Nr. 373.- 1913. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Freitag, 36. November. Die Entdeckung Ostpreußens  . _ Nichts Geringeres, als das furchtbare Schicksal des Russen- einfalls mußte sich ereignen, damit das deutsche   Volk inne wurde, welch kostbaren Schatz es in Ostpreußens   Land und Volk besitzt. Noch bis unmittelbar vor dem Kriege hat sich in weiten Kreisen die Vorstellung erhallen, daß Ostpreußen   ein Gebiet sei, dessen Besuch sich keineswegs lohne, und eine Uebersiedelung in dieses Land wurde beinahe einer Verbannung gleich geachtet. Aber wenn der Friede wieder eingekehrt sein wird, dann wird unzweifelhaft der Strom der Besucher einsetzen, die die weltgeschichtlichen Schauplätze der Tannen- berger und der masurischcn Schlachten, die die Stätten russischer Barbarei, ostpreußischen und deutschen   Heldentums werden in Augen- schein nehmen wollen und dann wird die große Entdeckung dieses schönen Landes zur Tatsache werden. Schon bereitet sie sich vor; der gehaltvolle, reich mit Abbildungen geschmiickle BandDas schöne Ostpreußen�  , das Professor Dr. Richard Detblefsen, der Provinzialkonservator der Baudenkmale Ost- Preußens, im Verlage von R. Piper u. Co. in München   soeben ver- öffeiulichl, wird Tausenden und Abertausenden die Augen über die landschahlichen. geschichtlichen und künstlerischen Reichlümer Ost- Preußens öffnen und ihren Wunsch, sie selbst kennen zu lernen, kräftig anregen. Wenn in Ostpreußen   auch die Hauplstücke landschaftlicher Schönheit freilich nicht so gehäuft sind, wie in den ge- segneteren Gauen des Westens, so sind sie doch vorhanden, und ganz und gar nicht Herrschi in Ostpreußen   etwa Oede und Langweiligkeit, ganz und gar nicht die eintönige Fläche, die etwa der verwöhnte Rheinländer zu sinden erwartet. Schon der Westen des Landes, das Oberland, ist wie ein lieblicher Garten und kann sich den schönsten Gegenden der norddeutschen Tiefebene ruhig zur Seite stellen. Aus der grünen Ebene im Norden des Landesteiles steigen die ersten doif- und stadtgekrönten Hügel auf. um dann den ganzen Süden zu erfüllen. Es ist das landschaftlich abwechslungsreichste Gebiet der Provinz; ausgedehnte Laubwälder umkränzen die prächtigen, inielgeschmückten Seen, fruchtbare Aecker ziehen sich Hügel- aus und hügelab und anmutige Flußläufe, immer wechselnde Bilder bielend, durchschneiden Berg und Wald und Feld. Das angrenzende Ermland, das der Geistlichkeit zustehende und von ihr erwählte Dritteil des von dem Orden eroberten Landes, ist der reichste Teil der Provinz. Saalenschwere Felder bedecken, so weit das Auge reicht, das leichtgewellre, flußdurchströmte Land, und die stolzen, dicht gesäten Dörfer und anmutig gelegenen Städte mit ihren ragenden Domen, Schlössern und Rathäusern zeugen von dem Wohlstande des Landes. Landschaftliche Perlen wie das Walschtal, und Städtebilder wie Heilsberg, dieses Juwel unter den Städten Ostpreußens  , das hochragende, stolz über dem Frischen Hoff emporsteigende Frauen- bürg, das betriebsame Braunsberg und das in raschem Aufschwünge begriffene Allensiein, bieten Bilder, die aufzusuchen selbst schon ver- wöhnlcn Augen Freude macht. Südlich schließt sich das in jüngster Zeit so viel geschilderte M a s u r e n an. das eigentliche Gebiet der großen Seen und der mächtigen Kiefern- und Fichtenwaldungen der Provinz, die meilenweit in