Nr. 179.- 1915. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Zovnabttld, 7. August. Warschau   m Geschichte unö Kunst. Warschaus   Geschichte und die Geschichte von Polen   sind so innig miteinander verflochten, daß man die eine ohne die andere sich kaum vorstellen kann. Und doch gehört die Bedeutung von Warschau   erst Polens   späterer Zeit an und man kann mit Fug behaupten, daß die Geschichte dieser glänzenden und berühmten Hauptstadt mit der Geschichte des Niederganges des einst so mächtigen Polenreiches Hand in Hand geht. Warschau   gehört nicht zu den alten Städten des Polenlandes; in der näheren Umgebung der Stadt tauchen zum Beispiel Socbaczew, Blonic und Grojek bedeutend früher auf aus dem Dunkel der Zeit, und manch eine dieser jetzt so unbedeutenden Land« städte war rege und blühend, als da, wo heut die Alexanderbrücke die Weichsel   überspannt und Warschau   mit Praga verbindet, nur erst eine ärmliche Bevölkerung vonFlissen* sich angesiedelt zu haben scheint. Die Anfänge Warschaus   gehen nicht über das 13. Jahr- hundert zurück. Hundert Jahre später, Anno 1339 konnte Papst Benedikt XIIL den Platz allerdings schon bezeichnen alseinen mit Mauern umgebenen und mit allem Nötigen reichlich versehenen Ort, wo der Fürst von Masowien   mit großem Gefolge so oft gewohnt". Doch darf man darum die Vorstellungen vom damaligen Warschau  nicht zu hoch spannen; noch im Ib. Jahrhundert, als Krakau  , Warschaus  alter Nebenbuhler, schon eine der bedeutendsten und ansehnlichsten Städte Europa  - war, hatte Warschau   immer noch hölzerne Häuser und hölzern war auch noch seine Burg. So beginnt die große Zeit der Stadt erst im 16. Jahrhundert. Zum politischen Mittel- punkte des polnischen Volkes und Staates ist sie feit jenem Wahl- reich-tage von 1573 geworden, wo bei Praga, auf freiem Felde Heinrich von Frankreich, der Valois, im Wettbewerbe um die polnische Königskrone den Sieg über den österreichischen Erzherzog und über den russischen Zaren davontrug. Dieser Reichstag aber war be- kanntlich auch der Anfang der schweren inneren Zerrüttung des pol- nischen Reiches. Am Ende dieses Jahrhunderts wurde dann Warschau  , das bis dahin immer nur erst vorübergehend als Residenz gedient hatte, durch Sigismund m. zur festen Hauptstadt des Reiches erhoben, und damit setzt die Epoche ein, der das Stadtbild von Warschau   daS Gepräge zu verdanken hat, das es im wesentlichen noch bis zum heutigen Tage behauptet. Das alte Warschau   hatte sich am hohen Flußufer westlich des trüben Weichselstromes angesiedelt, wo das Plateau steil zum Strome abfällt. Das war ein beherrschender Punkt, und die alte Burg der Herzöge von Masowien  , aus der nach vielen Wandlungen heute das stattliche, aber wenig charaktervolle Schloß geworden ist, dem Stanis- laus Poniatowski die letzte Form gegeben hat, beherrschte den wichtigen Flußübergang, der Weilhin ver einzige war, und zugleich daS frucht­bare Niederland, das sich östlich und westlich des Stromes dehnt, lim diese Burg herum siedelte sich nun die Altstadt an, ein winkliges, wenig sauberes Viertel dichtgedrängter enger Straßen und Gassen, in dem sich Warschaus   ehrwürdigste Kirche, die Kathedrale St. Johann, erhebt, eine gotische Hallenkirche von guten Ver- Hältnissen,, die an Denkmälern und Erinnerungen der polnischen Ge- schichte reich ist. Im allgemeinen ist Warschau  , wie sich aus dem Gange seiner Geschichte ergibt, an mittelalterlichen Denkmälern nicht reich, und die Gebäude und Reste jener Zeit sind vielfach durch