Nr. 255.- 1915.

Unterhaltungsblatt öes Vorwärts

, L Novtmbtr.

Das Interniertenlager in Knockhaloe. Bon der Privaten zur kommunistischen Wirtschaft. Ein Parteigenosse, der 13 Jahre in London lebte und trotz eines körperlichen Gebrechens vier Monate in einem Lager auf der Insel Man interniert, dann aber freigelassen wurde, gibt uns von seiner Verhaftung und den Zuständen im Jnterniertenlager von Knockaloe folgende Schilderung: Bis zu meiner Jnternierung wurde ich in keiner Weife von irgend jemaird belästigt. Von Beruf Schuhmacher, arbeitete ich in meiner Wohnung und hatte das Glück, einen anständigen Arbeit- geber zu haben, der mich auch nach Kriegsausbruch weiter be- schäftigte. So glaubte ich über den Krieg hinwegzukommen, ohne eingesteckt zu werden. Am 16. Mai, abends II 14 Uhr, kamen jedoch zwei Geheimpolizisten in den Kommunistischen Arheiterbildungs- verein, wo ich mich des Wends aufhielt, und teilten mir mit, daß ich interniert werden solle. Am anderen Morgen mutzte ich nach dem Polizeibureau kommen, wo ich sofort in eine Zelle gesteckt wurde, in der sich schon drei Leidensgenossen befanden. Die ganze Ausstattung der Zelle bestand in einer Pritsche und einem offenen Klosett. Nachdem ich drei«runden in dieser Zelle zu- gebracht hatte, ohne vernommen worden zu sein, klingelte ich und verlangte den Polizeiinspektor zu sprechen. Als mich dieser nach meinem Begehr fragte, sagte ich ihm, dah ich in Arbeit stehe und daß man mir doch wenigstens gestatten solle, meine angefangene Arbeit fertig zu machen. Auf seine Frage, was das für Arbeit wäre und für wen sie bestimm sei, sagte ich ihm, daß ich ein Paar Schuhe für die Lady Brodrick in Arbeit habe. Darauf wurde ich sofort mit dem Bemerken entlassen, die Arbeit fertig zu machen und dann wiederzukommen. Ich schrieb nun sofort an den Polizeichef von London und gab diese meine Darstellung meiner Verhaftung, auch übermittelte ich ihm die Namen zweier Engländer(darunter meines Arbeitgebers), die sich bereit erklärt hatten, Bürge für mich zu stehen. Dann hatte ich vier Wochen lang die goldene Freiheit wieder. Aber am 16. Juni, genau einen Monat nach meiner ersten Ver- Haftung, kam ein Polizeibeamter in meine Wohnung und bestellte mich auf 16 Uhr früh ins Polizeibureau. Ich war mir darüber klar, daß es diesmal mit der Jnternierung ernst werden würde und ging zu meinem Arbeitgeber, der mir sogar die angefangene Arbeit ausbezahlte und mir einen netten Brief mitgab, der mir nur leider nichts nützte. Er bot mir auch an, Arbeit nach dem Lager zu schicken; da dort jedoch Werkzeug zu halten verboten war, wurde daraus nichts. Als ich nach der Polizeiwache kam, waren dort schon 25 Mann versannnelt, die auf den Abtransport warteten. Wir wurden dann alle 26 Mann auf einen Möbelwagen verladen und landeten nach 114 stündiger Fahrt in Stratford, einem Vorort Londons . Unter dem Gejohle von Kindern und betrunkenen Weibern , die uns mit den gemeinsten Schimpfworten überhäuften, wurden wie dort vor dem Tore einer Fabrik abgeladen und der Militärbehörde über- geben. Hier wurden wir nicht gerade sanft behandelt. Ein dicker Sergeant betrug sich besonders gemein; er teilte Rippenstötze aus und schlug einem jungen Deutschen ohne jede Veranlassung ins Ge- ficht.