Nr. 172.- 1916. Unterhaltungsblatt öes Vorwärts Dikustag, 25. Juli. Tätigkeit öer Kaiserlichen Marine in Mesopotamien . Bald taadj Beginn des Kriege? wurde ein kleines deutsches Marine Derachcment nach dem unteren Tigris gesandt, wo die Türken daS Vordringen der Engländer vom Persischen Eolf auS nach dem Innern zu hindern suchten. Ein LandungSgeschütz S. M. S.©öden* konnte dabei wiederholt günstige Gelegen» Helten ausnutzen. Wie bekannt, gelang eS jedoch den Engländern durch ihre Uebermacht und ihre aus ganz modernen Monitoren bestehende Flustflottille bis beinahe nach Bagdad zu kommen. Die Schlacht bei Ktesiphon oder wie die Türken fie nennen bei Selman Pak zwang jedoch die englische Armee des General Townshend zum fluchtartigen Rückzüge nach Süden. Bei dieser Gelegenheit fielen den Türken ein erst 191ö gebaute? Flufikanonen» boot und mehrere armierte Patrouillenboote in die Hände. Der Generalissimus der türkischen Armee, öjtver Pascha, der die erfolgreiche Reformarbeit des AdmiralS Souchon an der 'türkischen Marine erkannt hatte, erbat von ihm auch Personal, um die neu gewonnenen Kampfmittel im Irak sachgemätz in» stand setzen und verwenden zu können. Ansang Dezember ISIS wurde daher ein kleines Marinedetachement, das aus ausgesuchten Spezialisten für den Maschinenbetrieb und Artillerieverwendung be- stand, von der Mittelmeer-Division aus nach Bagdad in Marsch gesetzt, wo es Anfang Januar eintraf. Mannigfaltige Auf» gaben erwarteten die kleine Schar. Die Engländer hatten natürlich ihre Schiff«, die sie den türkisckien Siegern überlassen mußten, nach Kräften zerstört; auch fehlte den türkischen und arabischen Marinemannschaflen die Erfahrung zur Bedienung dieser ganz neuzeitlichen Fahrzeuge. Nach kurzer Zeit gelang es den deutschen Marinemannschaflen, die unter deutscher Leitung gestellte Flustflotlille so instand zu setzen und auszubilden, daß sie mehrfach piil Erfolg in die Kämpfe bei Kut el Amara und gegen die von Süden herandrängende Entsatzarmee der Engländer eingreifen konnte. Wenn die Engländer in diesem, mit dem Fall von Kut schließenden, Kämpfen keinmal einen Versuch machten, durch vollen Einsatz ihrer Flußkampfmittel die belagerte Stadt zu entsetzen, so dürfte dies zum größten Teil auf die Achtung vor den Minen und Kanonen der Flußfloltille zurückzuführen sein. Die Arbeit unserer deutschen Mannschaften in diesem heißesten Land der Erde bedingt An» strengungen, die dem schlimmsten Schützengrabenkanrpf kaum nach» stehen: tropische Regen im Winter, Hitze im Sommer, kaum zu be» schreibende Ungezieferplage und recht schwierige Berpflegungsverhält» nisse: ständig umgeben von einer unfreundlichen, zum Verrat neigenden arabischen Bevölkerung, in der englisches Gold von Basra aus plan» mäßig zur Wirkung gebracht wird. Dazu kommt die mehrere Wochen in Anspruch nehmende, häufig recht unsichere Postverbindung mit der Heimat und da« Fehlen aller technischen Hilfsmittel. Trotz aller dieser Schwierigkeiten herrscht eine begeisterte Stimmung unter den Marinemannschaften im Irak , die stolz daraus sind, die deutsche Marine aus dem entferntesten Kriegsschauplatz vertreten zu dürfen. Bald nach der Entsendung de» für die Jrak-Flottille bestimmten Personals erwuchs der Mittelmecrdivision eine andere wichtige Auf» gäbe im Innern des Landes. Bekanntlich ist die Bagdadbahn noch nicht sertiggestellt, so daß noch eine etwa 7<X> Kilometer lange Strecke durch die Wüste mit Pferd und Wagen zu überwinden ist, um Per» sonen und Sachen nach Bagdad zu schaffen. Dieser Wüstenweg konnte nicht das schaffen, was der immer