Nr. 256.- 1915.
Unterhaltungsblatt des Vorwärts freitag, 5. November.
Ein Aufstieg.
Adelheid Popp , unsere österreichische Führerin, hat ihrer Jugendgeschichte einer Arbeiterin" ein zweites Bändchen folgen Laffen: Aus meinen Erinnerungen"( erschienen im J. H. W. Dietzschen Verlag in Stuttgart ). Wir lernen darin das Leben einer Proletarierin kennen, die sich aus der Tiefe durch Wißbegierde und strenge Selbstzucht ein geistiges Leben in fraulicher Würde geschaffen hat. Das Kind flüchtet sich in die weltfremde Stimmung der Erwachsenen, die ihre alltägliche Dede in Räubergeschichten farbig und geräuschvoll, von Geistern umipuft, austoben. In ihnen ist das wirkliche Leben so ausgeschaltet, daß die Forderungen der Menschen nie hervordrängen. So wie heute, da man sich nicht mehr gemeinsam Geschichten erzählt, sondern heimlich und einsam Gedrucktes verschlingt, Schundliteratur, die ein berlogenes Lebensbild aufrollt, in dem wiederum die einfachsten Ansprüche an das Leben von phantastischen Schicksale hoffnungen Aber umsomehr schmerzen die Demütigungen des ProletarierKindes, die Adelheid Popp aus ihrer Kindheit schildert. Sie erleidet eine Tragödie mit ihrem Lesebuch, das sie in Sturm und Unwetter verliert und das sie durchnäßt und beschädigt wieder erhält, um dann von den Kindern und Lehrern Qualen ausstehen zu müssen, weil niemand die Not erfaßt, daß eine arme Mutter fein Geld hat, um ein neues Buch zu beschaffen. Bis das Kind dann nach vielen Gängen zu den Wohlhabenden endlich wieder in den Besitz eines ordentlichen Schulbuches gelangt, hat das arme kleine Menschenfind schmerzliche Leiden ertragen, von denen in ihrer Niedrigkeit kein Mensch erfährt.
unterdrückt werden.
Ein andermal ist das Mädchen im glücklichen Befige einer Handboll Veilchen . Es war ein fremder Garten, den sie beraubt hatte. Der Wärter stört die Kinder drohend aus ihrer Freude auf. Alles flüchtet auseinander, die kleine Adelheid gerät in ihrer Angst auf ein Wehr, zitternd flettert sie darüber hin und zwängt sich endlich durch eine Lücke. Die Zuschauer find starr vor Entsegen, so daß es zu teiner Abstrafung tommt. Das Mädchen, das der Lebensgefahr entronnen ist, dessen Herz in Schrecken pocht, wird von der Mutter wegen dieser tollen Tat geprügelt.
Wieder einmal macht sich das Kind mit einigen selbstverdienten Kreuzern auf und besucht das Marionettentheater, in dem ihm eine unbekannte wundersame Welt aufgeht, die alle Leiden und Entbehrungen in Entzückung wandelt. Unter diesem Eindruck stürzt das Mädchen nach Hause und jauchzt die Freude in die enge armselige Stube hinein. Die Mutter entsetzt sich über diese Vergeudung des Geldes für Tand, man hätte Lebensmittel dafür haben können. Das Kind wird geschlagen, später aber aus Mitleid geliebfost. Im Schoße der armen Mutter weint das Kind seine Enttäuschung, sein Leid, seinen Leichtsinn aus.
An diese frühen Leiden reiht sich das Leben in der Fabrik. Die Arbeiterinnen machen sich das Dasein erträglich durch eingebildete Genüße. Ein Mädchen studiert Theaterkritiken und beherricht auf dem Papier alle Erscheinungen der Bühnenwelt. Die einen find stumpf, andere rechtschaffen, wieder andere genießen das Leben, um es zu ertragen. Adelheid hält innigste Andacht auf einem Kirchhofe, wo sie an Adlerseelen eine Wachsferze entzündet für irgend ein Ideal, einen Ritter aus Stein, der Jugend, Schönheit, Sehnsucht nach irgend einem lebendigen Ziel in sich birgt. Nach diesen Einbildungen kommen schlichte und schlechte Freier des Mädchens, die sie von sich weist.
