Hr. 166.- 1916. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Dienstag, 18. Ivli. Die Ausnutzung pflanzlicher Nahrung. An einem lesenswerten Aufsatz der letzten Nummer derSüd- deutschen Monatshefte" untersucht Profeffor Hans Friedenthal die Möglichkeiten, die Pflanzennahrung mehr als bisher der mensch- lichen Ernährung dienstbar zu machen. Die vielfachen Mittel der Kultur, um die Verwertung der natürlichen Nahrung für den Menschen zu erleichtern, haben bisher so führt er u. a. aus nicht zu einer Erweiterung der ausnutzbaren Pflanzennährstoffe von feiten der Menschen geführt. Durch Kochen und Backen, durch Mahlen und Zerkleinern wird die Aufnahme der Pflanzenswffe erleichtert und die Zahl der dem Zentralnervensystem zufliehenden Sinnesreize durch Erhöhung des Genusses der einzunehmenden Nahrung gesteigert, die Zeit der Nahrungsaufnahme verkleinert und ein Teil der Verdauungsarbeit dem Körper abgenommen, und doch ist mit allen bisherigen Hilfsmitteln der Zubereitung der Nahrung der Mensch den andern omnivoren(d. h. allesfressenden) Tierarten gegenüber nicht wesentlich im Vorteil und der Vorsprung Pflanzenteile(Früchte, Wurzeln, Knollen) aus, während die leben dige Substanz der Pflanzen und das eigentliche Pflanzengewebe nur von den reinen Pflanzenfressern mit ihrer spezifischen An- pässung des Verdauungstraktus zweckmäßig ausgenutzt wird, von den Omnivoren dagegen nur gelegentlich mitgenossen wird. Ge- rade die Kernstoffe und eiweißreichsten Pflanzenteile, welche für den Gewebeaufbau des Menschen von der größten Wichtigkeit wären, wie namentlich die Blätter der Pflanzen, können bisher vom Menschen weder roh noch gekocht genügend ausgenutzt werden. Es ist keineswegs nur der hohe Eisengehalt des Spinats, welcher seit langem die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich gezogen hat, der uns veranlassen sollte, die Aufschließung von Grünfutter für die menschliche Ernährung zu erstreben, sondern es ist der reiche Ge- halt an Protoplasma und an allen Wachstumsbausteinen, der im Gegensatze zu den bisher bevorzugten Reservestosfen der Pflanzen dem Aufbau menschlichen Gewebes namentlich in der Zeit rascher Regeneration nach erschöpfenden Krankheiten oder bei raschem Wachstum dienlich wäre. Bei der innern chemischen Gleichartig- keit aller lebendigen Substanz bedarf es nur der Verdaulichkeit und der Abwesenheit störender Stofswechselprodukte, damit alles Lebende geeignet ist, allem anderen organisch sich nährenden Leben- den zur Nahrung zu dienen: wir haben aber keinerlei Anhalt für die Vermutung, daß pflanzliches Protoplasma chemisch wesentlich anders zusammengesetzt ist als tierisches Protoplasma und daher ungeeigneter für den Aufbau menschlicher Gewebe. Bei einigen Pflanzen macht die Anwesenheit von Giften im Zellsaft das Gewebe rob und ungenießbar(Fliegenpilz  , Maniokwurzel); nach Entfernung von Giften und Bitterstoffen bildet die Verpackung des Pflanzen� gewebes den einzigen Grund gegen die Verwertung als Menschen- rrahrung. Die Schwerverdaulichkeit der Pflanzengewebe beruht einzig und allein, soweit wie bisher bekannt, in der Verpackung des pflanzlichen Protoplasmas in Zellulosenwände.... Herr Professor Friedenthal untersucht dann im einzelnen die menschlichen Ernährungsorgane, Zähne, Schlund, Magen usw. in Hinblick auf ihre Verwendbarkeit für eine Ernährung durch Pflanzenkost. Er faßt diese Untersuchungen zusammen in den folgenden Sätzen: Als anatomische Anpassungen des erwachsenen Menschen an die Ausnutzung pflanzlicher Nahrung haben wir also zu betrach- ten die meitzelförmigen Schneidezähne, geeignet