Hr. 283.- 1915.

Unterhaltungsblatt öes vorwärts mw.«

, 8. De, mW.

/löolf Menzel.

Zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages. Von Robert Breuer. Man kann über Menzel nicht reden, ohne über die zweierlei Arten der Naturbetrachtung volle Klarheit zu gewinnen, die der Naturalismus umsaht, und die beide für Menzel, die eine für den jüngeren, die andere für den älteren kennzeichnend sind, Menzel war sich solcher unterschiedlichen Art, die Natur zu sehen, durchaus bewuht; er bekannte, seine Auffassung von der Malerei eines Tage« geändert zu haben,.weil er nämlich verhungert wäre, wenn er so, wie er eS in seiner Jugend tat, weiter gemalt hätte'. In Wirk» lichkeit wurzelt die Ursackie des Umschwunges viel tiefer. Noch im höheren Alter sagte Menzel einmal beim Anschauen des 18b2 gemaltenFlötenkonzertes', dieies Bildes, das eigentlich schon zu der zweiten Gattung des Naturalismus, zu dem abschreibenden, wissenden, kritisch rechnenden und kühl zu- sammensteüenden gehört, das aber dennoch durch die spürbare Betonung deS Lichlproblem«, durch die temperament» volle Behandlung der Kerzenbeleuchtung, zu der früher ge- übten Art des NaturverzücklseinS mancherlei Beziehungen auf- weist:Ueberhaupt Hab ich's bloß gemalt des Kronleuchters wegen.' Indessen ein andernral, vor dem.Ueberfall von Hochktrch', einem Bilde, daS noch weit mehr als das Flötenlonzert ein Licht» erlebniS und ein leidenschaftliches Hervorbrechen aufgewühlter Seele ist, meinte Menzel, ein wenig skeptisch und bemahe tadelnd:.Ja. datz ich den König in dieser Nacht, bei der Ueberraschung und Ver- wirrung mit dem Hut auf dem Kopf dargestellt habe, das ist auch nur so, so; richtiger wäre cS gewesen, wenn er keinen Hut gehabt hätte.' Zu solcher Auffassung der Malkunst, die mehr auf die historische Treue und die psychologische Wahrscheinlichkeit des Vor- ganges, mehr auf die Richtigkeit des Kostüms und die irdische Logik des dargestellten Prozesses, als auf die Mustk der Farben und dos kosmische TaseinSglück de» Bildes an fich den Wert legt, paht es durchaus, wenn Menzel vor einem Bilde de» Joi'&f Israel « den Kopf schüttelt:Faul, faul; waS hätte da noch alle« hineingemalt werden können.' ES dürste also im allgemeinen wohl richtig fem, den späteren Menzel, besonders den der Friedrichsbilder, den des.BallsouperS' und des.Eisenwalzwerks', für den Naturalismus de» Wissens, für diesen leicht in da« Pbilisterium entartenden Naturalismus, zu de- ansprachen; der Menzel aber, der da«.Balkonzimmer' als Dreißig» jähriger und dasDböalrv gymnaso" im Jahre 1856 gemalt hat. gehört einer höheren Galtung des Naturalismus, dem Naturalismus des Gefühls, einer lyrischen, einer pathetischen, jedenfalls einer ver- zückten Art, die Natur zu erleben, zu empfangen und durch eine Neu- geburt von aller Gleichgültigkeit zur Vollkommenheit der Kunst zu erlösen. Wobei freilich zu beachten ist, dah diese zwei AeuherungS- arten der Malerei, die der handwerklich rasfinierten und dir der künstlerisch naiven in dem Werke Menzel» oft genug nebeneinander festzustellen sind. Der alte Menzel war ein Augentter. ein sehender Apparat von unerhörter Präzision und Schärfe. Die Bedeutung diese» unaus hörlich zeichnenden, nichts vorüberlasienden. alle« mit spitzen Nadeln aufspießenden Naturforschers liegt in dem Dämoniswen, in der ver» bisienen Heftigkeit, womit er seine Beute festhielt. Einmal ist er, während er«inen Eterkuchen, vor Müdigkeit eingeschlafen: als er erwachte, hat er die inzwischen kaltgewordene Speise wütend zu zeichnen angefangen. Einmal, als