Hr. 166.- 1916.Unterhaltungsblatt öes vorwärtsDienstag, 18. Ivli.Die Ausnutzung pflanzlicher Nahrung.An einem lesenswerten Aufsatz der letzten Nummer der„Süd-deutschen Monatshefte" untersucht Profeffor Hans Friedenthal dieMöglichkeiten, die Pflanzennahrung mehr als bisher der mensch-lichen Ernährung dienstbar zu machen. Die vielfachen Mittel derKultur, um die Verwertung der natürlichen Nahrung für denMenschen zu erleichtern, haben bisher— so führt er u. a. aus—nicht zu einer Erweiterung der ausnutzbaren Pflanzennährstoffevon feiten der Menschen geführt. Durch Kochen und Backen, durchMahlen und Zerkleinern wird die Aufnahme der Pflanzenswffeerleichtert und die Zahl der dem Zentralnervensystem zufliehendenSinnesreize durch Erhöhung des Genusses der einzunehmendenNahrung gesteigert, die Zeit der Nahrungsaufnahme verkleinertund ein Teil der Verdauungsarbeit dem Körper abgenommen, unddoch ist mit allen bisherigen Hilfsmitteln der Zubereitung derNahrung der Mensch den andern omnivoren(d. h. allesfressenden)Tierarten gegenüber nicht wesentlich im Vorteil und der VorsprungPflanzenteile(Früchte, Wurzeln, Knollen) aus, während die lebendige Substanz der Pflanzen und das eigentliche Pflanzengewebenur von den reinen Pflanzenfressern mit ihrer spezifischen An-pässung des Verdauungstraktus zweckmäßig ausgenutzt wird, vonden Omnivoren dagegen nur gelegentlich mitgenossen wird. Ge-rade die Kernstoffe und eiweißreichsten Pflanzenteile, welche fürden Gewebeaufbau des Menschen von der größten Wichtigkeitwären, wie namentlich die Blätter der Pflanzen, können bishervom Menschen weder roh noch gekocht genügend ausgenutzt werden.Es ist keineswegs nur der hohe Eisengehalt des Spinats, welcherseit langem die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich gezogen hat, deruns veranlassen sollte, die Aufschließung von Grünfutter für diemenschliche Ernährung zu erstreben, sondern es ist der reiche Ge-halt an Protoplasma und an allen Wachstumsbausteinen, der imGegensatze zu den bisher bevorzugten Reservestosfen der Pflanzendem Aufbau menschlichen Gewebes namentlich in der Zeit rascherRegeneration nach erschöpfenden Krankheiten oder bei raschemWachstum dienlich wäre. Bei der innern chemischen Gleichartig-keit aller lebendigen Substanz bedarf es nur der Verdaulichkeitund der Abwesenheit störender Stofswechselprodukte, damit allesLebende geeignet ist, allem anderen organisch sich nährenden Leben-den zur Nahrung zu dienen: wir haben aber keinerlei Anhalt fürdie Vermutung, daß pflanzliches Protoplasma chemisch wesentlichanders zusammengesetzt ist als tierisches Protoplasma und daherungeeigneter für den Aufbau menschlicher Gewebe. Bei einigenPflanzen macht die Anwesenheit von Giften im Zellsaft das Geweberob und ungenießbar(Fliegenpilz, Maniokwurzel); nach Entfernungvon Giften und Bitterstoffen bildet die Verpackung des Pflanzen�gewebes den einzigen Grund gegen die Verwertung als Menschen-rrahrung. Die Schwerverdaulichkeit der Pflanzengewebe beruhteinzig und allein, soweit wie bisher bekannt, in der Verpackungdes pflanzlichen Protoplasmas in Zellulosenwände....Herr Professor Friedenthal untersucht dann im einzelnen diemenschlichen Ernährungsorgane, Zähne, Schlund, Magen usw. inHinblick auf ihre Verwendbarkeit für eine Ernährung durchPflanzenkost. Er faßt diese Untersuchungen zusammen in denfolgenden Sätzen:Als anatomische Anpassungen des erwachsenen Menschen andie Ausnutzung pflanzlicher Nahrung haben wir also zu betrach-ten die meitzelförmigen Schneidezähne, geeignet zum