Nr. 232.- 1915.
Unterhaltungsblatt des vorwärts
Freitag, 8. Oktober.
In Ruhe hinter öer Zront. ..Hurra! Morgen geht es in Ruhe, weit hinter die Front!* Zwei Kameraden kommen freudestrahlend die Treppe zum Unterstand heruntergestürzt, um uns diese neueste Nachricht mit« zuteilen. „Kinder, das ist schon zu oft gesagt worden, das glaubt euch doch keiner mehr*, sagt ein älterer Kamerad. „Diesmal ist es aber wahr! Wir haben eben selbst gehört, wie es unser Zugführer zu einem andern sagte. Und zwar soll es in dieser Nacht noch losgehen.* Selbst die ärgsten Pesfimisten unter uns sind dieser bestimmten Aussage gegenüber machtlos, und es werden die Meinungen aus« getauscht, wohin und weshalb es in Ruhe gehen soll. Allerdings längere Zeit ist unser Regiment schon im Graben und eine Ruhe ist wohlverdient. Immer bestimmter treten die Gerüchte auf, und es dauert auch nicht lange, da ertönt am Eingang zum Unterstand eine Stimme: „Gepäck fertigmachen, es wird in dieser Nacht noch losgehen, die Zeit wird noch bestimmt!* Solche plötzlichen Befehle gehören im Felde durchaus nicht zu den Seltenheiten, und so gebt alles hurtig darüber, sich marsch- bereit zu halten, um im Falle des Abrückbefehls fertig zu sein. Mantel und Zeltbahn werden gerollt, auf den Tornister geschnallt und alle Habseligkeiten gut verpackt. Nachts 2 Uhr kommt die Kompagnie, die uns ablöst. Noch ein paar Stunden Schlaf in unbewohnten Unterständen der Reserve« stellung und nach einer kleinen Morgensiärkung an der Feldküche geht die Kompagnie auf die Reise. Häufige starke Regengüsse in den letzten Tagen haben die Wege durch den Wald vollständig aufgeweicht, so dah man stellenweise bis an die Knöchel durch den Schlamm waten muß. Selbst auf einem im Anfang der Kämpfe angelegten Knüppeldamm von 8 Meter Breite und etwa ö Kilometer Länge läßt es sich nur schwer marschieren. Die ersten Dörfer kommen in Sicht, alle von Bagage, Train und sonstigen Formationen bewohnt. Fast immer dasselbe Bild des französischen Bauerndorses, rote Ziegel auf den Dächern, viele Häuser baufällig; an manchen sieht man auch die Spuren der Kämpfe. Die Straßen sind sehr sauber gehalten. Und was finden wir alles für Einrichtungen, die von der Heeresverwaltung gestellt sind. Feldbahnen mir Kraftbetrieb, die unter den allerschwierigsten Verhältnissen gebaut worden sind, große Sägewerke mit Ausnutzung der Wasserkraft vorüberfließender Flüsse, Feldbäckereien und-schlächlereien, häufig in eigens dazu erbauten Häusern. Auch Selterwasser- und Limonadefabriken, die alle Hände voll zu tun haben, um alkoholfreie Getränke in genügender Menge an die Front gelangen zu lassen. Der Platz vor einem Bahnhof wird von einem Dutzend ftan- zösischen gefangenen Soldaten gereinigt. Alle Waffengattungen sind vertreten, vom neuesten Feldgraublau bis zu den historischen roten Hosen. Ein sonderbarer Trupp kommt uns entgegen. Russische Kriegs- gefangene unter Bewachung, jeder Mann trägt eine Nummer auf dem Aermel. Die mächtigen Strohhüte auf den Köpfen verraten, daß diese Leute für die Landwirtschast verwendet werden. Ob die Franzosen wohl so sich die Hilfe Rußlands gedacht haben werden? Nach einem Marsch von 1b Kilometern eine längere Ruhepause auf einer Wiese. Die Feldküche hat uns eingeholt, schnell werden die Kochgeschirre vom Tornister geschnallt, es gibt Reis mit Pflaumen. Unter den Klängen der inzwischen eingetroffenen Regimentsmujil geht es weiter, vorbei an Feldlazaretten, von Soldaten bestellten Kartoffel- und Getreidefeldern, saftigen Wiesen mit Rinderherden. Teilnahmslos blicken uns die in den Dörfern zurückgebliebenen wenigen Frauen mit kleinen Kindern