zum Abbeißen und Zerbeißen von Pflanzenteilen, die mahlzahnähnlichen vorderen Backenzähne, die breiten Backenzähne, den engen Schlund, den Blanddarm mit Wurmfortsatz und den geräumigen Dickdarm. Ohne jede Zuhilfenahme des Feuers, allein durch seine körperliche Anpassung könnte vermutlich der Mensch, wie andere Affenarten mit roher Pflanzenkost sein ganzes Nahrungsbedürfnis bestreiten und dabei eine außerordentliche Leistungsfähigkeit entwickeln. Durch die Zubereitung der Speisen ist der Mensch imstande, eine ganze Reihe von Arbeitsleistungen seinem Verdauungstraktus ab- zunehmen, wobei im Beginn der Kultur die dem VerdauungS  - traktus abgenommene Arbeit von der menschlichen BewegungS- Maschine verrichtet werden mußte, wie z. B. das Zerreiben der Körnernahrung, während der Kulturmeirsch diese Arbeit durch Maschinen verrichten lassen kann. Je höher der Kulturzustand des Menschen, desto geringer der Anteil des Verdauungstraktus an der� Ernährungsarbeit. Zunächst übernimmt die Bewegungs- Maschine direkt, später auf dem Umwege über Arbeit des Geh-irnS einen Teil der Arbeitsleistung der Ernährungsorgane. Um einen Fortschritt in der Ernährung des Menschen anzubahnen, müssen wir uns fragen, in welcher Weise wir Arbeit auf Maschinen über- tragen können, die bisher vom Körper des Menschen geleistet wer- den mußten. Jeder Fortschritt mutz eine Ersparnis an körperliche: Menschenarbeit bedeuten.... Zerreibt man getrocknete Getreidekörner zu Mehl, so ist dies trockene Pulver vom Kulturmenschen nicht ohne weitere Zube- reitung in genügender Menge genießbar. Die Australneger frei- lich kennen keine größere Delikatesse als rohes Mehl. Sie spucken auf die Erde, bis eine tüchtige Pfütze entsteht, verrühren das Mehl mit dem Speichel und verzehren den entstehenden Kleister mit großer Begierde. Der Kulturmensch empfindet es häufig schon als große Unbequemlichkeit, Brot in größeren Mengen zu sich nehmen zu müssen. Brot erfordert eine beträchtliche Kauarbeit, belastet die Verdauungsorgane mit großen Massen und wird zu- letzt noch durch die Dickdarmgärung lästig. Die Einführung rein vegetarischer Lebensweise scheiterte hauptsächlich an diesen hier ge- schilderten Unbequemlichkeiten, zu denen sich noch die unbefviedi- gende Erregung der Geschmacksempfindungen bei reiner Pflanzen- kost gesellt. Grüne Pflanzenteile, wie z. B. Spinatblätter, ent- halten soviel Nährstoffe in trockenem Zustande, daß das Nahrungs- bedürfnis des Menschen an Salzen, Eiweißstoffen, Kohlehydraten und Extrativstoffen allein von ihnen und bei Zugabe von Pflanzen- fett das ganze Nahruugsbedürfnis des Menschen ohne Volumen- Vergrößerung, gegenüber der heute üblichen Kost befriedigt werden könnte, wenn es gelänge, die oben erwähnten Unzuträglichkeitev rein vegetarischer Ernährung zu beseitigen. Außer Spinatblättern nenne ich noch Mais, grüne Erbsen und Bohnen mit ihren Schalen, Artischocken, Spargel, Blumenkohl, Butterkohl, Winterkohl, Rosen- kohl, Savoyerkohl, Rotkohl, Zuckerhut, Spitzkohl, Weißkohl, Blätter der Steckrübe, ferner Endivien, Kopfsalat, Feldsalat, Rhabarber, Löwenzahn, Petersilie, Beifuß, Sauerampfer, außerdem noch eine Menge anderer Küchenkräuter. Alle diese Grünpflanzen, charakteri- siert durch das Fehlen erheblicher Mengen von Reservestoffen und durch ihren Reichtum an Kernstoffen, die bisher in der Physiologie noch so gut wie gar nicht bei der Ernährung wachsender Kinder berücksichtigt werden, werden nur gelegentlich vom Menschen neben den pflanzlichen Reservestoffen genossen, und in der üblichen Weise zubereitet, nicht vollständig ausgenutzt. Herr