ör. 22.- 1916. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Ionnerstag. 37. Januar. Opern- unö andere Ziknftreiche. Das neuest«, viel und nicht gerade sehr beifällig besprochene Ereignis der Filmkunst, die Verfilmung von Richard WagnerS Lohen- grin, gibt Anlatz und Gelegenheit zu einer in Kürze gefaßten Be« leuchtung der Gireiche des noch immer jungen, noch immer auf der Suche nach Neuem, Entscheidendem, im Dunkel tappenden Film- betriebe«. Der unglaublich rasche Aufstieg des Films, seine außer« ordentliche Verbreitung und wirtschaftliche DebnungSmöalichkeit haben die Filmunrernehmer in dem allzu hastig gekurbelten Flimmertempo ihrer Eniwicklung ein« ziemlich lange Reih« von Fehlern begehen lassen, die im Hinblick auf den allerletzten Mißgriff den Lohen« grin auf der Leinwand in aller Eile gestreift zu werden verdienen. Nichts verwirrt oft mehr als ungeahnter Erfolg eine Beobachtung, die man von Jahr zu Jahr, von Manat zu Monat, ja fast von Woche zu Woche beim Film anstellen konnte. Die beiden Ziele, die der Film anstreben und erfüllen sollte<und die auch in seiner besonderen, technischen Art von Haus auS im Keime gegeben waren): Belehrung und Zerstreuung, wurden schnell in den Hinter grund geschoben. Dafür zog man alles alte Rüstzeug der Hinter lreppenrumpclkommcr hervor, um eS im Film zu verlebendigen und gerade hier wo eS am unerwünschtesten war, das Bild an Stelle des Wortes zu setzen. ES begann beim bluthungrigen und blutrünstigen Kinodrama und endete imLohengrin ". Die für den Lohengrinfilm in seiner ganzen Verschiebung der Mittel und Wirkungen charakteristischsten Momente charakterisieren auch die ganze lange Reibe der oft humoristischen, manchmal aber in ihren Folgen und Begleiterscheinungen nicht ganz unbedenklichen Filmverirrungen besser und schärfer als ein statistisch aufgestelltes Register seiner Sünden. Ter Hauptfehler der Lohengrinverfilmung ist zugleich der ewig und beharrlich wiederkehrende Grundfehler aller falschen Filmstroiche: ein Verkennen der Möglichkeiten und ein Verkennen des Zweckes. Welches find die besonderen, wesentlichsten Eigentümlichkeiten des FklmS, die ihn von der Theaterbühne unterfchetden und ihn in gewissem Anne überlegen machen? Die unbeschränkte Herrschaft über Raum und Zeit, unbegrenzter Szenenwechsel, Verwendung der Natur an Stelle gemalter Dekorationen, die Wiedergabe un« geschminkten, naiven Leben« an Stelle geschminkter, notwendig in einem Stil irgendwelcher Art gekleideter Kunst. Der Film soll ge- sehen, das Theaterstück vor allem gehört werden. Darum ist jede Verfilmung eines Bühnenwerkes an sich ein Unternehmen, das zu der Art des Felms in direktem Gegensatz steht. Für eine Verfilmung des Lohengrin war nicht der leiseste Grund gegeben, nicht das Neinste Resultat war zu erhoffen. Der Film soll über Zeit und Raum springen, das Lohengrinwerk ist auf eine knappe Reihe auch dekorativ fest umrissener Szenen gestellt. Der Film soll stumm sein Lohengrin soll auf das Ohr wirken. Der Film soll Bestehende« schildern Lohengrin soll eine Legende zum Bestehen bringen. Statt das Theater über die Grenzen semer Umfassungsmauern hinaus in das ungehemmte Leben, in die Un- endlichleic und Bielgestalt der Natur zu erweitern, kann und konnte der Leinwandlohcngrin den Film nur in die Enge de« ThealerbühnenraumeS drängen. Das Resultat war, daß man Lohengrin und Elsa, Ourud und Telramund , König Heinrich und sein Volk ihres fleischlichen