Nr. 168.- 1916. Unterhaltungsblatt ües vorwärts Freitag, Ii Juli. Hobmeau und seine �Renaijjance". Ein Gedenkblatt zum lt. Juli. Heute vor 100 Jahren wurde in der Nähe von Paris Graf Artur Gobineau geboren. Studien und diplomatische Tätig- keit in allen Teilen der Welt schufen ihm ein reiches Wissen, un- gewöhnliche künstlerische Begabung setzte ihn instand, seine wissen- schaftlichen Untersuchungen in eine Form zu kleiden, die ihnen jede Spur� von trockener Gelehrsamkeit nimmt. Aus seinem reichen Schaffen ragt hervor das BuchRenaissance". In dramatischen, oft packend gestalteten Szenen sucht er gleich kmidig wie kühn jene wunderbare Epoche der Geschichte zu verlebendigen, da aus mittel- alterlicher Enge und Befangenkeit ein neues Menschentum erwachte, das, jenseits von Gut und Böse, nichts Höheres wußte, als sich durchzusetzen. Neues, Ungewöhnliches, Großes zu leisten, das Leben auszukosten in allen Höhen und Tiefen. In bewegten Abschnitten zeichnet Gobineau   hier die bervorragenden Gestalten jener Zeit, den Mönch Savonarola  , den größten der Condottieri Cesare Borgia  , den wunderbarsten der Künstler Michelangelo  , und wie sie alle hießen, die damals denGeist der Zeit" verkörperten. Man mag das lesen. Das BuchRenaissance" ist beute bereits fast fünf­hundert Seiten stark, illustriert und gebunden bei Wertheim   für andertbalb Mark zu erhalten sUebersetzung von Maria Ewers). Im folgenden geben wir eine kurze Szene aus dem ZyklusCesare Borgia  ", die helle Schlaglichter wirft auf so manche Gedanken und Wünsche, die unter dem Mantel gottgefälliger Frömmigkeit spazieren gehen.... Mailand  . Das Innere deZ Domes. Man feiert daS Hochamt. Viele Geistliche im Chor. Eine große Menschenmenge im Hauptschiff und m den Sellen- schissen. Im Chore. Ein Domherr(auf den Knien): Wie schwach mein Herz, wie kalt meine Seele ist l Ach, ich vermag es nicht, Gottes ganze, unaussprechliche Güte zu erfassen I Und doch sehne ich mich danach, mich zu dem Throne des Allmächligen emporzuschwingen I... In seinem Strahlenglanze mich zu verlieren I... Mein Gott, hilf mir! Stütze und stärke mich, o Gott.  (Er wirft sich nieder.) Zweiter Domherr: Werdet Ihr heule mittag mit uns beim Erzbischof speisen? Dritter Domherr: Jawohl! Es wird herrliche Forellen geben. Zweiter Domherr: Sie werden nicht mehr zu genießen sein, tvenn Bruder Lorenzo, dieser Schafskopf, sich nicht beeilt, endlich mit seiner Messe fertig zu werden.(Zu einem Chorknaben): Höre, Kleiner! Der Chorknabe: Ja, gnädiger Herr? Zweiter Domherr: Lauf zum Bruder Lorenzo und sage ihm, daß er sich beeilen möge. Der Chorknabe(zum Offizianten): Pater Paolo bittet Euch, bald Schluß zu machen. Bruder Lorenzo: Was geht ihn das an? Ich speise nicht beim Erzbischof. Aufgepaßt, Dummkops! Dominus vodisoum I Die Sänger: Et cum spiritu tuo I(Orgelipiel.) Ein Bettelmönw: Kauft Ablaßzettel! Ablaßzettel I Sie sind zu allen Preisen zu haben! Kauft, Brüder in Christo, kauft Ablaßzettel! Eine sehr ausgeputzte Frau: Mein Gott  ! Wie heiß es hier ist!