wichtiger werdende Kriegsschau- platz in Mesopotamien und Perfien erforderte. Der Gedanke lag nahe, den Euphratwasserweg zur Verbesserung der Etappe heranzuziehen. Leider hatte dieser Strom, soweit die Geschichte reicht, seiner Be» zwingung durch regelmäßige Schiffahrt Widerstand entgegengesetzt. Nur dieselben primitiven Kähne und Flöße von aufgeblasenen Ziegen- häuten, die schon zu Abrahams Zeiten in Gebrauch waren und in genau derselben Form auf hetitischen Denkmälern zu sehen find. standen bis vor dem Eingreifen deutscher Marinemannschaften auf dem Euphrat wie auch auf dem Tigris oberhalb Bagdad zur Ver- fügung. Zwar waren im IS. Jahrhundert mehrfach von Engländern und Franzosen Versuche gemacht worden, den Euphrat mit Dampfern oder Motorbooten zu befahren. DaS völlig verwilderte Fahrwasser, starker und wechselnder Strom, sowie die allem Neuen feindliche Uferbevölkerung machten jedoch jeden nachhaltigen Erfolg unmöglich, so daß eS bei einzelnen, vom sportlichen Standpunkt recht anzu- erkennenden Versuchen geblieben ist. Deutsche Gründlichkeit und die Ausnutzung modernster technischer Hilfsmittel brachten nun in kurzer Zeit eine solche Verbesserung der Euphratschiffahrt zustande, daß nicht nur alle schweren Lasten, die die Armee in Mesopotamien brauchte, unzerlegt und ficher nach Bagdad geschafft werden konnten, sondern daß auch die durchschnittliche Reisedauer auf die Hälfte der früher üblichen Zeit herabgesetzt werden konnte. So wurde z. B. eine Batterie mit allem Zubehör und Munition von Djerablu» noch Retwanije, dem Euphrathafen Bagdads , in nur 11 Tagen geschafft. Auch der Fokkereindecker, der vor Kut große Erfolge errang, die ein- gestandenermaßen mit dazu beitrugen, die Engländer zur Aufgabe von Kut zu veranlassen, wurde in kurzer Zeit auf dem Fluß her- untergeschafft und konnte, da er beim Flußtransport nicht zerlegt worden war. schnellstens seine Tätigkeit aufnehmen. Allerdings stehen auch jetzt noch einem.eisenbahnmäßigen' Betriebe der Flußschiffahrt starke Hindernisse entgegen. Eine deutsche Marinewerst, die dort angelegt wurde, wo die Bagdad-Bahn bei DjerabluS den Euphrat kreuzt, hat jedoch eine Anzahl ganz flach- gehender Motorfahrzeuge gebaut und den Typ der alten Treibfahr- zeuge so verbessert daß fie die achtfache Ladung nehmen können. Diese neuen Fahrzeuge werden zusammen mit den erwähnten ur- alten Typen im Betriebe kombiniert. Um die Sicherheit der Schiffahrt zu heben, wird eine großzügig angelegte Vermessung deS gesamten schiffbaren Euphrats unternommen; Brennstoffstationen und Re- paraiurstellen am Ufer. Verpflegungsstationen und Rettungs- einrichtungen sollen die zahlreichen Gefahren beheben, die bisher der Schiffahrt auf dem Euphrat drohten. Beiden deutschen Detachements, auf dem Euphrat und dem Tigris , die im.Jrak-Detachement' eine einheitliche Leitung er­hielten, erwuchs schließlich noch eine dritte Aufgabe: dem Wasser- Etappendienst auf dem oberen Tigris und dem BitliSflutz sollte auf Wunsch von Enver-Pascha die sachverständige Hilfe der deutschen Marine zuteil werden, um die dort vorhandenen primitiven Mittel voll zur Unterstützung der kämpfenden Armee ausnutzen zu können. Von türkischer Seite wird die selbstlose Mitarbeit der deutschen Marinemannschaften zum besten des türkischen Heeres voll anerkannt und ein freundschaftlich-kameradschaftliches Verhältnis verbindet die beiderseitigen Offiziere und Mannschaften. kleines Feuilleton. Ist's im Walde kühler oder im freien! Wer im Sommer gegen Hitze und Sonne Kühlung sucht, geht insfinktiv unter die Bäume und in den