Nr. 174.- 1915.Unterhaltungsblatt öesvorWärtsSsmttag, 1. Avgust./löolf Zrieörich v. Schock.Zu seinem 100. Geburtstag am 2. August.In der Schackgalerie zu München, dieser ansehnlichen Gemälde-sammlung, hat sich Adolf Friedrich v. Schack ein für Dichter minde-stens ungewöhnliches Denkmal geschaffen, als hätte er gewußt, daßihm unsterblicher Dichterruhm nicht zuteil werden sollte. Vonseinem reichen dichterischen Schaffen ist nichts zum Gemeingut desVolkes geworden, und heute schon, zwanzig Jahre nach seinemTode, ist er als Dichter fast vergessen. Und doch ist er auch alsDichter nicht gerade eine gewöhnliche Erscheinung. Dem mecklen-burgischen Adel entsprossen, in jungen Jahren zum mecklenburgi-schen Hofe gehörig, später selbst zum Grafen erhoben, scheut er sichnicht, soziale Schäden und Mißstände aufzudecken, auf die Not unddas Elend in der menschlichen Gesellschaft hinzuweisen, seinenStandesgcnossen rücksichtslos einen Spiegel vorzuhalten; er schrecktauch nicht davor zurück, mit einer trefflichen Satire das Hoflebenzu kennzeichnen.Einiges von diesen Dichtungen ist in Sammlungen sozialerLyrik aufgenommen, und vielleicht sind wir es gerade, die wir diesemDichter allein noch einige Geltung verschaffen. Auch er strebtenach einem Völkerfrühling, nach einer Gesellschaftsordnung, dieweder Not, Elend, Knechtschaft, noch Ungleichheit, Haß, Zwietrachtder Völker kennt. Er glaubt an ein solch goldenes Zeitalter derZukunft, da sich die Völker in Bruderliebe zusammenfinden undnur eine Aufgabe kennen: nach dem Höchsten und Vollkommenenzu streben. In seiner Dichtung„Nächte des Orients" führt er dievergangenen Zeiten vor und zeigt, daß sie nicht das Ideal derMenschheit sein können. Da sieht er nur Sklaverei, Zerstörung,Blutvergießen, Haß und Verfolgung, Knechtschaft und Unter-drückung. Aber bei seinem Gang durch die Jahrhunderte erkennter doch einen ständigen Aufstieg zu höherer Kultur, und an einensolchen Aufstieg bis zur größten Vollkommenheit glaubt er für dieZukunft.Aufwärts, ja aufwärts geht der Menschheft Gang,Ob sich ihr Pfat> auch krümmt und windet,Ja, ob er auch jahrhundertlangIn dunkle Abgrundtiefen schwindet,Nach oben wieder reißt sich doch ihr Drang.Das endliche Ziel ist ein Bruderbund, der die ganze Welt um-spannt. In dem Gedicht„Was kommt daher aus luftiger Bahn"meint er, daß die Götter im Himmel schon den ewigen Friedengeschlossen,„satt sind sie des Blutes, im steten Zwist von Völkernmit Völkern vergossen," alle sollen sich die Hand reichen zumheiligen Bund, und„fortan soll nur ein großes Herz im Busender Menschheit schlagen". Dieser große Gedanke an einen Bundder ganzen Menschheit als Vorbedingung zu einem ungehemmtenAufstieg, zu einem Paradies der Zukunft, tritt öfter in, seinenDichtungen hervor.Oft zeigen seine Dichtungen ein Pathos, das an die DichtungenHerweghs erinnert, und eine glühende Naturschilderung, wie w:rsie aus der Wüstenpoesie Freiligraths kennen. Weite Reisen, dieer schon in jungen Jahren unternahm und bis ins Alter fortsetzte,führten ihn durch Spanien, Italien und den ganzen Orient. Vonihnen brachte er reiche Ernte heim. Seine ersten Veröffentlichungensind solche Studien und Ucbersetzungen cruS der spanifch-arabifchenund indisch-persischen Literatur, und auch seine eigenen Dich-tungcn, vielfach auf diesen Reisen entstanden, führen uns immerwieder in den Orient. Wer so sehr auch gerade diese Seite in denDichtungen Schacks hervordringt, überall zeigt sich doch da? tiefeEefübl, die