jjt. 189.- 1915. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Douuerstag, 19. August. /ins öem Lanöe poölachien. Podlachien ist der alte Name jener Landschaft, die sich a m äüftufer des Bugs b i s zum Narew im Norden bin- zieht. Bialystok im Norden, Brest-Litowsk im Süden könnte man etwa als die Eckpfeiler und Grenzmarken dieser Landschaft bezeichnen, die jetzt infolge des siegreichen Ueberganges der deutschen Truppen über den Nurczew in den Schauplatz der kriege- rischen Ereignisse unmittelbar hineingezogen worden ist. Dies Land Podlachien wird seit alters zu den unwirtlichsten Gegenden von ganz Litauen gerechnet. Längs des Bugs und des Narews ziehen sich weile Ebenen hin, die mit Schilf und Gebüsch bewachsen sind, aber den eigentlichen Charakter des Landes bedingen die ausgedehnten Wälder, jene litauischen Wälder, die zum Teil versumpft sind oder mit Sümpfen in naher Verbindung stehen und die dies Land schon stets besonders schwer passierbar gemacht haben. Immerhin hat die Neuzeit auch auf diesem Gebiete Wandel geschaffen, und es sind in den Teilen des Gouvernements Grodno , die durch das podlachische Land gebildet werden, neuerdings grotze Strecken Sumpflandes der Kultur gewonnen und viele der alten Wälder ausgerodet worden. Es waren dies Wälder, die Stamm von Stamm trennten, wie sonst nur das Meer oder hohe Bergketten es zu tun Pflegen. Wo man früher nur einsame Meiler traf, dort findet man jetzt von Feld und Wiesen umgebene Dörfer und betriebsame, rasch wachsende Städte. Doch hat sich in Pod- lachten noch immer ein zusammenhängendes Gebiet des alten litauischen Urwaldes erhalten: das ist der große Komplex des Waldes von Bjela Wescha, der den nördlichen Teil der etwa 2200 Quadratkilometer umfassenden großen Bjelowescher Heide einnimmt. Bjela Wescha be« deutet„der weiße Turm", und man nimmt an, daß der Name von einem gleichnamigen Schlosse herrührt, das im 16. Jahrhundert am Bug sich erhoben hat. Der Wald von Bjela Wescha hüllt heute fast das ganze Land zwischen dem Bug nördlich von Brest-Litowsk und dem Quellgebiete des Narew in seinen dichten dunklen Mantel. Im Süden und Südwesten geht der Wald in eine Landschaft über, die an die französischen„Landes" erinnert, wo Wälder von Krüppelfichten und Roggenfelder mit weiten Heideflächen ab« wechseln, die die Bienenschwärme besuchen. Je weiter nördlicher aber, desto dichter tritt der Wald zusammen, und er setzt sich dann bis gegen den Njemen hin fort. Und was für ein Wald! Er be« steht nicht, wie sonst der russische Wald in der Regel, aus einer einzigen Art von Bäumen, sondern aus einer Unmenge von ver- schiedenen Arten. Vorherrschend ist die Kiefer, aber da stehen ge> wallige Baumriesen von Eichen und Linden, Birken und Buchen, Erlen, Ahorn und Fichten bunt durcheinander und von einer Größe, wie man sie sonst in Europa wohl nirgends mehr so häufig zu sehen bekommt. Efeu und wilder Hopfen schlingen sich von Baum zu Baum und umranken das unter den gewaltigen Stämmen emporgeschossene Unterholz, die Espen, Weiden und Hasel- sträucher, und unten ragen in dichten Büschen die Farnkräuter empor und allerlei Schilf- und Graspflanzen, die wie eine grüne Mauer jedem Eindringling den Weg versperren. Aber wer sich den Weg durch diese Wildnis bahnen will, der hat noch andere Hindernisse zu überwinden. Unter seinem Fuß