Kr. 150.- 1916 0�0 t)OttDCitt0?«Mrtst«8,29,|»m. Wasier aus den hübschen Brunnen Irmken, Ivo es sich lieblich mit den Abwässern aller Häuser vermischt, so musi man bei- nahe glauben, es sei wahr, weil andererseits keine wesentlichen Er- krankungen vorkommen. Unter den Truppen überhaupt nicht und die Zivilbevölkerung läuft ja doch gleich zum deutschen Stabsarzt, fehlt ihr etwas. Also ist seine Tatenlosigkeit ein Beweis für Ge- sundbeit der anderen. Den Festtag feierten wir durch einen Aufstieg auf den Burg- Hügel im Norden der Stadt. Er reckt sich steil auf, etwa 1000 Meter und ist mit Gletschergeröll bedeckt, zwischen das einst festes Ge- mäuer gefügt wurde. Nun liegt es lange in Trümmern, aber die Bauart läßt sich vermuten, weil zahlreiche Löcher in den Mauern darauf hinweisen, wo Balken lagen, die Balkons und überragende Stockwerke trugen, wie sie jedes stattlichere Gebäude hier auf dem Lande auch auszeichnen. Nun weiden zwischen den Resten Eselkarawanen, ihre Treiber hoben die höchste Zinne erklommen und lasten dort ein Fähnlein wehen. Der Aufstieg war trotz früher Morgenstunde arg heiß, so datz wir ihnen nicht erst folgen, es wird da oben auch nicht mehr zu sehen sein als hier beim Herumwandeln. Unten dehnt sich die Ebene, und jedes einzelne Feld ist deutlich erkennbar. Man sieht, wie fleißig das Land bestellt ist, unterscheidet die Felder mit jungem Grün und die frischen Umbruchs, während die Weiden in größeren Stücken dunkel dazwischen liegen. Um die Felsen kreischen die Dohlen, ein Falke streicht ab, am Nordabhang, über den wir jetzt mehr herabrurschen als steigen, bläst ein Hirte seinen Schafen etwas auf einer Flöte vor. Dort liegt zwischen die Felsen geschmiegt ein altes Kloster mit Kirchlein. Als die Truppen kamen, waren noch fünf Mönche darin, jetzt hat sich eine deutsche Kolonne einquartiert und wartet sehn- süchtig auf das Reifen der Früchte an den alten Bäumen. Die Wohngebäude ruhen auf morschen Pfählen, um riesige Veranden liegen die Zimmer, in denen einfachster Hausrat steht. In der Kirche ist wenig Sehenswertes, die alten Heiligenbilder, die irgend- eine Märtyrergeschichte melden, sind überall die gleichen, man weiß nicht einmal, wie alt sie sein mögen, denn ihr Stil ändert sich nicht, ob sie, wie dies eine, auf zermürbte Leinwand gemalt ist, oder das daneben sich als ein gewöhnlicher Oeldruck herausstellen, Pflegestätten hoher Kunst waren diese Klöster jedenfalls nicht. Immerhin mutz es herrlich sein, nach abgeschlossenem Leben in der schönen Natur, der warmen Sonne und dem frischen Winde, der von Albanien herüberweht, dort oben zu sitzen und nichts zu tun, als Gott einen guten Mann sein zu lasten I Ich würde es mindestens vier Wochen lang aushalten. _ I. v. B.(z) Kleines Feuilleton. Das teure Sacharin. Ueberoll dort, wo der Zucker nur feines süßen Geschmacks willen verwendet wird, kann man das süßere Sacharin verwenden. Der Privatmann aber, der seinen Kaffee damit süßen, seine eingekochten Früchte mundgerecht machen will, muß das HOfache Sacharin benutzen, das nur in kleinen Röhrchen zu 20 Pf. in den Apotheken abgegeben werden darf. Eine Schachtel mit 250 Tablettchen kostet 2 Mark, während man bisher in den Apotheken für das nur gegen Rezept erhältliche SOLfache Sacharin 2,50 M. für 800 Tabletten zahlte. Vor der Einführung des Sacharingesetzes wurde ein Röhr- chen mit 5 Pf. verkauft, wobei sowohl dem Erzeuger wie dem Händler Nutzen verblieb. Der Privatmann muß also das Sacharin, das