Nr. 278.- 1915. Unterhaltungsblatt des Vorwärts Noimerslag, 2. Znember. Seutsthe Gefangene bei französischen Sauern. ImFigaro" vom 2i. November schreibt C. de Lessat über die deutschen Gesangenen, die in Frankreich zu landwirtschastlichen Ar« beiten verwendet werden. Dabei macht er allerhand blödsinnige Vorslbtäge über einefranzösische Propaganda", womit sie be- arbeitel werden sollen und wofür es notwendig sei, sie in ver« scbiedene Gruppen einzuteilen.Die Kelten(!) dürfen nicht wie die Slawen behandelt werden, die Sachsen verdienen eine besondere Unterweisung und die richtigen Preuhen in erster Reihe". Viel inleressanier»st aber die Schilderung, die der Berichterstatter über das Verhalten der französischen Bauern gegen die Gefangenen gibt. Es geht daraus hervor. datz die Landbevölkerung von der chauvini st ischen Hetzerei übergenug hat und die Gefangenenohn e Spur von Hätz als Mitmenschen behandelt, ja ihnen geradezu mit Sympathie begegnet. Lessat erzählt, was er in einem Winkel der He-de-France nahe bei Paris gesehen hat. wo Gefangene bei der Drescharbeit und der Rübenernte beschäftigt sind. Er wehklagt: .Der jäbe Ausbruch eines oberflächlichen Patriotismus hat in dem kleinen Marktflecken, wo ich bin, nicht vorgehalten. Als die Landleute ersuhren, daß der große Pächter des Ortesgefangene Arbeiiskräfte" erwarte, gab es Zusammenrottungen. Die Frauen wetteiferten in aufgeregter Beredsamkeit. In den Gesprächen ging es clichömäsiig:Nun, ich werde sie nicht beherbergen, ieine Boches I Ich auch nicht. Auch ich nicht." Unter diesem chauvi- nistischen Widerwillen verbarg sich die Hefe der Gehässigkeit, die im Herzen jedes Bauern immer gegen denGroßen", den wirtschaftlich mächtigeren Nachbarn keimt. sHier kommt der Bourgeois, der bei aller nationalistischen Phrasenmacherei sein Volk mißachtet, zum Borschein. D. Uebers.) Die Privatreindschaiten trafen sich mit der rassenhaslen Abneigung. Am nächsten Morgen mar« schierte der Zug, von den Wachsoldaten umgeben, in die Dorsstraße ein. ahne herausfordernde Dreistigkeit,, aber auch nicht nieder« geschlagen. Die Neugierigen traten vor die Tore und betrachteten diese verschiedenen Muster der militärischen Typen: die Blonden und die Schwarzen, die Braunen und dte Rothaarigen. In diesem Augenblick trat aus einem Seitengäßchen ein alter Bauer mit ge« krümmtem Rücken, auf seinen Stock gestützt, hervor, der, fürchtend, daß er zu spät gekommen sei, sich zwischen den Frauen durchdrängte und in dem eigentümlichen Tonsall der Gegend sagte:Laßt doch sehen, wo sind sie denn, die braven Leute?" Und es kam noch ärger. Verstehst Du französisch 1' rief eine Hausfrau einen der Boches an, als sie Halt machten. Na und ob", war die Antwort,ich war KommiS bei Potin" (dem großen Pariser Lebensmittelmagazin. Anm. des Uebers.). Seht doch einmal!" rief die Frau.Er war Kommis bei Potin. Was für ein netler Kerl!" Inzwischen trifft ein Automobil mit Offizieren ein. Der Journalist erkennt einen früheren Kollegen und sängt sofort an, den Herren sein Mißvergnügen darüber auszudrücken, daß die Be« völkerung den Gefangenengroße Sympathie" entgegenbringe. Er ist stolz darauf, daß er einenBedier" im Kopf habe, das Haß» und Hetzbüchlein des großen Pariser Romanisten über diedeutschen Greuel". Für diese Sorte von.Wissenichast" haben die Bauern aber kein Verständnis. Und