Die junge Arbeiterin gerät durch die Textilarbeiterbewegung in Versammlungen und beginnt die Tatsachen des Lebens der Arbeiter zu sehen. Die Arbeiter ergingen fich damals noch in albernen Märchen über die unbekannte Erscheinung der Rednerinnen, die fie als Mannweib oder auch als höhere Wesen bestaunten. Frauen traten auf, um Bebels Frau und der Sozialismus" feurig, wenn auch nicht immer wissenschaftlich, zu verfünden. In Wien streifen 600 Appreturarbeiterinnen, die zum ersten Male an Werktagen in die Natur hinauswandern; Mütter lernen ihre Kinder in diesen Feiertagen fennen. Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Ruhe, acht Stunden Schlaf werden für sie Forderungen, die sie plöglich aufrütteln. Frauen beteiligen sich an politischen Demonstrationen, die Dienstmädchen folgen einem Aufrufe, um gegen die veraltete Gefindeordnung zu protestieren.
Adelheid Popp wächst in der Bewegung und erträgt die Mühen der Agitation, die in der ersten Zeit Unbehaglichkeiten, oft Belästi
1]
Morrek, na!
Von Richard Stowronnet.
Der deutsche König von Cacak".
gungen, Widerstände der Behörden mit sich bringen. Sie gewinnt Erfolge in den flerifalen Gegenden, gerade weil die religiöse Ueberzeugung der Menschen sich gegen den fanatischen Klerikalen, der die städtchen heißt, hat feine Vergangenheit. Archäologische Funde lassen Cacak oder Tichatschat, wie das jüngst genommene SerbenInnerlichkeit der Gläubigen verlegt, auflehnt.
Die Agitatorin zergliedert die heutige Ehe, auch die Mängel erraten, daß die günstige, 246 Meter über dem Meere gelegene der Proletarierehen. Die Neigungen erschöpfen sich rasch, wenn die Festungsstelle dem strategischen Scharfblid der Römer nicht entgangen Frau dem Manne geistig nicht zu folgen versteht. Frau Popp er- ist, sonst aber schweigen hier die Jahrtausende bis in die Balkanzählt Fälle, wie der Mann durch unmäßigen Genuß von Alkohol krisen des 19. Jahrhunderts hinein, wo öfters ein erbitterter Kampf bertiert und die Gemeinschaft von Eltern und Kindern zerstört. um dies Zentrum einer getreidereichen Landschaft geführt wurde. Sie wendet sich gegen die Frau, die den Mann zu besigen wähnt, Aber in der noch ungeschriebenen Kulturgeschichte des Deutschtums um ihn zu hemmen. Sie zeigt die Leiden der abhängigen Mutter, auf dem Balkan spielt es dafür eine um so größere Rolle: das um aus all diesen harten Sonflikten eine Freiheit zu finden: die ganze moderne Tschatschak ist die Schöpfung eines ehemaligen wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau vom Manne, die ihr die deutschen Wanderburichen und späteren Millionärs Ferdinand Kren. Würde verleiht, sich in ihren Beziehungen zum Manne menschlich zu Als Seilergeselle hielt er mit seinem Bruder Jakob, einem Tischler, seinen Einzug in das Städtchen. Das Leben zeigen. Der Beruf der Mutter erfordert soziale Zustände, in denen um 1845 der Walze" hatte ihm manche Handfertigkeit und die Erziehung der Kinder von Berufenen ausgeübt wird. Es müssen auf alle Fortschritte der Technik im Haushalte angewandt werden, Ver- die Kunst, überall sich nüßlich zu machen, gelehrt, und so trieb er einfachung durch Verbesserungen; nicht