er bekommen kann, sehr teuer bezahlen. Bei der gewerblichen Ver- Wendung ist der Sacharinpreis so hoch festgesetzt worden, daß damit hergestellte Erzeugnisse nicht billiger abgegeben werden können, wie solche mit Zucker. Der Konsument mutz also auf Nährwert ver- zichlen, sie aber bezahlen. Nach einer Mitteilung der»Pharmazeutischen Zeitung" sollen die Kriegsgesellschaften, durch die das Sacharin geliefert wird, etwa 100 M. für das Kilogramm erhalten. Nun hat bis vor dem Kriegsausbruch der Auslandspreis für Sacharin etwa 10—12 M. betragen, d. h. die deutschen Fabriken konnten es smit Gewinn) zu diesem Preise liefern. Auch wenn man berücksichtigt, daß im Kriege die Herstellung verteuert wird, daß der Staat weniger Einnahmen aus der Zuckersteuer hat, läßt sich also der Sacharinpreis im In- land sehr wohl herabfetzen, wenn man nicht beabsichtigt, den Zucker- Mangel stillschweigend zu besteuern. Jmmelmann als Segner ües Alkohols. Der Fliegeroberleutnant Jmmelmann, besten Laufl'ahn der Todessturz ein Ziel gesetzt hat, hat sich, wie die„Klinisch-Therapeu- tische Wochenschrift"(Verlag von Dr. Rothschild in Berlin -Wilmers- darf) mitteilt, gegenüber der Leitung des deutschen Vereines gegen den Atitzbrauch geistiger Getränke auf eine Anfrage hin als Gegner des Alkohols bekannt. Unter anderem hat er geschrieben:„Ich halte in der Tat nichts für lähmender und niederdrückender, als den Ge- nutz geistiger Getränke, in welcher Form das auch fei. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, zu beobachten, daß sogar kleine Mengen Alkohol die Entschlußfähigkeit, die Denkkraft, die Geistesgegenwart ungünstig beeinflussen. Wie für alle, die ein schnelles Fahrzeug führen, z. B. Lokomotivführer, Automobilführer, so ist auch für uns Flieger das Meiden des Alkohols ein Haupterfordernis, um erfolgreich tätig sein zu können, ohne über überanstrengte Nerven klagen zu müssen." Die gleiche Aysicht haben andere Lustfahrer betont. So hat der amerikanische Kriegsberichterstatter Karl von Wiegand aus dem Munde eines Luftschifführers, der sich an den Angriffen auf England be- teiligt hat, folgenden Ausspruch aufgezeichnet:„Wir alle enthalten uns vollständig aller geistigen Getränke auf den Zeppelinschiffen, denn wir brauchen klare Köpfe und gesunde Nerven, und das sind Dinge, die der Alkohol nicht begünstigt. Auf einem Zeppelin geht es zu, wie in einer Sonntagsschule: eS wird weder getrunken noch geraucht,"_ Die amerikanische Miliz. Durch den Aufruf von 100 000 Mann der Milig der Vereinigten Staaten durch den Präsidenten Wilson wurden zwei Drittel der ge« samten organisierten amerikanischen Miliz unter Waffen befohlen. 100 000 Mann sind auch die Gesamtzahl der aktiven amerikanischen Armee, so daß die Vereinigten Staaten bei vollkommener Kriegs- Mobilisation aus dem aktiven Heer und der Miliz eine Streitmacht von nicht mehr als 250 000 Mann aufzustellen vermögen. Da diese Zahl alles eher als bedeutend ist, steht dem Staatsoberhaupt jedoch die Möglichkeit zu, die Armee im Bedarfsfalle durch Zitierung des Milizgesetzes zu vergrößern, das besagt, daß„jeder gesunde männ- liche Bürger der einzelnen Staaten und jeder Fremde, der sein Ge- such um Naturalisation eingereicht hat, der sog. Reservemiliz an« gehört. Nur der Staat Nevada besitzt keine organisierte Miliz, sondern nur eine Reservemiliz in der Höhe von 15 000 Mann. Falls eine Mobilisierung der Reservemiliz notwendig sein sollte, würde dies in den südlichen Staaten