Wald. Dort ist man gegen die direkte Sonnenstrahlung geschützt und fühlt sich wohler. Von vielen wird dagegen eingewandt, daß es im Walde durchaus nicht kühler fei, als im Freien. Im Gegenteil würde dort die Luft ge- hindert, über den Boden zu streichen und Kühlung zu bringen, weil die Bäume sie daran hinderten. Im Freien sei eS also allemal kühler. Der Meteorologe Prof. Dr. Schubert hat neuerding« aber fest« gestellt, daß diese Anschauung falsch ist. Er stellte daS fest, indem er in zwei eigens dazu eingerichteten Stationen die notwendigen Messungen an einwandsfreien Instrumenten vornahm. Die eine da- von war im Eberswalder Stadtforst in einer etwa 4 Meter hohen Buchenschonung untergebracht, die andere in der Nähe auf freiem Felde. Als dann Prof. Schubert die Ergebnisse miteinander ver- glich, zeigte sich, daß namentlich am Boden im Wald««ine Ab- kühlung vorhanden ist, während auf dem Felde in der Nähe des Bodens gerade die höchsten Temperaturen herrschen. Besonders starke Unterschiede schaffen die UebergangSzeiten, an denen tagS noch starke Wärmezustrahlung durch die Sonne stallfindet, nacht» aber eine kräftige Abkühlung einsetzt. Wenn die Sonne niedersinkt, kühlt sich die Luft im Walde sehr schnell und stark ab, weil die zahl- reichen Blätter mit ihren großen Flächen die Wärme überall- hin ausstrahlen. Begünstigt wird das noch durch die Beweg- lichkeit der Blätter. Da andererseits die Lust im Walde nicht so beweglich ist wie im Freien, bleiben die abgekühlten Luft» fchichten liegen und werden kühler und kühler. Die ruhigere Lage- rung der Luft gestattet auch eine größere Feuchtigkeit. Das geht sogar soweit, daß zu gewissen Zeiten der Unterschied zwischen der Luftfeuchtigkeit im Freien und im Walde bis zu einem Fünftel des gesamten Feuchtigkeitsgehalts ansteigt. Auch der Taufall ist im Walde also erheblich kräftiger als im Freien. Bekämpfung öes Nebels durch Gel. Das Oel, das der Schiffahrt schon in alter Zeit durch seine Eigenschaft, daß es aus unruhiges Wasser beruhigend wirkt, nützlich gewesen ist und auch heute in breitem Umfange zur Dämpfung starken Wellenganges verwendet wird, soll anscheinend auch noch für die Bekämpfung des schlimmsten und bisher am wenigsten einzu» schränkenden Feindes der Schiffahrt, des Nebels, Wert gewinnen. Darauf deutet wenigstens eine Mitteilung des Hydrographischen Amts der Bereinigten Staaten, die im»Hydrographie Bulletin' im Herbst 1915 veröffentlicht wurde und über die der»Prometheu«' berichtet. Danach hat man in Frankreich mit wechselndem Erfolg Versuche ge- macht, Nebel auf Flußläufen zu zerstreuen, indem man eine Oelschicht auf dem Wasser verteilte, was unter Zuhilfenahme der Strömung nicht schwer war. Das Oel bedeckt, was ja eine bekannte Tatsache ist, das Wasser mit einer ganz dünnen, gleichmäßigen Schicht. Dadurch wird nun eine unmittelbare Berührung der kalten Lust mit dem wärmeren Wasser und ein« Entstehung von Nebel ver- hindert. Der Aufforderung des erwähnten Hydrographischen Amts, über Erfahrungen in dieser Hinsicht zu berichten, kam alsbald ein Kapitän Roden nach, der zwei Fälle erlebt hatte, welche die Richtigkeit der stanzöfischen Versuche bestätigten. Im ersten Falle war sein Dampfer in der Mündung deS ParanaflusseS, strom­auf fahrend, in so dichten Nebel geraten, daß er schließlich zu Anker gehen mußte. Während dieser erzwungenen Ruhepause waren einige Leute auf dem Dampfer beschäftigt, ein paar Glasbehältcr mit Olivenöl an einen anderen Platz zu schaffen. Dabei wurden infolge Unvorsichtigkeit zwei Behälter hingeworfen und zerbrachen, so daß daS