Nr. 86.- 1916. Unterhaltungsblatt öes vorwärts liknstag, 11. April. Soliöaritat. Die Straße, die von Ramur die Maas abwärts führt nach Huy, dringt den Wanderer bald hinter der Stadt durch ein Flußtal, wie es schöner und abwechselungsreicher seilen gesehen wird� Am Flusse entlang ziehen sich reiche Wiesen und Kornfelder, ansteigend gegen die Felsen rechts und links des Flusses bedecken Hopfengärten den siuchlbaren Boden. Den Felsen selbst hat der Mensch die Flanken aufgerissen und ihren Eingeioeiden den Marmor entnommen, den er in zahlreichen Oesen zu Kalk brennt. Zu dem Ertrag des Bodens gesellt sich der Ertrag zahlreicher Steinkohlengruben, die wieder viele Hüttenwerke und Fabriken speisen. Eng drängen sich hier im Maastal Landwirtschast und Industrie zusammen, und die Arbeiter in der Industrie betreiben vielfach noch kleine Landwirtschaften fernab von den Fabriken. An den Flüssen der Felsen haben sie oft ihre kleinen Häuschen an- angelehnt, um das Häuschen ein wenig Land angebaut, worauf sie Gemüse ziehen, Hühner halten und Kaninchen. Freilich der Rauch und der Lualm der Hüttenwerke füllt oft das ganze Tal aus und legt sich wie ein giftiger Brodem über die Fluren und die kleinen Häuschen. Mutter daheim muß ununterbrochen tätig sein, um die Fensterscheiben des Häuschens blank, die Wände weiß und die Türe und die Fensterläden im frischen Grün zu erhalten. Ja, manchmal sieht man ein Mütterchen, wie sie mit dem Staubwedel den Ruß von den Blumen und den Kohlköpfen im Garten fegt. Eine gute Stunde von Namur weg erbeben sich die gewaltigen Felsen von Grands Malades. Im Mittelalter soll hier ein Krankenhaus für Aussätzige gestanden haben. Die Aussätzigen verschwanden und mit ihnen das Krankenhaus. Zurück blieb bei den Umwohnern eine gewisse scheue Furcht vor dem Tore. Dicht dei den Felsen steht ein Häuschen, das mit seinen hellen Fensterscheiben wie mit fröhlich zwinkernden Augen nach der Maas zu lugt. Bor dem Hause liegt ein nicht zu großer Garten, der Blumen in schön geordneter Fülle und unter und neben den Blumen alles hervorbringt, was die Hausfrau gebrauchen kann, zu ab« wechslungSreichen Mittags-mahlen. Sorgsam war dieser Garten um« begr. seine Gänge, mit frischem, weißem Kies bestreut, sehen aus, als würden sie jeden Morgen ausgewaschen. Gegen den Felsen zu waren aus Kisten und Kasten Slälle sür Hühner und Kaninchen hergerichtet. Nach Südwesten zu lag vor dem Hause ein Kartoffel« seid. An der Ecke zwischen Haus und Feld ragte ein alter Birn- bäum empor, das Haus schützend gegen die Strahlen der Nach- Mittagssonne. So stand das Häuschen da vor dem Kriege und so sieht es noch jetzt. Der in dem Häuschen wohnte, war ein Messerschmied, der in Namur arbeitete, abends auf flinkem Rade nach Hause fuhr, sein Weib und seine Kinder herzte, sich an den breiten Tisch setzte und mir dem prächtigen Appetit des Arbeiters sein Mittags« und Abend- mahl einnahm. Hubert Frapoulle war nur ein einfacher Arbeiter; aber das Häuschen mit dem Garten und dem Felde war sein Werk, das Werk seines Fleißes und seiner Feierabend- arbeit. Wenn er daher nach dem Essen vor das Haus trat, reckte er seine Brust und sein Gesicht lachte aus im Stolz über sein Werk. Er schüttelte aber auch manchesmal feine Faust hinüber nach dem Hüttenwerk, wenn es mit Hilfe des abendlichen Südwestwindes seinen Oualm nach dem Häuschen spie. Als Hubert seinerzeit die Denise in Namur geheiratet hatte, war