Nr. 158.- 1916. Unterhaltungsblatt öes vorwärts 5ouuabklld, 8. Juli. Die Kriegsgefangenen in öer Schweiz . Aus Zürich wird geschrieben: Wie sehr sich die Hospiiali- fierung erholungsbedürftiger Kriegsgefangener in Schweizer Kur- orten bewährt hat, bekundet am eindringlichsten die Tatsache, daß die Perhandlungen zwischen den kriegführenden Ländern immer mehr zu einer Erweiterung dieses Liebeswerkes führen konnten. Es ist erfreulich, daß man auch schon daran denken konnte, einen Teil der in Rußland gefangenen Iranken deutschen Soldaten, sowie einen Teil der in Deutschland befindlichen russischen Gefangenen aus neutralem Boden zu hospitalisieren. Die sehr, beträchtliche Entfernung würde darin allerdings eine bemerkenswerte Aenderung notwendig machen, indem wohl die in Deutschland befindlichen russischen Gefangenen zur Hospitalisierung in der Schweiz untergebracht würden, während die deutschen Gefangenen in Rußland , die von der wie überall ans Schweizern zusammengesetzten Militärärzteiommission zur Hospitali« fierung vorgeschlagen würden, nach Schweden kämen, wo sie zweifel« los nicht minder herzlich als in der Schweiz - willkommen geheißen würden. Die Praxis hat die Berechtigung der zur Zeit der ersten Ver- Handlungen erwogenen Organisationsfragen bewiesen. Die Ge- fangenen find in tatsächlichem Sinne natürlich freie Leute. Aller« dings sind sie Soldaten, und dies allein schon durch die naturgemäße disziplinarische Abhängigkeit von ihren Vorgesetzten sowie durch die Tatsache, daß sie für die Dauer ihres Aufenthaltes dem schweizeri« schen Militärgesetze unterstehen. Die Verteilung der Leute erfolgt je nach der Natur und dem Grade ihrer Krankheit. Lungen- und Nierenkranke wurden selbstverständlich den für diese Krankheiten heilbringenden Orten zugewiesen. Andere, deren Verwundungen oder Konstitution eine energische Erholung vorschrieb, sind den Orlen zugewiesen worden, die durch ihre gute Luft und schöne Lage be- sonders heilsam wirken köwten. Es ist eine außerordentlich erfreuliche Tatsache, daß bei den meisten die Hospitalisierung schon so schöne Früchte gezeitigt hat, daß man sich in den zuständigen schweizerischen Behörden mit der Frage beschäftigt. wie die nunmehr beinahe vollständig gesund gewordenen Leute ihre Tageszeit ausfüllen können. Man wird. sich wohl dazu ent- schließen, einen jeden in seinem von früh auf geübten Berufe arbeiten zu lassen. Allerdings kann man nicht daran denken, die Gefangenen für die schweizerische Industrie arbeiten zu lassen, da sie dort, wo sie ühexhaupt noch etwas zu arbeiten hat, über mehr als reichliche Arbeitskräfte verfügen kann. Doch wird man die Sache so machen, daß z. B. eine Gruppe Gefangener, die von Hause aus Schneider find, den Auftrag bekommen, für die Garderobe ihrer Kameraden zu sorgen; dasselbe gilt dann für eine Gruppe Schuster usw. Im großen und ganzen darf ruhig angenommen werden, daß die Ge- fangenen sonst nicht in Verlegenheit darüber sind, wie sie ihre Zeit verbringen können. Ten meisten war es während der langen Gefangenschaft in Frankreich nicht vergönnt gewesen, mit ihren Freunden und Angehörigen in der Schweiz zu kor- respondieren, wie es ihrem Wunsche entsprach. Das kann nun reichlich nachgeholt werden. Dann" zeigt sich in diesen Leuten, genau wie bei den Kämpfern an der Front, das Be- dürsniS, zu lesen, und zwar möglichst viel zu lesen. Zeitungen, Bücher, Flugschriften werden förmlich verschlungen, und man kann gar nicht genug Lesestoff schicken. Auch für Zerstreuungen wird reichlich gesorgt. Viele Deutsche, die sich gegenwärtig in der Schweiz aufhallen, aber auch ein großer Teil der einheimischen Bevölkerung. wenden alles auf, um den Feldgrauen