zerbröckeln gestürzte Riesenbäume, die vor Alter morsch geworden sind, zu Staub, wenn man über sie hinwegsteigen will, und plötzlich senkt sich oft der Boden und das hervorquellende Wasser mahnt zur Vorsicht. Seit dem Jabre 1860 hat die Axt des Holzfällers die heilige Ruhe des Bjeloweswer Waldes, den eine reiche Tierwelt belebt, nicht mehr ge- stört. Früher erlaubte die Regierung jährlich die unentgeltliche Fällung von 10 000 und mehr Stämmen im Jahre, allein dies wurde verboten, weil das Holzfällen und der damit verbundene Lärm, wie es schien, zur Verminderung der Fahl der Wisente im Bjelowescher Walde beitrug. ZumSchutz derWisente ist dieserUrwald für unantastbar erklärt worden. Man zählte ihrer zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch ItzOO, 1851 sogar 1400; seitdem aber haben die Wölfe und der Mangel an Nahrung arg unter ihnen aufgeräumt, obwohl man ihnen den Winter durch große Heulager zu Hilfe kommt, und es wird die Zahl der Wisente jetzt nur noch auf etwa 500 geschätzt: ihre Jagd ist kaiserliches Vorrecht. Das ist der Wald der Bjelowescher Heide, der die größte Merk- Würdigkeit des Landes Podlachien bildet. Die Städte, die sich hier entwickelt haben, sind durchweg von geringer Bedeutung, aus- genommen die beiden Mittelpunkte, die den Norden und den Süden des Landes beherrschen. Die Hauptstadt der nördlichen Landschaft ist Bialystok , die polnischste aller litauischen Städte, die jetzt den Mittelpunkt eines gewerbtätigen Bezirkes bildet. Ein lebhafter Handel nimmt seinen Weg über die Stadt, die ebenso, wie ver- schiedene Städte ihrer näheren Umgebung, durch zahlreiche Tuch- sabriken ausgezeichnet ist. Was Bialystok für den Norden von Pod- lachien, das ist für ihren Süden das jetzt so viel genannte Brest - L i t o w s k. Die Bedeutung dieser Stadt liegt darin begründet, daß bei ihr oder in ihrer Nähe verschiedene Nebenflüsse sich in den Bug ergießen und sich also mehrere Täler hier konzentrisch vereinigen. Bei Brest-Litowsk selbst mündet die Muchanitza, von Nordosten her strömt die Liesna und von Südwesten her die Krzna dem Flusse zu. Brest-Litowsk erscheint daher schon ziemlich zeitig in der Geschichte als wichtiger Platz. Die Fürsten von Wolhynien , die Deutschordenritter, die Polen und die Litauer haben die Stadt sich strittig gemacht; sie ist schließlich den Litauern geblieben und hat sich unter ihrer Herrschaft zu einer gewissen Blüte entwickelt. Dafür zeugt der Umstand, daß hier im Jahre 1563 die Protestanten die erste polnische Bibel gedruckt haben und daß 1596 ein Konzil in Brest-Litowsk abgehalten wurde, durch das die Ver- einigung der Kirchen von Westrutzland mit Rom aus- gesprochen wurde. Brest-Litowsk hat dann mannigfaltig wechselnde Schicksale erlebt; es ist 1657 vorübergehend auch in schwedische Hand gefallen, und erst seit 17�3 steht es unter dem Zepter des Zaren. Die Stadt selbst, die ungefähr 2 Kilometer östlich von der Festung liegt, bietet wenig Anziehendes. Bunt genug ist ihre Bevölkerung; zur Hälfte besteht sie aus Russen und Polen , zur anderen aus Armeniern und Juden, und dementsprechend ist Brest-Litowsk auch reich an Kirchen, Synagogen und Bethäusern der verschiedensten religiösen Bekenntnisse. Auch künstlerisch ist keines von diesen Gebäuden hervorragend, und den einzigen Schmuck der Stadt bildet das einstige Schloß der Könige