er krank zu Bette lag, hat er seinen Fuß gezeichnet, genau, mit jeder anatomischen Einzelheit, jeder Hautfalte, jedem Haar. ES ist nicht ganz einfach, die beiden Arten des Naturalismus, von denen wir hier sprechen, und die den alten von dem jungen Menzel scheiden, auseinander zu halten. DaS Publikum liebt den Menzel der großen Geschichtsbilder, liebt diese interessanten Tor stellungen bemerkenswerter Vorgänge au« dem Leben Friedrichs: da» Publikum wird nur zögernd folgen können, wenn behauptet wird, daß jene» still«, nichts erzählende Bild von dem verträumt summem den Innern einer einsamen Stube von gröberer künstlerischer Bedeutung sein soll, als solch eine vielköpfig«, buntlebendig« Szene, die einen wichtigen geschichtlichen Vorgang mit greifbarer Notür lichkeit vor die erstaunten Augen stellt. Und doch ist e» so: die Unsterblichkeit der Kunst wird nicht durch die Bedeutung de« Dar» gestellten, sie wird vielmehr durch die unmittelbare Hingabe und Enthüllung der künstlerischen Persönlichkeit bedingt. Solche Bilder bat Menzel gemalt, Bilder, die un« Blicklinien tief in die letzten Geheimnifle einer Generation aufschließen. Ströme von Empfindungen lösen sich au» jenem.Balkonzimmer': aller Härten der täglichen

Zufälligkeiten vergesiend, tauchen wir in eine glückselige Melodie, in das musizierende Fürstchsein, das au» den Schwingungen de» Mahagoniholzes, au« dem lautlosen Atem der grün getünchten Wand, au» dem weichen Wehen der vom Wind bewegten Gardine und aus dem Sonnenlicht, das den Raum durchflügelt, zusammenströmt. .Als Menzel dieses kleine Werk schuf, da war in seiner Hand ein Schicksal europäischer Kunst. Zehn Jahre lang hat er eS in seiner Hand gehalten, wenn auch die heitere Höhe diese» wie an einem einzigen glücklichen Vormittag gemalten BildeS kaum je wieder er» reicht worden ist', mit solchen Worten weist Karl Scheffler sin seinem Buch von der Berliner Rationalgalerie) in die ganze, grausame und doch beglückende Tragik de« künstlerischen Schaffens. Welche Fülle der Studien, der Forschungen und Skizzen hat der spätere Menzel oft genug an eines seiner großen historischen Bilder wenden müssen, wie hat er geschuftet und gehastet, um der kalten Forderung de» komplizierten Auftrage« gerecht werden zu können. Und damals, als er, empfänglich wie nur irgend ein Dreißigjähriger, an einem sonnigen Morgen halb zufällig, halb sehnsuchtsvoll den Blick durch sein bescheidenes Zimmer schweifen ließ, erschloß sich ihm ein Stück Unsterblichkeit. Gewlß, auch damals wird Menzel genau beobachtet haben, tausendmal und mehr wird er jede Einzelheit des Zimmers studiert und geprüft, verglichen und aus eine Form gebracht haben: die künstlerische Schöpfung aber setzt voraus, daß die Beobachtung Gefühl geworden ist. Solch ein Vorgang im höheren Chor war eS, der Menzel da» TWatrs gymnase" malen lreh Das ganze zweite Kaiserreich ist in dieiem Bilde, die ganze Artistik eine» Bürgertums, daS fich an einer Oper paradiesisch zu erhitzen vermochte. Menzel« Bild, 1856 nach Pariser Eindrücken gemalt, Daumrer ausschöpfend und Manet verkündigend, ist von einer so üb.