Oel durch die Speigatten vom Deck langsam ins Wasser floß und nun von der Strömung ausgebreitet wurde, Die Strömung war recht kräftig. Es entstand nun durch die Strömung ein langer Oelstreifen auf dem Wasser, und über diesem Oelstreifen lichtete sich der Nebel allmählich, so daß schließlich eine nebelfreie Gasse, eine Art Gewölbe im Nebel vorhanden war, in der man noch in einer Entfernung von einer Seemeile treibende GraSinseln erkennen konnte. In einem anderen Falle machte der» selbe Kapitän. durch diese» erste Ergebnis veranlaßt, einen Versuch in der Mündung des Rio de la Plata . Er hatte mit seinem Schiff hier wegen Nebel vor Anker gehen müssen und schickte ein Boot nach dem nächsten Ort, das hinter sich einen Oelbbehälter mit hatte, auS dem tropfenweise Oel auf das Wasser fiel. Eine nebeldämpfende Wirkung war wieder sehr deutlich zu erkennen, doch wurde die Wirkung stark eingeschränkt durch einen kräfttgen Wind, der die Rebelmassen durcheinander trieb. Hiernach wird man an einer sehr deutlichen günstigen Wirkung deS OeleS zur Rebelbekämpfung nicht zweifeln können. Doch wird die praktische Verwendbarkeit zunächst auf windstilles Wetter be« schränkt sein und auf Fälle, in denen Wind und Strömung in gleiche Richtung fallen. Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, daß man in nicht zu breiten Flüssen auch bei jeder Windrichtung gute Erfolge mit dieser Nebelbelämpsung erzielt. Notize». Vo rtragschronik.»Das Wasser als Bildner der Erd- oberfläche' lautet' da« Thema eines Vortrages, den Herr Dozent Jens Lützen am Mittwoch, 26. Juli, abends S'/z Uhr. im großen törsaal der Treptow - Sternwarle im»Verein von Freunden der reptow-Sternwarte' an der Hand zahlrcicher Lichtbilder halten wird. Gäste find willkommen. Nichtmitglieder zahlen die üblichen Kassen- preise. Theaterchronik. Im Kleinen Theater kommt am Sonnabend, den 29. d. MtS., das dreiaktige Lustspiel.Ehesanatorium' von Heinrich Jlgenstein zum erstenmal zur Aufführung. Im Refidenz-Theater wird am 2. August der Königl. sächsische Hofschau- spieler Rens mit der Aufführung des Lustspiels»Krieg im Frieden' ein Gastspiel eröffnen. Der Verband der konzertierenden Künstler Deutschlands hielt in Berlin seine diesjährige Hauptvcrsamm- lung ab. Ucber die Entwicklung des Verein? wurde Günstiges be« richtet. Mit der Genossenschaft deutslber Bühnenangehörigcr wurde ein Kartell abgeschlossen, um die Mitwirkung der Künstler bei Wohlfahrtsveranstaltungen zu regeln und sie vor Ausbeulung zu schützen. William Ramsah f-. Dem Nobelpreisträger Professor Metschnikoff ist, vierundsechzigjährig, ein anderer Empfänger dieses Preises im Tode gefolgt, der berühmte Londoner Chemiker William Ramsay . Er war der Entdecker des Argons in unserer Atmosphäre und veröffentlichte auch wertvolle Untersuchungen über das Radium und die Umwandlung der Metalle. Der versteigerte Operntext. Ueber einen höchst merkwürdigen Streit um einen Operntext weiß der»Daily Ehra- iniele" zu berichten. Die beiden Komponisten Puccini und Mas- cagn-i hatten nämlich zufälligerweise gleichzeitig den Entschluß ge- faßt, eine Erzählung der längst verstorbenen englischen Schrift- stellerie Ouida»Zwei kleine Holzschuhe', zwecks Umarbeitung zu einem Operntext zu erwerben. Da aber die Autorin in Viareggio starb und ihre Hinterlassenschaft der städtischen Behörde zur Ver- waltung übergeben hatte, entschloß sich diese zu einer öffentlichen Versteigerung des so begehrten Textes zu schreiten, und der Ver- leger MaScagnis erlangte mit 8909 Frank den Sieg. Zur tot erklärt. Von Ernst Wichert. 