von Polen mit seinem Park, das heute dem Zaren gehört. Die Juden besitzen übrigens in Brest-Litowsk eine Hochschule, die unter dem Judentum des Ostens weiten Ruf genießt. J\m einem Reiterbrief. Die„Köln . Zeitung" bringt folgende fesselnde Schilderung von der Tätigkeit eines Reiterregiments aus dem Osten: Vorgestern haben wir die wichtige Bahnlinie von I. erreicht, eine der Hauptlinien des russischen Eisenbahnnetzes. Einige Kilo- meter weiter östlich hatten die Russen eine feste Stellung ein- genommen, die gestern von unserer Infanterie gestürmt wurde. Wir trafen auf weniger Widerstand, und nachdem er gebrochen war, konnten wir an unsere eigentliche Arbeit gehen. Sie bestand im Zerstören der Eisenbahnlinie auf eine größere Strecke, damit den Herren Russen der Rückmarsch abgeschnitten werde. Die Hauptlinie und zwei Nebenlinien mußten daran glauben, und wir haben die Sache ganz gründlich besorgt; so gründlich, wie die Kavallerie der- artige Arbeiten, die ihr gegen den Strich gehen, gewöhnlich aus- führt. Wir Kavalleristen sind in diesem Feldzuge tatsächlich „Mädchen für alles" geworden, und ich wüßte nichts, was wir nicht schon machen mußten. Na, die Hauptsache ist ja immer, daß wir's können, und daß ein deutscher Reiter auf allen Sätteln reiten kann: Die Zerstörung der Eisenbahnlinie war auch mal wieder so ein Kunststück. Während sich ein Teil unserer Divi- sion, abgesessen, noch mit den Russen herumbalgte, rechts, einige Kilometer von uns, ein heftiger Kampf tobte und über uns zwei russische Flugzeuge uns mit Bomben traktierten, riß der andere Teil unserer Leute die Schienen auf, sprengte einige kleinere Brücken und Uebergänge und zertrümmerte, was nicht niet- und nagelfest war. Mitten im schönsten Arbeiten brauste ein endlos langer Zug um die Ecke, und da eS zum Bremsen zu spät war. entgleiste er wuchtig auf der'aufgerissenen Strecke. Es war ein Truppentransport- und Munitionszug. der von I. kam und nach B. wollte, und der uns auf diese Art und Weise in die Hände fiel. Die beiden Loko- motiven bohrten sich tief in den Boden ein. die drei vordersten Wagen wurden vollständia zertrümmert und die in denselben befind- lichen Soldaten meist getötet. Nachdem der erste Schrecken vorüber war. versuchten die anderen im Zug befindlichen Truppen, Wider- stand zu leisten, dock, sahen sie bald das Nutzlose ihres Beginnens ein und streckten die Waffen. Außer 800 Mann und sieben Offizieren erbeuteten wir eine Unmenge Munition und Lebensmittel, meist Konserven und Heringe in Fässern und 60 Stück Rindvieh. Der Zug bestand aus 83 Wagen, die uns auch zupaß kamen. Die Hauptsache war ja sowieso erreicht, und als in der Nacht noch Infanterie und Artillerie anrückten und die Bahnstrecke besetzten, konnten wir wieder weiter und bogen nach Osten ab, um den dort kämpfenden Russen womöglich in die Flanke zu fallen. Den Russen war jetzt eine HauptrückzugSstraße versperrt, und jetzt galt es, den Vorteil auch auszunützen und dem Feinde noch andere Wege zu verlegen. Wir ersahen aus allem, was um uns vorging, daß die Russen in möglichster Eile noch zu retten ver- suchten, was zu retten war, und ihre Nachhuten leisteten das denk- bar Höchste in der Verteidigung, so daß wir nur wenig Boden gewannen. Immer wieder mußten wir herunter von den Gäulen. immer wieder Deckung suchen, und immer wieder