uralten Beständen das zwischen Hügel und Ebene wechselnde Land bedecken. Weiterhin geht das Land dann völlig in die Ebene über; allein auch abgesehen von jenem hohen Reiz der norddeutschen Ebene, den die deutsche   Malerei des letzten Menschenalters uns erst völlig zu verstehen gelehrt hat, ist gerade Ostpreußens   Flachlandschaft an ungewöhnlichen cha- raktervollen Bildern besonders reich. So ist die Steil- k ü st e des S a in l a n d e s geradezu zu den charaktervoll- sten deutschen   Landschaften zu zählen: wo in schroffer Lehne das hohe, meerbespülte Ufer zur nagenden Ostsee   abfällt. Weitere Glanz- punkte sind die beiden Nehrungen, die Frische und die Kurische  . Gebiete, die noch bis in die neueste Zeit hinein dem Verkehr nicht erschlossen, von den Schauern des Unbekannten. Unwirklichen noch beul immer nicht ganz verlassen sind. Es ist das Land der tücki- schen Triebsandflächen, der Hügelkelten von Wanderdünen, der weit- ftemden Fischerdörfer, die der wandernde Sand begräbt, die gewal- tigste Heerstraße der Zugvögel, der schmale Schutzwall zwischen Haff und Moor. Bietet so die Natur den künftigen Entdeckern Ostpreußens   den reichsten Lohn, so sind auch auf dem Gebiete der Volkskunde wie der Kunst hier noch reiche Schätze für weitere Kreise zu heben. So wird der Freund des deulschen Bauernhauses hier durch mannigfache Typen und originelle Formen überrascht; noch hal das UrVolk der Littauer sich beim Bauerngehöft seine alle Klete, das Schatzhaus gewahrt, das, ein wenig vom Wohn- Hause abgelegen, zur Aufbewahrung des Saatgetreides und der besten Habe des Hofes dient und in der Form der Giebellaube eine starke architektonische Betonung erhält. Wieder eine ganz andere, originelle Form des Wohnhauses hat sich im Mündungsgebiete der Ströme am Kurischen Haff   entwickelt, wo, damit möglichst viele des Zuganges zum Strome teilhaftig werden, die Grundstücke schmal aufgeteilt wurden. Das ganze Baubedürfnis wurde tunlichst durch einen Bau befriedigt, auf dessen um so stattlichere äußere Er- scheinung desto größerer Wert gelegt wurde. Ein ganz besonderes Schmuckmotiv bilden hier die Ecklauben, offene von zierlich ge- schnittenen Säulen getragene Hallen, die sich, an einer Hausecke beginnend, vor einem größeren Teile der Längs- und Ouerwand hinziehen. In baukünstlerischer und geschichtlicher Hinsicht bietet Ostpreußen  insofern geradezu ein einziges Bild, als seine Monumentalbaukunst ganz von einer Zeit, einem Willen, einem Stile beherrscht ist. Die Deutschritter haben hier ihre kraftvolle Backsteingotik entwickelt und sie drückt noch heute Ostpreußens   Land und Städten ihr monumentales Gepräge auf. Die Burgen, die Kirchen dieses Stiles bezwingen durch ihre mächtigen Umrisse, denen oft ein feines Formgefübl das Gleichgewicht hält. Die weithin das Landschastsbild beherrschende Ordensburg von Neidenburg  . die große, im Laufe der Jahrhunderte so vielfach umgebildete Anlage des Königsberger   Schlosies, sodann die zum Teil überaus malerischen Bischofsburgen von Heilsberg. Allenstein   und Rössel sie seien hier nur als wenige Beispiele einer großen und mann- hasten deulschen Kunst genannt, deren Schatzkammer ganz Ost- Preußen bildet. Und dann: welche Städtebilderl Mehlsack mit keiner Pfarrkirche, Frauenburg   mit seinen reichbewegten Linien und seinem reizenden Hafen, Bartenstein   breit und