so schreibt der edle Mann erbost: Unseren Bauern fehlt entschieden die moralische Triebfeder. Ihre Liebenswürdigkeit verführt sie, ihr Mit« leid beherrscht sie. Der sowohl ursprüngliche als erworbene Gedanke der menschlichen Gleichheit läßt sie ohne Rücksicht auf die offenbaren Tatsachen den Schein und die Wirklich« keil durcheinandermengen. Die an der Kette gehaltenen Raubtiere scheinen ihnen für immer gezähmt, und wenn keine klarsehende Macht für sie wachte, würden sie nicht gutzumachende Ueberraschungen auf sich herausbeschwören." Die Erzählung deS französischen Journalisten zeigt, wie wenig die fortgesetzte Schürerei der gewissenlosen kapitalistischen Presse das gesunde Empfinden des französischen Landvolkes angetastet hat. kleines Feuilleton. heimische pflanzen als Rohstofflieferanten. In denNaturwiffenichaften" wird von den Herren Profefforen Tobler au« Münster und Lehmann aus Tübingen die Aufmerksam« keit aus einige heimische Pflanzen gelenkt, die vielleicht als Ersatz für manchen' bisher aus dem Ausland bezogenen in Frage kommen. Hopfen und namentlich Besenginster scheinen Herrn Tobler wohl der Versuche wert, um die aus ihren Stengeln gewonnenen Faiern den Jutespinnereien als Ersatz sür die im Frieden aus Indien be« zogene Jute, deren Einfuhr jetzt fehlt, anzubieten. Hopfen bietet den Vorteil, daß er in großen Mengen vorhanden ist es werden in Deutschland gegen 40 000 Hektar mit Hopfen bestellt. Nach der Aberntung der zur Brauerei benötigten Fruchtzapfen findet die Masse der Stengel keine Verwertung. Im lv. Jahrhundert sind sie aber bei uns sowie in Schweden zu einer groben Faser verarbeitet worden, aus der eine Art Leinenstoff hergestellt wurde. Der Faden galt als eben so iein wie Hanf oder Flachs, doch als gelblich und im Gewebe stärker. Sicher ist die Faier sehr kräftig und es erscheint nicht aus« geschlossen, sie durch chemische Behandlung genügend geschmeidig zu machen, ohne daß sie brüchig wird. Der Besenginster ist wie auch andere Ginster in früheren Zeiten zur Herstellung von Schnüren, Säcken und auch Kleiderstoffen ver« wendet worden. Jahrhunderte hindurch hat in Italien eine Haus» Industrie solche Stoffe geliefert und noch vor 150 Jahren ist das gleiche aus Frankreich bekannt gewesen. Auch dieses Material ist überreich bei uns vorbanden und läßt sich auf den Heideländern, wo es nickt abgeweidet wird, jährlich neu abernten. Besondere Versuche müßten entscheiden, ob die Gewinnung dieses Rohmaterials lohnt. Nickt so aussichtsvoll wie die beiden genannten Pflanzen scheint Herrn Tobler das Weidenröschen, aus dem in alter Zeit in Skandinavien Stricke verwendet wurden und deren Faser in neuerer Zeit auch im Nordwesten Nordamerikas verwendet wird. Doch sollen Versuche, dieie Pflanze zum Ersatz der Jute heran« zuziehen, bisher nicht günstige Ergebnisse geliefert haben. Aber gerade auf diese Pflanze macht Herr Lehmaun zum Ersatz von Baumwolle aufmerksam. Er meint, daß die Samenhaare, baumwoll« artige, äußerst feine Zellulosehaare, die in früheren Zeiten in recht verschiedener Weise in Gebrauch genommen wurden, auch beute noch manchen Dienst leisten könnten. Nach Berichten der schwedische» Akademie der Wissenschaften aus dem Jahre 1774 wurden Polster. Bettdecken und dergleichen damit ausgestopft, auch wurden sie zu Garn gesponnen. In BöhmersTechnischer