legten uns die Feinde neue Schwierigkeiten in den Weg. Ein längerer Ritt brachte uns dann endlich in die Flanke eines Regiments, das wir glatt überritten und auseinandertrieben. Leider hinderte ein breiter Sumpf nun unser weiteres Vor- rücken, und so mußten wir uns unter heftigem Schrapnell- feuer zweier russischen Batterien zurückziehen. Wenn der Sumpf nicht gewesen wäre, wären die Batterien ein gefundenes Fressen für uns gewesen, das uns mal wieder für die Mühen und Anstrengungen der letzten Tage entschädigt hätte. Denn eS ging verdammt toll her in den letzten Tagen. Das ist nicht mehr der frisch-fröhliche Siegeszug. der uns die letzten Wochen zu unvergeß- lichen mackite, sondern ein oft nur schrittweises Vorgehen, mit schwersten Mühen und Gefahren verbunden. Die Russen wehren sich wie die Verzweifelten, und je weiter wir auf feindlichem Boden vordringen, desto wilder ist die Erbitterung, mit der sie uns bekämpfen. Trotzdem weichen sie immer weiter zurück, auch der heftigste Widerstand hilft ihnen nichts mehr, für sie handelt es sich jetzt nur noch darum, möglichst viel Truppen und Material aus der ihnen drohenden Umklammerung zu retten. Darum auch verteidigen sie jeden Schrittbreit Boden, und während sie, so lange sie noch in Galizien waren, sich noch einigermaßen wie Menschen benahmen. kehren sie in ihrem eigenen Lande immer mehr die Bestie heraus und sengen und brennen wie die Wilden. Vordem blühende Ort- schaften bilden nur noch rauchende Trümmerhaufen, üppige Getreide selber oft so weit das Auge reicht, sind eingeäschert, und die Ein- wohner meist alle ins Innere Rußlands verschleppt. Für uns Reiter sind die Tage von Aranjuez jetzt auch vorüber. Denn kein frischer Trunk wird uns nun mehr kredenzt, kein lachendes Mädchengesicht grüßt uns, und kein jubelndes Zurufen und Tücherschwenken mehr bei unserem Erscheinen. Die wenigen Menschen, die wir zu sehen bekommen, sind ängstlich und tief unglücklich, und ver- bergen sich meist, so schnell sie können. Sie sind durch böse Er- fahrungen, die sie mit ihren eigenen Landsleuten gemacht haben, gewitzigt und trauen dem Feind natürlich noch weniger zu. So ist unser Vorrücken nicht mehr so sehr abwechslungsreich und so reich an schönen Eindrücken wie noch vor Wochen in Galizien . Doch das macht nichts, wenn es nur vorwärts geht, immer nur vorwärts, dann sind wir wohl zufrieden und verlangen gar nichts Besseres. Diese Zeiten gehen auch vorüber, wir sehen auch wieder blühende Ortschaften, reife Getreidefelder und glückliche Menschen, nur muß der Feind vorher noch gründlich geschlagen werden, so daß er gar keine Zeit mehr findet, das Land ringsum zu verwüsten._ Die Desinfektionsanstalt in Krakau . Während des Winterfeldzuges litten die gegen die Russen kämpfenden Truppen in zunehmendem Maße an Verlausung und in noch schlimmer verlaustem Zustande befanden sich die gefangenen Russen, so daß die Besorgnis sich nicht von der Hand weisen ließ, es könnte in den Gefangenenlagern der Flecktyphus ausbrechen und einen unangenehmen Umfang erreichen. Die höheren Kommando- stellen wandten diesem Uebeistande ihr ganz besonderes Augenmerk zu, und bei der großen Rolle, die gerade die Festung Krakau nament- lich zu Ende des Jahres 1914 spielte, sollte auch hier eine große Entlausungsanlage errichtet werden. In einer solchen muß neben der Reinigung