Lebens beraubte und ihnen mangelhafte Stimmen im verborgenen Orchestereaum gab, die nicht aus ihrem Munde kommen, sondern aus einer fremden, von niemand gekannten, von niemand gewünschten Welt. Die bislang natürlichen und voll- gültigen Mittel würden durch unnatürliche, mühsam erzwungene und höchst unvollkommene ersetzt. So entstand ein Zwitlerding, das weder Oper noch Film, weder Theater noch Bild ist, ein Ding, das wie Lohengrin verschwinden wird, woher eS kam, und dessen ,Nam' und Ort" uns nie hätte verkündet zu werden brauchen. Ms die durch eme low Handlung elastisch und lose vereinigten Bilder aus dem natürlichen Leben nicht mehr genügten, erschien der Elnakier auf dem Schauplan, oder besser gesagt, auf der Flimmer- leinwand. Als der Einakter mit Fleiß und Mühe zu einem nur für die Bühne zweckmäßigen Szenenbau emporgeschraubt worden war. entwickette er sich zum Dreiakter. In noch immer ungestilltem, immer mehr und immer hartnäckiger auf falsche Bahn geleiteten Ehrgeiz bemühte man die anerkannten Dramatiker deS Theaters und ließ sie Filnrnücke die sogenanntenAutorenfilmS " schreiben, die natur­gemäß all das brachten, was der Film nicht bringen soll, und all das vermissen ließen, was wir von der Leinwand erwarten und verlangen. Und nunmehr kam der gekurbelte Wagner, der Lohengrin in der Flimmerkiste. Man bat behauptet, der Film dürfe nur populär wiffenschaft- liche und landschaftliche Bilder bringen. Doch man möge ruhig diese allzustrenge Grenze erweilern und auch unterhaltsame Films bringen, die lediglich der Zerstreuung dienen. Stets aber muß ein Stück Leben und Natur und ihre Schilderung Ursache und Zweck solcher Films sein, die Handlung dagegen lediglich Mittel und Vermittler. Erst dann wird der Film wieder werden, was er ursprünglich war und in Wirklichkeit einzig und allein ist: eine Zusammenfassung echter Bilder, die wir sonst nur dann und wann, einzeln, entfernt und zerstreut zu erblicken vermögen. Mit dem Filmeinakter fing es an, mit der Filmoper hörte es auf. Oder soll es noch immer weitergehen?....&. 1Z. Kleines Ieuilleton. »viel Lärm um Nichts" in öer Volksbühne. Herr Reinhardt überträgt sein Repertoire nach und nach von der Schumannstraße in die Volksbühne. Am Dienstag gewann Shakespeares in der Haupthandlung immer befremdendes, in dem Neckkampf Benedikt- Beatrice unver- gleichlich fein-witzig-humorvollcs, in den Gerichtödienerszenen Possen- Haft ulligeS Lustspiel seinen Regiekünsten neue Bewunderer. Das stimmungsvolle smalensche und musikalische) Beiwerk ist das gleiche reizvolle geblieben; der glänzende Rahmen entzückt; trotz der größeren Raumverhällnisse wirken die Drehbühnenzimmcr aber doch zuweilen gedrückt. Die Darstellung scheint trotz mancher Abschwächung des früher allzu Grellen im ganzen doch mehr auf Hand« greiflichere Effekte auszugehen. Merkwürdig, daß die viel zu breit ausgeladen« Behaglichkeit der Dummrian-Trottel- szcnen(worin WaßmannS siereoiyp gewordene Art sich ergiebig entialtet) immer noch soviel Gelächter auslöst. Die Hauptsache aber: ein keckeS, frischzupackendes, wortgewandtes Paar Benedikt-Beatrics gab dem ganzen Gestalt und Würze. Statt Bassermann- Ekse HeimS traten Bonn -Hermine Körner in die Schranken. Ein etwas reifes, überlegenes, selbstbewußtes Paar! Bonn reichlich kühl, Frau Körner reichlich spitz aber beide inter­essante, gewandte, finesscnreiche Wortballspieler. Geblieben waren aus der früheren Besetzung BienSfeldt als