behaglich, Heils- berg ein Stück echten deulschen Mittelsalters im nordischen Lande, Königsberg   reich an Bauten und Bildern verschiedenster Zeiten; so reiht sich Perle an Perle. Der Tag wird kommen, wo dasschöne Ostpreußen  " zum festen Erbbesitze der deutschen   Bildungs- und Kunstwelt gehört. kleines Feuilleton. Die Nusit im Schützengraben. Ein deutscher   Verwundeter erzählt in derNeuen Zürcher Zei- tung", wie innig unseren tapferen Kriegern im Schützengroben die Musik ans Herz gewachsen ist, wie sie ihnen Trost und Unter- Haltung spendet, und wie sie olles anstellen, um sich ein wenig musikalische Unterhaltung im Schützengraben zu verschaffen. Da ist zunächst die Mundharmonika, m allgemeinen, wie Simon bemerkt, etwas Scheußliches, was einem die ganze Sonntags- stimmung verderben kann.Draußen im Felde habe ich sie lieben gelernt. Die Harmonika ward uns ein unentbehrlicher Kamerad an guten und schlimmen Tagen. Auf dem Marsch straffte sie mit ihrem belebenden Rhythmus den Müden die Glieder und spendete uns Er- quickung in der trostlosten Oede stumpfsinnigen DahindämmernS. Im Schützengroben machten uns ihre einsache» Weisen lustig und heiler. Ihr Klang schien uns süß und einschmeichelnd, eine Erholung von der Disharmonie der sinnbeläubenden Explosionen. Dagegen ist die Laute in den Unterständen im sehr seltener Gast. Es ist bedauerlich, daß man sie dort fast nicht vorfindet. Dies gute altdeutsche Instrument könnte in den Schützengräben des Westens viel Freude und Fröhlichkeit bereiten. Neben der Harmo- nika spielt das Gram m o p h o n eine recht bedeutende Rolle. Da- beim ist es ein Schrecken, aber draußen im Feld bietet eS viel Unterhaltung. Es macht nicht bloß Musik es bat Persönlichkeit Humor, Witz. Eine ganze Kompagnie kann das Grammophon unter- halten. DaS Klavier dagegen ist in den Unterständen nicht in Mode gekommen, und es ist eine Ausnahme, wenn aus leerstehenden Häusern nebst anderem HauSrate einmal auch ein Klavier zur Aus- stattung eines Schützengrabens verwandt worden ist. Wo sich im Schützengraben aber mehrere Musikfreunde zu- sammensinden, da versuchen sie wohl auch ein Orchester zu bilden. Der Verfasser erzählt von einer solchen Sch sitzen grabe nkapelle. Die Melodie führte eine große Ziehharmonika. Eine kurze. dicke Tonpfeife, die einst so belieble Okarina, die man auch häufig in den Gräben zu hören bekommt, verstärkte sie mit ihren spitzen Tönen. Die anderen Instrumente dienten mehr oder weniger zur Hervorhebung des Rhythmus. Sie waren alle draußen angefertigt worden. Ein zum Dreieck gebogenes altes Gasrohr wurde mit einem Holzstab angeschlagen: das Triangel. Zwei reguirierte Kochgeschirrdeckel dienten als Becken. Das Interessanteste von allen war ein Instrument, das zugleich Pauke und Trommel ersetzte, an Stelle des Glockenspiels Verwendung fand und außerdem noch der Baßgeige nahekommende, aber nach ihrer Höhe nicht genau bestimmbare Töne erzeugen konnte. Dies Unikum bestand ans einem dicken, über meterhohen Holzknüppel, besten beide Enden ein mit Nieten befestigter Eisendraht verband. Gewissermaßen als Steg hatte man eine große, leere Heringsdose fest zwischen Draht und Stock geklemmt. Am Kopfe des Knüppels waren mehrere Blech- decke! von Guttalindosen mit Nägeln eingeschlagen, die lustig llap- perten, wenn man das Holz auf den Boden stieß: Glockenspiel und Pauke. Als