Professor Friedenthal erklärt nun: Durch feinstes mafchi- nelles Pulvern ist es möglich, getrocknete Grünpflanzen zu zer- kleinern, daß der allergrößte Teil der Zellwände �zerrissen und der gesamte Zellinhalt den Verdauungssäften zugänglicher gemacht wird, ohne weitere Zubereitung durch Kochen, Backen oder ähn- liche Hilfsmittel. Freilich lassen sich trockene Grünpflanzen nicht ohne weiteres zwischen Mühlsteinen zermahlen wie die mehlhaltigen Pflanzenteile und Körner. Der Verfasser erzeugte Feuer, als er versuchte, trockenen Spinat zwischen Mühlsteinen zu zermahlen. Zerklemert man aber in zweckmäßiger Weise trockene oder feuchte Grünpflanzen feiner und feiner, so wird ein immer größerer Teil der Zellstoffe frei, was durch unser chemisches Sinnesorgan, die Zunge, deutlich und auf einfache Weise konstatiert werden kann. Zerriebene Karotten schmecken um so süßer, je mehr Zell- wände zerrieben werden. Grünpflanzen, welche Bitterstoffe oder Giftstoffe enthalten, werden, in größeren Mengen genossen, um so gefährlicher wirken, respektwe um so schlechter schmecken, ie feiner die Gewebe zertrümmert worden sind. Der Auswahl der Pflanzen sür die Menschenernährung in dieser Form ist also die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Nahrungsmenge, welche für den Krastbedarf des Men- schen ausreicht, wird kleiner, daher auch die Beschaffungsarbeit und Sammelarbeit. Die Zubereitungsarbeit ist bei Verwendung der feinsten Pulver auf ein Minimum reduziert. Das Gewicht der im Darm mitzuführenden Jnhaltsmassen ist bei der raschen Verdau- lichkeit der Gemüsepulver ein Minimum; die Bewegungen der Arbeitsmaschine sind wenig behindert. Die Entleerungsarbeit ist ebenfalls wesentlich kleiner, als beim Genuß unaufgeschlossener Pflanzennahrung in der üblichen Zubereitung, selbst im gekochten oder gebackenen Zustand. Magenkranke und schwächliche Personen werden mit Vorteil mit der Möglichkeit der Ausnutzung der Ge- müsepulver Gebrauch machen können, wenn die Geschmacksfrage zu ihrer Befriedigung gelöst wird. Weite Landstrccken, welche bisher nur unrationell fiir die Ernährung des Menschen durch Körnerbau oder Viehzucht sich ausnutzen ließen, würden beim Grünfutteranbau durch das viel raschere Wachstum der vegeta- tiven Pflanzenteile einen vielfachen Ertrag abwerfen können. Der erwachsene Mensch hat bei der bisherigen Kost, wenn sie nur allen Individuen immer in den nötigen Mengen und Qualitäten zur Verfügung gestanden hätte, sein Auskommen gefunden. Die Frage nach der Art der Darreichung von pflanzlichen Kernstoffen, Eiweiß- stoffen, Extraktivstoffen, Lipoiden, Eisen und Salzen im Kindes- alter und bei Säuglingen scheint mir erst durch die Darreichung der feinst verkleinerten Gemüsepulvcr in der Milch gelöst worden zu sein. kleines Zeuilleton. Dus öer Geschichte öes slermelkanal-Tunnels. Ueber Kopenhagen kommt die Nachricht, daß der alte Plan eine? Tunnel« unter dem Kanal hindurch zur Verbindung von Frankreich  und England, wieder in den Bereich der Erörterungen gezogen ist. Es hatte sich eine parlamentarische Tunnelkommission in London   ge« bildet, der 60 Liberale. 