Geschichte der Pflanzen" vom Jahre 1704 ist außerdem auch die Benutzung der Samenwolle deS TeichkolbenS angeführt, ferner die Wolle des Wollgrases, aus der eine Watte hergestellt wurde, die zu drei Teilen mit einem Teil Baumwolle verarbeitet ein feines Garn gibt. Ferner nennt Lehmann die langen schönen Samenhaare der in manchen Gegenden in Mengen vorkommenden Schwalbenwurz, er erinnert daran, daß auch die Haare der Kätzchen von Weiden und Pappeln früher mir einem Zusatz von echter Baumwolle zu Watte, Bettdecken, Strümpfen und anderen Dingen verarbeitet wurden. Freilich bleibt die sür die Spinnereien sehr wichtige und während des Krieges geradezu entscheidende Frage noch offen, ob, wenn aus« gedehnte Versuche wirklich die lohnende Gewinnung eines verwend« baren Rohmaterials ergeben, dieses dem bisherigen so ähnlich wäre, daß es auch mit der gleichen Maschinerie weiter verarbeitet werden kann. Ob sich solche Rohstoffe, wenn eS wirklich gelingt, sie jetzt als Ersatzstoffe heranzuziehen, auch nach dem Kriege werden be« haupten können, ist freilich eine andere Frage. Denn über die Ver« Wendung derartiger Siöffe entscheidet nicht Patriotismus und Ab« neigung vor Ausländischem, sondern die größere oder geringere Wirtschaftlichkeit. Deshalb hat Professor Tobler sicher recht, wenn er warnend sagt:Man sei ja vorsichtig im Publikum mit der be« geisterten Vorstellung von neuer Unabhängigkeit vom Ausland und eigenen Rohstoffquellen, man jjrable noch nicht mit der Rückkehr zum heimatlichen allhergebrachten Stoffe statt des neuzeitlichen aus fernem Lande."_ Kalte Iüße und ihre Sehanölung. Seit dem Einsetzen der winterlichen Tage bilden kalte Füße so« wohl draußen im Felde als auch daheim ein Leiden, durch das viele empfindlich belästigt werden. Ein Hamburger Dermatologe, Pro« feffor Unna, hat die Natur und die Behandlung dieses weit« verbreiteten Leidens zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht, über die derPrometheus" des näheren berichtet. Allgemein be« kannt ist, daß alle echtenkalten Füße" sofort warm werden, wenn man sie ohne Strümpfe in gefütterte kalte Stiefel steckt oder mit Zeitungen umwickelt. Wie kommt daS? Die Ursachen für die kalten Füße sind nicht, wie man meinen möchte, hauptsäch« lich in dem den Stiefeln anhaftenden Autzenwasser zu suchen, sondern vielmehr in dem gasförmigen Wasser, daS im Stiefel selbst von dem stark durchbluteten Kapillarsystem der Haut dauernd in großer Menge abgesondert wird. Dieses Hautwasser wird tropfbar flüssig und verwandelt die Strümpfe allmählich in feuchte Umschläge, die den Füßen beständig durch Wasserverdunstung so viel Wärme entziehen, daß sie eben kalt werden. Bei trockenen Füßen findet man das Leiden nicht. Die Beseitigung kalter Füße durch Papier beruht nun nicht etwa darauf, daß Papier ein schlechter Wärmeleiter ist, sondern auf der Leimung des Papiers. Aus dem geleimten Papier verdunstet die Fenchligkeil rascher als durch wollene und baumwollene Strümpfe und das Papier wird deshalb nicht zu einem feuchten Umschlag. Diese werlvolle Eigenschaft verdankt das Papier derHarzleimung" und dem dabei üblichen Ueberichuß an Kolophonium. Diese Leimung hat den Zweck, die Auf'augungs« fähigkeit des Papiers zu vernichten und das Papier zum Schreiben geeignet zu machen, indem die flüssige Tinte nach außen abgegeben wird also dasselbe Problem wie bei den kalten Füßen! Macht man z. B. ganz dünne Baumwollstrümpfe tinlefest, so daß man sie beschreiben kann, so halten sie ebenfalls warm; um das Hartwerden solcher geleimier Strümpfe zu ver« meiden, fügt Unna noch Rizinusöl hinzu. Noch besser als Kolo- pbonium wirkt das allbelanut?.Frostmittel Kollodium und als Flüssigkeit zumLeimen von Wärinmümpfen" empfiehlt Unna hier­nach: 12 Gramm Kollodium. 