Umbauten und Zutaten späterer Geichlechter umgestaltet worden. Die Baustile, die in Warschau   vorherrschen, sind die schweren Formen der italienischen Spätrenaissance, wie sie das 17. Jahrhundert bevorzugte, und dann die Formen des Barocks in ihren mannigfaltigen Abwandlungen, bis herunter zur spielenden Anmut des Rokokos. Im 17. Jahrhundert nahm die Pracht und Verschwendung der Magnaten, die sich in Warschau   anbauten, eine große Höhe an, und Paläste, wie der der Kasanowskis oder der Koniccpolskis, wiesen prachlstrotzende Säle voll schwerer Gold- und Silberschätze auf. Italienische Baumeister kamen in die Stadt, be- deutende Kirchen im Stile der Zeit entstanden, und Warschau  , das inzwischen gegen Norden hin eine stattliche Neustadt angesetzt harte, entwickelte sich mehr und mehr zur glänzenden Residenz. Dann ckäm der Höhepunkt: die S a ch s e n z e i t. DaS war die Zeit, wo Warschau   seine schönsten Kunstwerke erhielt; noch ist da- Palais Brühl als Denkmal jener Zeit erhalten. Und neben den Palästen entstanden die schönen und geräumigen Parkanlagen, durch die die sächsischen Herrscher sich in Warschau   das beste Andenken er- halten haben. Ist auch das alte Residenzschloß der Sachsenkönige verschwunden, so ist doch der Sächsische Garlen erhalten, dieses vor- treffliche Spätwerk des Lenötre-Stiles, das im Herzen Warschaus  .selbst gelegen, einen Ruhm der Stadt und den Miltelpunkt ihres Lebens bildet. Dort, am Sächsischen Garten, führt die große Lebensader, der Boulevard von Warschau  , vorbei, dieKrakauer Vorstadt  ", die in der Anlage der Stadt die Achse des Fluß- laufeZ wiederholt und das Rückgrat ihres schönsten Viertels, des «üdviertels bildet, Diese Krakauer Vorstadt   ist ein reizvolles Stück Stadtanlagc. Bald bequem sich verbreiternd, bald wieder kräftig zusammenziehend oder zu stattlichen Plätzen ausladend, läuft sie an Kirchen, Palästen und Monumentalbauten aller Art vorüber, eine glänzende, elegante, stets belebte Straße, die sich schließlich in der schönen Lindenallee der Aleja UjazdowSka fortsetzt und hier einen praterartigen Charakter annimmt. Glücklich wird so der Uebergang der dichten inneren Stadt zu einem lockeren, ländlicheren Stadtcharakter vollzogen und den köstlichen Schlußpunkt dieses belebten Stratzenrhhthmus bildet dann das Lust- schloß L a z i e n s k i, der kokette Bau aus der Zeit von Stanislaus Poniatowski  , der sich so reizend mit seinem Gelb vom Grün des Parkes abhebt und in seinem Park alle Verführungen der unerschöpf- lichen Gartenkunst des 18. Jahrhunderts birgt. Lazienski ist ein kleines Juwel. Aber den Wert und Reiz War- schaus als Kunststadt machen nicht sowohl einzelne großartige Werke und Sehenswürdigkeiten aus, als der interessante Cha- rakter der Stadt im ganzen; ihxe malerische, durch Terrassen glücklich ausgenutzte Lage an dem breiten Strome, die Mannigfaltigkeit wechselnder Bilder und Stadtansichten, die sie bietet, die Gegensätze, durch die sie überrascht. Die winklige Alt- stadt, das ganz mittelalterlich anmutende Budenleben am Alten und Neuen Markte, dann unweit davon die I u d e u st a d t, wo Juden- tum und Polentum eine so merkwürdige Verbindung eingegangen sind, dann wieder die westliche Eleganz der großen Hauptstraßen nicht viele Städte vereinen so bunte Bilder so nahe beieinander. Der Löwenbanöiger. Von Anna Mosegaard. An einem sonnigen Maimorgen war es, als der Zimmermann Otto Kramer mit freudestrahlendem Angesicht seinen Arbeitskollegen verkündete, daß ihm in der Nacht ein Sohn geboren