an. Auch einige Greise sehen wir, sonst aber ist von der früheren Bevölkerung nichts zu bemerken. An einer Kirche hängt über dem Eingang ein Schild„Ortskranken- stube*. In der Mairie wohnt der Ortskommandant. Das schwarze Brett, auf dem früher die französischen Amtsbekanntmachungen standen, dient jetzt zum Anschlagen militärischer Befehle, manchmal rn deutscher und französischer Sprache zugleich. Auch unsere amt- lichen Berichte von den Kriegsschauplätzen werden dort ausgehängt. — Hier ist ein Schild zu lesen:„Verkaufsstelle des Landwehrregiments Nr....* und dort sieht man von uns angebrachte Wegweiser mit großen deutlichen Buchstaben. Die allen französischen Wegweiser und EnlfernungStaseln find zwar viel zu sehen, aber die kleine, weiße Schrift auf blauem Grunde ist, hauptsächlich für die Automobilsahrer. nicht immer leicht lesbar. Der volle Tornister macht sich an dem warmen Tage immer mehr unangenehm bemerkbar. Aber nur ein Dorf ist noch zu durch- gehen, und auch ein heftig einsetzender Gewitterregen kann jetzt beim Anblick der in der Ferne liegenden„Sommerfrische* die freudige Stimmung nicht mehr verscheuchen. Da die Ouartiermeister bereits voraus sind, geht die Unter-
bringung der Kompagnie schnell von statten. Herunter mit dem Tornister, eine kleine Stärkung und dann einen Rundgang durch unser Dorf. Ein kleiner Ort mit einer Jahrhunderte alten Kirche. Die frühe- ren Bewohner trieben hauptsächlich Landwirtschaft, einige größere Bauernhöfe sind mit allen möglichen modernen landwirtschaftlichen Maschinen ausgestattet, die natürlich von den die Felder bestellenden deutschen Soldaten ausgiebig benutzt werden. Die frühere Dorf- schmiede mit Stellmacherei ist für die Artillerie und Munitions- kolonnen stark beschäftigt. Eine Kraftanlage in dem am naheliegenden Bach stehenden Sägewerk, das ebenfalls in vollem Umfange im Betrieb ist, versorgt den Ort mit elektrischem Strom für Licht und Kraft. Herrliche große Obstgärten laden zum Besuch ein. Die Pflaumen sind gerade reif, und da durch lange Enthaltsamkeit der Appetit wach wird, wird herzhaft zugegriffen. Einer dieser Gärten, gegen- über unserem Quartier, ist von einer früher hier in Ruhe liegenden Kompagnie mit Tischen und Bänken ausgestattet worden, und da die Feldküche ebenfalls hier untergebracht ist. haben wir Gelegenheit, die Mahlzeiten im Freien unter schattigen Obstbäumen einzunehnlen. Der nächste Tag dient dazu, die Kleidungs- und AuSrüsiungs- stücke zu säubern und in Ordnung zu bringen. Notwendig ist es auch, denn der Schützengraben und die Unterstände haben überall ihre Spuren zurückgelaffen. Und nun beginnt eine Zeit, als wäre es Frieden und die Kom- pagnis befände sich in der Garnison . Der Dienst besteht aus Exerzieren, Uebungsmärschen, Appells, Schießen auf dem Scheiben- stand usw. Und da merken wir erst, wie sehr die Gelenke und Gliedmaßen durch den langen Aufenthalt im Schützengraben ein- gerostet sind. Die Märsche mit Gefechtsübungen führen uns auf den fast durchweg guten Landstraßen durch französische Ortschaften, von denen manche durch die Kämpfe vom Herbst 1914 stark mitgenommen sind. Ueberall findet man noch einige Frauen und Kinder, die freund- lich mit uns sprechen und die immer wieder die große Sehnsucht nach dem Frieden bekunden. In unserem Dorf ist ein etwa achtjähriger Junge, der mehr bei uns als zu Hause ist. Da ich annahm, daß er schon einige Worte Deutsch spricht, frage ich ihn:„Wie beißt Du?* Er antwortet mir: „Heinrich.*„Heißt Du nicht Henry?* frage ich weiter, worauf er antwortet:„Jetzt heiße ich Heinrich.