Ficdelbogen diente ein mit zahlreichen Einkerbungen dünner Holzstab. Schlug man mit diesem Stob lebhaft auf den ge- nannten Draht, so klang eS wie ein Trommelwirbel; strich man sanft über ihn her, so summte und brummte es wohlgefällig wie ein Kontra- baß. Das war unsere Schützengrabenkapellc." Nahrungsmittel aus öen Salkanlänöern. Nachdem die Verbindung von den Truppen der Zentralinächte und denen des bulgarischen Verbündeten hergestellt worden ist, liegt die Möglichkeit vor, daß wir aus Bulgarien   sowohl auf der Donau  wie auch mit Hilfe der Eisenbahn aus Rumänien   lebendes Vieh, Eier, Getreide, Mais in größeren Mengen beziehen und aus diese Weise in Deutschland   wie in Oesterreich-Ungarn eine Erniedrigung der Nahrungsmittelpreise herbeizuführen vermögen, insbesondere wenn solche Transporte ohne Zeilverlust in die Wege geleitet werden. Wie derExport", das Organ des Zentralvereins für Handels- geographie mitteilt, sind auch in Serbien   die von den deutschen  , österreichischen und bulgarischen Truppen besetzten Gebiete voll von Vieh angetroffen worden, wie denn überhaupt Serbien   eines der viehreichsten Länder Europas   ist. Je weiter die Besetzung des Landes fortschreitet, umso größer werden die verfügbaren Vorräte für die Ausfuhr sein. Daß in Rumänien   eine überreiche Ernte in diesem Jahr zu verzeichnen ist. ist bekannt. Es liegt augenblicklich gar kein Grund vor, daß Rumänien   seine Erntevorräte den Zentralmächten vor- enthalten müßte. Es ist das gute Recht eines jeden neutralen Staates, seine Er- zeugnisse dahin auszuführen, wohin ihm solches möglich ist, falls dieselben in den Empsangsländern nicht als Kriegsbanngut gelten. Allerdings ist dieser Begriff in diesem Kriege, namentlich von Eng- land, sehr willkürlich erweiiert worden. Gerade mit Rücksicht auf den letzterwähnten Punkt kann nun die Ausfuhr des Ernleüber- schustes aus Rumänien   nicht mehr beanstandet werden, denn der Grenzverkehr steht nach dem Westen auf der Eisenbahn   und auf der Donau   offen. Es wäre zu wünschen, daß namentlich österreichische Dampfer- linien auf der Donau   sowie die Süddeutsche Donau-Dampfschiff- fahrts-Gesellsckast mit allen verfügbaren Schiffen die Balkangüier aufnähmen. Jetzt ist eS Zeit, denn die Donau   ist auf der ganzen Strecke zugänglich. Auf diese Art wird uns auch das Durchbalten noch weiterhin erleichtert werden. Es ist anzunehmen, daß dadurch auch die Teuerungsverhältnisfe leichler beseitigt werden können. Notizen. Vorträge. In der Gesellschaft für Ethische Kultur sprichr am Sonnabend im Biirgersaal des Berliner   Rathauses abends 8 Uh- bei freienr Eintritt Dr. Rudolph Penzig überDie Wieder Herstellung Europas". M u s i k ch r o n i k. Freitagabend 8 Uhr findet im Blüthner  " saal der einzige Klavierabend von Conrad A n f o r g e statt. Pro" gramm: Liszt  , Schubert, Beethoven  , Ansorge. Theaterchronik. Im Theater am Nollendorfplatz wird Sonnabend, den 27. d. M., nachmittags 3� Uhr, das WeihnachtS- märchenDornröschen" zum erstenmal gespielt und dann an jedem Mittwoch und Sonnabend wiederholt. Gabriel Max  , der Maler des Mystischen mid Abseitigen, ist am Mittwoch in München   im Alter von 75 Jahren gestorben. Seit vielen Jahren malte er immer die gleichen blassen, blutlosen Frauen mit den großen Räiselaugen, bald als Heilige, bald als Somnambule lz. B. die Wundernonne