(Sie fächelt sich.) Zweite Frau: Ich kann nicht mehr! Leiht mir doch mal Euer Riechfläschchen, Monna Bianca, bitte! Ich habe meines ver- gessen. Dritte Frau: Gern, hier ist es! Dieser Filippo ist doch wirklich ein falscher, treuloser Bösewicht! Erste Frau: Meine Liebe, er hat mir lange genug den Hof gemacht; ich kenne ihn daher und weiß, was man von ihm zu halten hat. Vierte Frau: Das mag alles sein! Aber ein hübscher Junge ist er trotzdem! Stille, die Wandlung! (Alle Frauen knien nieder und schlagen sich vor die Brust.) Ein Mann(zu einer alten, eine Brille tragenden Dame, die in ihrem Meßbuch liest): Meine Dame! Meine Dame... Wollt Ihr nicht einen vom Heiligen Vater geweihten Rosenkranz kaufen? Die alte Dame: Laßt mich in Ruhe! Der Mann: Gnädige Frau... Wollt Ihr eine Reliquie des großen heiligen Ambrosius taufen?... Ein Ellbogenknochen I ... Gar nicht teuer!... Mit der Beglaubigungsurkunde I... Die alle Dame: Ich sage Euch, daß man mich in Ruhe lassen soll. D e r M a n n: Ist vielleicht feine Seife gefällig oder wünscht Ihr spanische Handschuhe? Die alte Dame(außer sich): Wenn Ihr mich jetzt nicht so- fort in Ruhe laßt, rufe ich die Kirchendiener.(Der Mann ent­fernt sich.) In den Seitenschiffen. (Zwei Bürger beten vor einer Kapelle, mit der Mütze unterm Arm, ihren Rosenkranz ab). Erster Bürger: Et köuockiotus Iruotus voutris tui... Das hindert nicht, daß dieser Halunke ausgerückt ist, ohne mir die drei Mittageffen zu bezahlen, die er mir schuldet, und ich will am Fieber sterben, wenn er sie jemals zahlt!... Jesus  ! Amen! Ave Maria, gratia plena, Dominus... Zweiter Bürger:(Juis es in coelis, sanctificetur... Ich habe es Euch doch immer gesagt! Es ist zu dumm von Euch, diesen Studenten solchen Kredit zu gewähren! Sagt selbst, Herr Guglielmo. babe ich Euch es gesagt oder nicht?... nornen tuum, adveniat regnum... Teufel auch, mit diesen Studenten, wenn sie zahlten, würden sie eben keine Studenten mehr sein. Ein Kavalier(zu einer alten Frau): Schnell, liebe Laurenziana  , hier ist das Briefchen! Die alte Frau: Ich wiederhole Euch, daß das eine sehr schwierige Sache ist. Sie hat mich hinausgewiesen und bedroht, es ihrer Mutter zu sagen. Der Kavalier: Nimm, hier hast du noch eine Zechine. Die alte Frau: So werde ich versuchen, sie zu über- reden... aber es geschieht nur, weil ich Euch so gut bin! Also, sobald ich Euch ein Zeichen gebe, setzt Ihr Euch hinter sie; dann könnt Ihr mit ihr plaudern, so viel Ihr wollt. Der Kavalier: Der Himmel erleuchte dich, oder ich ver- liere meine Wette. (Das Sanktus beginnt). Zwei Almosens ammler(aus vollem Halse schreiend): Für den Kreuzzug! Für den Kreuzzug! Gebt für den Sreuzzug! Befreit das heilige Grab I Für den Kreuzzug I Ihr edle Herren und Damen I Erbarmt euch der armen Christen, die täglich von den wilden Türken hingeschlachtet werden! Für den Kreuzzug I  (Drei in der Nähe eines PseilerS stehende unheimlich aussehende Burschen.) E r st e r Bursche: Ist es der Edelmann, der da drüben steht? Zweiter Bursche: Der mit dem sonnengebräunten Gesicht und dem schwarzen Schnurrbänchen? Dritter Bursche: Ja, der ist's.... er trägt einen schwarzen Wams. Zweiter Bursche: Eine Krause um den Hals, die rechte Hand in einem zerrissenen Handschuh... die linke bloß? Erster Bursche: Ja. der ist's. Zweiter Bursche: Der ist von so gewaltigem Wuchs, daß er mich tol'chlagen