ihm die Siadt zu eng und zu laut sür sein Glück. Er pachtete das Stückchen Land mit dem alten Birnbaum und dem damals ziemlich verfallenen Häuschen. Er bekam es billig. Bei den Umwohnern spukte noch die Erinnerung an die Aussätzigen von Grands MaladeS. Sie wußten nichts Schlimmes z aber sie fürchteten eS. Hubert lachte über die Warnungen:»Liebe und Arbeit machen die Hölle zum Paradies, wenn der Teufel auch Rauch speit!" Und er wies hinüber zu dem Hüttenwerk. Zehn Jahre lebte Hubert mit seiner Denise bereits an den Grands Malades. Und wahrlich, sein Wort hatte sich erfüllt. Häuschen und Garten wurden von Jahr zu Jahr schmucker, Dönise voller, runder und rotbackiger, und von zwei zu zwei Jahren kam immer umschichtig ein Bub und ein Mädchen in dem Häuschen zur Welt. Hubert hätte nun recht selbstgenügsam werden können: In Naniur hatte er seinen verhältnismäßig guten Verdienst, daheim schaffte in Haus und Garten sein Weib, und Gesundheit und be« fcheidenes Glück schienen das kleine Paradies nicht verlassen zu wollen. Aber er wurde nicht genügsam. Im Gegenteil, als es anfing, ihm gut zu gehen, fing er an, zu denken, warum es nicht alle Arbeiter so hätten wie er. Hubert hatte nicht die Natur des Pharisäers: Herrgott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie die anderen. Er sah sein Glück als einen Ausnahmesall an, und das Herz schmerzte ihm, wenn er das Elend und die Not seiuer Arbeitsbrüder sah. Wenn er seine Faust ballle und hinüberschüttelte nach dem Hüttenwerk und den Kalköfen war eS nicht nur des DualmeS und des Rauches wegen, es war, weil er in ihnen, so wie sie waren, die Hölle sah, die da? Leben seiner Kameraden ver- gifteten. Die Kameraden, die ihn zuerst init einein Gefühl nicht des Neides� aber der Abneigung bclrachlet hallen, wie einer der über sie hinaus wolle, gaben ihm bald ihr Vertrauen. Sie kamen an den Feierabenden zu ihm und an den Sonntagen. Er gewann sie für seine einfachen Gedanken: zusammenstehen und sich helfen. Er organisierte sie und die Hütlenbesitzer merkten bald, daß in ihre Arbeiterschaft ein anderer Geist eingezogen wäre. Er gründete init den Kameraden in Marche-lcS- Domes einen Konsumverein und, sich selbst erst einweihend in die Ideen des Sozialismus, wurde er der Vermittler dieses Evangeliums der sozialen Befreiung und wirtschaftlichen Gerechtigkeit für seine Freunde. Der Denise ging mit dem neuen Leben ihres Rlannes selbst ein neues Leben auf. Sie gewann ein Ideal, zu dem sie ihre Kinder erziehen konnte. Ueber HauS und Garten hinaus bekam sie ein wefteS Arbeitsfeld bei den Frauen der Kameraden ihres Mannes. So kam der April des Jahres 1913 und Hubert konnte zehn Tage laug in seinem Garten arbeiten und kein Rauch lind Oualm der Hüttenwerke und der Kolköfen störte ihn. Seine Kameraden hatten im Generalstreik sür ihr politisches Recht diese Gift- speier stillgelegt. Und wieder reckte Hubert die Brust und über sein Gesicht huschte ein stolzes Lächeln auch das war sein Werk mit. »Das Glück liegt in uns", sagte er oft zu seiner Gefährtin Dönise;»arbeiten muß mau für sich und für das ganze Menschheit- liche und nie verzweifeln!" Er hatte gut getan, daß er das seiner Dänise so oft gesagt hatte. Denn der August 1914 kam und Hubert kehrte eines Tages vorzeitig aus Namur zurück. Düster die Miene sagte er kurz, hinüberweisend auf die Hüttenwerke:Die Hölle hat es geschafft: sie speit ihr schlimmstes Gift über die Welt und