60 Konservative und 60 irische Nationalisten angehören; sie hat eine Sitzung abgehalten und will nun dem Unterhaus vorschlagen, den Bau des Tunnels möglichst bald nach dem Krieg m Angriff zu nehmen. Der Krieg hätte England und seinen Verbündeten große Vorteile gebracht, wenn der Tunnel schon bestanden hätte. Unter diesen Umständen erhalten einige Mitteilungen er« höhte? Interesse, die der»Prometheus" kürzlich über die Geschichte des Tunnelplans brachte. In ihnen wird daran erinnert, daß der ursprüngliche Plan von Frankreich   ausging und die ersten Vorschläge bereits im Jahre 1874 der englischen   Regierung zur Begutachtung vor- gelegt wurden. Doch die englische Regierung hielt eS sür gefährlich, den Bau einer Unterseebahn nach dem Festlande zu gestatten und lehnte vorwiegend aus militärischen Gründen ab. Auch� späterhin blieb die Hallung Großbritanniens   in dieser Frage unverändert, während die Franzosen sich immer wieder mit dieser Idee beschäftigten und zwei- mal neuerdings an England herantraten, und zwar im Jahre 1882 und später im Jahre 1606. Bei den letzten Vorschlägen führte Frank« reich auch ins Feld, daß die technische Schwierigkeit mit Hilfe der modernen Errungenschaften vollkommen zu lösen sei. Trotzdem ging das englische Parlament ohne weitere Erörterung des Projekts zur Tagesordnung über. Wie sehr England infolge des Weltkrieges seinen Standpunkt in dieser Frage geändert hat, geht aus der oben er- wähnten Meldung hervor. Der Kostenvoranschlag sür den Bau des Tunnels beträgt 400 Millionen Frank, die Arbeitsdauer wird auf 34 Jahre geschätzt._ Der Magnet im Kriegslazarett. Neben den zahlreichen und verschiedenartigen chirurgischen Instrumenten, deren man sich zur Entfernung von Geschossen aus dem Körper bedient, hat sich m vielen Fällen auch der Magnet bewährt. Natürlich ist er nur verwendbar zum Hervorholen solcher Fremdkörper, die aus Eisen bestehen oder wenigstens einen größeren Teil Eisen enthalten. Am Auge hat man sich schon seit dem 17. Jahrhundert des Magnets zur Entfernung kleinerer, in das Innere eingedrungener Eisenteile bedient. Dogegen hat man erst während des gegenwärtigen Krieges begonnen, in umfangreichem Maße Versuche mit der Verwendung deS Magnets   am übrigen Körper anzustellen. Man bediente sich dabei des ElektromagnetS, dem man eine ganz beträchtliche Anziehungskraft zu verleihen vermag. Die wesentlichen Vorteile dieses Werkzeuges gegenüber allen anderen Instrumenten bestehen vor allem darin, daß man des müh­samen Suchens nach dem Geschoß enthoben ist. Man führt die Spitze des Magneten in die Wunde ein, und häufig befindet sich nach kürzester Zeit der Geschoßteil daran. Ein weiterer Vorteil be- steht dann, daß das Metallstück sich gewöhnlich in der Längsrichtung auf den Magneten einstellt und somit beim Herausziehen keine er- heblichen neuen Verletzungen hervorruft. Hierdurch lowie durch die Entbehrlichkeit der Einführung von Instrumenten in den Wundkanal selbst werden viel leichter Infektionen der Wunde vermieden. Die Feststellung, ob überhaupt ein eiserner Fremdkörper im Körper steckt. erfolgt auf einfache Weise durch das sog. Sideroskop. das im wesentlichen aus einer empfindlichen, an einem Faden aufgehängten Magnetnadel besteht._(z) Nottze». Theaterchronik. In der Volksbühne(Theater am Bülowplatz) wird von Freitag ab Shakespeares»Sommer- nachtStraum" mit der Musik von MendelSsohn-Bartholdy   ge- geben werden. Nicht blindlings vernichtenl DerVerein der Freunde der Königlichen Bibliothek' bittet uns, auf folgendes hin- zuweisen: Um der Papiernot abzuhelfen, entschließt sich jetzt mancher. alte Akten. Schriftstücke und Drucksachen zum Einstampfen bereit zu stellen. Unter dem massenhaften wertlosen Material befinden sich aber sicher auch noch viele höchst wertvolle und sür die Wissenschaft« liche Forschung späterer Zeiten wichtige Stücke, die. wie Briese be- rühmter Männer u. a. m.. zum Einstampfen zu schade, in eine öffent- liche Bibliothek gehören. Um dem unersetzlichen Verlust solcher Stücke vorzubeugen, erbietet sich die Geschäftsstelle