edle Menschlichkeit, die Sehnsucht nach Fortschritt undFreiheit, die sogar in den.Weihgesängen" zu einer begeistertenPropaganda wird. Wer obwohl er oft recht leidenschaftlich füreine EntWickelung zu höheren Zielen eintritt, für die Morgenrötedes neuen Jahrhunderts, so finden wir ihn in der Glanzzeit derpolitischen Lyrik während der Kämpfe der vierziger Jahre dochnicht unter den politischen Dichtern, nicht durchaus auf der Seitedes Volkes.Aber in allen seinen Dichtungen kehrt derselbe Gedankewieder: das Verlangen und Streben nach Erkenntnis, das Ringennach Wahrheit, ein Suchen und Tasten nach dem Wege zu denIdealen der Menschheit, die Sehnsucht nach dem Vollkommenenund Großen, nach dem endlichen Siege reiner und schöner Mensch-lichkeit. Der Dichter selbst kennzeichnet es einmal so:„Der Menschist nicht von einem ursprünglich reinen und glücklichen Zustandespäter entartet, hat sich vielmehr im Laufe unzählbarer Jahr-tausende allmählich aus tierischer Roheit erhoben und steigt zuimmer höherer EntWickelung auf; nicht in der Vergangenheit liegtdas goldene Zeitalter, sondern in der Zukunft." Diese Tendenzist wie immer auch ihm zum Vorwurf gemacht worden. Manglaubt damit. Dichter, die ein soziales Problem zum Vorwurfnehmen, abtun zu können. Schack hat darauf geantwortet, daßauch„im Buche Hiob, einem der größten Werke aller Zeiten, sodann Iin Lessings„Nathan", mindestens einer der schönsten Zierden der Ideutschen Literatur, offenkundig die Handlung.»och einer bestimmten Tendenz gelenkt": die Regel, wonach dies ein Gebrechenfein soll, ist also falsch". Er hätte auch sagen können, daß einegroße und echte Dichtung, eine Dichtung von bleibendem Wertimmer auch eine Weltanschauungsdichtung ist. A. R.Wie man jetzt in Reims lebt.Für die Tatsache, daß sich der Mensch an alles gewöhnt, undselbst dem Schlimmsten gegenüber in langer Gewohnheit stumpfund gleichgültig wird, erbringt der Brief eines Korrespondentendes„Journal de Geneve" über einen Besuch in Reims erneut denBeweis..Das Getöse eines Bombardements", heißt es da,„istdurchaus nicht so unerträglich, wie man es sich im allgemeinenvorstellt. Es klingt hier sogar ziemlich schwach. Die Deutschenbeschießen Reims von Stellungen aus, die etwa 7 oder 8 Kilometervon der Stadt entfernt find. Von dieser Entfernung aus klingtder Knall des Schusses dumpf wie ferngrollender Donner, undohne das Pfeifen der Granaten in der Luft würde dem Ohr kaumetwas von der Beschießung vernehmbar sein. Dieses Fehlen desmit der Vorstellung von einer Beschießung untrennbaren Lärmshat wesentlich dazu beigetragen, den moralischen Eindruck desBombardements herabzumindern. Die Bevölkerung bewegt sichdenn auch in den Straßen ohne irgendwelchen Schrecken oderAngst zu verraten. Die Leute, die da auf der Schwelle ihrerHäuser saßen, und die Kinder auf der Straße schienen sich fürunsere Automobilkarawane, die in der Stadt ein ungewöhnlicherAnblick war, mehr zu interessieren, als für die Granaten, die datäglich hineinplatzten. Die Leute bildeten einen Kreis um uns,ohne auch nur einen Augenblick an die Gefahr zu denken, die wiralle liefen. Hier hockten zwei Jungen auf einem einzigen Radeund amüsierten sich mit hellem Gelächter bei ihren Fahrversuchen.Dort, und gerade an der Stelle, wo wenige Minuten vorher zweiFrauen mit zerschmetterten Beinen weggetragen worden waren,schob ruhig und gemächlich ein Gepäckträger seinen Handkarren vorsich her. Und auf dem Hauptplatz harrten die Droschkenkutscherwie