des Menschen auch die vollständige Desinfizierung der Monturen und der Wäsche vorgesehen werden. Ersatzmonturen be- reitzustellen ist einfach unmöglich, Wäsche dagegen kann leichter ersetzt werden. Deshalb sammelt sich in einer größeren Entlausungs- anlage eine ungeheuere Rienge von schmutziger Wäsche an, so daß für ein wirksames Funktionieren einer großen derartigen Anlage die Verbindung mit einer Wäscherei unbedingt notwendig ist. Die gewünschte Anlage wurde innerhalb zweier Monate, vom 26. Februar bis 26. April, so weit fertiggestellt, daß sie in Betrieb genommen werden konnte. Da ein Neubau schon wegen der Dringlichkeit nicht in Frage kommen konnte, wurde eine gemauerte Trainbaracke einer Kaserne von 900 Quadrat- meter Flächenbelag entsprechend umgebaut. Im Erdgeschoß wurde die Anlage für die Desinfizierung der Monturen und die Wäscherei, im ersten Stock die Entlausungsanlage für die Menschen unter- gebracht. Die zu reinigende Truppe gelangt zunächst in den Aus- Ileideraum, wo auch das Abscheren der Haare mit Hilfe dreier elektrischer Haarschneidemaschinen vorgenommen wird, dann geht es bei einem Posten vorbei, der eine Kontrolle über die Durchführung des Abscherens ausübt, in das außerordentlich groß dimensionierte Luftbad, das 20 warme und 4 kalte Brausen mit starkem Wasser- druck zum kräftigen Abspülen besitzt. Nach gründlicher Reinigung mit Seife, Einschmieren der behaarten Körperteile mit einer Schwefel-Anilinsalbe geht es in den großen Ankleideraum, während verdächtige Individuen in einem angrenzenden Zimmer dem Arzt vorgeführt werden. Vom Ankleideraum aus verlassen die entlausten Leute die Anstalt durch einen anderen Ausgang, so daß sie mit einer einrückenden Abteilung nicht in Kontakt geraten können. Die Kleidung der Leute wird nach Wäsche, Ledergegenständen und Sloffmonturen getrennt. Die Wäsche wird durch eine Boden- öffnung im Auskleideraum in eine Lysolkammer gebracht, um dort einer entsprechenden Desinfeklion unterzogen zu werden. Für Leder- gegenstände sind drei Schwefelkammern vorgesehen, wo die Vertilgung des Ungeziefers durch Verbrennung von Stangenschwefel, Salforkose oder Verminal erfolgt. Alle Sachen, die eine Dampfdesinfektion vertragen, werden in die große Dampsdesinfektionsanlage befördert, die aus zwei großen Dampfdesinfektoren von je 4 Kubikmeter Fassungsraum besteht. Die Desinfektoren find derart in eine Scheidemauer eingebaut, daß die unreine«eite von der reinen voll- ständig geschieden ist. Die Borgänge im geschlossenen und arbeitenden Desinfektor können an zwei Thermometern und zwei Manometern kontrolliert werden. Die Wäscherei, die den Hauptteil der Parterrelokalitäten ein- nimmt, ist mit 2000 Kilogramm Trockengewicht als Tagesleistung bei zehnstündigem Arbeitsbetrieb berechnet. Sie besitzt eine Dampf- Maschine von 35 Pferdestärken, die sowohl die ganze Wäscherei betreibl als auch den Dampf für die Desinfeklion liefert und mir einer Dynamo das Licht für die Anlage erzeugt und eine Niederdruck- dampfheizung betätigt. Von Auspuffgasen erfolgt außerdem noch die Erwärmung des Wassers für die Duschen im Bade. Bereits am ersten Arbeitstage, bei noch unfertigem Betrieb, wurden 700 Russen entlaust, am zweiten Tage bereits 2100. Nach- dem der Betrieb sich stabilisiert hat, resultiert als praktische nicht forcierte Tagesleistung die