Abbeißen undZerbeißen von Pflanzenteilen, die mahlzahnähnlichen vorderenBackenzähne, die breiten Backenzähne, den engen Schlund, denBlanddarm mit Wurmfortsatz und den geräumigen Dickdarm.Ohne jede Zuhilfenahme des Feuers, allein durch seine körperlicheAnpassung könnte vermutlich der Mensch, wie andere Affenartenmit roher Pflanzenkost sein ganzes Nahrungsbedürfnis bestreitenund dabei eine außerordentliche Leistungsfähigkeit entwickeln.Durch die Zubereitung der Speisen ist der Mensch imstande, eineganze Reihe von Arbeitsleistungen seinem Verdauungstraktus ab-zunehmen, wobei im Beginn der Kultur die dem VerdauungS-traktus abgenommene Arbeit von der menschlichen BewegungS-Maschine verrichtet werden mußte, wie z. B. das Zerreiben derKörnernahrung, während der Kulturmeirsch diese Arbeit durchMaschinen verrichten lassen kann. Je höher der Kulturzustand desMenschen, desto geringer der Anteil des Verdauungstraktus ander� Ernährungsarbeit. Zunächst übernimmt die Bewegungs-Maschine direkt, später auf dem Umwege über Arbeit des Geh-irnSeinen Teil der Arbeitsleistung der Ernährungsorgane. Um einenFortschritt in der Ernährung des Menschen anzubahnen, müssenwir uns fragen, in welcher Weise wir Arbeit auf Maschinen über-tragen können, die bisher vom Körper des Menschen geleistet wer-den mußten. Jeder Fortschritt mutz eine Ersparnis an körperliche:Menschenarbeit bedeuten....Zerreibt man getrocknete Getreidekörner zu Mehl, so ist diestrockene Pulver vom Kulturmenschen nicht ohne weitere Zube-reitung in genügender Menge genießbar. Die Australneger frei-lich kennen keine größere Delikatesse als rohes Mehl. Sie spuckenauf die Erde, bis eine tüchtige Pfütze entsteht, verrühren das Mehlmit dem Speichel und verzehren den entstehenden Kleister mitgroßer Begierde. Der Kulturmensch empfindet es häufig schonals große Unbequemlichkeit, Brot in größeren Mengen zu sichnehmen zu müssen. Brot erfordert eine beträchtliche Kauarbeit,belastet die Verdauungsorgane mit großen Massen und wird zu-letzt noch durch die Dickdarmgärung lästig. Die Einführung reinvegetarischer Lebensweise scheiterte hauptsächlich an diesen hier ge-schilderten Unbequemlichkeiten, zu denen sich noch die unbefviedi-gende Erregung der Geschmacksempfindungen bei reiner Pflanzen-kost gesellt. Grüne Pflanzenteile, wie z. B. Spinatblätter, ent-halten soviel Nährstoffe in trockenem Zustande, daß das Nahrungs-bedürfnis des Menschen an Salzen, Eiweißstoffen, Kohlehydratenund Extrativstoffen allein von ihnen und bei Zugabe von Pflanzen-fett das ganze Nahruugsbedürfnis des Menschen ohne Volumen-Vergrößerung, gegenüber der heute üblichen Kost befriedigt werdenkönnte, wenn es gelänge, die oben erwähnten Unzuträglichkeitevrein vegetarischer Ernährung zu beseitigen. Außer Spinatblätternnenne ich noch Mais, grüne Erbsen und Bohnen mit ihren Schalen,Artischocken, Spargel, Blumenkohl, Butterkohl, Winterkohl, Rosen-kohl, Savoyerkohl, Rotkohl, Zuckerhut, Spitzkohl, Weißkohl, Blätterder Steckrübe, ferner Endivien, Kopfsalat, Feldsalat, Rhabarber,Löwenzahn, Petersilie, Beifuß, Sauerampfer, außerdem noch eineMenge anderer Küchenkräuter. Alle diese Grünpflanzen, charakteri-siert durch das Fehlen erheblicher Mengen von Reservestoffen unddurch ihren Reichtum an Kernstoffen, die bisher in der Physiologienoch so gut wie gar nicht bei der Ernährung wachsender Kinderberücksichtigt werden, werden nur gelegentlich vom Menschen nebenden pflanzlichen Reservestoffen genossen, und in der üblichen Weisezubereitet, nicht vollständig ausgenutzt.Herr