höchstwahrscheinlich große Schwierig- leiten hervorrufen, da auch die dort lebenden Neger der Reserve- miliz angehören._ Notize». — Die dauernde Einführung der Sommerzeit. Der Vorstand der Handwerkskammer in Berlin hat sich in seiner letzten Sitzung auf ein Rundschreiben des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertagcs dafür ausgesprochen, daß die durch die Bundes- ralsverordnung vom ö. April 1916 ass gesetzliche Zeit eingeführte sogenannte deutsche Sommerzeit zu einer dauernden, für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. September jeden Jahres wiederkehrenden Einrichtung gemacht werde. — Massen speis ung und Gasverbrauch. Für die von der Stadt Berlin beabsichtigte Massenspeisung soll als Feuerung das Gas dienen. Es werden 300 Kessel von je 600 Liter Inhalt mit Gasfeuerung beschafft. Der tägliche Gasverbrauch wird auf 10 000 Kubikmeter geschätzt. Etwa die Hälfte hiervon wird in den so versorgten Haushaltungen an Gas gespart werden; durch die Massenspeisung würde also der Gasverbrauch in Berlin täglich um 5000 Raunimeier gesteigert. — Wieviel neue Briefmarken trotz oder infolge des Krieges herausgebracht worden sind, weist der jährlich erscheinende Nachtrog zum Schaubeckalbum(Verlag C. F. Lücke, Leipzig ) nach. Er ist diesmal besonders reichhaltig, wo er die Zeit vom Herbst 1914 bis Herbst 1915 umfaßt. Wir finden da die neuen Marken von Deutsch - Belgien , Russisch-Polen, Postgebiet„Ob. Ost", Bosnien , Oesterreich und Ungarn aufgeführt, ebenso wie die neuen Schweizer Marken und die vielen anderen Aenderungen sorgfältig verzeichnet sind. — Gisberte Freiligrath, die treue Schwester ihres Bruders, ist hochbetagt in Baden-Baden gestorben. Sie war ihm ins Exil nach England gefolgt und war seit seinem Tode die Hüterin seines Andenkens. Wir haben ihrer erst zu ihrem 90, Geburtstage gedacht. Heber öen Sabunapaß. (Schluß.) Prilep selbst bietet wenig Anziehendes. Es ist eine große Stadt aus vielen kleinen häßlichen Lehmhäusern, kein hervorstechendes Ge- bäude verleiht ihm Reiz. Die Moscheen sind ohne besondere Liebe er- richtet, die Minaretts schmucklos. Reges geschäftliches Leben ist in den Straßen, wo sich eine kleine Bude an die andere reiht, aber es fehlt die Buntheit, die sonst der Orient zeigt. Die Stadtbevölkerung ist schon reichlich europäisiert, nur ab und an taucht noch ein ganz orientalisch gekleideter Mann auf, huscht eine verschleierte Frau über die Straßen. Das letzte Hochwasser hat diese auch nicht verbessert, alle Brücken sind weggerissen worden. Blickt man von einem der Hügel in die Stadt, so sieht man, daß hinter den Mauern zahlreiche Gärten mit hoben Bäumen sind, beim Durchwandern begegnet man ihnen selten. Da überwiegt der braungraue Schmutzton, der jetzt entsteht, weil der Staub das Ganze überzieht. Die Häuser sind in ihrer Bauart von denen anderer mazedoni- scher Städte nicht unterschieden. Ueberall herrscht die Veranda vor, auf die sich die Bewohner des Nachts flüchten, wenn im Sommer die Hitze die Wanzen aus ihren Schlupfwinkeln treibt, deren es hier Legionen gibt. Zwischen der Stadtbevölkerung bewegt sich angenehmer anzu- schauen auch der Bauer, der meist in einem langen, bis über die Knie herabfallenden Rock geht, eine dunkle Mütze trägt und einen freundlich verschmitzten Eindruck erweckt. Sie beschäftigen sich jetzt energisch damit, die deutsche Soldatenschast zu brandschatzen. Sie find als Freunde zu behandeln, und unter Brüdern ist bekanntlich nichts