4 Gramm Kolophonium. 4 Gramm Rizinusöl, Gramm Spiritus und 04 Gramm Aether. Dainit getränkte Strümpfe sind zwar etwas raub, dienen aber dadurch geradezu als leichte Hautmassage durch Beförderung der Durch« blutung. Sehr wesentlich ist es. Jinieiileder und innere Zeug« auskleidung der Stiefel durch Hineingießen von 30-40 Gramm dieser Flüssigkeit hart und wasserdicht zu machen, im Notfälle dient Leinöl demselben Zwecke. Die äußere Einfettung deS Schuhzeugs als Schutz gegen Feuchtig- keit und Kälte ist ja bekannt, aber auch Einfetten der reinen Fuß« haut sehr empfehlenswert. Wesentlich ist ferner noch, daß die Stiefel nicht zu eng sind und nicht drücken und damit genügende Bluizuiuhr an den Füßen hindern; es muß möglich sein, doppelte Strümpfe im Stiefel anzuziehen. Zusammenfassend kann man also sagen, daß die Pflege der kalten Füße nach Unna verlangt: 1.zu weite" Stiefel; 2.ge« leimte" Strümpfe am besten zwei Paar übereinander; der innere braucht bloß ein Füßling zu sein, der äußere ist am besten ein gut« geleimter Wollen-, Baumwollen« oder Seidelistrumpf; 3. FußpulS- wärmer gegen Gesäßzusammenziehung der Pulsadern am Fuße; 4.Leimung" des Jnnenleders und sonstigen FutierzeugeS der Stiefel; 5. häufiges Einfetten der Fußhaut. Keine Grabsteine ins 5elö. Hierzu äußert sich ein Landwehrmann im zweiten Novemberheft desDeutschen Willens" iKunstwari) wie folgt: Hinter der Front sind überall Friedhöfe für unsere Gefallenen entstanden. Ein Grab neben dem andern, wohlgepflegr und instand gehalten von Kameraden, geschmückt mit dem einfachen Holzlreuz, dessen Inschrift bezeugt: der hier ruht, starb fürs Vaterland. Od Offizier oder Gemeiner, ob Matrose, ob Jnsanlerist, alle werden hier gleich bchandelr. Uebr dem Eingange zum Friedhof steht wohl der hier ergreifend wirkende Satz:Ich halt einen Kameraden". Schon jetzt aber wird dieses schlichte Bild ab und zu gestört. Es lassen Angehörige da und dort Grabsteine errichten. Da bekommt der Gefallene Soundso, der von Vermögen war, ein steinernes, der nebenan liegende Wehrmann, vielleicht ein Voter von vier, fünf Kindern, der arm war. behält sein Holzkreuz. Und jetzt erst wird uns bewußt: daß es als ein Vorzug betrachtet wird, ein Steinmal zu haben, ein Zeichen, das nicht zerfällt. Sollte man nicht nach dem Kriege auf jedem Friedhof einen gemeinsamen Stein aufrichten, mit dem Namen der Gefallenen und hier Ruhenden? Aber die Kreuze sollten bleiben für Offiziere und einfache Soldaten, so wie sie im Anfang gesetzt waren, schlicht und aus Holz. Jeder der hier Ruhcuden hat für sein Vaterland nach seiner Kraft das Nämliche geleistet, denn mehr als sein Leben kann keiner opfern. Also sollten auch alle in gleicher Weise geehrt werden. Notizea. Theoterchronik. Im Friedrich- Wilhelm- städtischen Theater gelangt am Sonntag, den 5. Dez., nach« mittags 3 Uhr,Der Wildschütz " zur ersten Ausführung. Verband der Freien Volksbühnen. Bei der am 