Zufallshausfrauen bleibt Herd zuerst Pflaumenbandel, braute den Serben ein trintbares Bier, und Heim überlassen, sondern Frauen, die aus Neigung die Häuslichkeit ward schließlich als Grundstücksspekulant reicher und reicher und ent tüchtig leiten, um andere wiederum zu entlasten. Dazu ist das Er- faltete eine unermüdliche Bautätigkeit. Nicht zu vergessen ist, daß lernen der Hauswirtschaft notwendig, um dem Pfuschen der Vielen es nach den spärlichen biographischen Notizen, die ein österreichischer die Zweckmäßigkeit der Geübten entgegenzustellen. Aus der Tugend Reisender über ihn sammeln fonnte, nur seine, sprichwörtliche“ Redlichkeit der Frau, der Unterordnung und Aufopferung, die duldet und leidet, war, die ihm„ troß seiner deutschen Abfunft" allgemeines Vertrauen sollen Tugenden erstehen, die Fruchtbares in der Allgemeinheit erwarb. Stren war der erste Volksfreund in Serbien , der sich nicht leisten. wie die vielgerühmten Helden Karageorg und Milosch Obrenowitsch Adelheid Bopp erhofft aus den Erfahrungen, die die Frauen im auf Kosten von Stadt und Land bereicherte, sondern neue soziale Weltkriege machen, eine Befreiung aus der Unselbständigkeit, die Ge- Gesichtspunkte ins öffentliche Leben brachte. So gründete er einen wöhnung an eigenes Handeln, das der Erfahrung entspringt. Die städtischen Fonds, aus dem arme Schüler ein Stipendium erhielten, Frauen müssen auf jedem Gebiete in ihrer Art nicht nur als Ver- sette unter vielen Stämpfen eine gründliche Sanierung des früher fechterinnen der Rechte ihres Geschlechts wirken, sondern indem sich einen Miasmenherd bildenden Städtchens durch, erwirkte die Anihnen der Sinn für die Pflichten schärft, sollen sie auch Stämpferinnen pflanzung von Straßenbäumen und reformierte noch manches andere für das menschliche Ideal des Sozialismus werden. Zu diesem mit deutscher Tatkraft. Originell und wohl ziemlich einzig dastehend Biele, das verschüttet liegt, bedarf es in Zukunft aller ist eine merkwürdige Bauspekulation: er errichtete nämlich große Energie von Mann und Frau, die durch keine Vorurteile oder flein - schöne Kasernen, die er dem Staate vermietete. So wohnt die beliche Hemmungen geschwächt werden dürfen. waffnete Macht in Tschatschat in den Häusern eines Deutschen zu Gaste.
Kleines Feuilleton.
Ein Gewehrzielspiegel.
"
E. B.
Notizen.
- Theaterchronit. Jm Theater in der Königgräber Straße ist die Erstaufführung von Schillers Trauerspiel Maria Stuart auf Freitag, den 12. November festgesetzt. In ihr und den ersten Wiederholungen am Sonnabend, den 13. und Sonntag, den 14. November, wird Albert Steinrüd vom Münchener Hoftheater mitwirken.
Die
- Die Volksoperim Metropol. Die Deutsche Volksoper wird im Metropol- Theater an den Sonn- und Feiertag- Nachmittagen in dieser Spielzeit Opernaufführungen veranstalten. Als erste Oper gelangt Martha" von Flotow zur Aufführung. Die Inschrift am Reichstagsgebäude. Ausschmückungskommission des Reichstags hielt am Donnerstag eine Sitzung ab. Es wurde beschlossen, für die Inschrift am Reichstagsgebäude ( Dem deutschen Volke) zunächst Entwürfe in Antiqua-, Fraktur- und Uncialschrift herstellen zu lassen.