karikaturfftisch zu- gespitzter Don Juan , Diegelmann als jovialer Leonato und andere. Die junge Lebeweki von Anno dazumal, die den neben« sächlichen Haupthandel führt, erweckte wie immer auch darstellerisch wenig Teilnahme._ r. Der falsche Meöerüuft. Vor einigen Wochen traf an»er engktschen Fr»nt in Flandern ganz unversehens vtn Sonderbofehl ein, der jedem Mann die dringende Pflicht einschärfte, genauer wie bisher darauf zu achten, daß Gashelme und Schutzbrillen sich in bestmöglichstem Zustande befänden. Vergeblich fragten sich die Soldaten, wie der.Daily Telegraph " zu erzählen weiß, was der Grund dieser Maßregel sein könnte. Es war nichts zu erfahren; nur kam der Befehl, daß die GaShelme jetzt den ganzen Tag über getragen werden sollten. Kurz darauf erörterte man eines Abends die Möglichkeit eines Angriffs der Deutschen am nächsten Morgen. In der Nacht wurde nicht viel geschlafen. Kurz nach Tagesanbruch kam von den deutschen Linien herüber ein lieblicher Blumenduft, der von einem milden nordivestlichen Winde zu den eng- lischen Linien gelrieben wurde. Kein Zweifel, eS war echter und rechter Fliederduft, der die Luft eriüllte. Aber woher tonnte der jetzt milien im Winter kommen? Me standen erstaunt und sogen mit weitgeöffnetem Mund in vollen Zügen den p?rrlick>en Geruch ein. Aber plötzlich nahm die Siene dramatische Gestalt an. Em Offizier stürzte in rasendem Lauf vorbei und schrie etwa«, von dem man nur das WortSchutzbrille" heraushörte.Wer konnte auch ahnen, daß es tränenerregende Bomben waren, die den Geruch erregten", murmelte ein junger Leutnant, während er sich die nassen Augen abwischte.Nachdem die övl) Soldaten ihre Gasbrillen auf- gesetzt hallen, wurde es allmählich besser", erzählt der Berichterstatter desDaily Telegraph ".Wir erwarteten jeden Auzenbtick einen Angriff, der aber nicht kam. Um 8 Uhr morgens begann auf beiden Seilen ein höllisches Kanonenduell. Der Kampf war in vollem Gange. Dann kam der Befehl, die Gashelme aufzusetzen. Einige Minuten späier wälzte sich ein Streifen über den Boden uns entgegen. Als er uns er- reichte, gab er sich als ein Schwaden graugrünen Dampfes von etwa 2 Meter Höhe zu erkennen. Es war das erste Mal, daß wir mit dem Gas zu tun bekamen, und man kann sich unsere ängstliche Sorge vorstellen, mit der wir der Entwicklung der Dinge entgegen- sahen, und mit der wir uns die bange Frage vorlegten, ob die Helme uns genügend zu schützen vermöchten. Aber der kritische Augenblick war bald vorüber. Bald wurde es wieder hell. Der Gifmebel verzog sich, von einem Windstoß, der zu unserem Glück eine uns günstige Richtung hatte, hinweggefegt." Italiens Zeitungspapiernot. Die Kohlennot. die im Zusammenhang mit den schwierigen Schiffahrtsverhältnissen in Italien immer schärfer zum Ausdruck kommt, hat bereits eine ganze Anzahl industrieller Betriebe zur Stilleglmg gezwungen. Betroffen sind insbesondere durch den Mangel an Brennstoff auch die Papierfabriken, und der dadurch hervorgerufene Mangel an Druckpapier bereitet wiederum den Zeitungen schon seit geraumer Zeit nicht geringe Schwierigkeiten. Wie arg diese Verlegenheiten bereit« geworden sind, beivelst die folgende notgedrungene Erklärung, die derCorriere dclla Sera" im Sperrdruck an hervorragender Stelle veröffentlicht. Seit Beginn des europäischen Krieges", heißt es da. kämpfen die Zeitungen einen schweren Kampf, um sich das not­wendige Papier zu verschaffe». Nicht nur, daß der Preis