die Völker. Es ist Krieg, Denise, und ich mutz fort!" Ja, es war gut, daß er immer gesagt hatte: nicht verzweifeln. Denn Denise schrie auf:Hubert, und die Arbeiter!"Werden Menschen bleiben und Sozialisten, wenn auch die ganze Hölle los ist!" antwortete ruhig Hubert. Einige Stunden darauf nahm er Abschied von seinem Häuschen, seiner Denise und den Kindern. Dönise hatre nun ihre Arbeit: Verzweifelte auftichten, den Frauen der Kameraden helfen und, als der Krieg näher rückte und endlich zu ihnen ins Maastal kam, Unbesonnene warnen und dem Hunger steuern. Diese Arbeit ließ sie nicht zur Verzweiflung kommen, die manchmal wie ein Reptil sich heranschlich und sie ergreifen wollte. Im August 1914 schien eine Granate auch ihr Häuschen, nach- dem der Krieg schon Garten und Feld verwüstet hatte, zu zerstören. Zum Glück brannte nur das Dach ab, und sie konnte im Häuschen bleiben. Einige Monate kamen ältere Männer mit grauen Mützen auf dem Kopf und nahmen im Häuschen Quartier. Denise wich ihnen scheu aus, als sie kamen. Sie traten in die Stube und sahen an den Wänden ihnen woblvertraute Bilder hängen. Ein kurzes Staunen, ein Blick nach der Frau mit den Kindern in der Ecke; dann trat einer auf sie zu, langte die Hand hin:Kameraden, Madame l" Sie nahm die Hand und die Kinder nahmen die Hände, die sich ihnen entgegenstreckten. Menschen hatten sich in einem Augenblick zusammengesunden, alles Trennende war überwunden, aus dem Geiste des Sozialismus war in fremdem Lande zwischen Fremden eine neue Familie der Hilfe und deS Verstehens geboren worden. Die Landstürmer sollten die Bewachung der Straßen in der Nähe ausiühren. Wenige Stunden nach ihrer Einkehr in Huberts Häuschen standen die Männer des Krieges an der Arbeit des Friedens. Der Garten wurde umgegraben und geordnet. Vom Dache die angekohlten Ballen geräumt; die Kisten und Kasten wieder zu Ställen zusammengefügt. Und als es Abend war, satz um den Tisch eine große Familie und Väter hatten Kinder auf den Knien. Nur Denise weinte still vor sich bin. weil sie an Hubert dachte, der noch nichts hatte von sich hören lassen, seit er wegging. In den werteren Wochen wurde dos Dach des Häuschens wieder aufgerichtet von den Landstürmern. Dönise kochre für die Land- stürmer und konnte so mancher Kameradin in harten Tagen die Schüsieln füllen. Der Winter kam und brachte Nachricht von Hubert. Er war verwundet in Gefangenschaft geraten und war zuversichtlich für die Zukunft. Von diesem Tage an röteten sich die Wangen Dänisens wieder und jetzt erst fand sie sich näher mit ihrer Ein- quartierung zusammen. Die Landstürmer hatten Häuschen und Garten in die alte Ordnung gebracht, als sie abgelöst wurden. Sie schieden von Denisen und ihren Kindern wie liebe Angehörige. Als Denise danken wollte, wehrten sie rasch ab:»Aber Madame, das war doch unsere Pflicht gegen ihn, unseren Kameraden. Die Haupt- sache ist doch, daß wir uns helfen. Wir sind uns doch keine Feinde Denise sagte leise:»Ah, ich weiß jetzt, was Solidarität ist. O wird sich mein Hubert freuen, wenn er heimkehrt und sieht, wie sein Vertrauen gerechtfertigt wurde, das er beim Abschied als letztes mir hinterlassen hat." Das ist die einfache Geschichte von dem Häuschen an den Grands Malades. Aber Dänise geht durch Garten und HauS, gebt hinüber nach dem Felde und sieht Früchte reifen, die jene Land- stürmer gesät. Und ihr Herz sagt ihr: Ah, eS wird eins große lFrucht heranreifen