könnte, wenn er sich umdrehte. Ich schleudere ihm mein Stilett auf zehn Schritt Entsernung in den Rücken und mache mich dann schnell davon. Er st er Bursche: Wenn er Dich verfolgen wollte, tun wir als ob wir schnell vorbei müßten und rennen ihn um. Zweiter Bursche: Sicher? Er st er Bursche: Wenn ich Dir's doch sage. Du Lump!... Fehl' ihn aber nicht! Triff ihn seitwärts in die Hüfte! Es handelt sich nur um einen fünf Linien langen Dolchstich. Wir sind im vor- aus bezahlt. Zweiter Bursche: Wartet nur noch so lange, bis ich dem heiligen Niccolo eine Opferkerze entzündet habe. Er st er Bursche: So laus, aber komm schnell wieder. Wir folgen ihm in das Gätzchen hinter der Kirche, und Du harrst seiner im Hinterhalte einer Mauerecke. Zweiter Bursche: Habt keine Angst. Ich bin sicher, ihn zu treffen. Er wird wenigstens vierzehn Tage das Bett hüten. (Orgelspiel. Ein Raketenknall.) Die Menge: Ach! Großer Gott! Alles ist verloren! Die Franzosen morden uns! Heilige Madonna, alles ist verloren I Stimmen aus der Menge: Nein, nein, nein! Fürchtet nichts... Es sind Gassenbuben, die sich einen Spaß erlaubt haben! Jesus  ! Man hat mir meine Börse gestohlen! Wollt Ihr wohl meinen Mantel loslassen? I Eine Frau(in einer Ecke kniend): Dank, du mein Gott! Ich danke dir I Mein armer Bruder, mein armer Bruder I Er wird nicht sterben I Tu hast es nicht gewollt! Du gibst ihn mir zurück, ich verdanke ihn deiner Güte! Alle Tage meines Lebens will ich zu dir beten und werde doch immer deine Schuldnerin bleiben! Wie ich dich liebe! Wie ich dich erkenne in deiner unendlichen Güre. Lieber Gott  ! Vergiß mich nicht! Schütze meinen armen Bruder, den du mir zurückgegeben hast.(Sie weint.) Ein Notar(zu seiner Frau): Na, habt Ihr endlich genug geberei? Wenn wir nicht gleich hinausgehen, werden wir im Ge- dränge rorgedrückl werden. Wir wollen die Tür zu erreichen suchen. Schnell, beeilt Euch! Die Frau: Ich raffe nur mein Kleid, damit mir's nicht zerknittert wird. Der Notar: Gebt lieber zu, daß Ihr Euch bemerkbar machen wollt. Meint Ihr wirklicki. Monna Bonponia, ich verstände mich auf solche Kniffe nicht? Meint Ihr, mich hintergehen zu können, mich? Die Frau: Wer denkt daran, Euch zu hintergehen? Laßt mich nur noch ein Ave sagen. Der Notar: Das könnt Ihr im Gehen tun. Was zögert Ihr noch? D i e F r a u: Ich möchte etwas Weihwasser nehmen; aber es stehen so viele Leute um das Becken. Ein Kavalier: Gestattet Ihr mir. Euch behilflich zu sein, gnädige Frau? Die Frau: Sehr gern, mein Herr..,(ihm leise zu- flüsternd): Komm um zwei Uhr... Er ist den ganzen Tag aus. Komm! Der Kavalier: Wohin? Die Frau: In den unteren Saal. Geh, er dreht sich um. Der Notar: Nun aber vorwärts! Werden wir heute oder morgen fertig werden? Wer ist der Kavalier, der Euch das Weih- Wasser gereicht hat? Die Frau: Das weiß ich nicht; ich habe ihn mein Lebtag nicht gesehen. Bewaffnete Diener(die Menge eilig zurücktreibend): Platz I Platz für die Frau Herzogin l (Alle verlassen die Kirche; das Orgelspiel dauert fort.) kleines Zeuilleton. Gebildete. Unter Leitung des Frhrn. v. Egloffstein   gibt der Dürerbund eine VolksschristensammlungDer Schatzgräber  " heraus, deren Heftchen Edelsteine der