17s Es war ein so heiliger Ernst in diesen einfachen Worten, daß die Fischersfrau an der Wahrhaftigkeit seiner Gesinnung nicht zweifeln konnte. Und doch empfand sie für ihn nicht mehr, als für einen Menschen, den man hoch achtet und als seinen besten Freund erkennt. Aber es konnte sich fragen, ob sie überhaupt für irgendeinen auf der Welt mehr empfin- den könnte, nachdem sie den einzigen, den sie liebte, verloren hatte, und so etwas, wie eine solche Frage, nur nicht so be- stimmt formuliert, bewegte sie auch in diesem Augenblick und machte sie unsicher. Sie hätte antworten sollen:Ich kann nicht wieder lieben!" Aber sie antwortete:Ich kann nicht wieder heiraten," und so leise und unentschlossen, daß er da- durch keineswegs mutlos gemacht wurde. Und weshalb?" drängte er in sie;weil ich Dir zuwider bin?" O nein!" berichtigte sie lebhaft.Glauben Sie das nicht. Ich habe recht viel Vertrauen zu Ihrer Güte und wäre gewiß recht glücklich mit Ihnen geworden, wenn" Wenn?" Wenn ich meinen Mann gar nicht gekannt hätte, und wenn das nicht sein Kind wäre sein und mein Kind" Sie sah dem Knaben mit dem Ausdruck zärtlicher Mutter- liebe in die schönen, klaren Augen, und es war noch ein anderer Ausdruck dabei, den der Krüger nicht verstand, weil er nicht daran dachte, daß diese Augen anderen Augen glichen, die sich freilich für ihn längst geschlossen hatten, auf ewig, für die Frau aber joden Morgen sich wieder öffneten und das An- denken an den geliebten Mann lebendig hielten. Seine heitere Zuversicht fing an schwankend zu werden; er hatte nicht gefürchtet, auf so viel Widerstand zu stoßen, und merkte nun erst an diesem Mißbehagen über ihre Ab- lehnung, daß er eitel genug gewesen war, zu glauben, sie würde sein« Bewerbung als«in ganz besonderes glückliches Ereignis begrüßen. Nur äußerte sich dieses Mißbehagen sei­ner Natur nach nicht in Aerger oder leidenschaftlicher Auf- Wallung, sondern so, daß die Triebkraft, die ihn bisher über alle Hindernisse hinweggerissen hatte, Plötzlich erlahmte utw einer merklichen Erschlaffung Platz machte. Es geschah in fast melancholisch weinerlicher Stimmung, daß er zur Ant- wort gab:Ich habe Unglück nicht nur die Lebenden, auch die Toten verdrängen mich." Seine Traurigkeit ging Annika zu Herzen.Ich habe Sie nicht kränken wollen, Herr Hilgruber," sagte fie recht aufrichtig und reichte ihm die Hand.Aber ich kann doch das Geschehene nicht ungeschehen machen und will Sie nicht betrügen. Ich glaube auch, Sie täuschen sich über sich selbst und über mich; in Ihren Gedanken bin ich noch immer die Annika Endoms, die Ihnen einmal gefiel, und die ein munteres Mädchen war. Aber jetzt ist in dieser langen Zeit viel Freude und viel Schmerz an mir vorübergegangen, und ich bin alt geworden wenn auch nicht gerade an Jahren. Ich habe einen Mann genommen und verloren, bin Mutter geworden und habe einen alten Vater begraben, den ich lieb hatte, dos werde ich doch nicht vergessen können. Und was wollen Sie nun mit einer Frau, die so etwas nicht vergessen kann? Arm bin ich auch das mag für Sie nichts rnistra- gen; aber es gibt ander«, die scheel darauf sehen, daß Sie sich auch noch mit dem fremden Kinde belasten. Das fremde Kind ist aber mein Kind, ich möchte nicht, daß es einem im Wege wäre. Nein, nein! Das haben Sie nicht gut überlegt; Sie können ein ganz anderes Glück machen." Ihm sch?