Professor Friedenthal erklärt nun: Durch feinstes mafchi-nelles Pulvern ist es möglich, getrocknete Grünpflanzen zu zer-kleinern, daß der allergrößte Teil der Zellwände �zerrissen und dergesamte Zellinhalt den Verdauungssäften zugänglicher gemachtwird, ohne weitere Zubereitung durch Kochen, Backen oder ähn-liche Hilfsmittel. Freilich lassen sich trockene Grünpflanzen nichtohne weiteres zwischen Mühlsteinen zermahlen wie die mehlhaltigenPflanzenteile und Körner. Der Verfasser erzeugte Feuer, als erversuchte, trockenen Spinat zwischen Mühlsteinen zu zermahlen.Zerklemert man aber in zweckmäßiger Weise trockene oder feuchteGrünpflanzen feiner und feiner, so wird ein immer größererTeil der Zellstoffe frei, was durch unser chemisches Sinnesorgan,die Zunge, deutlich und auf einfache Weise konstatiert werdenkann. Zerriebene Karotten schmecken um so süßer, je mehr Zell-wände zerrieben werden. Grünpflanzen, welche Bitterstoffe oderGiftstoffe enthalten, werden, in größeren Mengen genossen, umso gefährlicher wirken, respektwe um so schlechter schmecken, iefeiner die Gewebe zertrümmert worden sind. Der Auswahl derPflanzen sür die Menschenernährung in dieser Form ist also diegrößte Aufmerksamkeit zuzuwenden.Die Nahrungsmenge, welche für den Krastbedarf des Men-schen ausreicht, wird kleiner, daher auch die Beschaffungsarbeit undSammelarbeit. Die Zubereitungsarbeit ist bei Verwendung derfeinsten Pulver auf ein Minimum reduziert. Das Gewicht der imDarm mitzuführenden Jnhaltsmassen ist bei der raschen Verdau-lichkeit der Gemüsepulver ein Minimum; die Bewegungen derArbeitsmaschine sind wenig behindert. Die Entleerungsarbeit istebenfalls wesentlich kleiner, als beim Genuß unaufgeschlossenerPflanzennahrung in der üblichen Zubereitung, selbst im gekochtenoder gebackenen Zustand. Magenkranke und schwächliche Personenwerden mit Vorteil mit der Möglichkeit der Ausnutzung der Ge-müsepulver Gebrauch machen können, wenn die Geschmacksfragezu ihrer Befriedigung gelöst wird. Weite Landstrccken, welchebisher nur unrationell fiir die Ernährung des Menschen durchKörnerbau oder Viehzucht sich ausnutzen ließen, würden beimGrünfutteranbau durch das viel raschere Wachstum der vegeta-tiven Pflanzenteile einen vielfachen Ertrag abwerfen können. Dererwachsene Mensch hat bei der bisherigen Kost, wenn sie nur allenIndividuen immer in den nötigen Mengen und Qualitäten zurVerfügung gestanden hätte, sein Auskommen gefunden. Die Fragenach der Art der Darreichung von pflanzlichen Kernstoffen, Eiweiß-stoffen, Extraktivstoffen, Lipoiden, Eisen und Salzen im Kindes-alter und bei Säuglingen scheint mir erst durch die Darreichungder feinst verkleinerten Gemüsepulvcr in der Milch gelöst wordenzu sein.kleines Zeuilleton.Dus öer Geschichte öes slermelkanal-Tunnels.Ueber Kopenhagen kommt die Nachricht, daß der alte Plan eine?Tunnel« unter dem Kanal hindurch zur Verbindung von Frankreichund England, wieder in den Bereich der Erörterungen gezogen ist.Es hatte sich eine parlamentarische Tunnelkommission in London ge«bildet, der 60 Liberale. 60 Konservative und 60 irische Nationalistenangehören; sie hat eine Sitzung abgehalten und will nun demUnterhaus vorschlagen, den Bau des Tunnels möglichst bald nachdem Krieg m Angriff zu nehmen. Der Krieg hätte England und seinenVerbündeten große Vorteile gebracht, wenn der Tunnel schon bestandenhätte.