sei. Ein Prachtbengel sei es. Ein Bengel wie ein Löwe. Gut und gerne wiege er seine zwölf Pfund, lind die Männer lachten, schüttelten mit kraftvollem Druck ihrem Kollegen die Hand und gratulierten zu dem Löwenbengel. Löwenbengel I So da hatte der kleine Krämer seinen Spitznamen fast mit auf die Welt gebracht.Der Löwenbengel", sagte man kurz, wenn man von Kramers Aeltesten sprach, obwohl das Kind mit den Jahren diesen Namen direkt Lügen strafte. Wohl war der kleine Alfred, als er geboren wurde und in den ersten Lebensjahren ein gesundes, kräftiges Kind gewesen, aber ivas nützt aller gesunder Appetit, was alle guten Anlagen zum Wachsen und Gedeihen, wenn nichts da ist, den Hunger zu stillen, der den Buben nur zu oft plagte. Alfred war ja nicht das einzige Kind geblieben, noch fünf kleine Kramers hatten sich in ver- hältnismäßig kurzer Zeit eingestellt. Da war im Kramerschen Heim bald Schmalhans Küchenmeister geworden, noch dazu, wo der einst so rüstige Zimmermann durch einen Unglücksfall auf dem Bauplatz zum Invaliden geworden war, und die Mutter, wohlstnfolge der schnell aufeinander folgenden Wochenbetten, immer kränkelte. Da waren eben Alfreds rote Posaunenbacken bald verschwunden. Und die runden Glieder, sie wurden eckig und dünn! Ties trat um so mehr zutage, je mehr der Junge in die Höhe schoß, und das tat er, trotz allen Hungern- und DarbenS. Alfred Kramer hat es in späteren Jahren selbst erzählt, wie sehr ihn als Kind immer der Hunger geplagt habe. Wie er immer nur den einen Wunsch gehabt habe, sich nur ein einziges Mal so recht satt essen zu können. All der Hohn und Spott der Mitschüler über seine vielfach geflickten, au- lauter verschiedenen Flicken zu- sammengesetzten Hosen, es hätte nicht so weh getan, als wenn er mit leerein Magen an einem prächtig ausgestatteten Bäcker- oder Fleischerladen vorüber mußte, und daheim Muttcrs Brotschrank wie mit Besen ausgekehrt war. Als dann die sechs KramerS immer mehr heranwuchsen, und das Brot nimmer reichen wollte all die hungrigen Mäuler zu stillen, hatte Frau Krämer mit einem kleinen Produktenhandel be« gönnen. Ein Hundegcspann wurde angeschafft, Alfred neben Karo angeschirrt, die Mutter schob, so ging e- durch die Stadt. Während Frau Krämer in jedem Hause nachfragte, ob man Lumpen. Knochen oder altes Eisen habe, hielt Alfred bei dem Wagen Wacht, der immer von einer Schar Buben und Mädels umlagert war, die den Jungen foppten und hänselten. Wurde die Sache Alfred zu bunt, so schlug er einfach dazwischen. oder spannte Karo aus; da stoben sie dann schreiend davon. Alfred Kramer war stolz auf seine Arbeit, denn seitdem er die Lumpen einsammelte, bekam er ein Stück Brot mehr zu essen, und am Abend so viel Kar- toffeln zugezählt wie der Vater. DaS machte ihn froh und stolz zugleich. Jetzt half er ja mitverdienen. Und staunen konnte man darüber, wie sich der Körper des Jungen säst gewaltsam dehnte und streckte. Und nun sein Appetit, wenn auch nicht ganz, so doch teil- weise gestillt war, begannen sich sofort höhere Wünsche in dem Knaben zu regen. Bald sollte er ja konfirmiert werden, und da ja ganz gewiß, da wollte er Ringkämpfer, Athlet oder so etwas werden. Als seine Mitschüler davon etwas spitz kriegten, gab's ein Hallo ohnegleichen. Alfred Kramer aber verprügelte die schlimmsten Krakeeler dermaßen, daß ihnen Hören und Sehen verging; da ließ man ihn in Ruh. Als dann der heißersehnte Tag der Schulentlassung kam, blieb für Alfred nur die Wahl zwischen Fabrik oder Landarbeiter. Denn er war