ß wieder das Blut warm ins Herz.DaS laß Dich nicht kümmern. Annika!" rief er lebhaft erregt.Ich verstehe wohl, daß Du meine Mutter meinst, und gebe Dir recht, wenn Du von ihr nicht viel Freundlichkeit erwartest, obgleich sie so hart nicht ist, wie es wohl manchmal scheint. Ich laste mir in dieser Sache von ihr keine Vorschriften machen, und wenn es ihr bei mir nicht gefällt, so trennen wir uns. Mag sie den Krug behalten; ich kaufe mich wo anders an und führ« Dich in eine neue Wrtschaft ein, damit Du nach Deinem Gefallen leben kannst. Dein Kind, Annika, soll mein Kind sein, so wahr ein Gott lebt! Und was Dich betrifft Du bist mir gerade so recht, wie Du bist, und ich will gar nicht ändern, was ich nicht ändern kann. Sei nur mit mir zu- frieden, und wir werden glücklich sein." Sie sah zur Erde und schwieg. Er wartete einige Minu- ten, ohne ihre Hand frei zu lasten, die in der seinigen brannte, und sagte dann mild und freundlich:Ich will Dich nicht über- eilen, Annika: solche Dinae wollen bedacht sein. Es wäre mir lieb gewesen, wenn Dich mein Borschlag froh gemacht hätte: aber ich sehe wohl ein, daß Du Dich zu der Sache nicht so stellen kannst, wie ich, und so ist mir's für heute genug, daß Du mich nicht mit einem kalten Nein nach Hause schicktst. Ich will Dir Bedenkzeit lasten, acht Tage oder nein, das ist zu lange für meine Unruhe drei Tage, Annika! Nach drei Tagen will ich wieder herkommen und bei Dir anfragen gerade um dieselbe Zeit. Und nun sprich für jetzt nichts mehr entgegen, und wenn's sein kann, auch über drei Tage nicht. Leb wohl und Gott behüt Euch!" Er neigte sich zu ihr nieder und küßte ihre Stirn. Auch der kleine Peter ließ sich die Backen streicheln und reichte frei- willig seine Hand zum Abschied.Wir werden schon gute Freunde werden," sagte der Krüger vergnügt, und Annika mußte lachen.Das ist ein gutes Zeichen," dachte er bei sich. Als er draußen nach seinen Pferden ging, bemerkte er die alte Lene, die sich um die Ecke des Hauses schlich und hinter einem Torfhaufen versteckte.Neugieriges Volk," brummte er und machte die Stehlen fest;freilich kann's nicht verborgen bleiben". Er ließ die Braunen recht austraben, daß die Glocken munter läuteten, und knallte mit der langen Peitsche vor den Nachbarhäusern, an denen er vorüber mußte. Sie sollen merken," dachte er bei sich,daß ich keinen Grund habe, traurig abzufahren." Die alte Lene hatte nämlich am Fenster gehorcht, und' wenn sie auch nicht viel von der Unterhaltung verstanden hatte, so war doch immerhin manches zu sehen gewesen, so daß sich schon ein Vers zusammenreimen ließ. Bald ging die Neuigkeit von Haus zu Haus, daß der reiche Krüger die Annika Klars heiraten wolle. Am ersten Abend begnügte man sich damit, die Köpfe zusammenzustecken und zu zischeln und hundertmal durchzusprechen, wie es denn nur möglich gewesen sei, daß der reiche Hilgruber seine Gedanken auf die arme Fischersfrau habe richten können, und ob nicht am Ende alles nur Einbildung wäre. Freilich wußte diese und jene sich zu erinnern, daß vor Jahren einmal davon gesprochen worden, die Freundschaft zwischen dem jungen Krüger und Peter Klars sei auseinandergegangen, weil sie dasselbe Mädchen geliebt hätten; aber andere bestritten ganz und gar, daß die beiden sich jemals entzweit hätten, und alle waren darin einig, daß eine solche Jugendliebschaft doch keine Ver- anlastung zu einem ernstlichen Verhältnis nach so veränder- ten Umständen sei. Die reiche Sippschaft wundert sich mit- unter, wenn eins ihrer Angehörigen eine schlechte Partie macht, aber viel mehr noch wundern sich stets die armen Leute, wenn einmal eines von ihnen gut ankommt. Sie suchen dann in der ganzen Welt herum nach Gründen, nur nicht da, wo sie jedesmal liegen müßten, wenn einer zum anderen sagt:Willst Du mein sein?" (Forts, folgt.)