-rwältigenden Schönheit, daß, wer e» auch nur einmal zu sehen bekam, von solchem rauschenden Kon» zert aus Gold und Rot, von solchem unvergleichlichen Spiel und Gegenspiel der Schatten und Lichter nie mehr losgelassen wird. Diese» Bild Menzels ,st eines der seltenen Wunder, deren Fehlen die Welt arm erscheinen lassen würde. Und ein anderes Bild: ein verlorene», der großen Stadt vor« gelagerte» Stück Oedland , noch nicht kaserniert, aber schon von den herandrängenden Häusern angenagt; die dürre Einsamkeit toter Lecker und verfallener Wiesen, einige gezählte Bäume, die fröstelnd der Axt warten, einige» zerraufte« Gestrüpp. Mitten durch solche» Sterben die frei schweifende Kurve der Schienen und darüber bin- brausend, von einer Rauchfahne umschwärmt, ein Eisenbahn» zug; hinten, auftauchend, anklingend, abklingend, schattenhaft. umrissen: die Türme und Dächer Berlins . Wieviel Angst ist in diesem Bilde, wieviel dumpfe» Atemanhalten, wieviel fliegende» Zukunflsahnen. ES mag zutreffen, daß die Augen Menzels, als er da» Eisenbahnbild malte, mit Constable, mit der braunen Tonigkeit dieses Engländers, gesättigt waren; wie gleichgültig ist solche Feststellung. Entscheidend bleibt, genau wie bei demBalkonzimmer ': daß in jenem Augenblick, da Menzel dieS Stück Natur anschaute und deffen PulSschlag fühlte, die Ver- gänglichkeit der Erregung in ein Stück Ewigkeit verwandelt wurde. » Menzel ist am 8. D e z e m b e r 1815 in Breslau als Sohn eine« Lehrers, der später nach Berlin zog und hier eine Stein- druckerei betrieb, geboren worden. Al» des VaterS Gehilfe und nach de« Vater« Tode als siebzehnjähriger Meister hat Menzel seine Lauf- bahn, die er al» Exzellenz und europäische Berühmtheit beschloß, damit angefangen, Flaschenschilder, Geschäftsreklamen und Notentitel zu lithographieren. Bon solcher handwerkerlichen Grundlage erhob sich der Jüngling mit der nachtwandelnden Sicherheit des Genies zu den köstlichen Illustrationen für KuglerS Geschichte Friedrichs des Großen. Diese geschliffenen Epigramme auS Schwarz und Weiß, jede Linie mit Leben geladen, Wirklichkeit in ihrem äußersten Spannungszustand und zugleich Ornament von monumen» taler Größe, sind die Vollendung der zeichnerischen Absichten Cbodo» wieckis, sind aber auch die flammenden Anreger einer Zeichenkunst, wie sie heute Liebermann und Slevogt üben. Illustrationen neigen zur Sterblichkeit; selbst wenn sie von der technischen Vollkommenheit und verführerisch koloriert wie die.Tafelrunde' oder da».Flöten» konzert' sind. Die Oelbilder des späteren, zum Mechanismus er- kälteten Menzels sind Illustrationen solcher sterblichen Art. Die Zeichnungen de« jungen Menzel» aber, die da« Stoffliche und alle noch so intereffanie Historie überwanden, werden als nervöse Kraft» ströme ewig kreisen. «« » Von Karl Scheffler erschien rechtzeitig im Verlage von Bruno Cassirer ein reich illustrierter, über LlX) Seilen starker Band:

Menzel; der Mensch, da» Werk,«in«mfaffende». den Nnzel- heiten und den Zusammenhängen nachspürendes, ebenso fleißtges und belesene», wie künstlerisch ergreifende« und fast geniale» Luch. das selber etwa» Menzelhaftes aufweist. Die Meinungen, die ein- sichttge Kunstfreunde von der Bedeutung de» fiebeuzig Jahre unermüdlich arbeitenden Zwerge« haben, werden durchaus be- stätigt. Da» spricht für deren Richtigkeit um so mehr, al» Scheffler anscheinend unter der Auffaffung, daßder Krieg un « zu«teer Re­vision aller unserer ßunstanfichten anhält', nebenbei beabsichtigt, die Urteile von Tschudi und Meier.Graefe, die einen ftüheren und einen späteren, einen wahrhaft produktiven und einen dämonisch fleißigen Menzel unterscheiden, ein wenig revidieren will. Diese Umwertung. die wohl mehr ein Sporn des Schriftsteller», al» ein Ergebnis de» kritischen ForschenS war, gelingt nicht. Sie konnte nicht gelinge». Scheffler« bekannte Methodik de» großzügig angelegten Ver- gleichens bewährt sich auch diesmal. ES»st sehr intereffant. wie er Menzel neben Leibl und