen festen Kontrakt auf eine Mindcstab- nähme von elektrischer Energie abzuschließen, die zunäibst mit vier Centavos für die Kilowattstunde abgegeben werden soll. Ueberall bat er Interesse vorgefunden— aber überall auch Schwierigkeiten, sobald es sich darum handelte, einigermaßen bedeutende Abmachungen einzugehen. Er hat zunächst die Kapitalfrage ganz ous dem Spiele gelassen, und dadurch ge- lang es ihm, wenigstens Zusagen für die Stromabnahme zu erzielen. Es ist ja noch nicht viel, und die Wasserkraft kann nur zu einem kleinen Teile ausgenutzt werden, aber dennoch darf die neue Gesellschaft auf einen garantierten Konsum von jünfviertet Millionen Kilowattstunden im Jahre rechnen. (Forts: folgt.)
Ausgabe
32 (12.6.1915) 135
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