— Unter diesen Umständen erhalten einige Mitteilungen er«höhte? Interesse, die der»Prometheus" kürzlich über die Geschichtedes Tunnelplans brachte. In ihnen wird daran erinnert, daß derursprüngliche Plan von Frankreich ausging und die ersten Vorschlägebereits im Jahre 1874 der englischen Regierung zur Begutachtung vor-gelegt wurden. Doch die englische Regierung hielt eS sür gefährlich, denBau einer Unterseebahn nach dem Festlande zu gestatten und lehntevorwiegend aus militärischen Gründen ab. Auch� späterhin blieb dieHallung Großbritanniens in dieser Frage unverändert, während dieFranzosen sich immer wieder mit dieser Idee beschäftigten und zwei-mal neuerdings an England herantraten, und zwar im Jahre 1882und später im Jahre 1606. Bei den letzten Vorschlägen führte Frank«reich auch ins Feld, daß die technische Schwierigkeit mit Hilfe dermodernen Errungenschaften vollkommen zu lösen sei. Trotzdem gingdas englische Parlament ohne weitere Erörterung des Projekts zurTagesordnung über. Wie sehr England infolge des Weltkrieges seinenStandpunkt in dieser Frage geändert hat, geht aus der oben er-wähnten Meldung hervor. Der Kostenvoranschlag sür den Bau desTunnels beträgt 400 Millionen Frank, die Arbeitsdauer wird auf3—4 Jahre geschätzt._Der Magnet im Kriegslazarett.Neben den zahlreichen und verschiedenartigen chirurgischenInstrumenten, deren man sich zur Entfernung von Geschossen ausdem Körper bedient, hat sich m vielen Fällen auch der Magnetbewährt. Natürlich ist er nur verwendbar zum Hervorholen solcherFremdkörper, die aus Eisen bestehen oder wenigstens einen größerenTeil Eisen enthalten. Am Auge hat man sich schon seit dem17. Jahrhundert des Magnets zur Entfernung kleinerer, in dasInnere eingedrungener Eisenteile bedient. Dogegen hat man erstwährend des gegenwärtigen Krieges begonnen, in umfangreichemMaße Versuche mit der Verwendung deS Magnets am übrigenKörper anzustellen. Man bediente sich dabei des ElektromagnetS,dem man eine ganz beträchtliche Anziehungskraft zu verleihenvermag. Die wesentlichen Vorteile dieses Werkzeuges gegenüber allenanderen Instrumenten bestehen vor allem darin, daß man des mühsamen Suchens nach dem Geschoß enthoben ist. Man führt dieSpitze des Magneten in die Wunde ein, und häufig befindet sichnach kürzester Zeit der Geschoßteil daran. Ein weiterer Vorteil be-steht dann, daß das Metallstück sich gewöhnlich in der Längsrichtungauf den Magneten einstellt und somit beim Herausziehen keine er-heblichen neuen Verletzungen hervorruft. Hierdurch lowie durch dieEntbehrlichkeit der Einführung von Instrumenten in den Wundkanalselbst werden viel leichter Infektionen der Wunde vermieden. DieFeststellung, ob überhaupt ein eiserner Fremdkörper im Körper steckt.erfolgt auf einfache Weise durch das sog. Sideroskop. das imwesentlichen aus einer empfindlichen, an einem Faden aufgehängtenMagnetnadel besteht._(z)Nottze».— Theaterchronik. In der Volksbühne(Theater amBülowplatz) wird von Freitag ab Shakespeares»Sommer-nachtStraum" mit der Musik von MendelSsohn-Bartholdy ge-geben werden.— Nicht blindlings vernichtenl Der„Verein derFreunde der Königlichen Bibliothek' bittet uns, auf folgendes hin-zuweisen: Um der Papiernot abzuhelfen, entschließt sich jetzt mancher.alte Akten. Schriftstücke und Drucksachen zum Einstampfen bereit zustellen. Unter dem massenhaften wertlosen Material befinden sichaber sicher auch noch viele höchst wertvolle und sür die Wissenschaft«liche Forschung späterer Zeiten wichtige Stücke, die. wie Briese be-rühmter Männer u. a. m.. zum Einstampfen zu schade, in eine öffent-liche Bibliothek gehören. Um dem unersetzlichen Verlust solcherStücke vorzubeugen, erbietet sich die Geschäftsstelle des vorgenanntenVereins in Berlin XIV 7, Unter den Linden 38, die abzugebendenAkten usw. zu prüfen. Die darunter zur Erhaltung sich eignendenStücke sollen der Königlichen Bibliothek überwiesen werden. Ge-gebenenfalls kaust der Verein die Stücke auch an.Zur tot erklärt.Von Ernst Wichert.Iis„Aber ich derf's nicht annehmen. Geben Sie mir dieLeine, ich kann selbst fahren, und kehren Sie zurück, HerrHilgruber."