soviel Zerstreuung als mög- lich zu bieten. Es werden Ausflüge unternommen, musikalische und theatralische Aufführungen veranstaltet, Vortragsabende gehalten usw. Der schönsten Unterhaltung dürfen sich die am Vierwaldstgttersee in den.verschiedenett Kurorten internierten Gefangenen erfreuen. An- fangS Juni veranstaltete das Züricher' Stadttheater� einig« Gast- spiele für die Internierten, die zum. Teil in dem kleinen' Theater« saale in Buochs veranstaltet werden, zum anderen Teile in dem ent- zückenden Freilichttheater Hertenstein. Eine nicht unbedeutende Frage ist die finanzielle. Zwischen den Regierungen wurde abgemacht, daß für Soldaten und Unteroffiziere 4 Franken gezahlt werden, für Offiziere 6 Franken und für Kranke, die einer besonderen Behandlung bedürfen, 6—8 Frauken. Die außerordentliche Steigerung der Lebensmittelpreise und Steuern,. die bekanntlich auch in der Schweiz den Krieg von der' wirtschaftlichen Seite her recht fühlbar machen, läßt es selbstverständlich erscheinen, daß die Schweizer Hotelbesitzer nicht viel an diesem Liebeswerk ver- dienen können, wenn sie überhaupt etwas verdienen. Dabei ist die Verpflegung zweifellos eine sehr reichliche. Das Frühstück besteht aus Kaffee, Milch, Butter und Konfitüren. Auf den Kopf pro Tag 'Ii Liter Milch, 175 Gramm Fleisch und 400 Gramm Brot; nur an einem Tag in der Woche gibt eS kein Fleisch. Jedenfalls zeigen Briefe und Berichte der Angehörigen in der Heimat, daß die Feldgrauen in den Schweizer Bergtälern sich glücklich fühlen. Wer sie selbst dort sieht, kann eS aus ihrem Munde recht oft hören. Taktvoll und herzlich zeigt sich die Bevölkerung, vielleicht, daß auch im einfachsten Bewohner dieser Gegenden der Wunsch lebendig ist, durch Freundlichkeit diesen Gefangenen gegen- über ihre Dankbarkeit dafür auszudrücken, daß sie selbst vor dem Grauen des Krieges verschont geblieben sind. Wie schön Gemein- samkeitsgefühl und schlichte, herzliche Wärme dabei zusammenwirken können, zeigte das Begräbnis eines in DavoS nach einer Operation gestorbenen Soldaten. Ein schweizerisches Bataillon mit schweizeri- schen, deutschen und türkischen Offizieren an der Spitze, sowie die gesamte Regimentsmusik und alle zurückbleibenden Kameraden er- wiesen dem Toten die letzte Ehr«. Die drei Salven, die über dem Grabe in die steien Berge hinausgefeuert wurden, mögen vielleicht die schönste Art der Neutralitätsverletzung gewesen sein, die dieser Krieg zeitigte. (zj_ J. kleines Zeuilleton. Merkwürdige Sprachstörungen. Einen tiefen Einblick in die Arbeit des menschlichen Gehirns beim Sprechen gibt der inhaltsreiche Aufsatz über.Sprache und Schrift', den der Leiter der medizinischen Klinik der Universität Leipzig , Prof. Adolf Strümpell , in der»Deutschen Revue" ver- öffentlicht. DaS genaue wissenschaftliche Studium der Gehirn- erkrankungen ist eS, das die wichtigsten Aufschlüsse über die rein sprachlichen und die zur Sprache in engster Beziehung stehenden geistigen Vorgänge gibt. Sind die Teile des Gehirns, die für die Sprache nötig sind, erkrankt, so ist es, als ob die Natur dem forschenden Arzte einen Versuch vorführte, indem.gewisse Gehirn«. teile ausgeschaltet sind. Seit den Forschungen Brocas weiß man, daß die sogenannte Brocasche Stelle des Gehirns, das Hintere Ende der dritten linken Stirnwindung, der Ausgangspunkt für die In nervationen ist, die die Sprachbewegungen der Sprachwerkzeuge ver- anlassen, und Karl Wernicke hat den Sitz der Sprachvorstellungen im oberen Abschnitte deS linken SchläfelappenS aufgefunden. Bei den»Sprachkranken", bei denen diese Hirnstellen nicht arbeiten, finden sich nun die merkwürdigsten Sprachstörungen. Dazu gehört zunächst die