des vorgenannten Vereins in Berlin   XIV 7, Unter den Linden 38, die abzugebenden Akten usw. zu prüfen. Die darunter zur Erhaltung sich eignenden Stücke sollen der Königlichen Bibliothek überwiesen werden. Ge- gebenenfalls kaust der Verein die Stücke auch an. Zur tot erklärt. Von Ernst Wichert  . Iis Aber ich derf's nicht annehmen. Geben Sie mir die Leine, ich kann selbst fahren, und kehren Sie zurück, Herr Hilgruber." Durchaus nicht! Die Pferde sind im Stalle übermütig geworden und müssen eine starke Hand fühlen. Sieh nur sie werden schon jetzt unruhig." Aber Ihre Mutter" Was kümmert Dich meine Mutter? Sie wundert sich über manches, worüber nichts zu wundern ist." Dabei sprang er vom Schlitten, trat zur Fischersfrau und nötigte die noch unschlüssig Widerstrebende auf den mit einer Decke belegten Strohsitz. Er selbst setzte sich daneben, und fort sauste der Schlitten durch den Winternebel. Eine Weile blieben beide stumm. Aber als sie sich erst an die Lage gewöhnt hatten, kam bald ein Gespräch in Gang und wurde so lebhaft, daß ihnen die Meile bis zum Marktort noch nie so kurz vorgekommen war. Annika erzählte von ihren traurigen Erlebnissen, und Konrad Hilgruber nahm recht warmen Anteil daran. Dann sprach er selbst von den Per- änderungen in seinem elterlichen Hause, daß er früher stets in großer Abhängigkeit gehalten worden sei, nach seiner Groß- jährigkeit aber doch die Wirtschaft übernommen habe und nun sein eigener Herr wäre, wenn schon seine Mutter noch immer gern mitrede, was ihr auch eigentlich nicht zu verdenken sei, da sie ja während der Krankheit seines Vaters und später nach seinem Tode für alles gerade wie ein Mann habe sorgen müssen. Nun dränge sie ihn immer, daß er eine reiche Partie machen solle, aber er könne sich nicht entschließen, des Geldes wegen zu heiraten, und wolle sein Herz sprechen lassen. Das fand Annika recht lobenswert, obgleich sie ihre Meinung für sich behielt. Es wird sich unter den reichen Wirtstöchtern schon eine finden," sagte sie,die Ihnen gefällt." Ich glaub's nicht," antwortete er leise.Sie sind alle dumm und eingebildet, eitel und verputzt. Es ist mir auch ganz und gar nicht ums Geld. Ich möchte eine Frau haben, die mich lieb hat und der ich etwas wert bin und die auch im Hause nicht das große Wort führen will. Wenn ich vor Jahren hätte wählen könenn aber das ging damals nicht an." Sie schwieg und sah auf die Pelzdecke hinunter. «Aufrichtig gesagt," fuhr er nach einer Weile treuherzig fort,ich kann noch immer nicht vergessen, daß ich der Annika Endoms einst von Herzen gut gewesen bin. So was sitzt fest." Es war ihr, als sähe er sie dabei so eigentümlich prüfend an, als ob er noch andere Gedanken im Rückhalt hätte. Sie merkte nun erst, daß sie beim Fahren allmählich dicht zu- sammengerückt waren, erhob sich ein wenig und setzte sich seit- wärts an den Leitcrbaum. Der Krüger peitschte auf die Pferde los, die durchaus ihre Schuldigkeit taten und nun im gestreckten Galopp die An- höhe zu dem Marktorte hinaufjagten, daß der Schnee von ihren Hufen die Schlittendecke völlig tveiß überzog. Es war der Fischersfrau recht lieb, daß man am Ziele anlangte, ehe ihr Begleiter das Gespräch wieder aufnehmen konnte. Doktor und Apotheker wohnten zusammen und arbeiteten einander getreulich in die Hand, wir wollen hoffen, nicht zum Schaden der Kranken, die aus dem Apothekerladen in die Doktorstube geschickt wurden und von dort mit dem Rezept wieder in den Apothekerladen zurückkamen. Der Apotheker, ein jovialer junger Mann, mit rundem Gesichte, schwarzem Bärtchen und immer vergnügten Augen, stand