Kr. 187.- 1915.
Unterhaltungsblatt ües Vorwärts
Dienstag, 17. August.
Hei Kowno vor hundert fahren» Die.große Armee" war geschlagen. Ihre durch Hunger und Kalle arg zermürbten Reste zogen in jämmerlichster Verfassung da- hin. Auf der alten Heerstraße bei Kowno war das Elend noch nie in so erbarmungswürdiger Weise gewandert; aber wem es gelang, die steilen Abhänge diesseits der Stadt zu gewinnen, der fühlte sich hinter den eisigen Fluten des Njemen doch einigermaßen geborgen, zumal da hier schwache Teile der Rheinbundstruppen in leidlicher Verfassung den Weitermarsch zu sichern begannen. Einige Angehörige dieser Truppenteile haben später versucht, die Kriegsbilder dieser Tage in anschaulichen Schilderungen festzuhalten, die frei find von jeder übertreibenden Darstellung und uns ahnen lassen, wie trostlos der Zustand der Heeresreste gewesen sein muß. Sehr gut weiß der Feldwebel Dornheim des Bataillons ttippe zu erzählen. Das Bataillon war erst Anfang Dezember nach Kowno gekommen und bekam hier den Auftrag, die Russen solange wie möglich aufzubalten. Drei Stunden diesseits Kowno begegneten ihnen zwei geschlossene Kutschen mit einer Bedeckung französischer Dragoner und polnischer Ulanen: der Kaiser zog vorüber! Am Abend des 13. Dezember drängten ungeheure Massen der flüchtenden Armee durch Kowno . wo sie hofften, Lebensmittel zu erhalten. Es war aber keine Möglichkeit, die zudringende Menge zu bewirten. Die vor Hunger halbwahnsinnigen Soldaten stürmten das Magazin und steckten es nachher in Brand. Auch viele Bürgerhäuser gingen in Flammen auf. In dieser gräßlichen Verwirrung lösten sich auch bei dem lippischen Bataillon alle Bande der Disziplin, jeder suchte sich zu bereichern, so gut er konnte: „Unser Hauptaugenmerk war auf Lebensmittel gerichtet, da aber die Franzosen das Brotmagazin rein ausgeplündert hatten, so blieb uns nichts anderes übrig, als die Heimsuchung des B r a n n t- weinmagazins, weshalb wir ein paar tüchtige Feldkessel Hollen und so spornstreichs an den Ort eilten, wo diese Lebenswasser in Fässern bis unter die Decke aufgelagert waren. Bei ihrem An- blick erfreute sich mein Gesellschafter ungemein, und mit wohl- gefälligem Schmunzeln schlug er ein Faß Rum auf und füllte unsere Eimer, ohne sich um die umher liegenden besoffenen oder toten Franzosen zu kümmern. Viele dieser Unglück- lichen hatten in ihrem Hunger die Mehlfässer ausge- schlagen und das rohe Mehl handvollweise verschlungen, und dann über die Gebühr Rum oder Branntwein darauf getrunken. Das von diesen Getränken verdünnte Mehl gab ihr schwacher Magen wieder von sich, und während des Erbrechens waren die Jammergestalten erstickt und wälzten sich dann in den letzten Zügen in dem ausgebrochenen Mehlbrei herum. Andere hatten in Ermangelung eines Trinkgefätzes die Zapfen der Brannt- Weinfässer losgeschroben, sich unter die Zapfen gelegt und so den Branntwein in den Mund laufen lassen und waren dann in dem dadurch entstandenen See dieser Flüssigkeiten elendiglich ums Leben gekommen." Das Elend war bei einer Kälte von 20 Grad unbeschreiblich. .Die erfrorenen Franzosen lagen haufenweise u in h e r und wurden, wenn aucki noch Leben in ihnen war, von ihren eigenen Kameraden erst ausgeplündert, dann nackt ausgezogen und so ihrem Schicksal überlassen." Ein französischer Obrist trat mit einem Schälchen an ein Feuer, um ein wenig Schnee in Wasser zu verwandeln und Kaffee zu bereiten. Ein Stoß und der köstliche Trank war hin!.Mein Gott ! auch das noch!" rief der Offizier — und:„Lange konnten wir die Traurigkeit, die sich in dem Ge- sichte des Obristen malte, nicht vergessen." Um Mitternacht langte auf einigen Wagen unter der Bedeckung französischer und waldeckischer Soldaten die französische K r i e g s k a s s e in Kowno