Helden, die still und unbeachtet von der Welt auf verlorenemPosten stehen, der Fahrgäste. Seit dem Beginn des regelmäßigenBombardements, d. h. seit zehn Monaten, haben sie ihren Platznicht verlassen. Höchstens, daß sie, je nachdem die Geschosse vonlinks oder rechts einfchlugen, ihren Standplatz nach der anderenSeite verlegten. Stoifch und gleichmäßig halten sie da und er-warten den Fahrgast, der freilich in dieser halbzerstörten Stadteine selten« Erfcheinung ist. Wenn noch etwas dazu beitragenkönnte, die Hochachtung vor ihrem Heroismus zu erhöhen, so ist esdie Wahrnehmung, daß sie den Fahrpreis trotzdem noch nicht umeinen Centime erhöht haben.Heldenhaft wie die Kutscher erträgt die ganze Bevölkerungdie Mühsal und Gefähr, die ihrer täglich harrt. Die Frauen, dievor den Türen umherstehen, beschäftigen sich angelegentlich damit,das Kaliber der Geschütze, die die Granaten herübersenden, zubestimmen, und sie stellen Vermutungen an, wo sie einschlagenwerden. Seit dem Monat September ist das eine ihrer Haupt-und Lieblingsbeschäftigungen. Die Offiziere führen über dieseGleichgültigkeit und Achtlosigkeit des Publikums nicht geringeKlage, da sie wesentlich dazu beiträgt, die Zahl der Opfer, die dasBombardement fordert, zu erhöhen. Wer schließlich kann mandie Leute unmöglich zwingen, sich zu ängstigen. Diese Gleich-gültigkeit ist ja übrigens auch natürlich. Sie entspringt demFatalismus und der Gewohnheit. Trotz aller Vorsicht sind Leutegenug getötet worden. Eine Frau erzählte uns, daß sie umMitternacht am 8. April ihre beiden Kinder, zwei kleine Mädchen,geweckt hatte und daß sie sich alle drei in den Keller geflüchtethätten, als eine Granate in das Haus einschlug und dieses überihren Köpfen einstürzte. Die drei Unglücklichen wurden völligunter den Trümmern begraben, hatten aber nicht die kleinste Ver-wundung davongetragen. Solche merkwürdigen Fälle der Rettungsind hier zahlreich, und es ist kein Wunder, daß die Bevölkerungfatalistisch geworden ist. Und dann tröstet ja auch die Erfahrung,daß verhältnismäßig nur wenige Opfer zu verzeichnen sind.Wir Pariser konnten uns freilich der Furcht nicht erwehren,als wir zum erstenmal in der Luft die kleinen weißen Wölkchenerblickten, die aussahen, als wenn sie auS einer großen Pfeife auf-gestiegen wären. Wir sahen sie �um erstenmal, während dieLeute um unS kaum mehr einen Blick darauf warfen. Das Bom-bardement, das wir an jenem Tage miterlebten, war ungewöhnlichheftig. In einer Stunde fielen mehr als dreihundert Granatenauf die Stadt und mehrere davon aus das erzbischöfliche Palais.Gegenüber dem Bahnhof hörten wir zemand mit einem Seufzersagen:„Eine ist in die zweite Etage meines Hauses eingeschlagen,just in mein Schlafzimmer. Glücklicherweise befand ich michgerade im Keller". Ein paar Schritte weiter entfernt ist dasPflaster aufgerissen, und die Aeste der Bäume hängen in Fetzen.Ein Geschoß ist mitten hinein in die Anlage geplatzt, in einParterre von blühenden Rosen und Geranien, die eine Note her-ausfordernder Heiterkeit in dieses Drama hineinklingen lassen;denn die öffentliche Promenade ist genau so sorgsam wie in nor-malen Zeiten instand gehalten, ja, vielleicht noch ein gut Teilbesser als in jenen Zeiten, da noch die Menge hier sorglosflanierte. Und in grausigem Kontrast zu diesem Blumenfriedenliegt, nicht weit von dem Idyll entfernt, ein totes Pferd auf demPflaster, das ein Granatsplitter zu Boden geschmettert hat. unddessen steife Beine im Krämpfe der