Ob die Inschrift am Hause Antiqua oder Fraktur wird, scheint uns weniger wichtig; die Hauptsache bleibt, daß im Reichstags= gebäude Fraktur geredet und gehandelt wird dem deutschen Volke zum Nutzen.
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Der Schweiz . Schüßenzeitung" wird aus Basel geschrieben: Ganz im stillen wurden am Sonntag, den 3. Oktober 1915, im Allschwiler Schießstand, Basel , mit einem von G. Bürgin in Basel 19 konstruierten Gewehrzielspiegel" interessante Schießübungen in Anwesenheit von zwei Herren Schießoffizieren vorgenommen, wobei ganz unerwartete Resultate zutage traten. Dieser Spiegel ist so konstruiert, daß, wie man zu sagen pflegt, hinter den Ecken hervorgeschossen werden kann. Diese Neuheit ist in der heutigen Kriegstechnik( Stellungskrieg) dazu berufen, daß jedem Gewehrtragenden ein solcher Apparat zur Ausrüstung mit gegeben wird, welcher, nebenbei bemerkt, nur 150 Gramm wiegt und im Nu an jedem Gewehr angebracht werden kann. in liegender, kniender und stehender Schießstellung verwendet werden, wobei Kopfschüsse in guter Deckung ausgeschlossen sind. Gs kann dann ebenso sicher gezielt werden als ohne Apparat und bei offener Stellung, jedoch ist dabei ausgeschlossen, daß der beBriefmarten und Weltkrieg. Troß und zum Teil treffende Schüße vom Gegner gesehen noch getroffen wird. Es auch infolge des Krieges sind in verschiedenen Ländern neue Briefliegt nun flar auf der Hand, daß dem Schützen, weil er sich ge- marten ausgegeben worden. Deutschland hat keine besonderen Kriegsschüßt weiß, ein ruhiges und sicheres Zielen ermöglicht ist, was marken eingeführt, wie z. B. Desterreich und Ungarn . Aber in den natürlich sehr von Vorteil ist, weil damit jede Munitionsver- besetzten Teilen Belgiens und Rußlands werden deutsche Marken schwendung aufhört. Außerdem können dem Gegner bedeutend mit entsprechendem Aufdruck verwendet. Im Jahre 1914 wurden mehr Verluste zugefügt werden. Soll hingegen der Gegner über neue Marken herausgebracht in Bayern , der Schweiz ( mit dem TellsMauern und Hecken hinweg beobachtet werden, dann leistet auch fopf), Norwegen ( Jubiläumsmarfen). Türkei ( zum erstenmal mit da dieser Apparat vortreffliche Dienste als Periskop. Ferner dient Landschaftsbildern und dem Sultanskopf), in den Niederländischen er als Selbstkontrolleur, denn ein Verkanten des Gewehres ist Solonien, China usw. Eine neue Marie der Republik Kuba zeigt unmöglich, indem der Schüße sich selbst davon überzeugen kann, zum erstenmal ein Flugzeug. ob er das Gewehr richtig angelegt hat oder nicht. Somit kann sich ieder an Hand dieses Zielspiegels selbst zu einem guten Schüßen ausbilden. Bei jeder Witterung tann dieser verwendet werden, und es ist das Ziel besser sichtbar als ohne denselben, da sich das Visier, Storn und Biel nur 20 3entimeter weit vom Auge entfernt befindet. Das Auge wird beim Zielen nicht mehr ermüdet, als wenn das Biel 300 bis 500 Meter und noch weiter entfernt gesucht werden muß.