gezwungen, mitzuverdienen, da seine Mutter kürzlich Witwe geworden. Er zog die Fabrik dem eintönigen Landleben vor. Auf einer Zichorienfabrik bekam er Arbeit. Dort saß der Knabe täglich elf Stunden, schlug die fertigen Zichorien in eine Papierhülle und dachte mit Wehmut an seinen Ringkämpfertraum. Zwei lange Jahre hatte er so Zichorienpäckchen gemacht, da behagte ihm die Arbeit durchaus nicht mehr. Alfred wollte höher hinaus. Die Mutter wollte allerdings nichts davon wissen, aber Alfred hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, und Lenchen Hartwig, ein bleiches, junges Mädchen mit auffallend feinen Gesichtszügen, das auf der Zichoricnsabri! Seite an Seite mit ihm arbeitete, und der er seine Absicht, sich andere Arbeit suchen zu wollen, mitteilte, war wohl erst etwas betrübt gewesen, hatte ihn aber dann so strahlend angesehen mit ihren tiefbiauen Augen, daß es Alfred ganz warm ums Herz geworden war.Ja, Alfred, tue das nur", hatte sie gesagt,sucke Dir etwas anderes, dies hier ist nichts für Dich. Tu bist ja gesund, groß und stark, Du wirst schon etwas Bessere- finden." Aber so schnell ging das nun doch�nicht. Wxnn man keinen Beruf gelernt hat, ist das so eine eigene Sache. Da« mußte Lenchen Hartwig auch einsehen. Und doch war sie es, die ihn immer und immer wieder ermunterte, wenn er den Kopf hängen ließ. Er werde schon noch etwas finden, ja ganz gewiß. Da trat plötzlich eine Wende- Punkt zum Besseren in Alfreds Leben ein, und zwar von einer Seite. wo er ihn nie erwartet hätte: Eines Tages gab's nämlich ein groß' Geschrei im Städtchen. Aus einer Menagerie war eine Löwin ausgebrochen und trieb sich iin Osterwäldchen herum, und es war nicht möglich gc. wese», daS Tier vor Nachtwerden wieder einzusaugen. Das Osterwäldchen»nn mußte Alfred jeden Morgen durchqueren, wenn er zur Arbeitsstätte ging. Nun die Löwin sich dort aufhielt. mußte er wohl oder übel einen anderen, viel längeren Weg wählen, um dem gesährlichen Bieste nicht in den Weg zu laufen. Dumme Geschichte das! Eine ganze Stunde früher mußte er nun schon das Bett verlassen, und' der Tag fing doch für ihn ohnehin schon um fünf an, da er eine gute Stunde zu gehen hatte bis zur Zichorienfabrik. Und das alles wegen des dumme Vieh. Nein, das fiel ihm gar nicht ein. Ein-, zweimal war er um Viertel vor vier aus den Federn, dann nicht wieder. Mit einem mächtigen Knüppel bewaffnet, schritt er singend und pfeifend durchs Oster- Wäldchen, aber wer sich nicht sehen ließ, war die Löwin. Ganze acht Tage waren schon seit dem Schreckenstage verflossen, und das Tier lief noch immer, die Einwohner in ewige Angst ver» setzend, frei herum. Die halbe Polizeimannschaft und einige schieß- lustige Bürger standen bis an die Zähne bewaffnet im Osterwäldchen, aber es wurde nichts mit der Löwenjagd, weil eben das Schieß- objekt, die Löwin, fehlte. In Sorge um das wertvolle Tier ließ der Besitzer der Menagerie bekannt machen, daß er demjenigen sofort drei- hundert Mark in bar bezahle, der ihm die Löwin lebend einliefere. Nun ging die Jagd erst recht los. Und weiß der Himmel, wie er es angefangen, Alfred Kramer bekam die 309 Mark. Und ob man ihn noch so neugierig ausfragte, wie er cS gemacht habe, sich der Bestie zu bemächtigen, er verriet eS nicht. Nur Lenchen Hart- wig wußte, daß er nicht mal eine Schießwaffe gehabt hatte. Mit einem ordentlichen Lappen Pferdefleisch habe er daS halhver- hungerte Tier, das scheu hinter einer Steingrotte gekauert, hervor- gelockt und seinem Herrn zugeführt. Nur im Auge behalten habe