für die Menschheit auS dem, was hier einfach und still wirksam war aus der Solidarität des Sozialismus,(z) _ L. 0. kleines Zemlleton. Zeugnis einer Englänöerin für Deutschlanö. Während cs in der französischen Presse in ständiger Rubrik heißt, daß den Kriegsgefangenen in Deutschland die Post Briefe und Liebesgaben entweder unregelmäßig zugestellt oder vor- enthalten oder gar beraubt werden, was alles falsche Behauptungen sind, zeigt dieTimes" in ihrer Nummer vorn 13. v. Mts. eine Anwandlung von GevechtigMtsgefühl. Sic gewährt der Zuschrift einer englischen Dame Raum, die bestätigt, daß den englischen Ge- faugenen in Deutschland ihre Post regelreckt zugeht. Frau Ecuuilla Picton-Warlow von der Browersorgungsstiftung für Kriegsgefangeue(Flottes stellt in dieser Zuschrift fest, daß das von der Brotstiftung für Kriegsgefangene von Bedford mit der Post über Holland nach Deutschland gesandte Brot in vollem Ilm - fange und guten: Zustande bei den gefangenen Engländern in Deutschland eingetroffen ist. Können Gefangene nicht aufgefunden werden, so sind die Pakete allerwogen unberührt und keineswegs geöffnet zu mir zu- rückgekommen. Das Brot war nach in bestem Zustande." Insbesondere wird die regelmäßige Ankunft der Brotsendungen in Wittenberg betont und auf eine Bestätigung dieser Tatsache durch einen kürzlich nach England zurückgekehrten Offizier hin- gewiesen. Er erklärte, alles Brot käme vollftändtg und in aus- gezeichnetem Zustand an. Die gleiche Bestätigung haben der Eng - landerin Austauschgefangene gegeben. Welchen Umfang die Sendungen von Bedford allein haben, er- gibt sich ans der wöchentlich von dort erfolgenden Abseudnng von 5600 vierpfündigen Broten. Allein seit Sonntag sind über 4000 Enchfangsbestätigungen eingelanfen. Sicherlich ist das ein Beweis dafür, daß das Brot ankommt. Ich bitte das Publikum, nicht auf Einzelfälle zu boren, wo das eine oder andere Paket sich verirrt. Ich persönlich glaube nicht, daß die Deutschen irgendein Postpaket öffnen oder etwas von dem Inhalt entfernen. Ich habe darüber sorgfältige Nach- forschungen angestellt."_ künstliche Nasen. Nichts kann den Menschen mehr entstellen als eine Verletzung oder Verstümmelung der Nase. Da nun der rauhe Krieg auch solche vielfach herbeiführt, so ist es sehr erfreulich, daß die Ansertigung lünstlicher Nasen erhebliche Fortschritte zu verzeichnen hat. In derMünchner Medizinischen Wochenschrift" gibt Professor Dr. Zinsscr eine Anleitung zur Anfertigung solcher Nasen. Zunächst wird der fehlende Teil aus Ton oder Wachs modelliert und danach ein Gußmodell hergestellt. Zum Guß der Proihese(Ersatzstückes) dient eine Gelatinemasse besonderer Zusammensetzung, die durch Farben zunächst auf den richtigen Ton gebracht wird. Die Masse wird im Wasserbad geschmolzen, in die Gußform eingeführt und ist dann im wesentlichen auch zum Ausetzen serüg. Selbstverständ- lich kann sich die Farbe dieser künstlichen Rais niemals ganz mit der Hautfarbe decken und deshalb wird die Prorhese und die angrenzende Haut mit einem lercht gefärbten Puder bestäubt. Man kann auch noch ein paar Aederchen oder Sommersprosien aufmalen. Die Kranken lernen es sehr raich, sich ihre Nasen zu gießen und selbst" zu befestigen,.