Der fällige Nachtrag( der 31.) zu Schoubecks Permanentalbum ist trotz des Krieges erschienen( im Verlag von C. F. Lücke, Leipzig ) und bietet dem Sammler einen sicheren Führer durch alle diese Neuheiten. Freilich mancher Philatelist wird ſtöhnen, weil es ihm immer schwerer wird, aus dem ununterbrochen fließenden Strome der Neuheiten das Begehrte herauszufiichen. Die erotischen Spekulationsmarken vollends, die besonders im Nachtrag gekennzeichnet sind, werden kaum jemand locken.
der minder gefährlichen Rolle des Zuschauers, stand unten auf den grauen Mooshügeln und wartete, bis er die mit grüngesprenkelten Giern bis an den Rand gefüllte Müze herunterbrachte und den Inhalt großmütig verteilte, indes die Schar der aufgestörten schwarzen Vögel schreiend und klagend durch die Wipfel strich und die Mütter unter ihnen bis herab auf den frechen Räuber ihrer Brut stießen. Und jedesmal tam er heil wieder herunter, wenn auch der schwankende Kiefernstamm unter der Last seines Körpers das Kopfende bog, daß die untenstehenden kleinen Mädchen vor Angst laut aufschrien und jeden Augenblick glaubten, er müsse herunterfallen. Bei den kleinen Mädchen nämlich hatte er einen großen Stein im Breit, und sie liefen ihm stets in einer ganzen che nach, tvo er sich nur sehen ließ. Aber er lachte nur darüber, uns wenn's ihm gerade so einfiel, dann schüttelte er den ganzen Inhalt eines Nestes auf die Untenstehenden hinunter, daß sie vor den im Aufschlagen plazenden Wurfgeschossen kreischend und schreiend auseinanderstoben.
Der kleine Orzecha aber kümmerte sich wenig darum, daß um| Gewandtheit und Zähigkeit war er seinen sämtlichen Altersseine Person ein Prozeß geführt und einige hundert Bogen gelben genossen überlegen. Und wenn es galt, einen verwegenen BeuteKanzleipapiers vollgeschrieben wurden. Er hatte vom ersten Tag zug in die Obstgärten des Nachbardorfs zu unternehmen, war er an den ihm zukommenden Plaz im Armenhaus eingenommen, der unbestrittene Führer, oder wenn es Zeit war, im Dorfwäldchen schrie, wenn er hungrig war so lange, bis ihm das Mäulchen ge- die zahllosen Krähennester auszunehmen, dann überließ man ihm stopft wurde, und wenn die Sonne schien, stapfte er nach dem Dorf- willig die ehrenvolle Arbeit des Kletterns und begnügte sich mit Gr hieß Orzecha, aber wer sein Vater war, wußte er nicht. anger hinaus, um dort mit den andern Hemdenmäßen im Sand Eines Tages war die Maria Orzecha mit ihm nach dem Dorf zu buddeln. Auch die Prozedur der Taufe, die der Pfarrherr des Dlugossen, in dem sie das Heimatrecht besaß, zurückgekehrt. Jung benachbarten Kirchdorfs zur Sicherheit mit ihm vornahm, ließ er und gesund war sie vor jenen zehn oder zwölf Jahren mit einem ruhig über sich ergehen, ebenso wie er es sich gefallen ließ, daß 3ug von Sachsengängern ins Reich fortgewandert, und siech und man ihm dabei den Namen Abel gab, den Namen des Kalenderelend und mit einem Anhängsel an der Hand kam sie wieder heiligen, an dessen Ehrentag seine Mutter ihn ins Dorf gebracht zurüd. Sie hatte gerade noch soviel Kraft, sich bis vor das Haus hatte. Die Spielgefährten aber nannten ihn den kleinen Westdes Dorfschulzen zu schleppen, dann legte sie sich, um nicht wieder falen, denn von dorther war er gekommen. Was jedoch seine wirkaufzustehen. Das kleine Anhängsel aber fiel der Gemeinde zur liche Abstammung anbetraf, so ließ sein Aussehen eher auf einen Last, denn soviel auch seine Mutter da draußen in der Fremde Italiener