an. Ein Teil der Geldfäßchen wurde auf dem Marktplatze aufgestellt, und die Wachmannschaften konnten nicht hindern, daß bei der allgemeinen Wirrnis einige der kostbaren Inhalt bergenden Behältnisse gestohlen wurden. Das Schlimmste aber kam hinterher. Am andern Tage sollte der Geldtransport geborgen werden. Dichte Kosakenschwärme aber trieben siÄ schon in der Nähe herum, und dazu kam, daß die Pferde nicht imstande waren, die schweren Wagen auf die Anhöhe zu schaffen. Wege und Stege waren vereist, die Tiere glitten aus, Soldaten sprangen herzu und griffen in die Räder. Aber es gelang gleichwohl nur, zwei oder drei Wagen herauszuschaffen. Ueber die unten bei Kowno stehen gebliebenen Wagen machten sich die Franzosen her, und unter Mord und Tot- ichlag füllten sich die„Glücklichen" die Taschen. Aber auch bei den lippischen Soldaten siegte die— Vernunft über die Tugend. Sie sahen ein, daß auch die schon oben stehenden Goldwagen eine Beute der Kosaken werden würden. Da galt es, sich zu bereichern I „Die Franzosen gaben hierzu das erste Signal. Sie erstiegen unsere Geldwagen, brachen die Deckel auf und warfen die Fätzchen hinaus, zerschlugen sie und rissen sich um die Beutel, die sie aber hernach meist doch wieder den Kosaken herausgeben mußten Unsere Osfiziere halten mehrere Beutel mit Fünsfrankenstücken und Krontalern durch unsere Soldaten wegnehmen lassen, die unter uns alle verteilt wurden. Ein kümmerlicher Franzose, der kaum noch auf den Beinen zu stehen vermochte, verbarg einen ellenlangen Strumpf der von Gold strotzte und durch dessen Maschen die Goldstücke sehr einladend anzuschauen waren, unter seinem Mantel. Am aller- glücklichsten im Beutemachen war unser Sergeant Röttchen und die Soldaten Pehle, Seiger und Veit. Sie waren mit dem ersten Geld wagen auf der Straße nach Gumbinnen vorausgesandt. Unterwegs hatten die Franzosen sie indes angefallen und ihren Geldwagen geplündert, bei welcher Gelegenheit unsere Leute aber ein Fäßchen erbeuteten, das 100 000 Frank in lauter doppelten Napoleonsdor enthielt, welche sie sich teilten und nachher auch behalten haben. Wie wir damals hörten, soll die französische Kriegskasse bei Kowno eine Summe von 20 Millionen Frank an Freund und Feind verloren haben." 20 Millionen Frank! Zu jener Zeit eine gewaltige Summe— heute sür den allgemeinen Bedarf ein Nichts I Man kann den Zustand der Ueberreste jener.großen Armee," wie sie vor 100 Jahren durch Kowno fluteten, kaum besser schildern, als durch die Wiedergabe dieser schmucklosen Aufzeichnungen.
Zmölicher Lanöerwerb. Es gibt eine Form von Landerwerb, zu der weder Krieg noch diplomatische Verhandlung erforderlich ist. Dauernd wächst an den Meeresküsten, speziell auch an unserer Nordieeküste, durch die stille und stetige Tätigkeit der Naturkräfte dem Küstengebiete Land zu, das die geographische Grenze des Landes im Laufe der Zeiten nicht unerheblich verändert. Solche Bildung neuen Landes geht nicht überall an der Küste vor sich, sondern nur, wo die vom Meereswasser mitgeführten Stoffe sich beguem ablagern können. Sie dann zu dauerndem festen Lande zu machen, ist vor allem eine Arbeit der Pflanzen. Durch Anschlickung erhöht sich der Meeresboden und wird all- mählich zum Watt, das nicht mehr dauernd vom Wasser bedeckt ist, sondern bei jeder Ebbe trocken wird. Die Seegrasarten, mit denen der schlickige Meeresboden bedeckt ist, verschwinden dann und machen amphibisch lebenden Pflanzen Platz, die eben Ebbe und Flut zu ihrem Dasein brauchen. Bor allem ist hier der Glasschmelz oder Queller zu nennen, eine kaktus« ähnliche Pflanze, die anscheinend fast nur aus dicken fleischigen «tengeln besteht. Durch diese dicht stehenden Pflanzen wird ruhiges Wasser geschaffen, wodurch wiederum die Schlickablagerung ge-