Entlausung von etwa 1000 Mann. Man beginnt dabei um 7 Uhr morgens und endet am frühen Nachmittag, um dann noch Zeit für die unbedingt notwendige Reinigung der Anstalt zu haben._ kleines Feuilleton. Müssen sich Solüaten operieren lassen? Die Frage, ob Soldaten sich auf Befehl der Sanitätsoffiziere einer angeordneten Operation unterziehen müssen, widrigenfalls sie wegen Ungehorsams bestraft werden, ist in der jetzigen Zeit recht aktuell geworden und hat bereits zu höchstrichterlichen Entscheidungen geführt, die auf allgemeines Interesse Anspruch erheben. Im Privai- leben hat der Arzt keinerlei Recht, eine Operation ohne Einwilligung des Kranken vorzunehmen, widrigenfalls er sich wegen Körper- Verletzung strafbar und ersatzpflichtig macht. Aber schon die Friedenssanitätsordnung des Heeres verlangt nach der Auslegung des Reichsmilitärgerichts, daß jeder Unteroffizier oder Gemeiner, dessen Dienstbrauchbarkeit durch eine Erkrankung beeinträchtigt ist, verpflichtet sei, den die Heilung bezweckenden Befehlen Folge zu leisten. Voraussetzung ist dabei, daß es sich um keine erhebliche chirurgische Operation handelt, wobei allerdings kein einheitliches Kriterium gegeben wird, was eine erhebliche und was eine unerhebliche Operation darstellt. Ungehorsam gegen Befehle, eine erhebliche Operation an sich vor- nehmen zu lassen, ist also, wohlgemerkt im Frieden, nicht strafbar. Anders ist die Lage während des Kriegszustandes. Hier tritt die Kriegssanitätsordnung in Kraft. In dieser fehlt aber die Unterscheidung zwischen erheblichen und unerheblichen Operationen überhaupt. Das Recht des Sanitätsoffiziers während der Geltung der KriegssanitätSordnung zu ärztlichen Eingriffen ist unbegrenzt. Die Pflicht des Soldaren, sich einem ärztlichen Eingriff zu unrerwerfen. bi* die Wiederherstellung seiner Dienst- brauchbarkeit bezweckt, ergibt sich aus seiner Dienstpflicht. Die Kriegs- sanirätSordnung ist aber befebränkl auf das KriegSgebiet und die Etappe. Im Heimatgebiet ist, wie Sanitätsrat Dr. Heinrich Joachim in der Zeitschrift für ärztliche Fortbildung ausführt, aber die Friedenssanitätsordnung maßgebend, die eS nur gestattet, unerhebliche Operationen ohne Einwilligung vorzunehmen. Nur wenn Gefahr im Verzuge ist. dürfen Eingriffe ohne Zustimmung geschehen. Da aber die Amputation unter Umständen eine lebensrettcnde Opc- ration ist, aber niemals die Wiederherstellung der Dienstbrauchbarkeit bezweckt, kann sie, ohne daß der Betreffende sich des Ungehorsams schuldig macht, abgelehnt werden. vie Millionenstädte der Erde. In der„Natur" wird eine Zusammenstellung der Millionen- städte der Erde gegeben. Die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die Städte einschließlich der mit ihnen verwachsenen Vororte nach dem Bevölkerungszustande von 1910. Die für Anfang 1913 be- rechnete Einwohnerzahl ist in Klammern beigesetzt. Die größte Stadt der Erde ist noch immer London mit 6 500 000(6 700 000) Einwohnern. New Dork hat 5 200 000(5 700 000), Paris 3 950 000 (4 100 000), Berlin 3 600 000(3 800 000), Chicago 2 500 000 (2 600 000), Wien 2 030 000(2 100 000), St. Petersburg 1800 000 (2 000 000), Moskau 1480 000(1 600 000), Hamburg 1 170 000 (1 200 000), Liverpool 1030 000(1 070 000) und Budapest 1020 000 (1 100 000). In Asien zählen: Tokio 2 250 000 Einwohner. Hankau 1500 000, Kanton 1200 000, Kalkutta 