* Der Junge sprach schon sehr gut Deutsch , was bei dem fast ein Jahr schon währenden Umgang mit den deutschen Soldaten allerdings erklärlich ist. Sein Vater ist in Deutschland kriegSgesangen. Einige alte Frauen im Dorf besorgen unS die Wäsche und es herrscht ein freundschaftlicher Verkehr. So gut es geht, erzählen ivir uns etwas; sie fragen nach den Familienverhältnissen, aber meist wird vom Krieg gesprochen. Vielfach drücken sie ihr Erstaunen darüber aus, daß so viele deutsche Soldaten Französisch sprechen können. So vergehen die Tage. Eine gemeinsame Besichtigung der drei in Ruhe liegenden Kompagnien wird abgehalten, und den Abschluß der Ruhezeit macht ein gemeinsames Sportfest, bestehend aus Wett- kämpfen im Laufen, Springen, Handgranatcnweitwurs. Tauziehen und Pyramidenbau. Es sind viele Preise, die den Warenbeständen der Kantinen entnommen sind, gestiftet, und die Leistungen können sich sehen lassen. Am nächsten Morgen find wir. nach 17 tägiger Ruhe, wieder auf dem Wege nach dem Schützengraben. Und sehr lange dauert es auch nicht, da merken wir an dem immer lauter hörbaren Donner der Geschütze, daß wir unserer Stellung immer näher kommen. Noch ein Durchwinden in dem Grabengewirr, und da befinden wir uns auch schon wieder in den altbekannten Unterständen. Die schönen Tage sind vorüber.?. lll.
Kleines Feuilleton. ZeLgewinnung aus Hefe. Auf der Generalversammlung der Versuchs- und Lehrbraucrei berichtete Prof. Delbrück über die Fortschritte in der Herstellung von Eiweiß aus Hefe. Tie Herstellung von Futterhefe durch Track- nung der Brauercihefe hat abgen mummen, weil man vielfach zur Erzeugung von Nährhefe daraus übergegangen ist. Die Zkachfragc danach ist so groß, daß ihr nicht immer entsprochen werden konnte. Die Heeresverwaltung und viele Städte verlangen sie. Auch die Stadt Berlin will demnächst bei Kinberspeisungen, um die Eiweiß- ration zu erhöhen, Nährhefe verwenden. Hier greift nun die neue Erfindung der Massenerzeugung von Hefe aus Zucker und Mineral- salzen ein. Dadurch, daß man bei diesem Verfahren der Hefe die Arbeit der Alkoholbildung erspart, bat die Hefe nichts weiter zu tun, als für die Vergrößerung ihres eigenen Zelleibs zu sorgen und sich zu vermehren. Demnächst werden bereits sieben oder acht Großbetriebe entstehen, von denen jeder mindestens 10 000 Tonnen Futterhefe erzeugen kann. Brauereien für diesen Zweck zu verwenden, ist schwierig, das Verfahren braucht Gärbottiche von Vi Million Liter
Inhalt. Die Bedeutung des Fnttereiweiß liegt darin, daß eben das Eiweiß das Arbeitsmittel ist, durch das die übrigen Futter- stosfc umgesetzt werden. Es zeigt sich dies am deutlichsten bei der Schnellmast der Schweine, die ohne eiweißreiches Beifutter gar nicht durchzuführen ist. Bei Inangriffnahme der Kriegsarbeiteu im Institut war der Gedanke naheliegend, zu versuchen, auch Fett durch die Arbeit der Mikroorganismen zu erzeugen. Professor Lindner erhielt nun von einem seiner Schüler, Herrn Schreiten- seger, aus einem Schützengraben in Polen einen Feld- postbrief, dessen Inhalt eingetrocknete Vtikroben waren. Als Professor Lindner das Mikroskop zu Hilfe nahm, entdeckte er, daß jede einzelne Zelle hier mit einem Tropfen Oel erfüllt war. Man hatte also die langgesuchte Fetthefe vor sich. Weitere Unter- suchungen ergaben, daß der Fettgehalt 18 Proz.