fördert wird. Auch werden die im Wasser treibenden Pflanzen von den dichten Stengeln zurückgehalten, so daß kleine Wälle entstehen- Ferner erhöhen die Pflanzen im Herbst mit ihren abge- storbenen Teilen das Watt, und mit ihren feinen Wurzelchen halten sie den Schlick fest, so daß der neu gebildete Boden auch bei Sturmfluten und Eisgang nicht mehr abgeschwemmt wird. Der Queller kann auf dem so erhöhten Watt seine Tätig- keit immer weiter vorschieben, an manchen Stellen um mehr als 20 Meter im Jahre. Schließlich wird der Boden so hoch, daß die Flut in der Regel nicht mehr über ihn hinweggeht. Dann ver- schwindet der amphibische Queller und macht dem Meerstrandstrauß- gras Platz. Dieses bildet niedrige, feste und dichte Polster, die sich durch Ausläufer rasch vergrößern und deren Würzelchen den Boden wie Halme sichern, so daß er auch den stärksten Sturmfluten sieg- reichen Widerstand leistet. Der Volksmund bezeichnet diese Pflanze als Mariengras, ihre Polster wachsen im Laufe der Zeiten und sammeln rasch neues Bodenmaterial an, so daß der Boden geradezu zu wachsen scheint. Bald fiedeln sich noch andere Pflanzen an, deren Wurzeln dem Boden nach allen Seiten hin Halt gewähren, das Landrohr, die Strandaster, die Strandnelke, der Meerstrandswermut usw. Diese ganze Flora bedeckt den Boden mit einem dichten Teppich. Freilich ist der Vorgang in der Natur ein sehr langsamer und allmählicher, und oftmals zerstört eine einzige, besonders heftige Sturmflut wieder das Werk von Jahrzehnten, ja selbst von Jahrhunderten. Der Mensch sucht deshalb solche störenden Einflüsse in ihrer Gewalt zu hemmen und den aufbauenden Kräften nachzuhelfen. Damit die Schlick« massen sich bequemer ablagern können, werden Pfähle ein- geschlagen, an denen die Strömung sich brechen soll, und es werden Gräben quer zur Flutrichtung durch den Schlick gezogen, in denen immer wieder neuer Scfilamm sich sammeln kann. Das gewonnene Land wird vor Ueberflutung durch Errichten von Deichen geschützt. Der mit Pflanzen bedeckte und durch ihre Hilfe gewonnene und gesicherte Boden ist aber noch viel zu salzig, als daß schon Kulturpflanzen darauf gebaut werden können. Eine gute Bewässerung ist nötig, damit er allmählich aus- gefrischt wird, so daß die Salzpflanzen verschwinden und die Feld- pflanzen ihr Fortkommen finden. Erst wenn der weihe Klee er- scheint, ist der Boden zum Anbau reif. Diese anhaltende und andauernde Tätigkeit der Natur, von dem Menschen in sorgsamer Weise mit harter Arbeit unterstützt, hat an unserer Nordseeküste in dem sogenannten Wattenmeer im Laufe der Jahrhunderte schon manches Stück fruchtbaren Landes gewonnen und wird es in Zukunft ebenfalls tun.
Nufit. Theater des Westens . Oskar Nebdal, der Komponist der andauernd glückhaften Operette.Polenblut", dürfte mit seinem .phantastischen Märchenspiel"«A n d e r s e n", wie dessen Erstauf- führung am letzten Sonnabend vermuten ließ, neuerdings reichen Erfolg zu erwarten haben. Schon der Einfall: Hans Christian Andersen , den weltberühmten dänischen Märchendichter, auf die Opernbühne zu bringen, ist glücklich zu heißen. Die Texlverfasser Nowak-Kwapil schlugen dabei ein Ver- fahren ein, wie es vorbildlich in Offenbachs komischer Oper„Hoff- manns Erzählungen" gegeben ist. Nach einer Episode ihn ver- bitternder Mißerfolge als Romancier und Dramatiker hat Andersen in der Welt goldener idealer Kinderträume künstlerisch sich selbst gefunden. Was lag näher, als aus einer Reihe seiner schönsten Märchen die ihre„Handlung" vorstellenden Motive zu einer Bühnen Handlung zu verdichten. Diese Absicht ist den Verfassern ziemlich gelungen, obwohl die stoffliche Ausbeute tiefer und be ziehungsreicher hätte ausfallen können. Die dialogisch-pantomimische Tanzhandlung gliedert sich in