zu leuer für den, der es fordern darf. Ein jeder Grashalm, den ein Pferd im Vorbeigehen nascht, wird darum in Rechnung ge- stellt und die Lebensmittelpreise erreichen Höhen, die um so fchwindelhafter sind, weil sie früher hier noch sagenhaft niedrig waren. Sonst saßen die Herren Landbesitzer am Rande ihrer Felder und sahen zu, wenn ihre Frauen arbeiteten. Jetzt haben sie auf einmal zu deren Arbeitskraft größeres Zutrauen und liegen auf der Lauer, um deutsche Pferde abzufassen, die sich an dem süßen Gras der weiten Ebene gütlich tun. An allerlei Vieh ist hier noch viel vorhanden, die Gänse weiden in großen Herden und Schweine und Hümmel gibt's genug. Aber sie werden genau so zurückgehalten wie bei nnS daheim. Ein jeder Besitzer hofft auf höhere Preise, und eine Möglichkeit zum Verkaufs- zwang gibt es eben nicht, obgleich Höchstpreise eingeführt sind. Es ist erstaunlich, was die Leute sich schnell an die Kultur und ihre höhere Moral gewöhnen! Sonst siebt eS in den Dörfern aus, als ob sich seit Alexander dem Großen nichts mehr geändert hätte, gäbe es nicht jährlich ein paarmal eine Ueberschwemmung, dann lägen auch noch die Mist« Haufen aus heroischer Zeit hier herum. So sind es nur die der letzten vier Wochen, aber sie sind arg genug und schön genug, um kleinen Schweinen und jungen Arnaulen einen wonnigen Wühlplatz zu bieten. Währenddessen sitzt die Mama und die Schweinehirtin vor der Tür ihrer Hütte und stickt an einem der entzückenden Hemden, deren Schnitt noch altgriechisch ist. Eine Nachbarin wäscht gerade in einer Backmulde solche Gewänder, die sie aufgetrennt hat, indem sie die Fäden mit den Zähnen aufreißt. Aus dem Hause steigt zwiichen den Dachritzen hervor beizender Rauch. Ueber offenem Feuer kocht im Dunkeln in flachen Schüsseln unsagbares Gebräu und eine Maika rührt darin herum. Außerdem torkelt noch ein Greis herbei, der aussieht wie der Räuberhaupt- mann außer Diensten und erste Preismasken vom Lumpenball. Der Eindruck bleibt überhaupt bei der Bewohnerschaft: Läge hier nicht so viel Militär, dann wären sie olle Straßenräuber. Sie taten es wahrscheinlich immer mit einer gewissen Herzlichkeit, der gleichen, mit der sie heute statt der Mark den Taler verlangen! Heute ist Himmelsahrtstag, da sind in der Stadt alle Geschäfte geschlossen und alle Häuser mit Fähnchen bedeckt. Vor den Türen sitzen die Frauen und Mädchen in weißen Gewändern einträchtiglich und schwatzen. Um Wäsche zu sparen, benutzen fie ab und an die Finger statt des Taschentuches. Da fie nicht besonders hübsch sind. wirkt das auch nicht als Enttäuschung ebensowenig wie der durch- dringende Knoblauchgeruch, der um jede Menschengruppe lagert. Dieses fürchterliche Gemüse, das nebenbei leider die Eigen- schaft hat, gut zu schmecken, wenn es ganz jung ist, soll ein Vorbeugemittel gegen Typhus und Cholera sein. Sieht man, wie die Leute hier leben und das gelbschmutzige Warum � 6j Von Leo Tolstoi . „Bitten Sie nur um Erlaubnis, davon hängt alles ab. Wir nehmen nicht die Särge mit, sondern wir machen für sie einen großen Kasten, und in den Kasten legen wir Josef. Im ersten Augenblick wies Albina diesen Vorschlag von der Hand, da es ihr unangenehm war, das Andenken an die Kinder mit einem Betrüge in Verbindung zu bringen; als aber Migurski vergnügt in den Plan einwilligte, gab sie ihre Zustimmung. So wurde denn endgültig folgender Plan entworfen: Migurski sollte alles tun, um die Vorgesetzten zu überzeugen, daß er ertrunken wäre. Wenn