deutschen Literatur für geringsten Preis im Volke zu verbreiten suchen. DerKunstwart" berichtet jetzt nach einer Veröffentlichung des Leiters der Sammlung eine Reihe von Urteilen, die jener Frhr. v. Egloffstein   über seine Hefte erhielt. Der Kunstwart" betont, daß es sich um Aussprüche nur solcher Leute handelt, die sich zu den Gebildeten rechnen.Und das ist es, was dabei zu lachen gibt. Aber leider nicht nur zu lachen". Aus der Fülle dieser überaus charakteristischen Urteile können hier nur einige wiedergegeben werden. Aber sie dürften zur Kenn- zeichnung auch bereits genügen. DieGebildeten" schrieben unter anderem: Für zehn Pfennige sind die Geschichten ganz gut." Daß Sie auch Goethe und Kleist nochmals abgedruckt haben! Die hat man doch im Schrank stehen." Grimms Märchen   las ich schon in meiner Kindheit. Daß sich das Zeug so lange hält!" Für Gebildete hätte die Sache pikanter gemacht, für das Volk die Moral dicker aufgetragen werden müssen." Wie soll sich der Schatzgräber von der Schundliteratur ab- heben, wenn Sie ihn auch für zehn Pfennige geben!" Was sollen denn die Gebildeten lesen, wenn man solche Dinge dem Volk gibt?" Für Dienstboten sind die roten Hefte recht passend. Aber ich kenne eine Dame, die hat sie selber gelesen." Nehmen Sie dem Schatzgräber doch das rote Gewand, sonst lesen ihn höchstens die Sozialdemokraten." Als guter Patriot härten Sie den Franzosen Tolstoj   weglassen sollen." Daß dieGebildeten" den alten prächtigen RomanSimplizius- Simplizissimus" mit demSimplizissimus", der heute in München  erscheint, den berühmten Maler Ludwig Richter   mir dem freisinnigen Abgeordneten Eugen Richter   verwechseln, sagt auch genug. Ein Baron meinte zu MörikesBauer und Sohn" mit den Bildern von Schwind:Die Pferde hat offenbar ein Kavallerist ge- zeichnet, aber den Text finde ich blöde." Und ein Gymnasialdirektor(I) schrieb, die Erzählungen von Tolstoj  , Hauff, Mörike  , Gotthelf   seiennett und brauchbar ge- schrieben", aber Andersens  Schneekönigin" seifür die Jugend zu fade". Wahrlich, bei all dem istnicht nur zu lachen"! Notizen. B ü ch e r p reise. Bei der Forsetzung der großen Auktion von Bücherseltenheiten aus dem Besitz des Sammlers Hulh in London   wurden wieder gewaltige Preise erzielt. Ein Exemplar des Erstdrucks von MiltonsCosmus" aus dem Jahre 1637, vor fünfzig Jahren für 200 M. erstanden, erzielte 16 000 M. Andere Erstdrucke von Werken dieses großen englischen Dichters brachten es auf 9500, 8200 und 2000 M. Zur tot erklärt. 8j Von E r n st W i ch e r t. Annika ioar recht munter bei der Abfahrt; aber je näher sie dem Seetief und der Stadt kamen, desto nachdenklicher und ernster wurde sie. Sie lehnte sich an ihres Mannes Schulter und sastte seine Hand, immer schweigsam. Auch er wußte nichts zu reden, nachdem sie nicht geantwortet hatte, als er ihr zeigte, wie weit ins Hasf hinaus das einfließende Seewasser durch seine Färbung kenntlich bleibe, als ob es zu stolz sei, sich mit Süßwasser zu mischen. Schon wurde die lange Reihe der Holzschneidemühlen sichtbar, in deren Nähe einige große Schiffe ankerten, um ihre Ladung von geschnittenen Hölzern unmittelbar einzunehmen. Wie eine Nußschale tanzte das kleine