»r. 241.- i9i5. Unterhaltungsblatt öes Vorwärts
Das gepanzerte Schwein. Bor den Käfigen der Affen drüben reichen wohlbeleibte Herren den beschwönzten Kobolden grünsaftige Tafeltrauben— ich bringe meinem Gepanzerten Distelköpfe, Distelblätter, ein paar Mohrrüben« reste, etwas Rinde von Grunewaldbäumen, einige klägliche Pflanzen- Wurzeln und schwarze Beerendolden von Holunder mit. Erst wird erschrecklich gerasselt mit dem Wald von schwaizweihen Stacheln. ES ist kein Freudengerassel, denn wir sind zu wenig bekannt mit« einander, ich und das Stachelschwein, aber ich kenne seinen Gaumen. Hoch sträubt sich drohend die auS feineren schlohweißen Haargrannen zusammengestöppelte HalSmähne empor, als die ersten Borkenstiickchen zwischen die niedrigen Glaswände in daS Gefängnis dieses so kriegerisch ausstaffierten Säbelraßler», Lanzen« raßler« fallen. Klirrend fährt daS stachlichte Gewirr von Spießen auf dem Rücken auseinander und sträubt fich so wütig empor, daß die Spitzen fast drohend nach vorn gegen mich an« stehen. Ich lächle zu dem komischen Gebahren, zu der Kriegserklärung dieses gänzlich Kriegsunfertigen, Kriegsuntüchtigen. Ich sah zu, wie in der Campagna beim Schein der Fackeln ein witzelnder Römer. der seine Spaße über das dumpfe Drohgegrunze und daS heftige „Sliefelklappern' mit den ausstampfenben Hinterbeinen macht«, rn den Graben hinuntersprang, in dem die wie toll heulenden Hunde vor�dcr Stachelkorona des GrunzerS standen. Mit einem kurzen Griff packte der Römer in die hochgesträubte Nackenmähne, ein kurze« Messerblitzen und die ganze Pracht der Stacheln sank hilflo», wehr« lo« in sich zusammen. DaS ganze Aufgebot von Hunderten von Lanzen auf einem einzigen kleinen Fell, eS war ein Spaß,«in Ulk- Witz der Intelligenz des Menschen gegenüber. Die Rackenmähne, das ist die Achillesferse dieses Schweineachilles! Der Intelligenz eines KölerS gegenüber, und mag e« ein dressierter Schweinehund sein, ist dieier Achilles ja immerhin ein teuflisch zu fürchtender Held. Wie sagt Sterndale, der ein indische« Stachelschwein mit großartigem Erfolg den Kläffern gegenüber sich zur Wehr setzen sah?— Zufällig stieß er auf mehrere Jndier, die oben auf dem Kesiel einer Stachelschweinbehausung lebhaft mit blanken Schippen am Schaufeln waren, während mit dumpfem Knurren zwei Hunde am RöhrenauSgange wachten. Als die blanken Spaten nun in den Kessel hinunlerstachen, sauste jähling« der Jnsafie, der wohl fühlte, daß ein Spaten ein anderer Stachel ist al« ein Stachel- schweinstachel, heraus und.rasselte aus« höchste erzürnt zwischen die Hunde. Dabei rutschte eS mit gespreizten Stacheln sehr hurtig und geschickt rückwärts wie seitwärts hin und wieder und hatte im Nu beide Gegner derartig getroffen, daß sie heulend zurückwichen und einer der Leute mit einem Axtschlag auf den Kopf de» erbosten Stachelhelden, die zwar sehr drollige, aber für die Hunde keine«- weg» ungefährliche Rauferei beenden mußte. Dem einen war ein Stachel tief in den oberen Hai» gefahren, dem anderen je einer in den Unterkiefer und in das Gesicht hart am Auge— dieser saß so tief und fest in der Wunde, daß eS großer Anstrengung bedurfte, den hellenden Hund davon zu befreien." Als ich da» StachelchaoS zum erstenmal auf dem Rücken eines .Savoyarden* in Pisa sah, mußte ich unwillkürlich an daS nordische nebelige Deutschland denken, in dem die Markscheider, die Land« messer, ähnliche Stacheln in vergrößertem Maßstabe nach allen mög- lichen Richtungen hin setzen. Genau solche hellen und dunklen breiten Bänder, wie sie um diese wandernden Stäbe gemalt find, ringeln auch um die Waffen dieser wandernden TiergroteSke, die selbst im dicken Schweif mit einem Tumult von Stacheln prahlt. Die grimmigsten Dorn schwänze aus der Taille von Amerika , aus dem wüstheißen Wüstensand Mexikos , sind hier ebenso viel wie unser Igel einem Stachelschwein gegenüber ist. So wie unser Mäuseigel, krümmt sich der verkörperte Speer schlau zusammen, wenn eS eben gar nicht mehr anders geht, wenn «r erschöpft ist vom Gerassel, Gegrunze und Anrennen gegen den Gedränger. Dann freilich ist ihm' fast nichts mehr anzuhaben— dann ist er in seiner idealen Defensivstellung. Aber ein gemeiner Sack, den ein gemein intelligente« Menschenwesen darüber stülpt. macht auch diese» letzte Kunststück der defensiv passiven Natur zur Farce. Wie manche Millionen Iabre wird die« Kämpfergeschlecht in der Verteidigung seiner Borsten durchgekämpft haben,«he au» den Borsten solche Speere wurden. Man kann auf jede» der schwarzen und weißen Bänder... ich weiß nicht wie viel rechnen. Nagetiere in idealster Ausbildung sind diese Sonderbaren. Wie sollte eS unser Karnickel wohl anstellen, wenn man ihm eine Etsenstrange zum Zer« knabbern vorlegte. Tatsächlich zermörsern diese den Nagezahn im Wappen Führenden ihre Blechkästen, ihre Eisengitter, weshalb man
Rotes vlamenblut. 611 Von Pierre BroodcoorenS . In der dumpfen Hitze, die der große Küchcnofcn und der scharfe Tabaksrauch erregten, waren im„Weißen Roß" dreißig ländliche Kneipbrüder beieinander; die meisten waren, obgleich das Fest erst angefangen hatte, schon bezecht. Mit trunkener Beharrlichkeit bearbeitete der Bruder der Wirtin den Ofendecke! mit dem Schürhaken. Er stammelte zusammenhangslose Worte und bewegte seinen Marionetten- köpf mit den dichten, weißen, bürstcnartig emporstehcnden Haaren und den starren rotgcrändcrtcn Fischaugcn hin und her. Mehrere von den Masken tummelten sich, während die Farandole sich vor dem Schanktisch entwickelte, auf dem Tanzplatz und in den Ecken. ES waren drei Frauen und zwei Männer. Einer der Burschen, in ein Stück grüner Serge gehüllt, reckte über die Anwesenden sein Vogclkirschholzszepter. das in in einem mit dem Messer geschnitzten Jakobskopf endete. Der andere begrüßte unablässig� alle Welt, und indem er einem Horn immer denselben kreischenden Ton entlockte, machte er über daS Publikum eine segnende Geste. Von den aufgeregten Bauern aufgefangen, wanden sich die Weiber laut kreischend zwischen ihren Händen. Bunte Bänder wackelten in ihren Haarwickeln. Die jüngste hatte einen scharlachroten Rock, eine Maske von bunten Papierbändern und einen aus einem alten, gelben Plakat angefertigten zweispitzigen Hut. Niemand sprach, aus Besorgnis, daß er an der Stimme erkannt werden könnte. Sie glucksten wieTicre und schützten ihre MaSken möglichst mit der Hand, um sich gegen Indiskretionen sicherzustellen. Unter einem Tische schnarchten zwei von Trunkenheit überwältigte kleine Mädchen, eins über