sieben Verwandlungen, ein Vor- und ein Nachspiel. Dieses letztere als logischer Abschluß des Ganzen wurde unmotivierterweise dem Publikum vorenthalten. An der Art nun, wie Nebdal seine Aufgabe gelöst hat, erkennt man den durch und durch modernen Tonschöpfer— vom komposi- torisch-tcchnischen Standpunkt gesehen. Wie echt ist beispielsweise im Boripiel das Kolorit des neuitalienischen Gesangs- und Orchesterspiels festgehalten. Und so in allen nachfolgenden Ver- Wandlungen, die jeweils einem frischen Märchen entsprechen, als da sind: Das Schlafmännchen, Der Zinnsoldat und die Tänzerin, Am Hofe des Kaisers von China , Der Garten des Paradieses, Im Urwald, Die Festung. Wundervoll versteht es Nebdal, sich in das Wesen. Leben und Treiben der Kinder sowie der Umwelt einzufühlen und sie in allen Stimmungen und Situationen außerordentlich musikalisch zu charakterisieren. Er selbst saß auch auf dem Dirigenten� stuhl— zum Vorteil seiner Musik. Zu allem tritt die Ausstattung des Werkes: ein Wunder an eigenartigster Phantasie und Gestaltung. Sie allein wird schon die Großen wie die Kleinen in ihren Zauber bannen. Die Darstellung nicht minder. Dem„Andersen" voran ging Thomas Koschats Liederspiel „Am Wörther see ." Eine auf den gegenwärtigen Kriegszustand zugespitzte bäuerliche Liebesszene wurde Koschatschen Liedern unter- gelegt. Manchen von diesen haftet textlich wie in musikalischer Be- ziehung doch mehr Sentimentalität im Bänkelsängerton an als er- träglich. Andere wieder, wie ein Quartett und vor allem ein Tanz offenbaren die unmittelbar ansprechende Naturgabe ihres Schöpfers. Der Aufführung war eine gewisse Urwüchfigkeit zu eigen. ek.
kleines Feuilleton. Ein Zweikampf in der Lust. Ein Landsturmmann sendet der.frankfurter Zeitung folgende Schilderung eines Fliegerduells: Kein Wölkchen war am Himmel. Ein strahlend blauer Sommermorgen, die Lust so klar und rein, daß man meinte, schier in den Hummel hineinschauen zu können. Fliegerwetter allererster Ordnung. Und richtig, da surrts auch schon in den Lüften, sollte doch in des Morgens dämmernder Frühe ein größeres französisches Flugzeug-Geschwcnder die Grenze überflogen haben mit Richtung scharf nordöstlich. So erfährt man's von den Posten.— Wir hören das bekannte helltönende Surren, können aber noch nichts sehen. Droben aber, am Ausguck der Abwehrkanonen, haben sie den französischen Raubvogel entdeckt; sofort setzen die Geschütze mit ihrem Gesang ein, und hurrr-- hurr-- heulen die Schrapnells über unsere Köpfe hinweg, den Weg uns weisend, wo der Franzose zu suchen ist. Nun sehen wir ihn auch in wirklich prächtigem Fluge von Nordosten nach Süd- offen ziehen; das mit dem Glas bewaffnete Auge erkennt deutlich die französische Trikolore. Immer mehr rahmen die weißen Schrapnellwolken den Doppeldecker ein, der scheinbar unbekümmert um das Gekläff der platzeirden Geschosse die Lust durchschneidet, in weit über 2000 Meter Höhe.... Jetzt— ein neuer Ton! Dicht neben uns dreht sich ein schlanker Eindecker in die Höhe. Jetzt, Franzose, spute dich! Wie ein Pfeil steigt mit fabelhafter Ge- schwrndigkeit der Eindecker in die Höhe, wird kleiner und kleiner und ist in unglaublich kurzer Zeit in gleicher Höhe mit dem Franzosen . Alle Geschütze schweigen nunmehr. Uns Zuschauer ergreift stärkste Spannung. Der Franzose erkennt die Gefahr: der Zweikampf in der Luft, dieser fürchterliche, hebt an, Mann gegen Mann, Auge um Auge.... Wie ein Habicht sein Opfer, so umkreist unser Eindecker den größeren Feind, in weiten Bogen ist er bald vor ihm, neben ihm, hinter ihm, dabei sich immer