5. Dezember stattfindenden Konzertaufführung des GluckschenOrpheus" im Theater am vülowplatz ist die Partie des Orpheus wegen Er- krankung von Fräulein Emmi Leisner von Frau Paula Weinbaum übernommen worden. Der Verein für deutsche F r a uen k l ei d u n g und Frauenkultur veranstaltet in dieser Woche im Zahn­ärzte Haus, Bülowstraße 104, folgende Werbevorträge: Donnerstag, den 2. Dezember, abends 8 Uhr: Frau W. Pochhammer: Zwanzig Jahre Kampf gegen die französische Mode; Sonnabend, den 4. De- zeinber, abends 8 Uhr: Dr. F. Kirchberg: Frauenklcidung, Frauen- turnen, Frauengesundheit; Sonntag, den 5. Dezember, nachmittags 3 Uhr: Frau M. Thierbach: Vorführung lind Erklärung von Ab« formungskleidern, Frl. H. Ucko: Ueber Werkstätten. Einzelkartc 1 M., Dauerkarte 2 M. an der Abendkasse. Die Schicksalsmaus. Ei neErzählungvonTierenund Menschen. 18J Von Harald Tandrup. Die Werbung. Es war frühe am Morgen. Meister Grau saß auf seinem Lieblingsplatz am Eingang zur Wohnung, während Madame auf dem Rand ihres Bettes Toilette machte. Ihre zwölf grauen Kinder lagen in süßem Schlummer; es war eine große Seltenheit, daß sie alle auf einmal Ruhe gaben. Auch bis zu diesem Augenblick hatten sie gepfiffen und gewinselt, so daß man kein Wort verstehen konnte. Meister Grau war auf dem Sprung, einen kleinen Ab- stecher lvegen seines Frühstücks zu unternehmen. Ich glaube, ich mache jetzt einen Morgenspaziergang", bemerkte er. Und ich glaube, Du bleibst jetzt da", entgegnete die Madame in bestimmtem Ton.Wenn die Kinder endlich stille sind, werde ich mir wahrhaftig ein wenig Bewegung machen dürfen." Entschuldige," sagte Meister Grau gekränktich dachte ich sei der Mann im Hause." Aber ich bin die Frau," erklärte sie--und jetzt gehe ich." Meister Grau war starr vor Verwunderung. So hatte seine Frau früher nie mit ihm zu reden gewagt. Aber während er noch kaum seinen Ohren traute, bekamen auch seine Augen ihren Teii von der Ueberraschung, denn die Madame schlüpfte behende an ihm vorbei und verschwand draußen im Gang. Natürlich wachte dadurch eines der Kinder auf, und so- bald das eine wach war, kamen die andern nach. Meister Grau gab ihnen ein paar kräftige Klapse; er war sehr er- bost, fühlte sich in seiner Würde als Hausherr gekränkt, und das hatten die Kleinen zu büßen. Sein Zorn mußte sich Luft machen. Indessen war Madame Grau zu den öden Gängen ge- laufen. Sie wollte sich davon überzeugen, ob das wahr sei, was ihr Mann am Tage vorher von seinen Erlebnissen er- zählt hatte. Er hatte ein Stückchen geräucherter Wurst als Beweis der Herrlichkeiten mitgebracht, die sich in jener neu entdeckten Kammer befanden, und die wollte sie auch gründ- lich kosten. Etwas weiter drinnen im Gang traf sie die boshafte Spinne, deren Morgengruß ziemlich frostig klang. Brummig ertönte, sie habe darauf gerechnet, ungestört in den öden Gängen zu wohnen, und jetzt laufe das Mäuse- Volk vom Morgen bis zum Abend an ihrer Tür vorbei und wecke sie aus ihrem Winterschlaf. Aber Madame Grau blieb ihr die Antwort nicht schuldig und die Spinne begriff, daß es ihr Ernst war. Als die Maus ihrem Herzen Luft gemacht hatte und die kräftigsten Ausdrücke der Tiersprache angewendet hatte, schloß sie mit den Worten, daß sie Gott sei Dank eine Mäusedame sei, die sich für zu gut halte, sich länger mit einer krätzigen, ungewaschenen Spinne