(Als ich dies später dem deutschen Kommissar in Goch an der holländischen Grenze zu Protokoll gab, meinte er:Der dicke Sergeant von Stratford ist uns schon bekannt.) Alleunnötigen" Gegenstände wie Taschenmesser, Rasierapparate, Spazierstöcke usw. wurden uns abgenommen und nie wieder zurückgegeben. Nur auf Stroh gebettet und bei ungenügender Beköstigung wurden wir zwei Tage in dieser Fabrik festgehalten. Am dritten Tage, morgens 9 Uhr, wurden wir zur Bahn gebracht. Als wir auf die Straße traten, war schon eine große Schar Weiber und Kinder versammelt, die uns mit den unflätigiten Schimpfworten empfingen. Ein be- trunkenes Weib hielt uns ein kleines Kind entgegen und rief:Da tötet dies doch auch, Ihr blutigen Kindermörder." Der Weg zum Bahnhof war glücklicherweise nicht weit, und die Verladung ging schnell vor sich. In jedes Wagenabteil kamen 5 Maitn� und ein Soldat mit aufgepflanztem Bajonett. Nach- mittags 5 Uhr kamen wir in Fleetwood an und wurden auf ein Schiff gebracht, das um 1614 Uhr in See stach. Bei uns allen meldete sich jetzt der Hunger, hatten wir doch den ganzen Tag nichts weiter bekommen als zwei Scheiben Brot mit etwas fettem Fleisch. Wir mutzten jedoch bis zum andern Morgen warten, wo wir bei Peel auf der Insel Man an Land gingen und Tee und Brot erhielten. Dann wurden wir von einer Militäreskorte in Empfang genommen und zogen um 8 Uhr in das Lager von Knockaloe ein. Der erste Tag im Lager verging mit Entgegennahme von In struktionen, ärztlicher Untersuchung und Strohsackstopfsn. Von den insgesamt 3S 666 Internierten sind jetzt auf der Insel Man 21 666 Mann interniert, die sich auf fünf Lager verteilen. Davon sind in vier Lagern je 6666 Mann untergebracht und in dem fünften Lager, das noch im Bau ist, 1666 Mmn. Jedes Lager ist wiederum in fünf Abteilungen zu je 1666 Mann eingeteilt, und die dort be- kindlichen Baracken sind durchschnittlich mit 96 Mann belegt. Unter oen Internierten befinden sich neben Deutschen , Oesterreichern und Ungarn auch einige Türken und Neger. Von irgendeinem System bei der Jnternierung ist gar keine Rede. Während Leute, die ge- dient haben, noch heute ungehindert ihrem Beruf nachgehen, sieht man im Lager verschiedene Krüppel. Einer von diesen hat nur ein Bein, einem anderen fehlen beide Beine; er kann sich nur durch eine sinnreiche Vorrichung fortbewegen. Auch ein Taubstummer ist vertreten. Es sind dies zumeist Schneider und Schuhmacher, denen die Abreise verwehrt wird, weil sie ja für Militärarbeiten in rkrage kamen. Neben den Männern im wehrfähigen Alter sind auch mele alte Leute interniert. Von diesen ist eine ganze Anzahl über b6 Jahre, mehrere über 76, und einer sogar 81 Jahre alt. �togl isi es den alten Leuten gestattet, nach ihrer Heimat zu reisen, aber dw ist ihnen doch längst entfremdet, deswegen verzichten sie darauf. Jahrzehntelang haben sie in England gelebt, Kinder und Kinde-kinder siiid Englander' darum ist Eirgland ihnen zur Heimat geworden, und die,e zweite Heimat wollen sie an der Schwelle des Grabes nicht verlassen.' Die sanitären Einrichtungen waren in der ersten Zeit recht primitiv. Zur Verrichtung der Notdurft dienten 26 offene Eimer. die hinter einer Bretterwand aufgestellt waren; erst sechs Wochen nach unserer Ankunft wurden Klosetts gebaut. Bis zu dieser Zeit war auch keine Badegelegenheit vorhanden; damit nun aber die Reinlichkeit nicht