Fischerboot daran vorüber. Nun öffnete sich das breite �eetief mit der Fernsicht auf den Leuchtturm und die in weißen Schaum gehüllten Steinmolen, und rechts lag die freundliche Stadt hinter einem Mastenwalde, der sich aus den Fluß fortsetzte und dann mitten hindurchzog. Peter Klars zeigte auf einen stattlichen Dreimaster, der mitten im Tief vor Anker lag und schon die Segel gelockert hatte.Das ist mein Schiff." Annika schreckte zusammen, daß der Knabe in ihrem Arm erwachte und zu schreien anfing. Sie setzten ans Land. Es war Mittag geworden, und sie aßen zusammen, was sie von Hause mitgebracht hatten, schweigsam und traurig. Dann legte das Boot an, das den Kapitän hinüberholen und auch den Matrosen mitnehmen sollte. Es war nicht länger zu zögern. Peter Klars fühlte, daß er selbst weichmütig wurde, und einen Augenblick dachte er: es ist doch nicht recht, daß du gehst! Aber es war zu spät zu anderer Entscheidung. Er schüttelte seinem Vater die Hand und rief ihm, viel lauter als nötig war, zu:Nimm mir Weib und Kind in acht!" Dann hob er den kleinen Peter auf und küßte ihm Stirn und Mund und Augen und beide Hände und jeden Finger. Erst als die Bootsleute ein Zeichen gaben, legte er ihn auf die mitgebrachten Kissen nieder und umarmte seine Annika.Ich habe eine Höfe Ahnung," schluchzte sie mit tränenerstickter Stimme;wir werden uns nicht wiedersehen!"O doch doch, so Gott   will!" sagte er und machte sich los.Vergiß uns nicht!" rief sie ihm nach. Er legte die Hand aufs Herz:Treu bis in den Tod!" Uwt&t trocknete ihre Tränen. Nun einmal das. letzte Wort gesprochen war, wurde sie ruhiger. Sie sah das schlanke Boot über das Wasser fortgleiten, und immer unkenntlicher wurde ihres Mannes Gesicht. Sie bemerkte nur noch, daß er ihr von Zeit zu Zeit zunickte und dann mit dem Hut schwenkte. Endlich sah sie ihn an der Strickleiter hinauf über Bord steigen. Der alte Klars mahnte zur Rückkehr, damit die Nacht sie nicht auf offenem Haff träfe. Aber sie wollte das Schiff noch ausgehen sehen und es so weit begleiten, als das Land reichte. Laß dann wenigstens den Knaben hier," bat der Alte. Auch das verweigerte sie. Fest in das große wollene Tug gewickelt, das sie um die rechte Schulter geschlagen und unterm linken Arm durchgezogen hatte, nahm sie das Kind auf ihrem Gange durch die Stadt und nach der Nordmole mit sich. Indes setzte sich auch das schiff langsam in Bewegung und folgte ihr schneller und schneller. Noch ehe sie den Leuchtturm erreicht hatte, glitt es an ihr vorüber; Peter Klars stand auf einer Strickleiter und schwenkte zum letzten Male seinen Hut. Sie machte den kleinen Peter aus dem Tuch frei und hob ihn hoch auf, mit dem kleinen Gesicht nach dem Schiff zu- gekehrt, und hielt ihn, solange die Kraft ihrer Arme ausreichte. Dann sank sie matt auf einen Stein nieder und hielt sich an dem eisernen Ringe, der darin eingelassen war. Bald blendete die niedersteigende Sonne so stark, daß die Segel nicht mehr zu unterscheiden waren. Sie kehrte zurück. 