Emmerich) oder auch als Kindsmörderin. Er war der Sohn eines Prager Künstlers und hatte zuerst unter dem Einfluß Pilotys in München   Historisches   und Genre- mäßiges gemalt und sich auch als Illustrator der Klassiker betätigt. Von seiner später gewählten Spezialität des Wunderbaren und Okkulten, die offenbar gewissen Zeitbedürfnisten entsprach, befreite er sich nur gelegentlich durch seine Affenbilder. Bekannt ist besonders sein Äränzchen benanntes Bild, auf dem Affen ein Gemälde be- trachten feine durchsichtige Verspottung der Kritiker). Im merk- würdigen Kontrast zu dem sentlmentalen und manchmal süßlichen Zug seiner üblichen Bilder steht auch die malerische Rekonstruktion des Pithecanthropus, des Affenmenschen, den er Häckel widmete. In der Berliner   Nationalgalerie ist Max mit den BildernDrei Schwestern" undChristus heilt ein Kind" vertreten. Die Schicksalsmaus. EineErzählungvonTierenund Menschen. 13J Von Harald Tandrup. Nichts," erwiderte der andere.Als ich wieder zu mir kam, war ich blind. Sie müssen wissen, daß der Augennerv, der hier irgendwo im Kopf liegt," er deutete hinter seine Brillengläser,ein kleiner, feiner Faben ist, ähnlich den seinen Drähten, die Sie in Glühlampen sehen. Und wie ein solcher Draht in der Lampe ausbrennen kann, wenn der Strom zu stark ist, so kann auch der Augennerv durch eine Erplosion zerstört werden, und das war bei mir der Fall. Das weiß ich von meinem Professor." lind was wurde aus Ihrem Kollegen?" Den haben sie buchstäblich mit Besen und Schaufel zu- sammengekehrt, Andersen." Barmherziger! So starb er wohl gar?" Er war schon tot. ehe er an die Decke hinaufkain, und bis er den Boden erreichte, waren überhaupt nur noch Teile von ihm da." Ja, ja, der Tod kommt oft recht plötzlich, das sieht man an Madame Larsen." murmelte Andersen. Na, bei der häßlichen, alten Person war es höchste Zeit," sagte der Blinde. Haben Sie sie wirklich so häßlich gefunden?" Sie kam mir immer wie eine Hexe vor, das heißt, ich habe sie ja nie gesehen, wie Sie wissen." Natürlich nicht Sie können ja nicht sehen." Ganz richtig, ich kann ja nicht sehen," stimmte der Blinde lebhaft bei..Der Nerv ist zerstört ich habe ein ärztliches Zeugnis Sie glauben doch nicht, daß ich sehe wie?" Gott   bewahre! Ich wünschte Ihnen herzlich, Sie täten es." Das dürfen Sie nicht sagen, Andersen," entgegnete der andere lebhaft,ich habe ja mein Schäfchen im Trockenen. Als erstes bekam ich eine kleine Pension, und dann habe ich seitdem die Erlaubnis, in den Höfen zil spielen, denn ich kann ja ein bißchen auf der Violine kratzen." Aber es muß trotzdem traurig sein, sein Augenlicht zu verlieren," sagte Andersen.Wenn ich mir vorstelle, daß Sie nie mehr den Himmel sehen, und die Bäume und die Blumen" Und die Spielkarten," fügte der Blinde betrübt hinzu. Mir lag weniger an den Bäumen und Blumen, von denen Sie sprechen, aber aufs Kartenspiel war ich wie der Teufel aus." Im selben Augenblick trat Blomberg ein. Er hängte seinen schäbigen steifen Hut an einen Nagel und machte eine vielsagende, aber wenig höfliche Bewegung nach dem Blinden hin, als wolle er Andersen fragen, ob dieser wisse, was der Besucher wolle. Andersen schüttelte den Kopf. Ist vielleicht Herr Blomberg gekommen?" fragte der Blinde. Zu dienen," erwiderte der Schneider.Sie wünschen, Herr Per'sen?" Ich heiße Pedersen," bemerkte der Blinde