letzten Anstrengung zumHimmel emporstarren. Wir lenken unsere Schritte nach derKathedrale, deren trauriger Zustand schon oft genug beschriebenworden ist. Auf unsere Bemerkung, man nehme allgemein an,daß die Kathedrale nicht wieder aufgebaut werden solle, daß ihreTrümmer vielmehr gleich denen des Heidelberger Schlosses alsberedte Zeugen der Grausamkeit des Krieges erhalten werdensollen, antwortete der uns begleitende Pfarrer mit bitteremLächeln:„Ja, wollt Ihr denn, daß meine arme Kirche der einzigeKriegsbeschädigte ist, dem man keine Hilfe bringt?"kleines Feuilleton.G Siese Iremörvörter!Wie anderwärts, ist auch in de» Mauern der MusenstadtGöttingen der Vernichtungskrieg gegen das Fremdwort auf demGeschäftsschild entbrannt. Militär-, Regierung?- und Polizei-behörde haben sich zu einem Dreibund zuscrmmcngetan und denfremdländischen Aufschriften der Geschäftsleute grimme Fehde an-gesagt. Mit der in unseren Tagen zum Sprichwort gewordenen„mitleidslosen Verfolgung" wird den Eindringlingen in dasdeutsche Sprachgebiet zu Leibe gegangen, ganz gleich, ob sie sichnun dick und aufgeblasen in gleißendem Goldgewande auf denSpiegelscheiben von Schaufenstern breit machen oder flachbrüstighingepinselt an nüchterner Mauer kleben. Pardon— was zwarauch ein Fremdwort ist— wird nicht gegeben I Da aber die„Aus-länder" unter den Schilderaufschriften sich aus verschiedenen Grün-den nicht immer und überall von heute auf morgen verbannenlassen und noch weniger im Handumdrehen für sie Ersatz zu bc-schaffen ist, so geriet mancher Geschäftsmann in nicht gelinde Ver-legenheit. Dazu kam. daß hinter der freundlichen Aufforderung:„Es wird anheimgestellt, die Inschrift zu entfernen," ein militari-scheS Verbot für den Fall der Nichtbefolgung lauerte, das dieFirmeninhaber dazu antrieb, so schnell wie möglich reinen Tischzu machen. Und so wurde denn zunächst einmal alles, was alsketzerisch vom Bannstrahl der Obrigkeit getroffen war, verkratzt,übermalt und mit Papierstreifen beklebt, ohne Rücksicht darauf,daß solche? Verfahren die Schilder bisweilen zu rätselhaften In-schriften werden ließ. Die Göftinger entwickelten hier und dasogar recht gesunden Humor bei ihrer Ausroftungsarbeit, wie diekühne Tat eines ehrsamen BartschererS beweist. Er, der bis heuteeinenF ri s i e r- Sa Ion für Damen und Herrensein Eigentum nannte, ging ebenfalls reumütig hinaus vor seineTür und radierte mit Entschlossenheit den welschen„Frisier-Salon"von der Mauer, so daß seinen belustigten Kunden beiderlei Ge-schlechtS seit dieser Stunde ein weithin leuchtendesFür Damen und Herrenentgegenwinft..._Die UniversalmaMne.Jedermann kennt heute die sogenannten Universalwerkzeuge,die in einem Stück Hammer, Zange, Schraubenschlüssel und nochmehr vereinigen. Etwa» ähnliches im großen bringt nun eineamerikanische Maschinenfabrik auf den Markt. Es handelt sichauch hier um eine Maschine, die in sich die verchiedenen Werkzeugevereint und außerdem fahrbar ist. Die Maschine dürfte sich dortbewähren, wo oft wechselnde und nicht zu bedeutende Arbeiten vor-kommen. Fetzt in Kriegszciten könnte die Maschine auch fürHeereSzwecke leicht Verwendung findem da sie infolge ihrer Ein-richtung als fahrbare Werkstätte den Truppen leicht folgen könnte.Die Maschine enthält neben einer Schmiedeeinrichtung und«inenSchraubstock je eine Drehbank, Hobelmaschine, Bohr- und Fräse-Maschine, ein« Kaltsäge und eine Schleifscheibe. Die Schmiede-cinrichtung empfängt den Wind von einem innerhalb des