1200 000, Peking 1200 000. Heute zählen wir auf der Erde 21 Millionenstädte, von denen neun in Europa , drei in Nordamerika liegen. Der wirtschaftliche Einfluß dieser Millionenstädte reicht aber weit in ihre Umgebung. Fassen wir dieses wirtschaftliche Weichbild als Stadt auk, so erhalten wir annähernd folgende Zahlen für 1913: London 7,5, New Uork 6,9, Paris 4,5, Berlin 4,1 Millionen Einwohner. Wir erkennen also, daß New Jork schon auf dem Wege ist, London zu überflügeln. Dies wird wahrscheinlich im Jahre 1920 eintreten, wo London etwa 8 100 000, New Jork 8 200 000, Berlin 4 8000 000, und Paris 4 700 000 Einwohner zählen werden. Notizen. — Friedrich-Wilhelm städtisches T h e a t e r.„Leh manns Kinder" heißt der neueste Schwank und Hans Sturm sein Verfasser. Vor nicht gar langer Zeit war noch der fabelhaft reiche Onkel aus Brasilien mit der vollen Banknotentasche in leichten UnterhaltungSstücken der rettende Engel. Diesmal kommt er aus Südafrika , um seinen Neffen: Theaterdirektor Lehmann zu besuchen. Lehmanns geraten darüber in Bestürzung. Sie haben dem Erbonkel immer von zwei Kindern, die sie besäßen, ge- schrieben— ohne welche zu besitzen. In solcher Not muß nun ein Künstlerehepaar die Nolle der angeblich Lehmannschen Spröß- linge übernehmen. Gleichzeitig werden auch zwei ilindcr von der Waschfrau ausgeborgt. Hierdurch entstehen die konfusesten Vcrwick- lungen, die, man kann sagen, im zweiten Akt mit alter Schabloneip« technik zwar, aber recht wirksam gesteigert sind. Die Lösung, wie könnfs anders sein, fällt zu aller Zuftiedenheit aus. Der Verfasser strickte ganz gut den Stoff. Klebte er weniger an ihm, so wäre mehr Fleisch daran. Das beste ist wohl die Parodie auf Suder- manns„Heimat" und die flotte Darstellung. Verfasser, Direktion sind es zufrieden. Das Publikum auch.— e k. — Das Thcatcrprogramm der Freien Volks- bühnen. Der Verband der Freien Volksbühnen beginnt seine Tätigkeit im zweiten Kriegsjahre unter der Leitung Max Rein Hardts am 1. September mit der Aufführung von Schillers Rärrbern. Der mit allen technischen Möglichkeiten ausgestatteten Bühne entsprechend, werden vornehmlich klassische Werke zur Auf- führung gelangen. Aber auch solche intimer Wirkung sind vor- gesehen. Schon am 5. September kommen Goethes„Mitschuldige" und„Die Geschwister" zur Aufführung. Wenige Tage später folgt „Faust", 1. Teil. Shakespeareschc Werke werden zunächst durch den „Kaufmann von Venedig",„König Heinrich IV."(1. und 2. Teil), „Viel Lärm um Nichts" und„Sturm" vertreten sein. An Neu- einstudierungen sind vorgesehen: Kleists„Kächchen von Heilbronn", Tolstois„Macht der Finsternis", Hauptmanns„Weber" und„Die versunkene Glocke". Anmeldungen zur Mitgliedschaft weiden in allen Zahlstellen der Vereine, in den Warenhäusern von Hermann Tietz oder direkt in der Geschäftsstelle des Verbandes der Freien Volksbühnen, Linienstr. 227, entgegengenommen. — Theaterchronik. Das Theater in der König - grätzer Straße nimmt nach zweimonatiger Sommerpause seine Vorstellungen am Sonnabend, den 21. d. Mts., mit StrindbcrgS „Rausch" wieder auf. Als erste Neueinstudierung ist Ende August eine Aufführung von Björnsons Schauspiel„Ueber die Kraft" vorgesehen in den Hauptrollen mit Friedrich Äayßler und Helene Fehdmer .
Ausgabe
32 (19.8.1915) 189
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