� betrug, wozu noch ein Eiweißgehalt von 30 Proz. kam— also das idealste Nahrungsmittel. Naheliegend wäre es nun gewesen, für die Massenzüchtung das gleiche Verfahren wie beim Eiweiß anzuwenden, aber diese verfettete Hefe zeigte, wie es eben ihrem Fettcharakter entspricht, ein großes Rubebedürfnis, und so wurde ein anderer Weg beschritten. Äne Umfrage bei Sachverständigen der Fettindustrie ergab, daß die Verarbeitung eines Stoffes schon wirtschaftlich ist, wenn er selbst nur 10 Proz. Fettgehalt aufweist. Der Kriegsausschuß für Fette und Lele bekundete sofort das regsic Interesse, und so steht zu hoffen, daß das Verfahren noch in der Kricgszeit zur praktischen Verwertung gelangt. Chrysanthemen. Zu unseren beliebtesten Herbstblumen gehört das Chrysanthe- mum, das jetzt mit Tausenden von Blüten Gärten und Anlagen schmückt. Die Heimat der Blume ist Japan ; sie wird dort in vielen Abarten gezogen und ist die LieblingSblume der Japaner. Eine nahe Verwandte des Chrysanthemum ist die bei uns heimische„Wucherblume" oder„weiße Wucherblume*, die in manchen Gegenden auch„Sternblume" genannt wird. Wir sagen„das Chrysanthemum, und wenn es sicb um mehrere handelt,„die Chrh- santhemen*; manche gebrauchen die aus dieser Mehrzahlform gc- bildete Einzclsorm„d i e Chrysantheme". Diese Bezeichnung ist an sich unrichtig; es gibt aber manche Bildungen dieser Art, die unser Sprachgebrauch schon längst gebilligt hat. Wir sagen„der Typus" und bilden davon die Mehrzahl„die Typen"; aus dieser ist die Einzelform„die Type" hervorgegangen, der wir dann eine ganz andere Bedeutung verliehen haben als dem Wort„der Typus". Aus Gründen der Sprachrichtigkeit sollten wir freilich darauf achten, daß wir an der Einzelform„das Chrysanthemum" festhalten._ In den Auslagen der Blumcnhandlungen erblickt man jetzt überoll Chrysanthemen mit Riesenblüten, die oft die Größe eines Kindcrkopfes erreichen. Allgemein hält man diese großen Blumen für eine Abart dcS gewöhnlichen Chrysanthemums. Das ist aber ein Irrtum; es handelt sich um ein und dieselbe Pflanze. Tic Riesenchrysanthemen sind durch Hypertrophie tUeberernährung) zu ihrer eigenartigen Form gelangt. Jeder kann dieS zu Hanse durch einen interessanten Versuch feststellen, indem er zwei gleich- artige junge Chrysanthemumpflanzen in zwei Blumentöpfe neben- einander auf den Balkon stellt. Di« eine Pflanze behandelt man auf dieselbe Weise wie alle übrigen Balkonblumen, �und sie ent- wickelt sich zu einem Strauch, der viele Blüten trägt. An der anderen Pflanze aber läßt man nur einen einzigen Stengel auf- kommen und deläßt auch an diesem nur einige wenig« Blätter. Zeigen sich die Blütenknospen, so werden diese bis auf eine ein- zige abgeschnitten. Die zarte Pflanze wird ferner überreichlich gedüngt, und man sieht bald, daß die dicken, fleischigen Blumen- blätter der einzigen Blüte eine ungewöhnliche Länge erreichen; infolge ihrer Länge und Schwere können sich die Blumenblätter nicht aufrechterhalten, und sie hängen gleich langen Locken von der Blüte herab, die selbst einen ungewöhnlichen Umfang annimmt. Dazu tritt noch der Einfluß der starken Düngung. DaS, was jeder auf seinem Balkon im Kleinen vornehmen kann, tut der Gärtner in feinem Treibhaus im Großen. Notize». — Vorträge. Im Monistenbund spricht Freitag, den 8. Oktober, abends 8� Uhr, im Nollendorshof. Bülowstraße 2, Dr. Werthauer über die Psychologie der Aussage. — Kunstchronik. Die große Berliner Kunstausstellung, die sonst Ende September geschlossen wurde, bleibt in diesem Jahre bis zum 31. Oktober am Pariser Platz 4 geöffnet. Besichtigung täglich von 9—6 Uhr. — Eine Einführung in die Forschungspsychologie und die Forschungsmethoden der modernen Naturwissenschaft gibt Dr. M. H. Baegc in seiner Vorlesung„Wie erkennen wir die Welt?* an der Humboldt-Akadewie. Der Dozenl hält außerdem eine Vortragsreihe„Die geistige Entwicklung im Tierreiche", in der er die Grundzüge der modernen Tierpsychologie darlegt. Lehrstätte Gcorgcnstraße 30/31, Montags 8—9 und 9—10 Uhr. Beginn: 11. Oktober.