dem anderen liegend, die Hände geballt. Mitten in aller Ausgelassenheit bewahrte nur Vidrine Tap ihren klaren Verstand. Von einem Hüftleidcn verkrümmt. schleifte sie mühsam daS Bein und hinkte von einem Tisch zum anderen, indem sie nach Bedarf die Gläser mit schäu« mendem Braunbier füllte. Ihr ältester Sohn, Gueiritt, ein Junge von zwölf Jahren, mit geweckten Augen, rauchte eine dicke SouSzigarre. die ihn zum Husten und Ausspucken reich- lich veranlaßte. Er holte unablässig aus dem Kellcrraum große Kannen schäumenden Hopfenbieres. Die Aufgeregteste war Hilla CitterS. Mit aufgelöstem Haar und glühenden Wangen verstand sie alle Welt mit ihrer
ste im Zoologischen Garten bei unS zwischen Glaswänden herum« knurren läßt. Diese bald grunzenden, bald quiekenden Laute haben die un« verständigen Namengeber dieses Tieres— sie müssen Eselsohren und EselSauge» gehabt haben— veranlaßt, eS in die Klasse der Schweine hineinzurangieren. Bei dem Baumstachler, einem Kletterer dieser Art, der seine Notdurft während des Fraßes verrichtet und dabei gar nicht daraus achtet, ob fem Kot oder Harn in die Nahrung hineinsudelt, habe ich ja nichts dagegen. Aber bei dem gewöhnlichen Erdstachler...? Eher hat er sürwahr eine Biber- oder Kaninchen-, ja eine Eichhornphysiognomie als eine Schweinepbysiognomie. Wie die Karnickel graben sie sich in der Freiheit— da in Algerien , Tripolis , Senegambien, Sizilien und in der Campagna, auch in der Nähe von BenizeloS— dem kretensischen Stachlcr— Höhlengänge in die Erde hinein, in denen sie den Tag einsiedlerisch verfaulenzen und verschnarchen— einsiedlerisch— da ste nur nachts auf Fraß ausgehen. Wie unser glitzernder Dickkovf, der Eisvogel, mögen ste vom Weibchen nur in der entsprechenden Zeit etwa« wissen. Ihr Stachelwanst ist offenbar nur Beweis ihrer innersten Natur. Denn daß mal ein Stachelschwein mit einem anderen eine lustige Katzbalgeret hätte, oder auch nur eine Anwandlung zum Spielen hätte— hat man seit Menschengedenken nicht beobachtet. ES sähe auch zu drollig auS. Die Baumstachler, die Sorte, die einen etwas schmiegsameren Pelz hat, auS dem im dicken, molligen Felluntergrund hier und da nur die Nadeln sachtmahnend hervorstechen, haben herausgefunden, daß«s sich zusainmen auch molliger schläft als zölibalär allein. In dicken Klumpen, Pelzklumpen, in denen man kaum die lralleustarken Kletterbeine, die stumpfen Schnauzen und die fetten Greifichwänze unterscheide� bängen sie in Mittelamcrika um einen dicken Baumast im Urwald. Glänzend grau das ganze Pelzkleid, aber höllisch gelb dareingespritzt überall die zarten Nadeln der Stacheln. Seltsamer« weise sitzt ihr« Waffe ihnen so locker im Leibe, daß schon bei einem sanften Darüberstreichen mit der Hand eine ganze Anzahl auS- fallen. Wenn man auch einen Erdstachler wohl weniger streichelt, aber fein« Wehr und Waffen hat er ebenso locker„in der Hand". Oppian ,— ich glaube seine Stachelschweinbeobachiungen liegen einige Jahrhunderte zurück— sagt sogar:.Die Stachelichweine sehen erschrecklich aus und sind die allergcsährlichsten Tiere. Werden sie verfolgt, so fliehen sie mit Windesschnelle(I> nicht aber ohne zu kämpfen— denn sie schießen ihre todbringenden ist Stacheln gerade hinter sich gegen den Feind." Alwin Rath.