sein Tod angemeldet sei, würde Albina ein Gesuch einreichen, man möchte ihr nach dem Tode ihres Gatten gestatten, in die Heimat zurückzukehren und die Ueberreste ihrer Kinder mitzunehmen. Wenn ihr die Ge- nehmigung erteilt sei, würde man so tun, als ob die Gräber geöffnet und die Särge herausgenommen würden; tatsächlich sollten diese an ihrem Platze bleiben, und statt der Kinder- särge würde in dem zu diesem Zwecke hergerichteten Kasten Migurski Platz finden. Der Kasten sollte in den Reisewagen gestellt werden, und so würde man bis Saratow fahren..In Saratow würde man ein Wasserfahrzeug besteigen. In diesem würde Josef aus dem Kasten herauskommen, und man würde bis zum Kaspischen Meere und dann nach Persien oder nach der Türkei fahren, womit die Freiheit erreicht wäre. IX. Vor allem kauften MigurskiS unter dem Vorwande, Ludwika sollte in die Heimat zurückbefördert werden, einen Rciscwagcn. Dann baute man in den Wagen einen Kasten, in dem ohne zu ersticken, wenn auch gekrümmt, ein Mensch liegen und möglichst schnell und unbemerkt ein- und aus- steigen konnte. Zu dreien, Albina, Rossolowski und Migurski selbst, konstruierten sie den Kasten und patzten ihn ab. Ve- sonders wichtig war die Hilfe Rossolowskis, der ein tüchtiger Tischler war. Der Kasten wurde so konstruiert, daß er auf den Längsstangen hinter dem Kutschwagen befestigt, dicht an diesen anschloß; die Wand, die an den Kutschkasten stieß, ließ sich entfernen und zwar in der Weise, daß jemand, der sie entfernte, teils im Kasten, teils auf dem Boden des Wagens lag. Außerdem waren in den Kasten Luftlöcher gebohrt und oben und an den Seiten sollte er mit Rohrgeflecht bedeckt und nüt Stricken befestigt werden. Das Ein- und Aussteigen ge- fchah durch den Wagen, in dem ein Sitz angebracht war. Als Wagen und Kasten fertig waren, ging Albina noch vor Verschwinden ihres Mannes, um die Behörden vorzu- bereiten, zum Obersten und erklärte, ihr Gatte sei schwermütig geworden und beabsichtige Selbstmord; sie sei besorgt um ihn und bitte um Urlaub für ihn. Ihr dramatisches Darstellungs- talent kam ihr hierbei zustatten. Die Unruhe und Besorgnis um den Gatten wurden so naturwahr zum Ausdruck gebracht, daß der Oberst gerührt wurde und versprach, zu tun, was er könne. Hierauf verfaßte Migurski den Brief, der am Ufer des Ural in seinem Mantel- aufschlag gefunden werden sollte, ging am festgesetzten Tage, abends, zum Ural, wartete die Dunkelheit ab, legte die Kleidung, den Mantel mit dem Brief am Ufer hin und kehrte heimlich nach Hause zurück. Auf dem Hausboden, der durch ein Schloß gesichert war, hatte man ihm ein Versteck hergerichtet. Nachts schickte Albina Ludwika mit der Meldung zum Oberst, Migurski sei vor zwanzig Stunden aus dem Hause gegangen und nicht zurückgekehrt. Am Morgen wurde ihr der Brief ihres Gatten gebracht, und sie trug ihn mit dem Ausdruck starker Verzweiflung unter Tränen zum Oberst. Acht Tage später reichte Albina ihr Gesuch um Rückkehr in die Heimat ein. Der Kummer, den sie zum Ausdruck brachte, erschütterte alle, die sie sahen. Alle bedauerten die unglückliche Mutter und das unglückliche Weib. Als ihr die Abreise gestattet war. reichte sie ein zweites Gesuch um Er- laubnis zum Ausgraben der Leichen ihrer Kinder und deren Mitnahme ein. Die Behörde wunderte sich über diese Senttmentalität, gab aber auch dazu die Erlaubnis. Am Tage, nachdem sie diese Erlaubnis erhalten, fuhren abends Rossolowski mit Albina und Ludwika in einem Miet- wagen