Rotes vlamenblut. -tZj Don Pierre BroodcoorenS . 3. „Bei Gott , ich töte ihn 1" Wild funkelten feine Augen. An wen sich feine Drohung richtete, hatte er nicht ausgesprochen, aber er dachte an all die Schweine, die ihr Uebles angetan hatten. Und er warf sie alle in ein und demselben Haß zusammen, dessen Ausbruch furchtbar sein würde. Seine Hände erfaßten plötzlich den Pfahl, an dem er gelehnt hatte. Blindwütig brach seine Raserei hervor, und er suchte ihn zu erschüttern. Solid mit Stahldrähten um- flochten, wankte er nicht. Mit einem äußersten Ausbruch seiner Wut stieß Flohil wie ein Nainmblock mehrere Male mit der Stirn gegen den kreosotgetränkten Schaft, der in mittlerer Höhe mit weißen Buchstaben auf blauem Grunde die ironische Warnung trug: „Todesgefahr." Die Niederträchtigkeit wirkte schnell. Sie zerstörte die letzte vertrauensvolle Neigung, die Souhe Flohit bis jetzt seiner Frau entgegengebracht hatte. Die wunde Stelle seiner Liebe erhob ihm sein Unglück zur Gewißheit. Hilla hinter- ging ihn. sie vergaß ihre Pflichten mit einem Lumpen, einem Tagedieb, einem Jahrmarktsmusikanten, während ihr recht- mäßiger Mann, zwanzig Meilen von ihr und ihrem schlechten Wandel entfernt, Tag und Nacht sich für ihren Lcbensunter- halt abmühte. Vielleicht teilte sie die blauen Briese, die er ihr am Ende eines jeden Vierteljahres schickte, ihrem Lieb- Haber mit. Und während Bicus Manncvel und er sich in ihrer Bude kärglich von Bataten mit Pfeffer und amerikani- schem Speck nährten, liebkosten sich die Dirne und ihr Hahn und rieben sich die Schnauzen aneinander. Im Weiterschreiten machte er eine Bewegung, als wollte er jemand packen. Er erstickte. Er riß seinen Hemdknopf auf und atmete stark, mit glühendem Gesicht, während ihm das Blut dicke Adern auf der niedrigen Stirn aufschwellen ließ.