kleines Feuilleton. volkstümliche Konzerte. Die Sonntags« Konzerte des Schiller- Theaters zählen längst zu jenen künstlerischen BildungSfaktoren Groß-Berlins . die ihre Daseinsberechtigung aus sich selbst heraus erweisen und die um deswillen jedem Freunde echter Musik immer wieder lieb und werlvoll erscheinen. Am letzten Sonntag wurde der erste Zyklus dieser allionntäglichen Mittagskonzerte durch ein vornehmes Programm eingeleitet: Je ein Ouartelt für Klavier. Geigen und Cello von Brabms, desgleichen ein Trio von Mozart bekamen wir in wundervoller Klangschönheit zu hören. Florian a j i c, Hugo D e ch e r t, Hans Hasse, Ella JonaS-Stock- a u s e n: Künstler von feststehendem Ruf, verbürgen eine so tief- greifende weihevolle Wiedergabe, daß es schon genügt, ihre Namen zu nennen. Als Mittelstück der Vorträge bor Marie G o e tz e Lieder von Schubert, Schumann, BrahmS und Mozart . Die große dramatische Sängerin von einst verleugnet sich nicht. Ihre meisterhafte VortragSknnst wirkt auch noch heute bezaubernd. ES ist überhaupt ein Schönes um den Reichtum an köstlichen Schöpfungen der Kammermusik und des Gelange» von kassischen wie zeitgenössischen Komoonisien, der in diesen Konzerten dargereicht wird. Da« billige Eintrittsgeld: je fünf Sonntags« konzerte zu 2 M. bezw. 2,80 M.(einschließlich Kleiderablage und Programm) spricht schließlich auch für das geräuschlos einhergehende Unternehmen._ ek.
,Dot» �uans letztes Abenteuer/ Paul Graener « tragische Oper:.Don Juan« letzte! Abente uer" hatte im M ü n ch e n e r Hoftheater starken Erfolg. Otto AntheS , der Textdichter, hat nach Oberlehrer« und Germanisten- Art die unverrückbar fest in der Phantasie deS europäisch Gebildeten stehende Don Juan -Gestalt umgebogen und ins Lyrische verweichlicht. Er läßt den grau gewordenen„Faust der Liebe" sich mit einem
überschäumenden Lebhaftigkeit aufzumuntern. Ihre schneidende Stimme zerriß die Luft wie Seide und beherrschte den Tumult mit unverwüstlich Heller Kehle. Sie hielt sich bei einer Gruppe, die auS den beiden Brüdern Borst, aus Nille von Montague- aux-Faucons und ein paar anderen Freundinnen bestand, die total bezecht waren. In einem der Kaminwinkel wiegte Jannah auf den Knien die entschlummerte Martha. Von Zeit zu Zeit nahm sie einen Schluck Pfefferpunsch und warf in den Aufruhr die zwei rauhen Töne ihres krächzenden Gc- lächterS hinein. Die Farandole endete mit einem Harmonikaton Hein DonkaS. Hilla entschlüpfte den Händen ihreS RitterS, eines der Brüder Borst, und sprang Nille an den HalS, deren Augen vor Wollust unter ihrem grellen, roten Haar funkelten. Sie rollten zusammen an den Fuß des Schanktisches. „Füll' unsere Gläser, Vidrin!" heulte die Dirne. Dann zum ältesten Borst gewandt: „Saufwampe, gib mir mein Glas. Ich will heut' abend noch Vitriol trinken. Ich habe Durst." „Du bist liebcstoll, ganz gewiß," gab Nille boshaft zu verstehen. Sie ließ sich ihr Gläschen heißen Punsch bringen und tauchte ein Stück Zucker hinein, an dem sie mit Genuß sog, indem sie ihre dicken Ncgerlippcn vorschob. „Nu' gut, Du bistö wohl nie gewesen?" „Aber ich bin nicht verheiratet. Ich habe keinen Mann wie Du, der mich zufriedenstellen kann, wenn mich so waS überkommt, zweimal am Tage, wenn ich wollte." Die andere verstand die Anspielung nicht, oder tat doch so, als ob sie sie nicht verstände. „Heilige Jungfrau, wenn sie hier wären, unsere Männer!" rief sie, indem sie sich auf die Schenkel schlug und die Schultern hochzog. � � „Du hast ihn ja doch von Zeit zu Zeit. Du könntest Dich dann für die Strohwitwemonate im voraus versehen." Eine Heiterkeit erschütterte das Zimmer, und der dicke Rauch, der sich über die Köpfe breitete, geriet in Unruhe wie gequirltes Wasser. Hein Donka hielt den Mund. Er schien angelegentlich beschäftigt, eine Taste seiner Ziehharmonika nach der andern zu bewegen. Dann leerte er sein GlaS mit einem Zuge. „Jawohl, ich bin eben nicht so eine. Ich habe daS nicht nötig. Wer möchte wohl Dein dreckiges Maul küssen, he? Gib mir seine Adresse, daß ich mir das Vergnügen mache, mir den edlen Mann mal anzusehen."