„Durchaus nicht! Die Pferde sind im Stalle übermütiggeworden und müssen eine starke Hand fühlen. Sieh nur—sie werden schon jetzt unruhig."„Aber Ihre Mutter—"„Was kümmert Dich meine Mutter? Sie wundert sichüber manches, worüber nichts zu wundern ist." Dabei spranger vom Schlitten, trat zur Fischersfrau und nötigte die nochunschlüssig Widerstrebende auf den mit einer Decke belegtenStrohsitz. Er selbst setzte sich daneben, und fort sauste derSchlitten durch den Winternebel.Eine Weile blieben beide stumm. Aber als sie sich erstan die Lage gewöhnt hatten, kam bald ein Gespräch in Gangund wurde so lebhaft, daß ihnen die Meile bis zum Marktortnoch nie so kurz vorgekommen war. Annika erzählte von ihrentraurigen Erlebnissen, und Konrad Hilgruber nahm rechtwarmen Anteil daran. Dann sprach er selbst von den Per-änderungen in seinem elterlichen Hause, daß er früher stetsin großer Abhängigkeit gehalten worden sei, nach seiner Groß-jährigkeit aber doch die Wirtschaft übernommen habe und nunsein eigener Herr wäre, wenn schon seine Mutter noch immergern mitrede, was ihr auch eigentlich nicht zu verdenken sei,da sie ja während der Krankheit seines Vaters und späternach seinem Tode für alles gerade wie ein Mann habe sorgenmüssen. Nun dränge sie ihn immer, daß er eine reiche Partiemachen solle, aber er könne sich nicht entschließen, des Geldeswegen zu heiraten, und wolle sein Herz sprechen lassen. Dasfand Annika recht lobenswert, obgleich sie ihre Meinung fürsich behielt.„Es wird sich unter den reichen Wirtstöchtern schon einefinden," sagte sie,„die Ihnen gefällt."„Ich glaub's nicht," antwortete er leise.„Sie sind alledumm und eingebildet, eitel und verputzt. Es ist mir auchganz und gar nicht ums Geld. Ich möchte eine Frau haben,die mich lieb hat und der ich etwas wert bin und die auch imHause nicht das große Wort führen will. Wenn ich vor Jahrenhätte wählen könenn— aber das ging damals nicht an."Sie schwieg und sah auf die Pelzdecke hinunter.«Aufrichtig gesagt," fuhr er nach einer Weile treuherzigfort,„ich kann noch immer nicht vergessen, daß ich der AnnikaEndoms einst von Herzen gut gewesen bin. So was sitzt fest."Es war ihr, als sähe er sie dabei so eigentümlich prüfendan, als ob er noch andere Gedanken im Rückhalt hätte. Siemerkte nun erst, daß sie beim Fahren allmählich dicht zu-sammengerückt waren, erhob sich ein wenig und setzte sich seit-wärts an den Leitcrbaum.Der Krüger peitschte auf die Pferde los, die durchausihre Schuldigkeit taten und nun im gestreckten Galopp die An-höhe zu dem Marktorte hinaufjagten, daß der Schnee vonihren Hufen die Schlittendecke völlig tveiß überzog. Es warder Fischersfrau recht lieb, daß man am Ziele anlangte, eheihr Begleiter das Gespräch wieder aufnehmen konnte.Doktor und Apotheker wohnten zusammen und arbeiteteneinander getreulich in die Hand, wir wollen hoffen, nicht zumSchaden der Kranken, die aus dem Apothekerladen in dieDoktorstube geschickt wurden und von dort mit dem Rezeptwieder in den Apothekerladen zurückkamen. Der Apotheker,ein jovialer junger Mann, mit rundem Gesichte, schwarzemBärtchen und immer vergnügten Augen, stand in gesticktenPantoffeln und mit der Pfeife im Munde auf der Schwelleund grüßte freundlich.