Liebermann stellt. WaS Leibl betrifft, so sagt er:.Bei dem Berliner trifft man nicht die hohe Meisterschaft, die AlltagSgegenstände in tonige Flächen aufzulösen, die Erscheinung au« Farbentönen aufzubauen.... Leibl nannte nur eine einzige künstlerische Anschauungsform fem eigen. Diese Form ist eminent malerisch; aber sie ist nicht ohne Eintönigkeit... Menzels Kunst ist reicher an Offenbarungen: ein ganzes Bündel von Talenten erscheint in Menzel« Persönlichkeit zusammengefaßt.' WaS Liebermann betrifft:.Sr hat unsere Maleret vom selbstherrlich wuchernden Detail erlöst und sein Schaffen wirkt unwillkürlich wie eine Kritik de» Menzelschen Lebenswerkes... Menzel ist wie ein kleiner KoSmoS... in Menzel ist Liebermann schon enthalten.'.,, Wie in allen seinen Büchern, so strebt Scheffler auch in diesem Menzelbuch danach, eine endgültige Lösung auf breiter Fläche auf- zubauen. Man darf sagen, daß ihm die» bester al» jemals gelungen ist; man darf darum annehmen, daß Scheffler» Menzelbuch auf lange Zeit sowohl für die Analyse wie für die Benrteilung deS preußischen Meister» maßgebend fem wird. kleines Feuilleton. die /lrnauten. Bei den letzten Kämpfen im Grenzgebiet zwischen Mitrolpitza und Jpek haben arnautische Freischaren den Vorstoß der Verbündeten unterstützt. Diese Arnauten bilden eine der merkwürdigsten Be- völkcrungSelemente auf der ethnographisch vielgestaltigen Balkanhalb- insel, wo sie Jahrhunderte lang eine bedeutende politische Rolle ge- spielt haben. Als Skanderbeg , den selbst Mohammed II. nicht zu bezwingen vermochte, in den Bergen der Ezernagora den Widerstand gegen die Türken organisierte, spaltete sich Albanien in eine christ- liche und eine mohammedanische Hälfte. Die Bekenner� de» Islam wurden zuerst von den Gesandten Venedigs und den sehr tätigen Diplo- malen der damals seemächtigen Republik Ragusa als Arnauten bezeichnet und zugleich als besonder« fanatische MoSlim» geschildert. Jn Konstanti- nopel erkannte man schnell den Wert dieser mohammedanischen Clane, die eine ähnliche patriarchalische Verfassung wie die schotti- scheu Hocklandstämme hatten und den besten Offiziers- und Unter- offiziersersatz für die.Feni-tscheri'. die.neue Truppe', die im Abendlande al«.Janitscharen' berühmt und gefürchtet wurde, ab- gaben. Die berühmtesten Großvefire de» alten Türkentum». die beiden Köprülü, die sich sogar an die Belagerung Wien » wagten. hatten arnautisches Blut in den Adern. Auch viele andere PaschaS, wie Ali Pascha von Janina , sind Arnauten gewesen. Vor allem aber leisteten die Arnauten bei der JSlamifierung und Niederballung der christlichen.Rajah'-Bevölkerung der unter- worfenen Balkanländer die besten Dienste. Es hatte sich allmählich ein System herausgebildet, das dem der berüchtigten.Dragonaden" Ludwigs XlV. ähnlich war. Zwischen den christlichen Bauern wurden Arnautenfamilien angesiedelt, die mit ihrem selbstbewußten, herrischen Austreten bald die leitenden Stellen in den Dörfern an sich rissen. In den endlosen Empörungen der Monlenegriner und Serben gegen die türsische Herrschaft seit Ende de« 18. Jahr- hundert« waren sie stet» eine treue Stütze der Regierung. Heute noch ist der Brnaute ein unübertrefflicher Schütze und Todfeind des serbischen RegierungSpanduren(Landgendarmen.) Völkerkundlich interessant sind die Arnauten, die man wie die Albaner überhaupt als die Nachkommen der alten Epiroten und Moloster ohne Einschlag slawischen Blute« betrachtet, durch den ausgeprägten Kultus der Blutrache, die in schärfster Form wie kaum mehr auf Korsika fort- besteht.