Eine schreckliche Mundverzerrung entstellte ihn und zog ihm die Mundwinkel gegen die glühenden Schläfe hin. Oft hat die bissige Galle der Nachbarinnen gute Augen! Was Emma, vom Coin-des-Tisserands, oder Nille von Mon- tagne-aux-Faucons anbetraf, die sich aus Rachsucht die furcht- baren Freude geleistet haben mochte, ihm Vitriol aufs Herz zu gießen, so war das ohne Bedeutung gegenüber der mon- strösen Schcusäligkeit, die ihre Bosheit da enthüllt hatte. Kein Feuer ohne Qualm. Es gibt Angaben, die den Stempel der Wahrheit tragen. Und Flohil fand sie in der scheußlichen Genauigkeit des Briefes. Gab dieser ihm nicht das sichere Mittel an, die schreckliche Angabe, die sie einschloß, zu prüfen? Unwillkürlich ballte er die Fäuste. Er sah sich in äußer- ster Bedrängnis, wie ein Wildschwein vor den Listen der Treibjagd. Aber eins machte sich notwendig. Er mußte sich mit eigenen Augen überzeugen. Es war unerläßlich, zu sehen, zu beobachten und zu überraschen, ohne daß er selbst gesehen wurde. Anderenfalls würden Hilla und der Harmonikaspieler, gewarnt, sicher sich vorsehen. Dem Bahnhof gegenüber verlor sich Souhe auf einer Promenadenbank, über die der Frost eine Kruste gelegt hatte, in barbarische Gedanken, unempfindlich gegen den herben Biß der Kälte, mit Augen, die unter dem düsteren Gestrüpp seiner wilden Augenbrauen funkelten, die Ellbogen auf den Knien, das Knie auf den Fäusten. Eine nach der anderen klangen die Viertel und die halben Stunden von dem Turm der unsichtbaren Kirche in den tiefen Abgrund der Finsternis hinein, und das Schweigen lastete jedesmal nur etwas schwerer. Unbeweglich blickte Flohil vor sich hin auf das einzige erleuchtete Fenster des Bahnhofes. Stereoskopische Schatten bewegten sich schnell über das helle Gitter des schmutzigen Rouleaus. Ein leuchtender Donner tauchte in den Abgrund der Nacht hinein. Mit einem Schlag erlosch das Licht des Bahnhofes. Souhe erhob sich. „Der letzte Zug." sagte er, wie eine Hauptsache, vor sich hin.
Und mit schwerem Schritt tauchte er in die Nacht hinein, die nahenden Ereignisse vor Augen. 4. Wie alle betrogenen Ehemänner litt er besonders auch an seiner verletzten Eigenliebe. Er knirschte mit den Zähnen, zerriß sich mit den Nägeln das Fleisch, ward sür Augenblicke von einem Schluchzen geschüttelt. Er hätte lieber von einem körperlichen Schmerz gefoltert sein mögen, um nur nicht das Geschwür zu suhlen, das an ihm fraß. Es erniedrigte ihn mehr als alles übrige. Und er faßte gegen sich selbst eine tiefe Verachtung, ivenn er daran dachte, daß er kaum zwei Monate vorher sich tu der Schenke zur „.Kornblume", am Markt von sstederbrakel, über einen armen Teufel von Schieferbrucharbciter lustig gemacht hatte, den seine Frau, obgleich sie 15 Jahre älter war al» er. mit dem ersten besten hinterging. War das unsinnig läppisch! Während er sich noch auS vollem Halse über den Unglücklichen lustig gemacht, bereitete ihm da Hilla nicht dasselbe Renommee, über daS er so grausam gespottet hatte? Seiner selber spottend schüttelte er den Kopf, ihm zuckten die Lippen. Er hätte sich verstecken, unter die Erde verkriechen mögen, um nicht mehr das spöttische Lachen, die dörflichen Anzüglichkeiten zu hören. die ihm schon zum voraus in den Ohren klangen. Sich in schmählicher Weise verhöhnt zu sehen, des Vergehens der Dirne wegen, die ihn geködert hatte, indem sie ihn bei seiner Empfindung nahm; Gegenstand des öffentlichen Gelächters geworden zu sein, bedrückte ihn mit einer unerträglichen Ver- wirrung. Er würde weniger auf einem Lager glühender Kohlen �gelitten haben. Nur eine fürchterliche Rache konnte diesen Schimpf austilgen, sein Haus von dem Schmutz der Sünde reinigen, den>Lpott in der Kehle der Lacher ersticken. Lieber wollte er für einen schlechten Kameraden, einen ge- nieinen Kerl, einen wilden, dem Gesetz verfallenen Burschen als für einen Dummkopf gelten. Von vornherein berauschte er sich au der Vision der Rache, der tvildc Gedanke tat ihm wohl, daß sein Leid durch Blut gebannt werden könnte. Gortj. folgte