Gestelle»befindlichen Ventilator, der durch ein am Ende der Maschine an-gebrachtes Handrad zu betätigen ist. Dasselbe Handrad wird beimAntrieb der Spindel verwendet, in welcher der Bohrer usw. ge-halten werden. Der Amboß ist gleichzeitig der eine Backen einesSchraubstockes und kann längs des Bettes mit Hilfe eines Hand-radeS an einer am Ends der Maschine angebrachten Spindel be-wegt werden. ES ist möglich, durch diese zwei erwähnten Hand-räder alle Bewegungen der Maschine zu regeln. Natürlich kannauch ein Motor benutzt werden, um die vorhandenen Lorgelezeanzutreiben.Die Erweckung öer Maria Earmen.6öj Von Ludwig Brinkmann.So verfiel ich auf die Bücher. Die fliegenden Anti-quariate der Straße sind fast unerschöpfliche Fundgruben fürwertvolle Schätze aller Art. Weiß der liebe Himmel, wie dasalles zusammenfließt I Mexiko ist nun einmal das Land derWechselfälle; heute unendlich reich, morgen blutarm; in derFrühe wird eine kostspielige Bibliothek rasch zusammen-gekaust, für Tausende von Pesos, um am Abend nach demBankkrache für ebenso viele Centavos wieder losgeschlagen zuwerden. Die Literatur aller Zeiten und Sprachen ladet zurAuswahl ein; so habe ich viel gekaust und viel gelesen.Da war es mir, als fände ich langsam wieder den Wegzur alten Heimat, nach Europa. So viel Verwandtes, Ver-trautes stieg bei dieser bunten Lektüre in mir aus der Ver-gessenheit auf; ein zartes Band sponn sich zwischen mir undden uralten Stätten der Kultur, verknüpfte sich wieder mitden Bestrebungen, den Idealen vergangener Zeiten. Ichempfand zu meiner Freude, daß es doch noch auch für micheine Welt gäbe, anders als die heiße, steinige Wüste Süd-mexikos, mit höheren Idealen als der Jagd nach dem Silber,mit schöneren Dingen als dem rauhen Leben des Minenhausesund des Hochgebirges; ich fühlte, daß ich jener Welt stärkerangehörte, durch den Adel uralter Kultur, als dem Parvenü-tume Amerikas, und war glücklich darüber; meine Seele, diezwei Jahre lang eingefroren schien, taute an dem warmenFeuer, das aus diesen Büchern mir entgegenleuchtete, auf;es wehte mich wie Atem des Frühlings an-- wie langeist es doch her, daß ich keinen Frühling mehr erlebte! Hierist ja alles gleich, alles gleich farbenbunt und prangend, unddoch so kalt in seinem innersten Wesen.Auch wirtschaftliche Probleme begannen mich wieder zubeschäftigen. Ich blätterte in ein paar geographischen Büchernüber Mexiko und studierte das Land auf seine technischenMöglichkeiten bin. zeichnete in seine Karte die beiden Netzeein, in denen sich die Geographie des Ingenieurs darstellt;das Netz des Verkehrs, dessen Zentralen die großen Städte,dessen Ausgangspunkte die Häfen, dessen Verbindungs-Leitungen die natürlichen Straßen bilden; und das. Metz derNaturkräfte, des Wassers und der Kohlen sind, und dessenStrahlen in den Stellen starken Konsums von Energie aus-münden, also überall da, wo sich die Schätze des Innern undder Oberfläche der Erde finden oder wo Mittelpuntte der Be-völkerung mächtige Industrien entwickelt haben.Versuche, derartige Netze in Harnwnie zu bringen, habenetwas ungemein Reizvolles; es ist der Traum der Politik imGroßen, der Politik der Zukunft, die Methode, wie diemoderne Welt zu kolonisieren hat. Erst wenn man ein Landvon diesem Standpunkte der technischen Wirtschaftlichkeit be-trachtet, erschließt es uns die Geheimnisse seiner tvahrenNatur. Neue Ideen kamen mir, mehr als ich auszudenkenvermochte, und es jammerte mich oft, so schwach, so unbedeu-tend, so