Apfelsineiimesier erstechen, weil sein letzte» Liebesabenteuer sich gegen ihn entschied. Aber ein Don Juan , der kraftvolle, volllommcn amoralische Herrenmensch, verbrennt nicht zu matter Asche, er braust lodernd dahin und ersticht sich höchstens(wie bei Lenau ) aus Elel und Uebersältigung. Von diesem Grundfehler abgesehen, überragr die AnlheSsche Dichtung als Opernbuch viele semeSgleichen und gibt einem Komponisten, der Feuer und Rausch in den Adern hat, genug Anhalt. DaS hat nun der Hallenser Kapellmeister Graener nicht gerade, aber er ist dafür ein feiner, kultivierter Musiker moderner Richtung mit Geschmack und Schönheitssinn, er versteht seine kleinen Einfälle so lockend zu instrumentieren, daß sie auf den � zu Verblüffenden wie große dramatische Gebärden Wirten. Sein Hand- Werkszeug entnimmt er zu einem guten Teil Puccini und Debusty, aber auch R. Strauß siebt bei einzelnen Motiven unverkennbar Pate. Vornehm ist seine Musik und geistreich. Genügt das überall? Aber für den Erfolg der Oper sorgen zwei Glanzpartien: Don Juan und seine letzte Flamme Cornelia. Der Komponist wurde oft ge- rufen. Paul Bender gab die Titelrolle. ra.
Eln gemaßregelter vichter. Vor kurzem starb in Paris Remy de Gourmont , der Führer der symbolistischeir Dichterschule des modernen Frankreich «, der sich als Romandichler und Kritiker einen weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus gehenden Namen gemacht hat und ber in den letzten Jahren Herausgeber des„Mercure de France", der bekannten führenden Zeilschrift deS neufranzösischen Schrifttums war. Bei Gc- legenhcit seines Todes mag daran erinnert werden, wie der Aeslhet Gourmont, der nur für die Schönheit und da« spiritualistische Leben Sinn und Verständnis hatte, um seine Stellung an der National- bibliothek in Paris lam, die der 28jährige Dichter nach Vollendung seiner philologischen Studien im Jahre 4833 erhalten hatte. Er war nämlich im Jahre 18!)1 auf den im Lande des Chauvinismus gerade wahnwitzigen Gedanken gekommen, unter dem Titel„Oo Joujou- Patriotisrno"(DaS patriotische Spielzeug) einen satirischen Artikel zu veröffentlichen, in dem er den Satz niederzuschreiben gewagt hatte, daß er.nicht einmal den kleinen Finger seiner rechten Hand, der ihm dazu diene, die Asche von seiner Zigarette abzuknipsen, für die Wiedererwerbung Elsaß -Lothringens opfern würde". Die Antwort der Negierung auf die unerhörte Bemerkung war die sofortige Entlassung. Man versiebt, daß ein so gearteter Geist wie der GourmontS. der sich in die abgeschlossene Welt seiner Jnnenlultur eingesperrt hatte, den Ereignissen dieses Weltkrieges vollständig verständnislos gegenüber« stand. Das zeigt in aller Deutlichkeit der Brief, den Remy de Gourmont im Jahre 1Ö14 schrieb, und in dem eS unter anderem heißt:„Zwischen meinem gegenwärtigen Leben und der Vergangen- heit spannt sich ein Nebelvorhang, den ich zuweilen mit einer gewaltsamen Bewegung für einen Augenblick zu lüften mich bemühe. Aber er ist so dick, daß es mir nur selten gelingt, auch nur einen schmalen Riß zu öffnen, durch den hindurch ich, und wäre eS auch nur für den Augenblick eines Blitze«, die Dinge halbweg« klar unter- scheiden zu können."