�zßie können trotz der Proihese die Nase putzen,� sie können sich mitTaltem Waffer waschen. Ein großer Vorzug dieser künstlichen Nasen! ist der. daß die jetzt anhaftende starr gclarinöse Masse nicht wie ein Fremdkörper im Gesicht sitzt, sondern die mimi- ichen Bewegungen des Gesichts mitmacht. Die Kosten sind sozu- sagen null._ Notize«. Theaterchronik. In der Volksbühne gelangt dem- nächst eine der klassifchen Alt-Berliner Possen zur Darstellung:Die Mottenburger' von Kalisch und Weirauch. Eine große Ercrsammlung wird das Berliner Naturhistorische Museum erben von den: Vogelkenner und Samm- lcr Adolf Nehrkorn , der in Braunschweig gestorben ist. Die Bevölkerung W i l n a s betrug nach der Ende März vorgenommenen Volkszählung 136 880. Vor dem Kriege hatte die Stadt 200 000 Einwohner gezählt, viele davon haben die Russen fortgeführt. Von der verbleibenden Bevölkerung sind 68 687 Polen , 69112 Juden, 3676 Litauer u. u, a. 1047 Deutsche, 6� Cnörik Kraupatis. Eine litauische Geschichte von Ernst Wichert . Du aber, Mutter" Was weiter? Ich bin eine alte Frau, die nur den einen Sohn hat. Wenn ich.selbst� für Dich unschuldig im Zuchthause hätt sitzen können, ich war schon längst drin. Aber sie nehmen da nicht den einen für den anderen. Es mußt auf andere Art geholfen werden, daß Recht Recht bleibe. So wird's der liebe Gott auch ansehen. Ich bitte ihn jeöen Sonntag in der Kirche darum und stecke jedesmal ein großes Geldstück in die Büchse, daß die Aeltesten sich schon gewundert haben, wo das herkommt." Wird öie Jlsze schweigen?" Das tut sie sür sich selbst." Und sonst weiß keiner davon? Keiner?" Keiner. Endrik. Auch Deine Frau nicht. Sie darf es nicht wissen, sonst kommt's bald aus. Sie ist wie im Kopf verstört seit dem Brande Du hast sie ja noch gesehen, bevor sie Dich abführten. Gegen mich war sie anfangs gut. so wenig wir uns auch früher verstanden haben Du hättest die Deutsche nicht heiraten sollen, Enörik, die Salzburgerin aber seit ich mich bemühe. Dich aus dem Zuchthause heraus- zubringen, spricht sie kein Wort mehr mit mir und dreht sich ab. wenn sie mir einmal hier in der Küche begegnet. Ich Hab nicht aus ihr klug werden können. Denn man hat doch gemeint, daß sie Dir gut gewesen sei und es als ein rechtes Glück angesehen hat, Deine Frau zu werden; aber nicht den kleinen Finger hat sie für Dich rühren wollen, wie ich sie auch gemahnt habe. Das versteh ein anderer." Kraupat schwieg und sah finster vor sich hin. Erst nach einer Weile fragte er:Glaubt sie daran?" Woran?" An das mit der Jlsze." Sie muß wohl. Aber sie hat nichts gesagt. Es ist auch nötig, daß sie daran glaubt. Das mußt Du nun schon bei ihr auf Dich nehmen. Endrik. Bitte sie um Verzeihung. Wenn sie Dir jemals von Herzen gut gewesen ist und Du bist ja doch der Vater ihrer Kinder." Jawohl jawohl" sagte er und strich sich mit der Hand über die Augen. Und dann abbrechend, erkundigte er sich nach seinem Sohn, der in der Stadt in Pension war und das Gymnasium besuchte. Nachdem er kurze Auskunst erhalten hatte, reichte er der alten Frau seufzend die Hand und begab sich wieder in den vorderen Flur. Eine Minute lang stand er an der Zimmertür. Endlich öffnete er. Frau Bertha Kraupat saß auf einem alten Lehnstuhl, der ein wenig vom Fenster abgerückt war, so daß man sie von außen nicht bemerken konnte. Sie hatte auf einem Holz schemel neben sich eine Arbeit und ein Gesangbuch liegen, be schäftigte sich aber mit beiden nicht, sondern hatte den Kopf mit den dünnen, blonden Haaren hinten angelehnt und starrte zur Decke hinauf, während die Arme auf den Seitenlehnen auflagen und die langen, dünnen �Finger unruhig an