gleich überhand nehmen sollte, wurde nur ein Brausebad für die 1666 Mann mit drei Brausen eingerichtet. Der Fußboden in diesem Bad besteht aus Zement und ist ohne jeden Belag. Waschbecken gab es nicht, zum Waschen wurden den 96 Mann unserer Baracke 16 Eimer überwiesen, später durften wir die 16 vorhandenen Feuereimer mit zu Hilfe nehmen. Nur ein Drittel von uns bekam gleich Handtücher geliefert, die anderen putzten wochenlang warten; ich selbst bekam erst in der dreizehnten -Woche eins. Tas Trinkwasser, das schon in der ersten Zeit immer einen trüben Satz absonderte, wurde später ganz ungenießbar. Endlich wurde Abhilfe zugesagt; wir mutzten jedoch dafür vier pochen lang das Wasser aus einem anderen Teile des Lagers herbei l chlepp en. Die Beköstigung wurde bis zum 12. August von einem Privat- u"«n-hlner geliefert. Sie war aber auch danach. Morgens ü-tt n n,ir einen halben Liter Tee, der aus Staubtee Sax'"unier ganz blau aussah und gar nicht nach Tee £ 4~aau j.a6 es einen halben Liter Porrich(Haferschleim), o|r �Usedreck enthielt, 16 Unzen Brot(1 Unze gleich 28 und eine Unze Margarine. Mittags 1 Uhr gab es Kartosseliuppe, in der in der Regel ein paar Kohlblätter schwammen. Nur zweimal in der Woche gab es Fleisch, das manch-

mal durch Fisch ersetzt wurde. Die Fleischration sollte 4 Unzen betragen, war aber oft knapp die Hälfte. Um ösh Uhr gab es wieder einen halben Liter Tee, 16 Unzen Brot und 2 Unzen Mar- melade; einmal in der Woche gab es Käse anstatt der Marmelade. Eine Lagerkantine war wohl vorhanden, nur waren leider die auf der Preisliste verzeichneten Waren meistens nicht zu haben, so daß selbst die Bemittelten dort selten etwas kaufen konnten. Dafür wurde es aber jedem gestattet, ein 2-Pfund-Paket pro Woche von auswärts zu beziehen. Die zum Mittagessen verarbeiteten Kar- toffeln waren zumeist faul, so daß die 18 Mann aus dem Lager, die jeden Tag zum Kartoffelschälen kommandiert wurden, gewöhn- lich zwei Tage kein Mittag atzen. Unter diesen Umständen war es erklärlich, daß die Beschwerden nicht abrissen; sie waren jedoch fruchtlos. Als eines Tages eine Kommission vorstellig wurde und dabei böse Worte fielen, wurden die Mitglieder dieser Kommission sofort auf mehrere Lager ver- teilt. Unter diesen befand sich auch der ebenfalls internierte sächsische Landtagsabgeovdnete Wagner. Endlich hatten die Be- schwerden aber doch Erfolg. Die Regierung löste den Kontrakt mit dem Privatunternehmer und übertrug uns die Herstellung der Speisen in eigene Regie. Die Regierung lieferte die Rohmateria- lien und wir führten eine kommunistische Wirtschaft ein. Mit einem Schlage änderten sich nun die Verhältnisse. Wir wählten eine Küchenkommission, und wohlhabende Internierte steuerten in großherziger Weise Gelder zu unserem Kücbenfonds bei. Wir erhielten dann die Genehmigung, verschiedene Artikel, wie Reis, Erbsen, Bohnen, Linsen, Zwiebeln und Gemüse einzukaufen, was sehr zur Verbesserung unserer Nahrung beitrug. Ferner er- hielten wir die Genehmigung, Heringe, Speck, Eier und Hefe ein- zukaufen. Diese Artikel wurden im Lager verkauft und der dabei gemachte Profit flotz der Küchenkasse zu. Anstatt der früheren 26 Unzen Brot pro Tag bekamen wir jetzt nur 18 Unzen, dafür lieferte die Regierung aber für die 1666 Mann im Lager einen Sack Weizenmehl pro