mangelhafte Merksähigkeit für Wörter. Der Kranke erkennt beispielsweise ein Taschentuch und gibt zu verstehen, daß er auch dessen Gebrauch gut kenne, aber, da» Wort fehlt ihm. Er kann eS nachsprechen, aber nach wenigen Minuten hat er eS schon wieder vergessen. Spricht man ihm die ersten beiden Silben vor, so ergänzt er richtig. Solche Assoziationen spielen überhaupt eine große Rolle bei den Sprachstörungen— manchmal machen sie sich fördernd, manchmal störend bemerkbar. Einer der Kranken Strümpells konnte zwar nicht angeben, wieviel Finger die Hand habe, weil er das Wort Fünf nicht fand, aber wenn man ihm vorzählte: eins, zwei. drei. vier, so ergänzte er die ihm von früher her wähl vertraute Zahlen- reihe richtig mit dem Worte Fünf. Merkwürdig sind auch die Fälle, wo der Zustand des Gesamtbewußtseins ausschlaggebend ist. Manche apathische Kranke können z. B. im starken Affekt laut und verständlich fluchen, während sie sonst fast kein Wort hervorbringen! Eine Kranke Strümpells konnte trotz aller Bemühungen das Wort»nein" nicht nachsprechen. Sagte Strümpell ihr aber in scherzhaft-unwilligem Tone:»Sie find eine ganz böse Frau", so antwortete sie stets sofort abwehrend ganz deutlich.nein", und eine Minute später konnte sie das gleiche Wort uicht mehr nachsprechen. Für die Störung durch die Affoziaiion sei ein Beispiel heran- gezögen. Eine Krank« sollte ein weißes Taschentuch bezeichnen. Nach längerem Besinnen erklärt« sie es für»Schnee",«in Fehler, der sich durch die Assoziation der weißen Farbe erklärt. DaS Nachsprechen längerer Sätze, deren einzelne Worte die Sprach kranken nachsprechen sollen, wird durch Asso- ziation säst immer unmöglich gemacht. An Stelle des Satzes „Auf einem Bauw sitzt ein Vogel und singt' erhielt Strümpell fol- gende Sätze vorgesprochen:»Eine Vogel Baum singt ein Vogel"/ „Aus einem Bogel und fingt«in Vogel."»Auf dem Baum sitzt ein Vogel und frißt— Auf dem Baum sitzt ein Vogel und pickt— Auf einem Baum wächst eine Pflaume — Auf einem Baum wächst ein Vogel." Zu dm Sprachstörungen im weitesten Sinne gehören auch die Schrrftstörungen, denn Schrift ist geschriebene Sprache. Bei der Schriftsprache kommen die Wortvorstellungen im Zusammenhange mit optischen Erinnerungsbildern in Betracht, und für dies« ist der Hinter- Hauptslappen der Unken Großhirn Hälfte als Sitz ermittelt. Er- krankungen dieser Gkhirnstelle- führen � zum Vermst der'optischen Erinnerungsbilder und somit zu Störungen der Schriftsprache. Kranke kentten die Worte, die sie hinemschreioen sollen, ganz gut. können sie auch richtig aussprechen, aber die Niederlegung in der Schrift ist un« möglich, und umgekehrt kann das richtige Erkennen und Deuten ge- schriebener oder gedruckter Schrift gestört sein. Hierfür gibt Strümpell folgende Probe: ein Kranker, ein gebildeter Kaufmann, sollte als. Beispiel niederschrieben:„Auf einem Baum sitzt ein Vogel und singt." Er schrieb darauf eine grötzenteils sinn- und zusammen- hanglose Reihe von Worten und Buchstaben hin, und als er das von ihm Geschriebene vorlesen sollte, ergab sich ein wirres Durcheinander, das etwa folgendermaßen lautete:„Auf einem neuen Bahnhof sitzt zieht sich ein Herz ein einziger Sitz und Sehnsucht versteht." Wie die 5ront in wirtlichkeit aussteht. Ein Berichterstatter der„Daily News" beschreibt„die Front" wie folgt: Die'Front ist durchaus keine Linie in der mathematischen Bedeutung des Wortes; sie ist ein ganzer Landsireifcn. Sie bildet ein Stück Grund und Boden von ungefähr 12�z Kilometer Breite. wo nichts als Verwüstung zu sehen ist, und wo der Tod fortwährend auf Beute lauert. Um nach der Front zu gehen, muß man erst meilenweit im Kraftwagen reisen, und je näher