er das Tier immer, ganz scharf angeschen. Errötend hatte Lenchen Hartwig gesagt, ja, das könne ja wohl sein, sie habe schon einmal etwas von Menschen gehört, die so einen Blick hätten; und er habe so etwas Bezwingendes in feinen Augen, das hätte sie längst ge- merkt. Seit diesem ereignisvollen Tage sprach man nicht mehr vom Löwenbengel, sondern vom Löwenbändiger. Allerdings mit einem Anflug von gutmütigem Spott. Aber jedenfalls hatte Alfred Kramer seine 390 Mark und eine Stellung dazu, denn der Besitzer des Zoologischen Garten? hatte ihn sofort als zweiten Wärter engagiert. Die Erweckung öer Maria Carmen. 70] Von Ludwig Brinkmann. Ich schüttelte aber den Kopf. Latz mich, John; ich kehre in meine Heimat zurück. Ich bin mit diesem Kontinente ganz fertig. Hier gebe ich den Kampf auf." Es ist schade um Dich, Lewis! Aus Dir wäre vielleicht noch einmal ein Bergmann geworden!" Ich lächelte nur. Er aber sagte plötzlich; Wir haben übrigens noch das Geschäftliche zu regeln! Von heute an geht es ja wieder auf eigene Rechnung! An Deinen Ausgaben in der Stadt mutz ich mich doch beteiligen!" Wir legten beide unser Vermögen auf den Tisch und teilten. Dann schob mir Stuart noch einmal fünfundzwanzig Pesos zu, da er sich aus der gemeinsamen Kasse ein Pferd für fünfzig Pesos gekauft hätte. Es war wenig genug, was ihm da blieb. Doch er meinte: Es langt schon, bis ich nach Columbia zu meinem Freunde komme, und Du hast ja die weitere Reise vor Dir! Zudem ein wenig wird ja wohl bei der Versteigerung auch noch herauskommen!" Stuart ging dann in den Hof, sein Pferd zu holen. Er führte es am Zügel, da ich ihn noch ein Stück des Weges be- gleiten wollte. Das Tier trug weiter kein Gepäck als die beiden Satteltaschen, und ich fragte Stuart nach dem übrigen. Er aber lachte; Irdische Güter habe ich niemals viele besessen und auf meiner jetzigen Reise wären sie nur lästig. Was ich sonst noch besaß, habe ich dieser Tage unter die Maultier- treiber verteilt: solche Leute nehmen ja stets gerne unsere Lasten auf. Sie meinen, sie erhielten ein Geschenk, und be- koinmen eine Bürde. Wohl bekomm' es ihnen! Was ich zu besitzen träume, ist ein schönes Bergwerk und ein statt- liches Bankguthaben: sonst aber mutz mein Hab und Gut in einer Satteltasche Raum finden!" Wir notierten uns gegenseitig unsere zukünftigen Adressen und versprachen uns unsere Erlebnisse mitzuteilen. Stuart war zuversichtlich, daß er mich in ein paar Jahren in Europa   aufsuchen könnte: dann würden wir iiber den Jmparcial und die ganze Hölle von Oaxaca   weidlich lachen. Ich sollte mich fest darauf verlassen, er käme. Wir uniarmten uns noch einmal draußen vor der Stadt. Stuart schwang sich in den Sattel und schlug einen flotten Trab an. Nach einiger Zeit wandte er sich um und winkte mit seinem breitrandigen Hute. Tann verschwand er hinter einer Biegung des Weges. Ich kehrte um und sah gerade die Sonne über die Kuppen der Berge hervorleuchten. Ein neuer Tag begann... Warum ich noch bis heute abend in Oaxaca   geblieben bin, weiß ich nicht zu sagen. Anstatt daß ich morgen reise, hätte ich es besser schon vor einigen Tagen getan. Vielleicht hielt mich eine Art von Neugierde fest, die Komödie bis zum Schlüsse anzusehen. Fürwahr eine Komödie ist es, nichts anderes. So habe ich die Schwermut, die bleierne Langeweile dieser Tage geduldig ertragen. Ich habe den Don Quijote wieder einmal gelesen das hat mir in meiner Fieberhaftig- keit wie Chinin geholfen. Schließlich ist eben mein ganzes Unternehmen eine Donquijoterie