Woche. Das Mehl wurde von uns zu Puddings, Kuchen und Suppe verarbeitet. Der Kuchen wurde jedoch verkauft un dder Erlös dem Küchenfonds überwiesen Durch diese kommunistische Wirtschaft wurde nun unsere Lage im ganzen viel erträglicher gestaltet. Für Leibesübungen waren Turngeräte(Reck und Barren) im Lager aufgestellt. Auch ein Fußball wurde geliefert. Wöchentlich zweimal wurden wir nach einem großen Spielplatz außerhalb des Lagers geführt, wo dann auch zuweileiv ein Futzballmatch mit der Mannschaft eines anderen Lagers ausgetragen werden konnte. Auch Freiübungen fanden statt, ja sogar richtige Turnfeste wurden veranstaltet, wobei die einzelnen Leistungen immer die Bewunde- rung der englischen Offiziere erregten. Zu diesen Veranstaltungen spielte dann immer eine Musikkapelle von 18 Mann, die aus der ebenfalls internierten Mannschaft verschiedener Dampfer der Woermann-Lmie zusammengesetzt war. In der zweiten Woche des Oktober erhielten ich und viele andere die Mitteilung, daß wir alsdienstuntauglich" befunden wären und nach Deutschland zurückkehren könnten. Mit Freuden wurde die Botschaft aufgenommen, und beneidet von den Zurück- bleibenden nahmen wir, 64 Mmn stark, vom Lager in Knockaloe Abschied. Zu uns gesellten sich dann noch 8 Mann aus Douglas Unter diesen waren zwei Mann, die bei dem Krawall im dortigen Lager durch die planlose Schießerei der englischen Soldaten, jeder einen Arm eingehüßt hatten. Ueber Liverpool ging es nach Strat ford, und nachdem dort alle Formalitäten erledigt waren, konnten wir die Heimreise nach Deutschland antreten.

Mistkäfer als Hefunöheitspolizei. Von I. H. Fahre. Paris hat das furchtbare Problem der Fortschoffnng seiner Un reinigkeiten noch nicht gelöst, das früher oder später zu einer Frage des Lebens oder des Todes für die ungeheuere Stadt werden muß. Man fragt sich, ob dieLichtstadt" nicht dazu bestimmt sei, eines Tages in den Miasmen eines über und über mit Fäulnisstoffen er- füllten Bodens zu erlöschen. Was die Anhäufung einiger Millionen Menschen mit allen ihren Schätzen an Reichtum und Talent nicht zu erreichen vermag, das besitzt der kleinste Weiler auf dem Lande, ohne sich in Unkosten zu stürzen, ja ohne sich überhaupt darum zu kümmern. Die Natur, die so eifrig für die öffentliche Gesundheitspflege auf dem Lande sorgt, steht dem Wohlergehen der Städte gleich- gültig, wenn nicht gar feindlich gegenüber. Sie hat für das offene Land zwei Klassen von Zurichtern schädlicher Stoffe geschaffen, denen nichts lästig ist. die nichts anekelt. Die einen: Fliegen, Äaskäfer, Grab-, Mist-, Speckkäfer und Totengräber sind bestellt für die Zergliederung der Kadaver. Sie zermetzeln und zerstückeln die Abfülle des Todes und wandeln sie in ihrem Magen um, damit sie in den Kreislauf des Lebens wieder eintreten können. Da liegt ein erschlagener Maulwurf auf dem Wege, im Grase eine harmlose Ringelnatter, zertreten von dem Fuße eines Vorübergehenden, der in seiner Un- wissenheit damit ein gutes Werk zu tun glaubte; am Fuße eines Baumes ruht ein zerschmettertes, federloses Vöglein, das aus dem Nest gefallen ist. Tausend und abertausend tierische Reste sind hier und dort zerstreut und bilden eine Gefahr, wenn sie nicht beseitigt werden. Doch wir dürfen ohne Sorge sein, denn alsbald eilen die Totengräber herbei. Sie bearbeiten den