„Du hast ja heute einen vornehmenKutscher. Annika," sagte er zur Fischersfrau, als sie sich nachdem Doktor erkundigte.„Herr Hilgruber hat die Güte—' erwiderte sie ihmschüchtern.„Na, wird ihm Wohl nicht gerade schwer geworden sein,"fiel er lachend ein.„mit einer so hübschen Frau spazieren zufahren. Was macht der Alte?"Sie berichtete.„Der Doktor ist nach der Grenze gefahren," sagte derApotheker,„muß aber bald zurück sein. Hat wieder einmaleiner von einer russischen Kugel einen Schuß durchs Beinbekommen. A propos. Du hast ja schon gehört, daß sie DeinenVater in Rußland gegriffen haben?"Sie wurde kreideweiß.„Auch das noch?" murmelte siekaum hörbar. Der Apotheker■ trat zu Konrad Hilgruber,klopfte den Pferden auf den runden, glatten Rücken und er-kundigte sich nach den Dorfneuigkeiten.Eine halbe Stunde darauf kam auch wirklich der Doktorzurück, ein junger, äußerst tätiger, und in seinem Dienste un-ermüdlicher Mann. Es war ihm nichts Neues, bevor er nochvom Schlitten gesprungen war, schon wieder ein anderesFuhrwerk auf sich warten zu sehen.«Heute Nacht kommt Jhi;nicht aus dem Stiefel, Doktor I" rief ihm der Apotheker zu.„Wenn es sein muß," erwiderte er etwas phlegmatisch,indem er sich aus seinem Pelz wickelte.„Ihr macht Euch un-nütze Kosten," sagte er der Fischersfrau, nachdem er mitgroßer Ruhe ihre Mitteilung angehört hatte,„dem Alten wirdkaum zu helfen sein. Aber wenn's Euch beruhigt, soll's mirauf eine Nacht nicht ankommen. Habt Ihr etwas zu essendrüben?"Annika sah verlegen zu Boden.„Vielleicht frische Fische.�«Und Krähenbratcn," fiel der Apotheker ein.«Laßt Euchnicht darauf ein, Doktor, und füttert erst."„Das wird denn doch Wohl nötig sein. Aber da wirdunsere Alte wieder ein gutes Gesicht machen, wenn ich ihr zurunrechten Zeit komme."„Nur hübsch liebenswürdig sein," meinte der Apotheker.Unter der Alten war die Haushälterin gemeint, einewahre Hexe von Endor, von der sich die beiden Junggesellentyrannisieren ließen. Sie kochte vortrefflich und hatte stetsdie Speisekammer gefüllt, machte aber jedesmal tausendRedensarten, ehe sie mit etwas vorrückte, besonders wenn esaußer der Zeit verlangt wurde. Diesmal fand der Doktorsie auffallend gefügig; er wußte freilich nicht, daß Annika fürjedes Rezept noch ein gutes Gericht Fische extra mitgebrachtund pflichtschuldigst an den Hausdrachen abgeliefert hatte.Während der Doktor sich restaurierte, trat der jungeKrüger zu ihm in die Stube, zählte eine Reihe harter Talerauf den Tisch und sagte, daß Frau Klars die für seine Be-mühungen schickte.„Das hat ja keine Eile," meinte derDoktor. Aber der Apotheker verstand die Absicht besser.«DiaAnnika wird Dich nachher noch einmal bezahlen wollen," sagteer; dann nimm aber nichts an."„Aha!" brummte derDoktor und metzelte unter dem Geflügel weiter herum, dasihm gerade unter die Gabel gekommen war.Auf der Rückreise konnte das frühere Gespräch natürlichnicht wieder aufgenommen werden. Der Doktor und Annikateilten die Sitze, und für Konrad Hilgruber blieb neben der!letzteren nur ein kleines Plätzchen, auf dem er mehr balanziertöals saß, indem er die Füße auf den Schlittenflügel gestellthatte. Aber sie konnte nun doch nicht fortrücken, wenn er ihr;einmal zu nahe kam und mit seinem Arm ihre Schulter be«rührte. Die Fischersfrau schien auch nicht darauf zu merken;sie trug sich mit schweren Gedanken über die Zukunft undfragte den Arzt nach den näheren Umständen der Gefangen«nehmung ihres Vaters.(Forts, folgt.)