gar nichts zu sein, während so viel Großes auszu-führen ist.Ueber all dem ging fast ein Monat dahin, und alles istso unklar, so verworren wie zuvor.»Ich habe heute eine seltsame Entdeckung gemacht, diemir zu denken gibt. Ich sprach bei der N. B. M. vor, dieseinerzeit die A. E. M. T. finanziert hat, um auch dort fürunsere Sache zu werben, und drückte meine Verwunderungdarüber aus, daß, obgleich die Werte von Oaxaca augenschein-lich so beliebt seien, es doch so arge Schwierigkeiten bereite, dierichtigen Leute, die sich dafür interessieren, zu entdecken.Herr Stepney, der Bankdirektor, fragte mich darauf ver-wundert:„Wer sagt denn, daß die Minen von Taviche plötzlich einbeliebtes Papier geworden sind? Man darf sich nicht täuschen;ich habe die Vorgänge da drunten, als die Kurse anzogen,genau verfolgt und festgestellt, daß nur eine einzige Bank füreinen einzigen Kunden größere Gefchäfte gemacht hat. Eshandelt sich um einen Herrn aus den Staaten, der wahrscheinlich von dem Gedanken geleitet wird, die ganze Gruppevon Minen zu syndizieren, sich dort ein kleines Monopol zuschaffen. Die A. E. M. T. muß er nach den Käufen, die ge-schehen sind, jetzt schon kontrollieren, und wenn die anderenAktionäre nicht auf der Hut sind, geht es mit der Oaxaca-Silberschmelze und der Ocotlan-Taviche Bahn ebenso. Aberaußer diesem Herrn hat kaum jemand Interesse für IhreWüstenwerte gezeigt. Indessen, der ist Ihr Mann, denmüssen.Sie fuchenj"„Und wie vermag ich ihn zu finden, Herr Stepney?"„Ich habe den Namen gewußt, aber� wieder vergessen.Man hat mit so viel Namen zu tyn. Doch in meinem Bureauwird er bekannt sein; ich werde anfragen l"Er setzte die Kurbel des Telephons in Bewegung undfing mit jemandem zu sprechen an.„Ganz recht, der ist esl Herr Powell, Herr CharlesPowell aus San Antonio, Texas. Ich danke!"Dann wandte er sich an mich:„Sie haben es gehört. Das ist der Mann. Mein Buch-Halter sagt mir eben auch, daß Herr Powell vor einigen Tagenzwei Gruben des Distriktes käuflich an sich gebracht hat!"„Bedaure, daß der doch nicht der rechte ist. Das ist jagerade mein und Herrn Stuarts Gegner!"—Seltsam, seltsam. Der Feind ist hundertmal stärker alswir geahnt. Und auch seelisch größer. Wir meinten miteinem reichen, aber kurzsichtigen Geizhals zu tun zu haben— doch wir kämpften gegen eine unberechenbare und daherum so gefährlichere Macht, die zielbewußt alle Geschicke desTales von Oaxaca an unsichtbaren Fäden lenkte.Ich habe natürlich sofort an Dickmson und Stuart ge-schrieben.»Und nun noch eine Ueberraschung— die letzte! Nunwird keine mehr kommen. Meine Sinne verwirren sich—das Unerwartetste von allen Dingen ist eingetreten...Auf der Alameda habe ich mir den„Mexican Herald"gekauft und darin folgende Notiz entdeckt:„Die Grube Maria Carmen der Jmparcial MiningCompany Limited, Taviche, Staat Oaxaca, ist von einemgroßen Unglück betroffen worden. Der Gasmotor, der dieelektrische Kraftmaschine betrieb, ist explodiert, und mit demFortblerben aller Energie ist die Mine binnen dreier Tagevollständig ertrunken. Da die Fluten im Innern des Ber-ges große Zerstörungen angerichtet haben— die Verzimme-rung ist unterspült worden, so daß ein Teil der Stollenverschüttet ist— kann der Betrieb nicht wieder ausgenom-men werden. Wie wir hören, soll infolgedessen die Mineganz aufgegeben sein, zumal sie auch sonst wenig ver-sprechend war. Die Erze sind in nur dünnen Adern in dasGestein eingesprengt und nicht besonders wertvoll!".(Forts, folgt.)