Kadaver, weiden ihn aus, zehren ihn bis auf die Knochen auf oder verwandeln ihn wenigstens in eine trockene Mumie. In weniger als 24 Stunden sind Maus- Wurf, Ringelnatter und Vögelchen verschwunden: der Hygiene ist Genüge geschehen. Mit demselben Eifer geht die zweite Klasse der Zurichter au ihr Geschäft. Auf dem Lande kennt man jene Anstalten mit dem scharfen Ammoniakgeruch nicht, die in den Städten für die natürlichen Be- dürfnisse der Vorübergehenden znr Verfügung stehen. Dort muß häufig eine kleine Mauer, eine Hecke oder ein Busch für diesen Zweck genügen, allein nach kurzer Zeit sind alle übelriechenden Stoffe be- seitigt und die Stellen wieder gereinigt: die Mistkäser sind an der Arbeil gewesen. Sie machen sich uns nicht nur nützlich, indem sie die umherliegenden Exkremente unseren Augen und Nasen entrücken. sondern erfüllen damit eine noch viel höhere Aufgabe. Die Wissenschaft hat uns als die Verbreiter und Uebertrager der gefürchletsten Krankheiten die Bakterien oder Spaltpilze kennen gelehrt, die in Epidemiezeiten sich zu Myriaden in den Entleerungen der Kranken entwickeln, die Luft und das Wasser vergiften und dadurch die Seuche verbreiten. Die Weisheit der Alten halte bereits lange vor Entdeckung der Bakterien ergründet, daß es geboten sei, den Kot nicht auf der Bodenoberfläche liegen zu lassen. Deswegen gab es bei den orientalischen Völkern. die viel mehr als wir Epidemien ausgeseyt sind, daraus bezügliche gesetzliche Vorschriften. Moses, der in diesem Falle wahrscheinlich das Echo ägyptischer Wissenschaft war, befahl den Angehörigen seines Volkes auf dem Zuge durch die Sandwüsten Arabiens, ihre natürlichen Bedürfnisse nur draußen vor dem Lager zu verrichten, mit einer Schaufel jedesmal ein Loch auszuheben und dieses nachher wieder zuzuschütten(ö. Buch Mosis, Kap. XXUl. V. 12 13). Wenn die heutigen Mohammedaner auf ihren großen Pilgerfahrten nach der Kaaba diese Vorschrift und einige andere, gleichartige beob- achteten, so würde Mekka bald aufhören, ein beständiger Herd der Cholera zu sein. Unbekümmert um alle Hygiene, wie der Araber, der einer seiner Vorfahren ist. versiebt sich unser provenzaliicher Landmann keiner Gefahr. Glücklicherweise beobachtet der Mistläfer getreulich die mosaische Vorschrift: er höhlt für das. was der Mensch zurückgelassen hat, ein Loch im Boden aus und vergräbt den möglicherweise mit Lnsteckungskeimen behafteten Unrat, der dadurch unschädlich gemacht

wird. Ihm dienen jene ekelhasten Stoffe, die für uns am meisten zu fürchten sind, als Nahrung, und die von diesen mißachteten Grab- arbeitern geleisteten Dienste sind von hoher Bedeutung für die Gesundheitspflege auf dem Lande. (Aus I. H. Fabres, des am 12. Oktober gestorbenen berühmten JnsektensorschersBildern der Jnsekienwelt", die deutsch von der Franckhschen Verlagshandlung herausgegeben wurden.) kleines Feuilleton. kragujevaz. O Belgrad, nichtig ist dein Lob, solange Kragujevaz dein Haupt ist," sagt ein serbisches Sprichwort und kennzeichnet damit die alte Residenz de? ersten Serbensürsten Milosch Obrenowitsch als die be- deutendste Stadt des Landes. Kragujevaz. das den Kulturvölkern Europas erst durch Leopold Rankes Schilderung der serbischen Re- volution vertraut wurde, ist eigentlich erst eine Stadt des letzlver- flossenen Jahrhunderts, trotzdem