gewesen, die ich bald über- wunden haben werde. Also Versteigerung. In zehn Minuten war alles ab- gemacht. Eine Menge Volk war in dem Geschäftsziinmer des Notars: Semiten, Kaukasier und Halbblut, die auf alte Maschinen fahndeten. Ein oder zwei Herren aus der Stadt, die mir bekannt waren, hatten sich eingefunden, die einzigen ernsten Reflektanten für die Grube, außer Powell natürlich, der mit Tickinson in einem Winkel stand. Sie erwiderten gemessen meinen Gruß, und es erschien mir, als wären beide sehr, sehr ernst. Tie beiden Herren aus Stadt Mexiko   waren die einzigen, die boten. Der eine war bald bis 5000 Pesos gelangt. Der andere rief;6000," und der erste antwortete nicht mehr. Eine kleine Pause trat ein;0000 zum Zweiten," wiederholte der Auktionator: da mischte sich Harris ein, den ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte:0100". Ter andere überbietet: 0200", und Harris ruft;0300". Der andere schüttelt mit dem Kopfe und tritt zurück. 0300 zum zweiten, 0300 zum..." Ich sehe mich flehend nach Tickinson um: der aber tut so, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Machen wir es mit 7000," ruft Powell, der sich bis jetzt noch gar nicht um die Versteigerung gekümmert zu haben schien. 7000 zun: Dritten!" Powell hatte alle bewegliche und unbewegliche Habe des Jmparcial gekauft. Harris zählte das Geld auf den Tisch und steckte den leeren Beutel in die Tasche. Da kau: Powell auf mich zu und sagte: Die Entwickclnng der Tinge tut mir sehr leid, aber sehen Sie selbst, Harris' Beutel ist leer. Ich konnte nicht mehr bieten, selbst Wenn ich gewollt hätte. Beklagen Sie sich also nicht bei mir. Es stand Ihnen frei, für billiges Geld sich das Besitztum zu sichern!" So überraschend mir auch die Wendung gekommen war, so war es mir doch zu gleichgültig, um darüberr viel nach- zudenken. Ich habe es längst aufgegeben, alle Rätsel dieser Welt ergründen zu wollen. Nur einer Tatsache bin ich sicher, nämlich daß mir Powell 100 Pesos geschenkt hat, wahrschcin- lich aus mathematischem Ehrgeize; vor Wochen hatte er mir tausend Pesos angeboten: so wollte er mir damals nicht zu- viel gewährt, wollte recht behalten haben. Also gut; ich nehme das Geschenk. Habe noch einen Brief an die Transatlantische Bank ge- schrieben und sie aufgefordert, die tausend Pesos einzuziehen und mir nach Teutschland überweisen zu lassen. Mein letztes Geschäft in Angelegenheiten des Jmparcial war damit erledigt. Ich lächle in meinem Buche stehen Verse. Sic sind sicherlich schlecht, aber mit meinem Herzblute geschrieben. Draußen im Park habe ich sie mit zitternder Hand aufs Papier niedergekritzelt. Im kühlen Schatten saß ich da auf einer Bank: in den hohen Platanenbäumen glitzerte das bunte, schinunernde Gefieder der Kolibris, die von Orchidee zu Orchidee flatterten; alle Feuer der Sonne zerstreuten sich hier in leuchtenden Farben. Da fühlte ich das Leben wieder in mir erwachen. Die Genesung erweckte in mir die Sehnsucht nach schöneren, reineren Dingen. Solange ich in meinem Hotel zu Orizaba  von wilden Fieberschauern durchschüttelt war, umgaben mich die finsteren Gestalten, die aus den Höhlen des Berges herauskrochen und mich auf das Lager niederpreßten: nun aber ist alles vergessen, überwunden, was hinter mir liegt, nun sehe ich wieder tief in das schöne, goldene Leben hinein mit all seinen Farben, seiner Pracht, seiner Erhabenheit, wie jener Berg Orizaba  , der vor mir seine ewige, schneebedeckte Spitze in den majestätischen Ton: des Aethers einbohrt. (Forts, folgt.)