2. Es ist mit Träumen und Ahnungen ein eigen Ding, sie treffen manchmal zu. Und weil sie manchmal zutreffen, so behaupten sie für sanguinische Naturen und melancholische Gemüter noch immer den Wert von Orakeln. Tie Ahnungen namentlich, die selten auf etwas Freudiges gehen, meistens auf etwas Schmerzliches, Trübes, Bedrohliches wer zeichnet sie nicht gewissenhaft in das Erinnerungsnotizbüchlein seiner Erfahrungen ein, wenn sie in Erfüllung gehen, und wer oer- gißt nicht, wenn Bekümmernis sich in Freude wandelt, daß er sich mit ihnen umsonst gequält hat? Annika hatte trübe Ahnungen gehabt, als sie von ihrem Manne Abschied nahm, und sollte bald Grund haben, viel darüber nachzudenken. Das schöne Barkschiff war zunächst nach einem englischen Hafen bestimmt, wurde aber durch widrige Winde schon in der Oftsee so beschädigt, daß es in Kopenhagen   anlaufen mußte und langen Aufenthalt hatte. Erst nach beinahe drei Mo- naten erhielt der alte Klars auf seine wiederholten Anfragen im Kontor des Reeders die Antwort, daß die Ankunft des Schiffes von dem englischen K.orrespondenzrceder gemeldet sei, daß man aber auch in der Nordsee viel schlechtes Wetter zu bestehen gehabt habe. Die Mannschaft sei wohl. In der Stadt sprach man von einer zweiten nicht unbedeutenden Havarie. Wieder nach einiger Zeit hieß es, die Barke habe Ballast eingenommen und wolle in einem französischen   Hafen an- kehren, um dort entweder passende Rückladung einzunehmen oder sich nach Amerika   zu befrachten. Das war ein Schreck für Annrka; denn fehlte ihr auch von der geographischen Lage dieses Weltteils jede nähere Kenntnis, so hatte sie doch die Vorstellung einer gewaltigen Entfernung, wenn sie das Wort hörte, das ihr Mann nur ausgesprochen hatte, wenn er von sehr fernen Reisen berichtete, die man zu Schiff machen könne. In seiner nicht sehr instruktiven Weise hatte er dann zugefügt, man müsse, um dorthin zu gelangen, um die Erde herum auf die andere Seite, was Annika jedesmal ein schreckhafter Ge- danke gewesen war. So machte ihr denn auch diese Nachricht die lebhafteste Unruhe. Sie fragte den alten Klars, was er von Amerika   wüßte, und wurde durch seine Mitkeilungcn nur noch mehr in Angst gesetzt. Er hatte etwas davon ge- hört, daß die Erde eine Kugel sei, und daß es auch auf der hinteren Seite Menschen gebe, die gerade unter ihnen sein müßten, weil sie selbst ja doch oben Kären; man solle dort aber gar nicht merken, daß man auf dem Kopfe gehe. Annika suchte vergeblich, sich daraus einen Vers zu machen, und hatte schlaflose Nächte, worunter auch der kleine Peter litt. Wieder vergingen Wochen und Wochen. Der Alte mußte eine neue Reise nach Memel   machen, und die junge Frau be- gleitete ihn. Im Kontor hieß es, das Schiff sei ausgegangen, aus dem französischen   Hasen aber bisher kein Telegramm angelangt. Es kam dem Alten so vor, als ob man nicht recht mit der Sprache heraus wollte. Es dauert zu lange," meinte Annika;sie sind nicht ehr- lich gegen uns und halten hinter dein Berge; wir wollen uns bei den anderen Matrosenfraucn erkundigen." Da fand man denn überall schwere Besorgnisse. Das Schiff habe sich schlecht bewährt; die Takelchge sei zu schwer, jeder Sturm müsse es in große Not bringen. Von anderen, die sich gut durchgebracht, seien schon Nachrichten angelangt. Annika machte die Rückfahrt nach ihrem Fischerdorf mehr tat als lebendig.(FoM falgt.)