prähistorische Funde auf dem Konak- platze schon von einer vorgeschichtlichen Niederlassung an dieser Stätte Kunde geben. Eine erste vorübergehende Bedeutung erlangte es während der österreichischen Okkupation Serbiens 1718 1739. Dann ward es durch die verhängnisvolle Tagung der eben geschaffene» Skuptsckina berühmt, als derPatriot" und Bandenführcr Karageorg, der Vorfahr des jetzigen Königshauses, 1813 die erneute Unter- werfung unter die Herrschaft des Sultan Mahmed IL empfahl, des Reformers, der später Moltke nach der Türkei berief. Die idyllisch gelegene, von ungeheuren Wäldern umkränzte Stadt war der Lieb- lingssitz jenes Fürsten Milosch, dessen interessanterKonak", der allerdings nur ein sehr primitiver Palast war, von König Milan in ein Offizierkasino umgewandelt wurde. Noch heute zieren Neste der orientalischen Pracht, an der der Emporkömmling Milosch seine Freude hatte, die Gemächer. Hier im wellabgelegenen Kragujevaz schaltete Milosch als unumschränkter Herr über Gut, Leben, Weib und Ehre seinerbefreiten" Landsleute, und mancher Ehemann ward ohne irgend eine langweilige gerichtliche Prozedur an dem berühmten Birnbaum vor dem Konak aufgeknüpft. Im übrigen ist die Stadt stets sehr radikal gewesen, hat politisch stets für die Linke ge- stimmt. Ueber allen historischen Erinnerungen bleibt heute das wichtigste, daßKragujevaz Serbiens größter Waffenplatz ifL_ der ein etwa 26 Ar bedeckendes Arsenal mit Laboratorien für Geschütz- und Jnfanteriemunition, pyrotechnischem Institut und sonstigen modernen Anlagen besitzt. Nacheinander haben sich Russen, Belgier, Franzosen und Italiener abgemüht, die Leistungs- sähigkcit des serbischen Landesarsenals auf die_ Höhe zu bringen. Jetzt im Herbst vor 66 Jahren glückte nach vielen Versuchen endlich der Guß der ersten glatten Kanone, die zwar auch für die damalige Zeit kein Meisterwerk war, aber doch einen gewaltigen Fortschritt gegen die pietätvoll bewahrten, mit Eisenbändern umschlossenen Birnholzrohre darstellte, mit denen sich der Bandenführer und Vorfahr deS jetzigen Königs Peter, Karageorg (17621816) begnügen mußte. Im 26. Jahrhundert, seit das Rllstungsfieber auf dem Balkan chronisch wurde, haben die Arsenal « fabriken ungeheuere Mengen an Kriegsmaterial jeder Art hergestellt. Mit dem Fall von Kragujevaz ist Serbien der Möglichkeit beraubt, Geschütze und Munition in ausreichendem Maße weiter im eigenen Lande herzustellen.__ Ein französischer Kriegsmarkt. Der nach dem Westen entsandte Berichterstatter desJournal", Georges Prade. entwirft die folgende lebendige Schilderung eines französischen Soldatenmarktes im Kriegsgebiet, wobei die Preis­treibereien der französischen Händler und die Ohnmacht der Gesetze in scharfer Weise beleuchtet werden:Der große Marktplatz in£. wimmelt von Menschen. Soldaten aller Waffengattungen, Militär« köche, Offiziere, die für einige Stunden aus den Schützengräben hierher gekommen sind, um sich selbst Einiges einzukaufen. Ueberall hört man laute Unterhandlungen und vergebliches Feilschen. Ich begegne einem Pariser Bekannten, der als Regimentskoch ein­gezogen einen großen Korb anr Arm, im Begriffe ist, Eier zu er« bandeln.Wieviel kosten Eure Eier, Mutter?"Zwei Fr. 56 daS Dutzend."Was! Eure Hennen haben wohl das Kriegskreuz er­halten?"Der hier gesetzlich vorgeschriebene