Die Schicksalsmaus. Eine Erzählung von Tieren und Menschen. 28] Bon Harald Tandrup. In den Händen der Polizei. Maren war eifrig mit dem Abräumen deS KaffedifcheL beschäftigt. Sie hatte kochendes Wasser auf dem Herd und wollte gleich abspülen. Plötzlich kam Lars Larsen herein. Er war rot und erhitzt trotz der Kälte; man sah ihm an. daß er einen weiten Spaziergang gemacht hatte. Ohne ein Wort zu sagen zog er die Fausthandschuhe auS, schlüpfte aus den schweren Stiefeln und schlich dann auf Socken in die Küche herum, schnaufend wie ein Seehund, der den Kopf auS dem Wasser streckt. Ist der Kachelofen warm?' ftagte er nach einer Weile. Er ist glühend heiß", antwortete Maren stolz. Hm l" knurrte er ärgerlich.Zu verschwenden braucht man die Feuerung gerade auch nicht." Maren wendete sich rasch nach ihm um und sagte heraus- fordernd: Früher hast du immer gesagt, du frierest ich meine. solange die Mutter noch gelebt hat." Lars Larsen war gutmütig und wollte sich nicht weiter herumstreiten. Darum betrachtete er eifrig den alten Winter- rock, den er soeben ausgezogen hatte. Sieh nur. wie er an den Taschen zerrissen ist. Maren', sagte er.Vielleicht könntest du ihn stopfen? Man muß doch ein bißchen ordentlich aussehen, wenn wir die Mutter morgen in die Erde legen.' Maren hielt den Rock gegen das Licht; er sah wirklich erbärmlich aus. Du solltest dir einen neuen kaufen.' riet sie. Gott soll mich bewahren!' rief er ängstlich.Da ist kein Gedanke daran.' Und damit er nicht näher auf die Sache eingehen müffe. zog er sich rasch in die Stube zurück, wo ihn eine angenehme. aber kostspielige Wärme empfing. Er neb sich behaglich die Hände, schielte gleichzetttg nach der roten Ofenplatte und seufzte tief. -H?rje- das Geld, das Geld.' Nachdem er ein paarmal um den Tisch geschlichen war. warf er einen prüfenden Blick auf das Fenster, einen zweiten auf die Tür und zog dann seinen schmierigen Geldbeutel her- vor, dessen Inhalt er auf die Tischplatte schüttete.

Lustig klirrend sprangen die Münzen auS ihrem& fängnis. Aber Lars Larsen beeilte sich, eine Hand über sie zu breiten, um ihren Uebermut zu dämpfen, und sie legten sich flach zur Betrachtung nieder. Er starrte sie mit einem Blick an, der ebenso großes Entzücken als Angst verriet. Und eS ist auch etwas Weh mütigcS um so ein Anschauen von Geld. Kaum hat man sich damit vertraut gemacht, daß es einem gehört, soll man es schon wieder hergeben. ES muß in die Welt hinaus wie die Kinder. Wer es richtig anzusehen versteht, macht sich alle möglichen Gedanken. So lag jetzt zum Beispiel als ein Stück der Sammlung eine blanke wohlgenährte Zweikrone mit dem Bild Christians IX. da. Lars Larsen dachte, wie oft eS sein Traum gewesen war, einmal eine solche nehmen, daheim in der Schenke von Svogerslev auf den Tisch werfen und laut rufen zu dürfen: Für jeden eine Maß! DaS sind so Bilder, wie sie einem jungen, einfälttgen Knecht vorschweben, wenn er an Größe und Reichtum denkt; denn so kommen die ungeratenen Kinder der großen Höfe in die WirtSstube. Sie spielen Billard, daß das Tuch zerreißt, werden zudringlich gegen das aufwartende Mädchen, werfen die Gläser fremder Leute um, und es fehlt nicht viel, daß ihnen Prügel und das Hinaussetzen angeboten werden. Aber plötzlich wenden sie die Stimmung zu ihren Gunsten, indem sie auf den Schenttisch schlagen und rufen:So und jetzt soll jeder von euch ein Glas Punsch haben I" Im selben Augenblick wird der Wirt wieder höflich, das Mädchen freundlich. Die Tische werden zusammengerückt, und viele böse Worte sind vergeben und Vergessen alles um des Geldes willen. Es gibt natürlich auch andere Mittel, um auf seine Macht zu pochen; aber diese imponieren einer naiven Seele am meisten. In den zwanzig Jahren seiner Verheiratung hatte sich in Lars Larsen oft der Wunsch geregt, sich und fei es auch nur ein einziges Mal. derartig hervorzutun. Er hatte sehnsüchtig nach dem Wirtshaus hingeschielt. nicht, weil er sich etwas aus dem Trinken gemacht hätte, son- dern in dem brennenden Verlangen, einen richtig tollen Streich zu begehen, mit vollen Händen Geld auszustreuen, den großen Herrn zu spielen. Aber sobald er an seine Frau dachte, wußte er, daß das unmöglich sei. Er hätte gerade so gut daran denken können. den Hof in Brand zu stecken wenn die Frau davon gehört hätte, würde etwas unausdenkbar Fürchterliches geschehen sein.