man der Front- grenze kommt, desto mehr ist jedes Dorf, das man auf dem Wege findet, mit Kaki gefüllt. Auf allen Haupt- und Seitenwegen herrscht ein fürchterliches Gedränge von Fuhrwerken, die Proviant und Munition an die-Front bringen. Schließlich verläßt man irgendwo bei einer Gruppe halbzerstörter Häuser den Kraftwage», der sofort irgendwo, in einen abgelegenen Winkel ge- schoben und dort in Sicherheit gebracht wird. Während man noch in der Straße steht, platzt eine Granate; man glaubt, daß es ganz in der Nähe ist, aber in Wirklichkeit ist es mindestens noch 500 Meter weit. Und dann geht man weiter. Und nun gibt einem ein orts- kundiger Begleiter den guten Rat, möglichst geduckt und gebückt zu gehen und nicht zu lpeit nach rechts hin abzuirren. Und plötzlich erblickt man in dem Verbindunbslaufgraben eine offene Furche; man schlüpft hinein und läuft hindurch, und der Graben wird ficht- lich tiefer, bis man sich in einem engen Gang mit Erdwänden be- findet; kaum daß von oben ein bißchen Lust und Licht hineiudringt. Durch solche Erdrinne läuft man zuweilen drei, vier Kilo- meter, bevor man wirklich zur Front gelangt; ein Spaziergang dieser Art bringt einen stark in Hitze, und eine anstrengendere Körperbewegung ist nicht leicht auszudenken. Schließlich kommt man zu einer Stelle, von der aus man nicht weiter vorwärts gehen kann, und von der, aus man bequem den Feind sehen könnte, wenn— er sich zeigte. Man guckt durch eine Oeffnung, die sich zwischen diversen Sandsäcken befindet, oder man bemüht sich zun, Periskop, um über die Brustwehr weg zu sehen. Und hinter einem Streifen Wildnis, dejn sog. Niemandsland, das ungefähr hundert Meter breit ist, sieht man eine gelbliche unregelmäßige Linie von Erde und Sandsäcken und davor ein' Gewirr von Stacheldraht. Hinter der Linie wohnt, wie einem gesagt wird, der Feind. Manchmal sieht er die Periskope, und dann schlägt eine Kugel in die Brustwehr, und wenn sie pfeifend ankommt, glaubt man, einen Peitschenschlag zu vernehmen....(z) Notize». — Eine Ausstellung für soziale Fürsorge, die in Brüssel in der Zeit vom 15. Juli bis 15. Oktober stattfinden soll, will den Belgiern die Ergebnisse der deutschen Sozialversicherung vor Augen führen. Die deutschen Sammlungen entnommenen Gegenstände werden in den vier Gruppen: Organisierung und Er- gebnisse der Reichsversicherung, Arbeiterwohnungen, Volksseuchen und Unfall-(Kriegsbeschädigten-) Fürsorge vorgeführt. Die Be« lehrung soll in angenehmer und ullierhaltender Form vermittelt werden, wobei, ein Kinotheater den Anschauungsunterricht übernimmt. Besondere Borfichrungen und Vorträge"sind vorgesehen, Fahrpreis- ermäßigungen sollen den- Besuch erleichtern. • ine A ü l n n g SB it«' a« r A r b e i i S st u b e n wurde in Mlna' eröffnet. Diese Arbeitsstuben wurden eingerichtet, um der Jugend Arbeitsgelegenheit zu schaffen. Die Ausstellung soll Interesse dafür wecken und Absatzgelegenheit schaffen. — Das vielsprachige Mexiko . Mexiko wird nicht, wie die„Times" schreiben, von einer spanisch-indianischen Mischlingsrasse, in der das iberische Element am meisten in den Vordergrund tritt, bewohnt. Solcher Mischlinge gibt eS ungefähr eine Million; eine weitere Million Menschen ist von reiner europäischer Herkunst, aber der Rest, gut 13 Millionen, sind reine Indianer. Es kommen in Mexiko ungefähr 133 Jndianerstämme vor, alle mit ihren besonderen Kennzeichen; sie werden von den Volksforschern in 16 Sprachgruppen geteilt, obschon eS 53 verschiedene Sprachen oder mindestens sehr voneinander abweichende Mundarten in der mexikanischen Republik gibt. Einige dieser mexikanischen Jndianerstämme leben noch in genau denselben primitiven Verhältnissen wie ihre Ahnen zur Zeit der Eroberung Amerikas durch die Spanier. Sät tot erklärt. Von Ernst Wichert. 