höher schraubend, immer und immer vom Maschinengewehr de Franzosen belästigt, dessen todbringendes Hacken wir hier untci deutlich vernehmen. Jetzt aber— Donner und Doria! kaur.i wagen wir noch zu atmen— steht unser Habicht genau über feinem Gegner. Mit einem Ruck, blitzartig, dreht er nach unten un stürzt sich auf ihn, als wollte er ihn mit sich in die Tiefe reißer. Nur einen Augenblick— wir alle stehen atemlos, wie gebannt,— da saust unser Eindecker haarscharf an dem Franzosen vorbei. In gleichen Augenblick hüllt eine riesig große schwarze Rauchwol! den Doppeldecker ein— eine Stichflamme schlägt auf, eine Feuer- faule fährt gen Himmel. Der Habicht schaffte ganze Arbeil Weidwund ist der Franzose, das Herz des Doppeldeckers ist gc troffen, iwr Benzinbehälter. Brennend, glühend wie eine Feuer kugel, sinkt merkwüvdig langsam das französische Flugzeug de: Erde zu, die stolze Trikolore in schwarzen Rauch gehüllt gleich einem Trauerflor...._ Wachstum und Lebensdauer. Das Wachstum ist bei verschiedenen Säugetieren außer- ordentlich verschieden. Nach Angaben von Prof. Rubner erfolgt dir Verdoppelung des Körpergewichts von Neugeborenen beim Kaum- chen bereits nach sechs Tagen, bei der Katze sowie beim Hund in neun Tagen, beim Schwein in vierzehn, beim Schaf in fünfzehn. beim Rind in 47, beim Pferd in 60 Togen. Eine besondere Stellung nimmt der Mensch ein. bei dem diese Verdoppelung erst in 180 Tagen erfolgt. Trotz der außerordentlich verschiedenen Wachstumsintensität bei den genannten Tieren, ist der in Kalorien gemessene Energiein'halt der Nahrung, der die Verdoppelung des Körpergewichts herbeiführt, auf ein Kilogramm Körper- gewicht berechnet, nicht sehr stark von einander abweichend, die Zahlen bewegen sich zwischen 3750 und 4550 Kalorien. Der Mensch nimmt auch hier wieder eine Ausnahmestellung ein, bei ihm sind zu diesem Zweck 28 860 Kalorien erforderlich. Von dem gesamtra. Energieinhalt dieser Nahrung verwenden die genannten Säuge- tiere nicht weniger als den dritten Teil zum Wachsen, der Mensch nur den 20. Teil. Im allgemeinen ist der Wachstumstrieb bei den Tieren in der gleichen Wachstumsperiode derselbe. Ein Tier mit starkem Stoffl Wechsel erübrigt durch das gesteigerte Wachstum in kürzerer Zeit so viel, um die Verdoppelung seines Gewichts zu erreichen, wic ein anderes Tier mit kleincrem Stoffwechsel in längerer Zeit. Dem starken Kraftwechsel der kurzen Vcrdoppelungszeit entspricht per Kilogramm Tiergewicht eine entsprechend gesteigerte Oder- fläche. Beim Menschen ist der Wachstumstrieb sehr klein. Der Vorteil dieses langsamen menschlichen Wachshims liegt vielleicht in der Begünstigung der EntWickelung des Gehirns, die ja beim Menschen eine so außerordentlich überragende ist. Die Zeit bis zum voll ausgewachsenen Tier scheint mit der mittleren Lebensdauer im Zusammenhang zu stehen. Diese beträgt beim Pferd 35 Jahre, beim Rind 30, beim Hund 11, bei der Katze 9,5, beim Meerschweinchen 6,7 Jahre. Von diesen entfallen in derselben Reihenfolge auf die Zeit des Wachsens 5, 4. 2, 1,5, 0,6 Jahre. Der Mensch zeigt auch in dieser Beziehung eine aus- fallende Abweichung von den Tieren, bei ihm beträgt die Wachs- tumsperiode mehr als 20 Jahre bei einer Lebensdauer, die man nur auf 70 bis 80 Jahre bemessen kann. Nach beendigtem Wachs- tum verbrauchen die angeführten Säugetiere im Ruhezustand per Kilogramm Körpergewicht 141 000 bis 265 000 Kalorien, der Mensch dagegen 726 000. Er zeichnet sich also durch ganz bc- sonders hohe Zahlen des Energieumsatzes aus. Die lebende Sub- stanz des Menschen bleibt ihrer ganzen Leistung nach durchaus nicht hinter den Leistungen anderer Warmblüter zurück, sondern steht ihnen weit voran. Die Begrenzung des Lebens ftndet ihre ursächliche Erklärung vielleicht in dem Erlöschen der Zerlegungs- fähigkeit des Protoplasmas. Das Protoplasma versagt seinen Dienst, wenn es bestimmt begrenzte, bei vielen-Säugern gleich- mäßig große Leistungen vollzogen hat.