abzustreiten. Damit schieden sie. Bald darauf kam die Madame an das gefährliche Loch in der Decke, über dem Meister Grau vorsichtshalber eine Brücke aus abgenagten Holzstückchen hergestellt hatte, die von den Brettern in dem geheimen Raum stammten. Aber seine Frau wäre doch beinahe hin durchgcpurzelt, denn sie war nach der Begegnung mit der Spinne in einer derartigen Aufregung, daß sie in dem Gang mit ihrem Schwanzstummel von einer Seite zu anderen peitschte. Endlich gelangte sie glücklich hin- über und arbeitete sich durch den steilen Tunnel zu der großen Kammer hinauf. Das Geld lag noch da, wie es Meister Grau am vorher- gehenden Tag herausgeschüttet hatte. Madame schnupperte verächtlich an den kalten, runden Metallstücken, die nach gar nichts rochen denn was keinen Geruch hat, gilt bei den Tieren nichts; für sie ist der Geruch die Seele der Dinge. Dann krabbelte die Maus über das Geld in die Ecke, wo die Wurst lockte, nahm ein großes Stück zwischen die Pfoten und begann zu nagen. Plötzlich wurde die Platte auS Blech, die die Decke des Raumes bildete, beiseite geschoben. Madame Grau stieß einen schwachen Pfiff aus sie war ja nur ein Frauenzimmer und drückte sich in ihrer Angst dicht an die Wand. Durch die große Oeffnung in dem Dach der Kammer strömte das Tageslicht herein. Und nun erschien eine Menschen- Hand, groß und grauenerregend. Madame Grau hatte nie vorher eine solche Hand so nahe gesehen; der Eindruck war überwältigend. Sie hatte fünf schmutzige Finger mit breiten ungepflegten Nägeln, und diese Finger waren dick und plump. Auf ihrem untersten Glied wuchsen rote borstenähnliche Haare. Aber einer von ihnen zeichnete sich vor den andern noch durch eine Leibbinde aus gelblichem Metall aus Gold war es nicht, denn in den Verzierungen befand sich eine Lage Grünspan und mitten auf dieser Binde saß ein flacher, roter Stein. Gierig fuhr die Hand in dem Raum umher. Sie nahm von dem Geld, kam und verschwand wie ein Taucher, der nach verborgenen Schätzen sucht. Einmal erwischte sie auch die Wurst, drückte und betastete sie, um zu fühlen, was es sei, und warf sie dann wieder ver- ächtlich von sich. Endlich war alles Geld heraufgeholt. Noch einmal kam die Hand zum Vorschein; die Finger spreizten sich auseinander, fühlten und tappten in allen Winkeln umher, ob sich nicht doch noch eine Münze finde, fuhren in den Gang, soweit sie hinein- kommen konnten und wendeten sich schließlich der Stelle zu, wo sich Madame Grau verbarg. Sie war einen Augenblick wie gelähmt vor Schrecken. Aber als sich die Finger immer mehr näherten und nach ihr zu greifen drohten, schlug sie in ihrer Verzweiflung die Zähne hinein. Im selben Augenblick hörte sie ein dumpfes Brummen über sich, die Hand verschwand, die Platte wurde zugeschoben noch ein paar rasche Schritte über den Fußboden. Dann war es ganz still. Wenn Lars Larsen seinen langen Vormittagsspazier- gang machte, schlüpfte Andersen hinauf und unterhielt sich mit Maren. Sie hatten sich einmal zufällig gesprochen, aber bald wurde es zur Gewohnheit. Im Anfang, so lange Marens Mutter noch lebte und krank war, standen sie nur plaudernd auf der Küchentreppe: doch jetzt war Andersen ganz in die Küche hineingekommen. Er meinte, er müsse ein paar tröstende Worte über den Tod der Mutter sagen, die soeben ins Lcichenhaus gebracht worden war. (Forts, folgt.)