schließen. In einem Haselnußfarbenen Gesichtchen stand umhergestoßen sein mochte, das Recht an die Heimat, oder, wie es ihm ein Paar kohlschwarzer Augen, sein dunkles Haar trauste sich in den Bestimmungen hieß, ihren gesetzlichen Unterstützungswohn- in kurzen Locken wie die Wolle eines achttägigen Lämmleins, und fitz" hatte sie nicht verloren. Und als sie merkte, daß es mit ihr seine kleine Nase wölbte sich in zierlichem Bogen nach außen, zu Ende ging, da hatte sie sich mit dem letzten Rest threr Kräfte anders als die Stumpfnäschen der kleinen Majurenkinder, bei nach der Heimat zurückgeschleppt. Vielleicht, daß sie in der Fremde denen der Bogen meistens nach innen steht. Und das nahm sich nicht hatte sterben wollen, ohne zu wissen, daß ihr Kind versorgt unter all den blauäugigen und flachshaarigen Bübchen und war und an dem Plaz stand, auf den es einen Anspruch hatte. Mädchen, mit denen er sich auf dem Dorfanger tummelte, so Die Gemeinde aber war von dem unerwarteten Zuwachs ihrer absonderlich aus, daß mancher Fremde, der des Wegs daherkam, Lasten wenig erbaut. 3tvar die Maria Orzecha zu begraben, hatte stehen blieb und ihn nach Namen und Herkunft fragte. Wenn wenig Kosten verursacht, ein halbes Dutzend ungehobelter Bretter dann aber statt seiner die Spielgenossen antiporteten, die Maria und ein Fleckchen Erde auf dem Dorfkirchhof; den kleinen Jungen Orzecha hätte ihn aus Westfalen mitgebracht, dann nickte der neuaber aufzunehmen, den sie zurückgelassen hatte, bedeutete eine gierige Frager wohl ernsthaft mit dem Kopf und sprach bei sich im jahrelang andauernde Inanspruchnahme des Dorfsäckels, und stillen und nachdenklich:„ Na ja, da kommt aus aller Herren dagegen sträubte jich die Gemeinde mit allen verfügbaren Kräften. Ländern soviel fremdes Volk zusammen, daß es kein Wunder ist!" Zunächst wurde ein Prozeß gegen die Gemeinde angestrengt, in der Und wenn er mal ehvas über die Vermischung der verschiedenen die Maria Orzecha laut ihrem Arbeitsbuch zuletzt Beschäftigung Völkerstämme gehört haben mochte, dann stellte er vielleicht eine gefunden hatte, da irgendwo unten in Westfalen, aber diese Ge- Betrachtung darüber an, wie doch stets dabei die dunkle Farbe meinde fonnte nachweisen, daß sie die" Person" rechtzeitig abge- über die blonde siegte. Dem kleinen Abel Orzecha aber machte schoben hatte, ehe sie bei ihr den Unterstützungswohnsiz" erlangt von seinen Dorfgenossen keiner einen Vorwurf aus dieser mehr hätte, der Prozeß ging verloren. Dann wurde der Versuch als in einer Hinsicht dunklen Herkunft. Auf dem weiten Platz grauem Hausmachertuch zuschneiden müssen, einen Rock mit gemacht, den Kleinen dem Kreiswaisenhaus aufzuhalsen, aber vom unter der Linde lief außer ihm noch so manches Bübchen oder Landratsamt tam der Bescheid, daß dafür monatlich sechs Mark Mädchen, das die Mutter zwar ganz genau kannte, auf die Frage an Verpflegungskosten zu entrichten wären. Und als schließlich nach dem Vater aber keine ganz sichere Auskunft zu geben verauch alle Anstrengungen, den Vater zu ermitteln, erfolglos ge- mochte. blieben waren irgendwelche Papiere, die darüber hätten Auf- Also wuchs der kleine Bursch, dessen Vater vielleicht irgendwo schluß geben fönnen, hatte die Maria Orzecha nicht bei sich ge- da unten in Neapel oder Messina als Rentner von seinem westhabt entschloß die Gemeinde sich wohl oder übel, das fleine fälischen Arbeitsverdienst lebte, als ein vollkommen GleichberechAnhängsel