Notizen« — Der Verein der beiden Volksbühnen beginnt Anfang September in dem stolzen Bau am Bülowplatz das neue Spieljahr in der Kriegszeit. Was im Vorjahre gelungen, wird auch in diesem möglich sein: die Stätte, die das Kunstbedürfnis des Volkes, vor allem der Berliner Arbeiterschaft sich geschaffen, auch unter diesem furchtbar blutigen Völkerringen und allem Elend, das er für den einzelnen bedeutet, offen zu halten. Sammlung und Er- bolung im Anblick der großen Menschen- und Schicksalsbilde, die der Dichter in der Scheinwelt des Theaters aufrollt, ist ein menschliches Bedürfnis, das, einmal geweckt, nicht leicht versiegt, ja vielleicht um so dringender empfunden wird, je schwerer die Not der Zeiten auf dem Herzen lastet. Dem von weiten Kreisen der Mitgliedschaft gc« hegten Wunsche, neben dem vorwiegend gepflegten modernen Reper- toire öfter Klassiker-Vorstellungen in künstlerisch gehobener Form zu sehen, kann durch daS mit Reinhardt getroffene Abkommen im Volks- lheater, das dafür einen trefflichen Rahmen bietet, in reichem Maße jetzt Rechnung getragen werden. Schillers»Räuber" werden die Vorstellungen eröffnen. — Sparsamkeit in der Schule. Eine beachtenswerte Verfügung hat die badische Unterrichtsverwaltung an die Schul- Verwaltungen erlassen. Die Schulbehörde wünscht, daß alle Aus- gaben für die Schule, die eben vermieden werden können, während des Krieges unterbleiben. Es dürfen infolgedessen jetzt keine neuen Schulbücher eingeführt werden, damit jüngere Geschwister die ge- brauchten Schulbücher der älteren noch benutzen können. Die Schule darf keinen Schüler auffordern, besonders teure Bücher, zum Bei- spiel einen neuen teuren Atlas oder ein anderes teures Unterrichts- mittel zu kaufen. Die Schulbehörde lehnt auch selbst während des, Krieges die Neuanschaffung von Lehrmitteln, die nicht dringend not- wendig sind, ab. — Die Pariser„Patrioten" gegen JauröS. Am 1. August wurde in der Pariser Komischen Oper im Zwischenakt ein Gedicht von Georges Pitoch zu Ehren Jaurss' rezitiert. Das elegante Publikum, das in diesem Theater zu Hause ist, beging die Gemeinheit, Skandal zu machen. Der Lärm wurde so arg, daß der Vorhang niedergelassen werden mußte und das Orchester, um das Publikum zu beruhigen, die Marseillaise spielte.— Die„Hu- manitö" hat von diesem Zwischenfall, der ja allerdings eine seltsame Illustration der„heiligen Einigkeit" ist, keine Notiz genommen, ebensowenig, soviel wir sehen, die übrige Presse mit Ausnahme des „Figaro", der in einem besonderen Artikel die Regierung angreift. die in einem subventionierten Theater einen Mann habe ehren lassen, der ein„Verächter der Armee" gewesen sei!— Am Ende ist es gar nicht so zu bedauern, daß die edle Gesellschaft im Theater der Privilegierten den Illusionisten des Burgfriedens eine Mahnung zur Nüchternheit erteilte, aber ihre Ungezogenheit und Brutalität ist darum um nichts weniger verächtlich. — Allerlei interessante Nachrichten aus _ a r s ch a u enthalten, wie die„Deutsche Lodzer Zeitung" mitteilt, die Warschauer Blätter vom 9. August. Man erfährt dort, daß der Straßenverkehr in Warschau jetzt bis 12 Uhr nachts gestattet ist, daß aber die Gastwirtschaften bereits um 11 Uhr abends schließen müssen. Der Telephonverkehr innerhalb der Stadt auf dem linken Weichsel - ufer wurde wieder aufgenommen. Der Rubelkurs wurde wie folgt festgesetzt: 100 M. gelten 60 Rubel.— In einer Sitzung des Bürgerausschusses wurde über das Schicksal der in den Warschauer Gefängnissen untergebrachten politischen Verbrecher beraten. Es wurde beschlossen, vierzig von ihnen freizulassen.