Preis ist zwei Frank". Allerdings, aber das hier sind besonders frische Eier..." Mein Bekannter erblickt mich und ivir drücken uns die Hand.Wie geht's?" Schlecht, man kann nichts kaufen bei diesen Schwindclpreisen." Wie so? Die Preise sind doch von, Kommando vorgeschrieben." Ja, aber nur auf dem Papier. Das hier ist das Traumland der Schwindler. Hier heißt es wahrhaftig: Geld oder Leben. Die Einen opfern sich einige Stunden von hier im Kampfe. Die anderen opfern uns und unseren Geldbeutel. Hier, sehen Sie, sind die gesetzlichen Preise angeschrieben." Ich las.Sie sehen," sagte mein Führer,daß diese vor- geschriebenen Höchstpreise zwar teuer, aber erschwinglich sind. Aber was die Leute hier Handel nennen, ist reiner Betrug an den Soldaten, die für sie kämpfen und sterben. Kein Mensch hält sich an die Vorschriften; es ist geradezu Diebstahl. Sie haben meinen Handel mit den Eiern angehört. Nun werde ich Ihnen zeigen, wie der Schwindel gemacht wird." Wir gingen zu den Verkaufssiänden.Wie viel kosten die Arti« schocken?"'l Fr. 26".Aber der Höchstpreis ist doch 1/2 Fr.?* Ja, lvir haben nur ganz große Artischocken. Die kosten 1 Fr. 26." WaS kosten die Kartoffeln?"86 Centimes."Aber der gesetz- liche Preis ist doch nur 181"Allerdings, doch dies sind besonders feine holländische Kartoffeln."Holländische? Dann mußten sie wohl zu Fuß um das von den Deutschen besetzte Belgien herum- marschieren?" Und so war es bei allen Verkaussständen. Der offizielle Tarif wird glatt umgangen. Die Gesetze sind nicht mehr als tote Buchstaben.Jetzt," sagte mein Begleiter,sollten Sie erst die Waren sehen, für die keine Höchstpreise bestimmt wurden. Da herrscht erst recht die Krämerphantasie. Wir kaufen z. B. zwei Töpfe Gurken. Wenn eine alte Frau uns bedient, kosten die Gurken 2 Fr. 25. Ein hübsches junges Mädchen aber setzt ein verführerisches Lächeln auf und verlangt 2 Fr. 75. Das Lächeln der Jugend kostet hier 56 Centimes Aufschlag."Und werden diese unerhörten Preise bezahlt?"Immer. Was wollen Sic, der arme Soldat, der wachen- lang nur seinen Unteroffizier betrachten konnte, gibt sein Geld willig für die geringste Kleinigkeit her. Und das nützen die Verkäufer aus. Nach dem Kriege werden sie sich als reiche Leute zurückziehen." Was ich hier berichte, ist so unerhört es klingen mag nicht erfunden, sondern gesehen und vollkommen wahr. Auf dem Felde wagen die Soldaten ihr Leben, und hinter den Schützengräben müssen sie ihre Börse dem Schwindel und dem Diebstahl preisgeben. Auch das ist ein grimmiger Krieg. Und je weiter man vordringt, desto skrupel- loser werden die Preise in die Höhe geschraubt. Das nennt man KriegShandel..."_ Notizen. W i e h o ch springt der Floh. Seit der Floh als der wichtigste Ueberträger der Buboncnpest und einiger anderer Seuchen erkannt worden ist, hat die Lösung dieser Frage nicht mehr allein theoretisches Interesse. Die Sprungleistungen der verschiedenen Flöhe sind daher kürzlich auf Veranlassung des Ministeriums für Landwirtschaft der Vereinigten Staaten von Männern der Wissen- scbaft genauer nachgeprüft, mit dem Ergebnis, daß der indische Rattenfloh nur 3% Zoll hoch springen kann, während die Pest- kommission seine Leistung als 5 Zoll angegeben hatte. Der beste Springer ist der Menschenfloh, welcher 13 Zoll weit und 8 Zoll hoch springen kann.