8j Der deutsche Krüger war der wohlhabendste Mann in der ganzen Gegend. Er besaß zwei Bauernhöfe und machte kleine kaufmännische Geschäfte, die ihm viel Geld brachten: auch seine Krngstube war immer gefüllt. Er selbst war schon in vorgerücktem Wer und sehr kränklich, aber seine noch recht rüstige und energische Frau führte mit starker Hand die weit- läufige Wirtschaft und wußte sich überall in Respekt zu setzen. Ihr einziger Sohn, einst der Erbe ihrer ganzen Verlassenschast, war Konrad, ein ziemlich schwächlicher und gutherziger Mensch. Konrad Hilgruber und Peter Klars waren die. besten Freunde schon vom Konstrmandenunterricht her, den Peter bei dem Pfarrer des Dorfes, genossen hatte. Konrad war beim Präzentor in die Schule gegangen und wußte mancherlei, was den kleinen, wißbegierigen Nehrunger interessierte, und Peter anderersests konnte immer etwas Neues von seinen' Haff- fahrten und Fischzügen erzählen. So fanden sie sich'jedesmal zusammen, und Peter mußte oft, wenn das Haff für die Wck- fghrt zu stürmisch war oder im Winter ein zu dichter Nebel darüber lag, beim Krüger über Nacht bleiben, ohne daß es den alten Klar.s etwas kostete. Da Peter ein stiller und be- scheidener Knabe war, hatten Hilgrubers gegen diese sich immer, herzlicher gestaltende Freundschaft nichts einzuwenden gehabt und.es gern gesehen, wenn er auch später auf jeder Reise ansprach oder bei gutem Wetter hin und her einmal ihren Sphn nach der Nehrung mit hinüber nahm, was für Konrad jedesmal ein Fest war. Auch als nach einigen-Jahren der Krüger starb und Frau Hilgruber nun allein die Wirt- schaft übernahm, Konrad aber zu einem--deutschen Landwirt in der Nachbarschaft gegeben'wurde, um etwas Praktisches für ftziven Beruf zu lernen, hatten sie sich von Zeit zu Zest an Sonn- oder Feiertagen in der Kirche getrosten und in alter Weise einen Nachmittag miteinander verlebt. Mit dem zwanzigsten Jahr war Konrad wieder nach Hause zurückgekehrt. um der Mister zu helfen, und nun störte die Verbindung zwischen den beiden Freunden nichts mehr. Wie erschreckt waren. sie' gewesen, als sie ihre Neigung zu demselben' Mädchen bemerkten I Es war eines Sonntags- gbends. alz dje ersten Eröffnungen erfolgten.-——. Wie so oft schon in letzter Zeit hatten sie, dem Zuge des Herzens folgend, noch spät einen Gang am Hause des Endoms vorbei nach dem Haken gemacht, wohin Peter von den Dorf- buben sein Boot zur Abfahrt hatte hinausbringen lassen. Annika stand, mit dem jüngsten Kinde ihres Onkels auf dem Arm, am Fenster und erwiderte steundlich ihren Gruß. Als sie sich dann auf einen der großen Steine setzten, die schon zur Hälfte vom Wasser des Haffs bespült wurden, und die glutrote Herbstsonne auf die fernen grauen Sandberge der Nehrung niedersinken und einen hellen Schein über das weite Wasser werfen sahen, da fing ganz unversehens Konrad von der Annika an, so daß es Peter Klars ordentlich durchs Herz fuhr, ihren Namen zu hören. Wie sie ein so hübsches und ordentliches Mädchen wäre, sagte er und daß er ganz ver- liebt in sie sei und ohne Bedenken um sie steien möchte, wenn er sein eigener Herr wäre.