ungeheuer-- lich stieg, nein, eS wurde auch immer schwerer, das unbediiigl er- forderliche Mindestquantum an Papier zu erhalten. Als dann Italien selbst in den Krieg eingriff, haben sich diese Schwierigkeiten noch erheblich verstärkt und die Lage wurde für die Presse rmmer bedenklicher. Infolgedessen hallen sich die großen italicinschen Zei­tungen, die bisher in einem Umfang von acht bis zehn Geilen erschienen, gezwungen gesehen. den Umfang auf sechs bis acht Seiten zu beschränken. Aber diese Maßnahme hat sich längst als unzulänglich erwiesen. Angesichts der hohen und beständig weitersteigenden Papierpreise und der Einschränkung der Papier« erzeugung, die immer größeren Umfang annimmt, ist die Not- wendigkcit einer weiteren Einschränkung des Pavierbcdarss unver- meidlich geworden. Der Verein der Verleger der Tageszeitungen hak es sich deshalb angelegen sein lassen, zwischen den einzelnen Zei- tungen eine Berstiindigung darüber herbeizuführen, daß die Blätter fortan statt der sechs bis acht Seiten umfassende Nummern alle ein- heillich nur»och Nummern im Umfange von vier Seiten erscheinen losten. Der Beschlutz soll dazu dienen, den Papierverbrauch zu der- mindern und gleichzeitig die Last der Papierpreise, die sich geradezu verdoppelt hoben, tunlichst zu mildern. Indem wir den Beschluß zur Kenntins unserer Leser bringen, geben wir gleichzeitig dem Wunsche Ausdruck, daß es unS bald vergönnt sein möge, aus einer Lage herauszickommen, die im gegenwärtigen Augenblick besonders schmerz- liche Gefühle wecken muß."_ Ein deutscher Urwald. ES dürfte nur wenig bekannt sein, daß sich in unserem Vater- lande ein richtiges Urwaldgcbiet befindet, und zwar in der Nähe des braunichweigischen Dorfes Hohegeiß . Zwischen diesem Orte und dem Wolfsbachtale pflegt, wie dieBraunschweigische Heimat" in ihtem letzten Heft mieteilt, die Forstvcrwallniig einen Naturschutzpark, in dem sich die größten und ältesten Fichten des HarzeS vor­finden. Auf dem etwa 15 Morgen großen Gebiete stehen 114 Baumrieien, die einen Umfang von mehreren Metern und einen Durchmesser von 1,10 bis 1,4ö Meter haben; ihre Höhe beträgt etwa SV Meter. Wie Zwerge erscheinen die jüngeren Fichten den älteren gegenüber, obwohl auch sie sckion einen Durchmesser von mehr als 8V Zentimeter haben. Die ältesten Bäume werden auf 2S0 bis 230� Jahre eingeschätzt. Vermutlich stammen sie also aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und sahen damals die raubenden und mordenden Heerscharen durch daS Waldgebirge ziehen. Riesigen Wächtern gleich erscheinen die Baumgreise, und doch müssen auck sie sich vor den Naturgewalten beugen. Am Nordrande des Bestandes hat der Sturm eine der Tannen kurz oberhalb der Wurzeln ab- gebrochen und quer über den Weg geworfen. Notize». Geräucherte Pflanzen. Der Pflanzenphystologs Professor Molisch veröffentlicht eine Arbeir überDas Treiben ruhender Pflanzen mit Rauch". Molisch brachte Zweige verschiedener Gehölze in der Zeit ihrer Nachtruhe in einen abgeschlossenen Raum. der mit Rauch erfüllt wurde. Darin wurden die Zweige 24 bis 48 Stunden gelassen und dann im Warmhaufe am Licht weiter kultiviert. Es zeigte sich, daß diegeräucherten" Zweige oft um t bis 3 Wochen früher austrieben als die ungeräuchertcn Kontroll- zweige. 