in gestickten Pantoffeln und mit der Pfeife im Munde auf der Schwelle und grüßte freundlich.Du hast ja heute einen vornehmen Kutscher. Annika," sagte er zur Fischersfrau, als sie sich nach dem Doktor erkundigte. Herr Hilgruber hat die Güte' erwiderte sie ihm schüchtern. Na, wird ihm Wohl nicht gerade schwer geworden sein," fiel er lachend ein.mit einer so hübschen Frau spazieren zu fahren. Was macht der Alte?" Sie berichtete. Der Doktor ist nach der Grenze gefahren," sagte der Apotheker,muß aber bald zurück sein. Hat wieder einmal einer von einer russischen Kugel einen Schuß durchs Bein bekommen. A propos. Du hast ja schon gehört, daß sie Deinen Vater in Rußland   gegriffen haben?" Sie wurde kreideweiß.Auch das noch?" murmelte sie kaum hörbar. Der Apotheker trat zu Konrad Hilgruber, klopfte den Pferden auf den runden, glatten Rücken und er- kundigte sich nach den Dorfneuigkeiten. Eine halbe Stunde darauf kam auch wirklich der Doktor zurück, ein junger, äußerst tätiger, und in seinem Dienste un- ermüdlicher Mann. Es war ihm nichts Neues, bevor er noch vom Schlitten gesprungen war, schon wieder ein anderes Fuhrwerk auf sich warten zu sehen.«Heute Nacht kommt Jhi; nicht aus dem Stiefel, Doktor I" rief ihm der Apotheker zu. Wenn es sein muß," erwiderte er etwas phlegmatisch, indem er sich aus seinem Pelz wickelte.Ihr macht Euch un- nütze Kosten," sagte er der Fischersfrau, nachdem er mit großer Ruhe ihre Mitteilung angehört hatte,dem Alten wird kaum zu helfen sein. Aber wenn's Euch beruhigt, soll's mir auf eine Nacht nicht ankommen. Habt Ihr etwas zu essen drüben?" Annika sah verlegen zu Boden.  Vielleicht frische Fische. «Und Krähenbratcn," fiel der Apotheker ein.«Laßt Euch nicht darauf ein, Doktor, und füttert erst." Das wird denn doch Wohl nötig sein. Aber da wird unsere Alte wieder ein gutes Gesicht machen, wenn ich ihr zur unrechten Zeit komme." Nur hübsch liebenswürdig sein," meinte der Apotheker. Unter der Alten war die Haushälterin gemeint, eine wahre Hexe von Endor, von der sich die beiden Junggesellen tyrannisieren ließen. Sie kochte vortrefflich und hatte stets die Speisekammer gefüllt, machte aber jedesmal tausend Redensarten, ehe sie mit etwas vorrückte, besonders wenn es außer der Zeit verlangt wurde. Diesmal fand der Doktor sie auffallend gefügig; er wußte freilich nicht, daß Annika für jedes Rezept noch ein gutes Gericht Fische extra mitgebracht und pflichtschuldigst an den Hausdrachen abgeliefert hatte. Während der Doktor sich restaurierte, trat der junge Krüger zu ihm in die Stube, zählte eine Reihe harter Taler auf den Tisch und sagte, daß Frau Klars die für seine Be- mühungen schickte.Das hat ja keine Eile," meinte der Doktor. Aber der Apotheker verstand die Absicht besser.«Dia Annika wird Dich nachher noch einmal bezahlen wollen," sagte er; dann nimm aber nichts an."Aha!" brummte der Doktor und metzelte unter dem Geflügel weiter herum, das ihm gerade unter die Gabel gekommen war. Auf der Rückreise konnte das frühere Gespräch natürlich nicht wieder aufgenommen werden. Der Doktor und Annika teilten die Sitze, und für Konrad Hilgruber blieb neben der! letzteren nur ein kleines Plätzchen, auf dem er mehr balanziertö als saß, indem er die Füße auf den Schlittenflügel gestellt hatte. Aber sie konnte nun doch nicht fortrücken, wenn er ihr; einmal zu nahe kam und mit seinem Arm ihre Schulter be« rührte. Die Fischersfrau schien auch nicht darauf zu merken; sie trug sich mit schweren Gedanken über die Zukunft und fragte den Arzt nach den näheren Umständen der Gefangen« nehmung ihres Vaters.(Forts, folgt.)