dem geschweiften Holz herumtasteten. Sie sah erschreckend bleich aus, kein Tropfen Blut schien in ihren Adern zu fließen. Die Stirnhaut über den Augenknochen war wie nach den tief liegenden Schläfen gespannt, der Mund fest verbissen. Mare stand hinter ihr und hielt ein Kissen in der Hand, das sie ihr unter den Kopf schieben wollte, der jedoch nicht nachgab. Sie fuhr erschreckt zusammen, als die Tür knarrte, änderte aber ihre Haltung nicht. Nur atmete sie hastiger und das Gesicht drückte das Angstgefühl aus, das ihre Brust beklemmen mochte. Kraupat trat ein paar Schritte näher. Auch er war bleich wie die Wand.Berta," sagte er unsicher,wie geht es Dir?" Gut ganz gut," antwortete sie, ohne umzusehen, hastig und scharf. Da bin ich nun wieder zu Hause," fuhr er fort. Von wo kommst Du?" fragte sie wie geistesabwesend. Von wo? Du weißt es ja doch." Ja, ja aber laß es das Kind nicht hören." Was ist denn dabei? Ich bin ja doch stetgesprochen." Die Frau fing plötzlich heftig zu schluchzen an.O mein Gott, mein Gott," jammerte sie. Er ging zu ihr und legte etwas zaghaft die Hand auf ihre Schulter.Wär's Dir denn lieber, Berta, ich hätt' meine Zeit absitzen müssen? Das eine Jahr freilich das ist ein Unglück, wogegen man nichts kann. Wenn man hinterher freigesprochen ist, meine ich" Sie schluchzte weiter. Freut es Dich denn nicht, mich wiederzusehen, Berta? Laß das dumme Weinen und gib mir einen Kuß zum Will- kommen. Es ist wieder alles wie vorher." Nie nie!" rief sie leidenschaftlich, indem sie ihren Arm fortzog.Wir sind so glücklich gewesen, Heinrich" Und können wieder glücklich sein. Warum nicht? Ich bin freigesprochen das Versicherungsgeld muß gezahlt werden, wir können die Mühle neu aufbauen oder" Sie schüttelte sich wie im Fieberfrost.Nimm das Geld nicht," sagte sie, wie von Angst getrieben. Das wäre närrisch," meinte er.Wie kannst Du so etwas raten?" Die Frau wendete sich ihm mit einer hastigen Bewegung zu, umfaßte seinen Hals und sah ihn mit den erhitzten Augen ängstlich bittend an.Nimm das Geld nicht. Heinrich." wiederholte sie.Es ist ganz Dein Verderben. Ich will Dir alles verzeihen, Heinrich aber aber" Hm- was das anbetrifft, das Verzeihen" Er stockte und sah sich nach dem Kinde um.Laß uns eine Weile allein. Mare- ich Hab' mit der Mutter zu sprechen. Nachher ruf' ich Dich wieder." Berta hielt sie am Rock fest.Nein, bleibe" Das Mädchen war unschlüssig, was es tun sollte. Geh," rief der Müller in streng befehlendem Tone. Ich will's so. Bin ich nicht mehr Herr im Hause?" Die Zornader schwoll ihm. Aber er faßte sich rasch wieder, streichelte Mare das Haar und die Wange und sagte freund- lich:Geh cs ist nichts für Dich." Nun gehorchte Marc. Die kranke Frau gab allen weiteren Widerstand auf. Berta," begann er, als er sich mit ihr allein sah,was Du da von Verzeihen sprichst das hat etwas für sich. Wes- halb ich freigesprochen bin, das geht keinem anderen eftvas an. Dich aber na ja, ich kann mir wohl denken, daß es Dir recht fatal zu hören gewesen ist, daß Dein Mann in der ganzen Zeit, solange wir verheiratet gewesen sind, hast Du Dich nicht zu beklagen gehabt ja, das ist nun einmal ge- schehen, und ich gestehe mein Unrecht ein" Heinrich," schrie sie auf,Du gestehst" Was kann ich anders tun? Ich sage, es ist einmal ge- schehen. Und daß es unrecht war, gestehe ich ein. Man ist manchmal wie vom Teufel besessen, und wenn so eine Person cs drauf anlegt (Karst. Mgfd