12) Der Sang öer Satije. Ein Roman aus dem modernen Aegypten. Von Willi Seidel . Am meisten fiel für ihn an den Abenden ab, wo er singen konnte:O Nacht des herrlichen Freitag!" Denn dann war daS Volk gütig und vergnügungssüchtig, füllte die Brasserien und die Cafös oder ging Zigarotten rauchend in ein Twgel- tangel, ein hellblau gestrichenes LehmhauS mit einem schreienden, etwas mitgenommenen Plakat, das Daud schon oft mit Herzklopfen betrachtet. Bekam Daud nichts, so begnügte er sich mit einem Zuckerrohr, das er irgendwo stahl, und zer- schlitz es geräuschvoll saugend mit feinen kräftigen Zähnen. Er lehnte sich dann an die zementierte Nilbrüstung und sah die Fellucken landen und abfahren, unter dem unendlichen Gezänk der Bootsleute, oder blickte den Wasserträgern zu, die. im Seichten hockend, das schmutzige Naß mit den hohlen Händen blitzschnell in die Ziegenschlauche füllten. Seit Daud jedoch in der Schule zu einem Musterschüler und Vorsprechcr aufrückte, ward sein Ruhm von seinen Freunden nicht verschtviegen, und so hatte er eS nicht mehr nötig, sich lüstern an die Kaufleute heranzuschleichen und auf dem Magen Kreise zu beschreiben; sondern sobald die Männer ihn in Begleitung ihrer Halbwüchslinge kommen sahen, machten sie eine kleine einladende Gebärde mit der Hand, nebenhin und fast höflich. Manche unterbrachen ihr Gespräch sogar mit einem kurzen:Sei Mahs und des Propheten Gast und meiner dazu." Darauf erlaubten sie seinen zuvor gewaschenen Händen zugleich mit den ihren in den Kübel zu fahren. Daud bekam in den Läden vielerlei zu sehen, und seine Augen waren nie müßig. Der bescheidene Luxus der Aus- lagen beschäftigte seine Phantasie wie ein üppiger, leider immer viel zu flüchtiger Traum. Trotz alledem fühlte Daud sich behaglich und neidlos nach der Vorschrift jenes uralten Liedchens, das überall gelegentlich aufklingt, des stoischen Tagediebliedchens: Gott danken wir. Daß wir leben dürfen, Ob wir Honig Oder Zwiebeln essen, Ob wir auf Steinen Oder auf Seide schlafen!" DaudS Genosien waren brauner als er; ja, einer, dessen Vater ein Silberschmied auS Omdurman war, völlig schwarz mit straff gespannter Haut auf dem schnauzenähnlichcn Kinn.... Die Haut war zu karg bemessen und zog den Mund auseinander, wodurch das Gebiß glanzvoll schier bis zu den Backenzähnen herausbläkte. Dieser Sawan(so hieß er) war ein großer Springer vor dem Herrn; er hatte als ein rechter Sudanese keine Waden, sondern steinhartes, gleichmäßig um das Schienbein gruppiertes Fleisch und ebenso hornige Schenkel, weshalb es ihm im Laufen reiner gleichtat. Ein anderer, Afr, eines Bäckermeisters Sohn, verkaufte das ringförmige Weizenbrot, das er an Stäben aus gestapelt in einem Korb vor dem Bauche trug. Dieser war es besonders, der Daud nie hungern ließ, ja sogar Zwiebeln und Gewürz stahl, womit man eine fürstliche, eifersüchtig geheim gehaltene Mahlzeit hinter dem Tore einer Hotel- einfahrt oder in einem trockenen Bewässerungsgraben hielt. Dadurch nun, daß Afr beim Brotschleppen das Kreuz täglich stundenlang höhlte, bekam sein Gang auch in der Muße etwas Drolliges und unnatürlich Gestrecktes, wie der einer schwangeren Frau; und sein Hinterteil trat so steil heraus, daß er zuweilen unter Prügeln zu leiden hatte, deren Motive ihm dunkel blieben. Dies nun war das Verhängnis Afrs, des Brotverkäufers. Eines Dritten noch Erwähnung zu tun, so war dies Saffar, der Sohn eines Schneiders, ein kleiner Berberiner und stämmiger KrauSkopf, der Unschönste zlvar, aber am farbigsten Gekleidete von Dauds Freunden. Er besaß eine für sein Alter gewaltig gellende Stimme, die er in An- preisung seiner