mit dem Kasten, in dem die Särge der Kinder Platz finden sollten, zum Kirchhof zum Grabe der Kinder. Albina kniete am Grabe nieder, sprach ein kurzes Gebet, stand bald wieder auf, wandte sich an Rossolowski und sagte: „Tun Sie, was nötig ist, ich kann es nicht." Dann trat sie zur Seite. Rossolowski und Ludwika rückten den Grabstein fort und gruben mit Spaten den oberen Teil der Gräber auf, so daß diese aussahen, als seien sie geöffnet. Als alles geschehen war, riefen sie Albina und kehrten mit dem Kasten voll Erde nach Hause zurück. Der zur Abreise festgesetzte Tag rückte heran. Rossolowski freute sich über den Erfolg des Unternehmens, das fast zu Ende geführt war. Ludwika bereitete Gebäck und Kuchen für die Reife und meinte unter Anwendung ihres Lieblings- ausdruckes:„.Jak rnarne kocharn"*), ihr Herz wollte vor Furcht *} Jak maiao kocharn--- So wahr ich meine Mutter liebe. und Freude zerspringen. Mirgurstt freute sich einmal über seine Befreiung aus dem Versteck auf dem Hausboden, wo er über einen Monat gesessen, dann aber besonders über das Aufleben und die Fröhlichkeit Albinas. Es war, als hätte sie allen früheren Kummer und alle Gefahren vergessen, und wenn sie zu ihm auf den Boden gelaufen kam, strahlte sie wie in ihrer Mädchenzeit vor Freude und Entzücken. Um drei Uhr morgens kam der Eskortekosak und brachte einen Fuhrmann mit drei Pferden mit. Albina und Ludwika setzten sich mit dem Hündchen in den Reisewagen auf das teppichbelegte Polster. Der Kosak und der Fuhrmann stiegen auf den Bock. Migurski lag in Bauernkleidung im Kutsch- kästen. Man fuhr zur Stadt hinaus, und die drei guten Pferde zogen den Wagen auf dem steinglatten, festgestampften Wege durch die unendliche ungepflügte Steppe mit vorjährigem silbernen Pfriemengrase dahin. X. Das Herz in der Brust stand Albina vor Hoffnung und Entzücken still. Um ihre Gefühle Ludwika mitzuteilen, deutete sie, kaum merklich lächelnd, mit einer Kopfbewegung bald auf den breiten Rücken des Kosaken, bald auf den Wagenboden. Ludwika blickte mit bedeutsamer Miene unbeweglich vor sich hin und faltete nur ganz wenig die Lippen. Es war heiteres Wetter. Auf allen Seiten breitete sich endlos die öde Steppe aus und das silberne Pfriemengras glänzte in den schrägen Strahlen der Btorgensonne. Bald auf dieser, bald auf jener Seite des harten Weges, auf dem die unbeschlagenen Hufe der Baschkircnpferde, die wie auf Asphalt hell klangen, wurden die kleinen Erdhügel der Zieselmäuse sichtbar; auf den Hinterbeinen saß das Wachttier da, warnte mit durchdringen- dem Pfeifen vor der Gefahr und verschwand in der Höhle. Selten traf man Reisende: ein Kosakcnfuhrwerk mit Weizen oder einen berittenen Baschkiren, mit dem der Kosak munter ein paar tatarische Zurufe wechselte. Auf allen Stationen waren frische wohlgenährte Pferde in Bereitschaft, und die halben Rubel, die Albina als Trinkgeld gab, bewirtten, daß die Fuhrleute, wie sie sich ausdrückten,„feldjägermäßig" den ganzen Weg im Galopp zurücklegten. Auf der ersten Station, als der vorige Fuhrmann aus- gespannt, der neue aber noch keine Pferde gebracht hatte, und der Kosak auf den Hof gegangen war. beugte Albina sich herab und fragte ihren Gatten, wie er sich befände und ob er etwas nötig hätte. „Ausgezeichnet. Ganz bequem. Ich brauche nichts. Kann leicht noch zwei Tage so liegen." (Forts. foIgU
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33 (29.6.1916) 150
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