Sein Respekt vor ihr war grenzenlos, wenn auch höchst töricht und unbegründet. Was konnte sie ihm denn tun, dieses armselige alte Weib, das an einem Stock herumhumpelte und sich kaum aufrecht zu halten vermochte? Durchhauen konnte sie ihn unmöglich und wenn sie ihn noch so sehr ausschalt, so starb er doch nicht gleich daran. Trotzdem war sie in all ihrer Gebrechlichkeit die Stärkere geblieben. Sie hatte ihn unterdrückt und geknechtet, und er hatte nicht gewagt, sich zu wehren, obgleich sie ihn in so strammen Zügeln hielt, daß daS Gebiß in den Mund schnitt, wie er sich ausdrückte. Jetzt begriff er, was ihn im Zaum gehalten hatte. Es war weder der scharfe Mund noch die stechenden Augen seiner Frau. Er war ein GeizhalS geworden, ohne eS selbst zu ahnen! Die Krankheit hatte ihm im Blut gelegen. Nur weil er so veranlagt war, hatte er sich stets willig gebeugt der Trieb, das Geld rollen zu lassen, war nie ernstlich vor- Händen gewesen. Ganz unheimlich wurde ihm zumute, als ihm Christen- sens Ausspruch einfiel: Es gibt keinen Tod l Er hatte daS Gefühl, als sitze die alte Frau leibhaftig hinter seinem Stuhl und werfe ihm einen jener gebieterischen Blicke zu. unter denen er jedesmal fast erstarrt war er erinnerte sich dessen nur zu gut. Sie lebte noch immer in seinen Gedanken, in seiner Seele. Auch jenseits des Grabes herrschte ihr Geist über ihn oder man konnte eher sagen, der Teufel, der sie geplagt hatte, war jetzt in ihn gefahren. Und während Lars Larsen nun an diesen durchdringen- den Blick dachte, begriff er mit einem Male, daß eS sicher gänzlich wirkungslos gewesen wäre, wenn ihm ein alteS Weib aus dem Armenhaus einen solchen Blick zugeworfen hätte. So aber wußte man, daß die Madame auf dem Geldsack saß. und das wirkte. Das Geld hatte ihn durch sie beherrscht. Sein heißes Sehnen, es mit vollen Händen hinauszuwerfen, war nur ein knabenhafter Trotz gegen die Macht gewesen, die ihn schon in ihren Krallen hatte. Er erinnerte sich daran, daß eS feiner Frau in mancher Beziehung genau so gegangen war. Man konnte darauf rechnen, daß sie eines schönen Tages im Sommer sagen würde: Jetzt müsse es herrlich sein, in die Stadt zu fahren und ein gutes Theaterstück zu sehen. Oder sie wollte aus- gerechnet im Winter eine Landpartie machen. Sie hatte sich immer nur nach Unmöglichem gesehnt, war der Sklave ihres Geldes gewesen, so wie er es jetzt zu werden anfing. (Forts, folgt)