ruhig. Gewiß, Persen," wiederholte Blomberg.Ich habe das Vergnügen, diesen geehrten Namen zu kennen." Sie sollen mir einen Wintcrrock machen, Blomberg," sagte der Blinde. Mit dem größten Vergnügen, Herr Per'sen," entgegnete der Schneider,jetzt ist gerade die richtige Zeit dafür. Wie haben Sie sich den Rock gedacht?" Er soll, wenn möglich, ein bißchen modern sein." Natürlich." Und schön und gut." Dafür garantiere ich." Aber er darf nicht zu teuer werden. Sie wissen, Blom- berg, ich habe nicht viel Geld." Um alles, lieber Herr Per'sen," erwiderte Blomberg. Unter fünfzig Kronen kann ich Ihnen einen solchen Rock nicht machen. Nein, wirklich nicht." Das ist ein bißchen viel, Blomberg." Aber dann ist er auch durchaus gentlemanlike." Ist das gegenwärtig modern?" fragte Pedersen treu- herzig. Das will ich meinen!" antwortete Blomberg und ver- ständigte Andersen durch ein Zeichen, daß er gerade einen Witz gemacht habe. Aber der biedere Geselle verstand ihn nicht. Ich möchte unbedingt einen modernen Rock," sagte der Blindeaber innen auf der linken Brustseite muß ein großer Knopf sein." Ein Knopf?" wiederholte Blomberg verlvundert. Für die Violine, verstehen Sic?" Ach so. Ja, es soll alles werden, wie Herr Per'sen es wünscht. Darf ich gleich Maß nehmen?" Damit griff er nach einem Metermaß und begann nach allen Richtungen an dem riesigen Körper des Blinden herum- zumessen, während er dabei plauderte. Ein strenger Winter jetzt. Wie geht das Geschäft?" Man darf nicht klagen, Blomberg," gab Pedersen zur Antwort.Es gibt jetzt vor Weihnachten viele gute Leute." Ja freilich aber sonst ist das eine Seltenheit, finde ich. Von Natur aus sind die Menschen schlecht." Das müssen Sie nicht sagen, obgleich ganz ohne böse Menschen gehts nil einmal nicht. So gab mir z. B. kürzlich einer ein Fünförestück in eine Menge Papier eingc- wickelt: als ich es endlich herausgeschält hatte, war es so heiß, daß ich mir beinahe die Finger daran verbrannte." Nein, daß es so schlechte Menschen gibt," warf An- dersen ein. Daran gewöhnt nian sich," sagte der Blinde seufzend. Im Anfang pflegte ich einen Hut vor mich hinzustellen, so daß die Leute selbst ihr Geld hineinlegen konnten. Aber Sie glauben nicht, wie ich da bestohlen wurde. Viele vor- nehme Leute, denen man so etwas nie zugetraut hätte, legten zwei Oere in den Hut und nahmen dafür ein Fünfund- zwanzigörestück heraus. Das war ein schlechtes Geschäft." Sobald das Geld im Spiel ist, traue ich keinem Mcn- schen," bemerkte Blomberg. Ich auch nicht," stimmte der Blinde bei. Mittlerweile hatte sich der Schneider den Anschein ge- geben, als ob er Zahlen in ein Buch schreibe. In Wirklichkeit aber murmelte er nur die Maße uird kritzelte ein paar gleich- gültige Striche hin. So, jetzt haben wir das Maß," sagte er schließlich. Und nun können Sie sagen wir in drei Tagen zur Anprobe kommen. Wir sind gegenwärtig sehr beschäftigt, aber das hilft nichts, Sie sollen Ihren Rock für die Feier- tage haben, Herr Per'sen." Und wie wird die Farbe, Blomberg?" fragte der Blinde. Es soll doch die Modefarbe sein?" Eine Art ver- schossenes Blau, denke ich." Wenn es nur modern ist, Blomberg. Außerdem können Sie alles machen wie Sie wollen." »Sie sollen in jeder Beziehung zufrieden sein, mein Herr," erwiderte Blomberg und geleitete den Blinden zum Ausgang.Können Sie allein hinauffiirden?" (Forts, folgt.)