_ 92 oti je«. — Der Meister von P a l m h r a, Adolf WilbrandiS reifstes und gcdankenliefstcS Werk, wurde am Sonnabend vom Charlottenburger Schillertheater aufgenommen. Das Drama, das nicht wie fo manche Gcdankenbramen fich ins Abstrakte verflüchtet, sondern die tragende Idee, daß der Tod dem Menschen schließlich ein Erlöser ist, ans dem Leben entwickelt, fand ein aufnahmebereites Publikum. Die stimmungsvolle Jnfzenic- rung und die wirkungsvolle Darstellung, in der Georg P a e f ch k e als Meister und Elfe W a f a im vielgestaltigen Wechsel der Wiedergeborenen mit Ehren bestanden, vertiefte den Eindruck. — Vorträge. Ueber Bulgarien und den Welt« krieg spricht am Miltwoch, den 20. d. M., abend« 8 Uhr, Dr. Falk« Schupp in der Urania.— Prof. Paul Schubring beginnt am Mittwoch, den 20., abend« g Uhr, im Charlottenburger Schillersaal einen zehnstündigen Vortragszyklus über Die Kunst des JSlam. — Ein abgesetztes Drama, Im Mainzer Gtadttheater sollte in nächster Zeit da« so vielfach ausgeführte Drama„Der WetbSteufel' von Karl Schönherr zur Aufführung gelangen. In zwei saftigen Artikeln nahm das„Mainzer Journal" Stellung gegen das Stück und hat e« erreicht, daß die Direktiou da« Drama wieder vom Svielplan abgesetzt hat. Es ist nicht da« erstemal, daß sich derartiges in Mainz , das noch niemals AnzengruberS„Kreuzel- schreiber" und ähnliche Stücke zu Gesicht bekam, ereignet. Dabei ist zu betonen, daß Mainz eine Theaterzensur nicht kennt. Wütend hatte Hilla sich erhoben und betrachtete die auffallend bleich gewordene Dirne von oben bis unten. „Hei. Du würdest wohl Geld dafür geben, um Liebe zu haben." Sie bog sich stolz zurück, schwenkte die Schenkel und wiegte die Brüste in den Händen. „Sieh mich an! Ich brauche niemand nachzulaufen. Ich bin ein ganzes Weib. Ist das fest, wie? Ist das hart? Ich begreife wohl, warum Du nicht in Männer verliebt bist. Du kannst noch nicht mal das Halunkenvolk vom Wald von Eist nach Deinen Röcken greifen machen!" Die andere reckte, aufs äußerste gereizt, ihren Vipcrnkopf. „Ich bin IvenigstenS anständig!" „Anständig, anständig I Das sind Worte!— Ich bins nicht und bin stolz darauf. Ich habe eben an einem Hahn nicht genug. Ich brauche noch andere. Es ist nicht nieine Schuld, wenn ich die Bursche gern habe. Das liegt mir im Blut. Nicht, Hein Dottka?" Er zuckte die Achseln. „Du sprichst Dummheiten. Du hast wohl ein bißchen zu viel getrunken?" Sie grunzte. „Du willst hier wohl eine Predigt halten?" „Nein! Ich will nur sagen, wenn man ein Zwanzig- frankstück gestohlen hat, so sagt nian daS nicht den Gendarmen. „Gut gesagt. Hein!" sagte der älteste Borgt bedeutsam. Und der jüngere fügte hinzu: „Du halfst eS aber stehlen?" „Warum nicht?" gab er keck zurück. Hilla sprang ihm auf die Knie und legte ihm den Arm um den Hals. „Das ist die Anwendung, die ich von Deiner Predigt mache, Mensch!" sagte sie heiser und küßte ihn auf beide Backen. AuS einer flüchtigen Scham, ihre Beziehungen so preis- gegeben zu sehen, wehrte er sich lachend. Aber sie drückte ihn aus aller Kraft an sich und biß ihn nut ihren seinen, weißen Zähnen in den Nacken. Er ließ sie machen, waS sie wollte, und lachte mit den anderen, die dieser ausgelassene Auftritt aufs höchste belustigte. In der Küche hörte der Alte mit den rotgerändertcn Augen nicht auf, mit dem Schürhaken auf den Ofendeckel zu schlagen, und der Narr in dem grünen Sergefetzen stieß noch immer in sein Horn und segnete die Anwesenden.(Forts, folgt.)