� Aber nun dürfe er's nicht wagen, da seine Mutter nie in eine solche Purste willigen und zestlebens mst ihm hadern würde, wenn«r in diesem Punkte gegen ihren Willen handele. Denn da sie sich alles, was sie besäßen, durch eigenen Fleiß selbst zusammengebracht hätten, so sollte es nun guch in der Familie erhalten und ge- mehrt, aber nicht verzettelt werden. Seine Mutter wäre seihst ganz arm gewesen, als sie heiratete, aber eben deshalb wolle sie nun gerade für ihn eine reiche Partie, weil sie wüßte� wie schwer es ihr geworden. Er habe schon von weitem bei ihr angefragt, aber nichts Tröstliches vernommen. Und doch wolle er feine Hoffnung nicht aufgeben, sondern verstauen, daß sich alles zum Besten wende. Dem armen Peter war's gewesen, als ob er von dem Stein hinab ins Haff sinken solle. Eine lange Weile saß er ganz bleich und stumm da, so daß Konrad ihm zuletzt ängstlich ins verstörte Gesicht schaute, und dann stand er langsam auf, schob sein Boot ins Wasser und trat mit einem Fuß hinein, bereit, sich mit dem anderen vom Lande abzustoßen. Betroffen reichte ihm der Krügerssohn seine Hand zum Abschied hinüber. Peter blieb unbeweglich.„Was fehlt Dir denn?" fragte Kon- rad endlich ganz ängstlich. In dem jungen Fischer tobte und kämpfte es; seine-Augen blitzten unheimlich, und die Faust krampfte sich fest um das Ruder zusammen, das er aus den Sand gestemmt hatte.„Liebt Dich die Annika?".brachte, er endlich grollend heraüZ.„Mein Gott, ich weiß es ja nicht," antwortete der Freund bestürzt. Peter Klars ließ matt den Arm mit dem Ruder niedergleiten, atmete lang auf, schob die blaue Mütze aus der Stirn, lächelte und reichte Konrad die Hand.„Wir sprechen ein andermal mehr davon," sagte er und stieß das Boot in die graugrünen Wellen, die der scharfe Abendwind gegen das Land trieb. Eine Haffahrt wie diese hatte Peter Klars noch nicht ge- macht. Er zog das Segel auf und ließ das kleine Fahrzeug treiben, wohin es wollte, in die Nacht hinaus. Auf offenein Wasser wurde'der Wind heftig und riß am Segel eine Schote ab, er merkte es nicht. Das Boot hätte kentern können und er würde zu seiner Rettung nichts getan haben. Seine Gedanken brüteten über seinem Geheimnis. Jetzt erst wurde es ihm zur Gewißheit, daß er Annika liebe, daß er der unglücklichste Mensch sein müßte, wenn er sie nicht besitzen könnte.„Sie haben noch nicht mstemander gesprochen," dachte er,„aber wir haben auch noch nicht miteinander gesprochen; er weiß nicht, ob sie ihn liebt, aber ich bin nicht besser daran. Sie ist freund- lich zu mir, aber zu ihm vielleicht ebenso. Und er ist der reiche Krügerssohn, und ich bin ein armer Fischer von der Nehrung. Wenn er ihr sagt, daß er ihr gut sei, dann wird sie nicht wider- stehen: und wenn dann auch nichts daraus wird, mir ist sie für ewig-verloren."— Dann sprach wieder die Stimme der Freundschaft:„Schweige und laß ihn gewähren; er kann sie reich und glücklich machen!" Und dann kochte es wieder in seinem Herzen auf, wie siedendes Blut, und er rief laut: „Nein, so weit geht Freundschaft, nicht. Ich liebe sie und sie muß mein sein, sollt ich auch mit ihm auf Tod und Leben um sie kämpfen! Aber etwas bieten muß ich ihr können," schloß er; und nun war der Plan fertig, zur See zu gehen und sich in einigen Jahren ein hübsches Stuck Geld zu verdienen. Dann ließ sich ein Kahn kaufen und die Fischerei im Großen be- treiben. Das konnte immerhin als ein Gewicht gellen, das sich gegen den Krsiger in die Wagschale werfen ließ. Mit seinem Vater war die Sache bald in Ordnung ge- bracht; auch ein Schiff war bald gefunden, das noch vor Winters Anfang mit einer Ladung Getreide nach England gehen und von dort eine Reise nach Spanien machen wollte. Aber je näher der Tag der Abfahrt heranrückte, desto stndenk- barer schien essthm, daß er ohne Abschied von Annika fort sollte. Was konnte nicht in der Zwischenzeit geschehen, und sie wußte nicht einmal, daß er ihretwegen fortgegangen war. Aber Konrad— I Durste er ihn betrügen? Sein ehrliches Herz litt es nicht. (Forts. foloU
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33 (8.7.1916) 158
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