Ambrakerzchen zur Geltung brachte. Dafür, daß er mit diesem süßlichen und beliebten Weihrauch hausierte, bekam er einen Piaster für den Tag und war somit der reichste unter den Knaben. Wiewohl er sehr tierhaft und wenig umgänglich war, zog man ihn zu allen Unternehmungen hinzu.... Die vier Jungen lauerten, wenn sie ihrer Geschäfte ledig waren, an den Hotels, um Esel herbeizurufen, sobald die Freniden herauskamen, mit kleinen, frisch erhandelten Peitsch. chen tändelten und sich nach emcr Reitgelegenheit umtaten. Dann fuhren die Knaben frisch von ihrem Scherbenspiel aus dem Staube in die Höhe und unternahmen einen wilden Wettlauf nach dem nächsten Eselstand. Je eher man, wenn auch ungebeten, das Tier herbeischaffte, um so mehr Aussicht hatte nian auf einen zuweilen herrlichen Entgelt. Sawan pflegte dabei, wie erklärlich, den Löwenanteil einzu- heimsen.... Den weißen Esel, den Daud damals wahrgenommen, be- vor er zum erstenmal die Schule betrat, sah er jetzt häufig, fast täglich, und er trieb einen kleinen KultuS mit ihm in seinem Herzen. Denn er bemerkte jetzt auch, daß der Esel am Hals entzückende geschorene Muster trug, pikant ins Fell gezauberte Arabesken, desgleichen am Bauch, an den Hinter- backen und an der Wurzel des Schwanzes, um die der Knnstler einen vielzackigen Stern gebildet. Es war nicht so sehr der propre Esel, der ihn beschäftigte, sondern vielmehr das auf ihn gegründete, neiderrcgende Dasein des Treibers, jenes älteren humoristischen Knaben mit der blauen Kclabijc, der Geld machte und dessen Gerte wie eine Wünschelrute auf die Taschen der Fremden wirkte.... ch Eines Abends war Daud im Besitz eines großen Piasters und trollte durch die Gassen. Nachdem er sich hinlänglich an einer alten chinesischen Wahrsagerin sattgcgafft hatte, die blaue Hosen trug und auf offener Straße unter großem Andrang die Augen eines SteiuarbcitcrS kurierte, kam er an dem Tingeltangel mit dem schreienden Plakat vor- über. Das rhythmisch klirrende Gedröhn der Tamburine lockte ihn an; eS drang aus einem mit Hanfgeruch durchsetzten Tabaknebel; und durch die zeitweise zurück­wallende, geflickte Samtportiere sah er entzückt sich wiegende Köpfe schimmern. Grob hinausgeworfen, als er sich hineinstahl, legte er seinen Piaster hin und erntete ein erstauntes Grinsen des würdig an der Kasse hockenden Besitzers. Denn wo gibt c* einen Gassenjungen, der einen Piaster auf dem Altar einer Illusion opfert! Dann war er drinnen. Vor sich sah er zunächst eine Menge verschiedenfarbiger, leerer Pantoffeln, dann eine lange Reihe hochgczogener Füße, deren Zehen sich regten, als versuchten sie es beisallspend enden Händen gleichzutun. Ans einer langen Bank, die Knie im Sitzen gespreizt, die Köpfe von seiden- durchschossenen, gefransten Vauviwolltüchern oder turban- umsponnenen, blaubetroddelten Trrbuschen bedeckt, saß die Auslese der Honoratioren von Luksor . Sie blähten sich in olivgrünen oder braunen Mänteln, und aus den Aermel- stücken der seidenen gestreiften Hemden fuhren, da sie lebhaft sprachen, gestikulierende Finger hervor. Sie hatten Ringe, diese Finger, mit billigen, bunten Halbedelsteinen oder nach- gemachten Skarabäen besetzte Ringe, und Daud. der sich, ganz klein und unsichtbar, auf dem Boden halb unter eine Bank geflüchtet, ward überrieselt von dem Anblick und von dem Gedanken, welch himmlisches Wohlleben doch auf Erden mög- lich sei. Er verhielt sich ganz still und genoß.(Forts, folgt.)