in aller Form Rechtens aufzunehmen und im Dorf zu tigter unter seinen Spiel- und Schulkameraden auf. Höchstens, behalten. Wenn es wochenweise reihum bei den einzelnen Be- daß ihm einer der Kossätensöhne mal bei gelegentlichen Streitig fizern und Eigenfätnern abgefüttert wurde, war die Last schließ- keiten das Wort„ Armenhäusler" in die Zähne warf, denn einen lich zu tragen. Schlafen konnte es im Armenhaus, in dem es schon Unterschied gibt es selbst dort, wo alle andern Raugunterscheidunjetzt, bis zur Entscheidung all der strittigen Fragen, untergebracht gen sonst fortfallen, den zwischen arm und noch ärmer. Seit aber worden war, und für das bißchen Kleidung sorgte wohl ab und zu der kleine Westfale groß und stack genug geworden war, solche einmal eine mitleidige Mutterseele mit einem abgelegten gröbliche Anspielungen auf seine in petuniärer Hinsicht minder wertige Herkunft mit einem harten Faustschlag zwischen die Augen seines Gegners zu beantworten, hörten auch diese Vorwürfe auf. Schließlich fam es sogar zu einer Art freiwilliger Unterordnung selbst der älteren Spielgenossen auf dem Dorfanger, denn so schmächtig und zart der kleine Westfale auch aussah, an Kraft,
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Kittelchen. Aber zweiundsiebzig Mark bares Geld alljährlich an das Kreiswaisenhaus für die Erziehung eines hergelaufenen Balgs zu zahlen, das später doch einmal, wenn es arbeitsfähig war, dem besseren Verdienst bei den Sachfengängern nachlief, das konnte tein Billigdenkender der Gemeinde zumuten.
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So verging dem kleinen Westfalen die Jugend wie ein immerwährender lachender Maienmorgen. Zwar hatte er in den letzten Jahren in den Höfen, in denen er nach der Schule reibum sein Essen bekam, hie und da bei der Arbeit aushelfen müssen, aber das war ihm immer als eine Art von Spielerei vorgekommen, selbst wenn er stundenlang in der Reihe der Kartoffelgräber die Hacke hatte handhaben müssen oder hinter einem Schnitter die Halme raffen und in Garben binden. Sein zäher Körper fannte teine Ermüdung, und was er freiwillig tat, dünkte ihm keine Arbeit. Der Ernst des Lebens trat erst an ihn heran, als am Tage der Einsegnung zu der feierlichen Handlung hatte ihm der Dorf= schneider auf Kosten der Gemeindefaffe einen richtigen Anzug aus Schößen, in dem er aussah wie ein Erwachsener ja also an diesem Tag ließ ihn der Dorfschulze zu sich kommen und machte ihm in eindringlicher Rede klar, daß jezt die Zeit gekommen sei, wo er sich der Gemeinde für all die empfangenen Wohltaten dankbar und erkenntlich zu erweisen habe. Er schulde der Gemeindekasse für die Kosten seiner Erziehung und den Prozeß, den sie seinethalben hätte führen müssen, alles in allem gegen vierhundert Mark, es sei also nur recht und billig, wenn sie dafür von ihm eine entsprechende Gegenleistung verlangte. Also hätte die Ges meinde beschlossen, ihm zur Abtragung dieser Schuld sechs Jahre lang das verantwortungsreiche Amt eines Dorfhirten zu übertragen, einen Posten, der durch den Tod seines Vorgängers gerade erledigt worden sei. Sein Essen würde er wie bisher von den einzelnen Befißern und Eigenkätnern bekommen, Unterkunft ebenso im Armenhaus und alle Weihnachten einen neuen Anzug mit Stiefeln und Müze und als Extravergütung einen Taler bares Geld, der aber auf seine Schuld an die Gemeindekasse großmütigerweise nicht angerechnet werden sollte. Forts. folgt.)