A. 175.- 1916. Unterhaltungsblatt öes vorwärts Freitag, 38. Juli. Das nächtliche Konzert. Von Manfred Georg. Als der Winter kam, wurde es in dem kleinen Lazarett, das in einem ehemaligen belgischen Klosterpenfionat eingerichtet war, immer trüber. Die Kranken in dem Hauptsaal, durch den sich drei schnurgerade Reihen weißer Betten zogen, sprachen unwillkürlich leiser, als es zu schneien begann. Das lautlose, deckende Rieseln der Flocken bedrückte sie. Der Tag lag grau in den Fenstern. Die Gaslampen wurden fast nicht mehr ausgelöscht. Die Soldaten, denen eine böse Seuche das Leben aus den Adern sog, lagen und wandten hilflos die Köpfe. Wenn das Wetter einmal klar wurde, hörte man ganz aus der Ferne leises, unheimliches Stampfen der Geschütze. Dann geschah es auch, daß manchmal eine Scheibe leicht klirrte. Der Klang fiel wie eine Scherbe in den Raum. Alle lauschten und hoben mühselig die ausgemergelten Köpfe. An einer abgetünchten Wand hing eine Uhr. Sie hatte einen trostlosen Schlag. Wenn man sie aufzog, rasselte sie, daß es wie heiseres Lachen klang. Dann fing sie an zu ticken. Und das Ticken kroch in die Gehirne. Rastlos, monotan hastete es dahin und spulte die Stunden ab.... Wenn der helle Schein vor den milchigen Scheiben fahler wurde und endlich ganz schwand, drehten die freundlich blickenden Schwestern die Lichter aus. Es wurde ganz dunkel. Die Nacht- wache bezog ihren Posten am Kamin, dessen halbberdecktes Schürloch wie ein blutiges Auge in den finsteren Saal glotzte. Dann begann ein schwirrendes Flüstern von Bett zu Bett. Allmählich verstummte auch dies und nur der Atem vom dreißig müden Menschen hob und senkte sich schwingend. Ab und zu flatterte ein abgerissenes Stöhnen auf oder ein kurzer Schrei. Das Feuer knisterte fast laut. Die Uhr aber summte ihre ewige Melodie in den Schlaf hinein, eifrig und stetig. So tat sie ihre Pflicht, bis sich in jener Winter- nacht, die das Tagebuch des Kriegslazaretts zu D. als schwärzeste des ganzen Jahres bezeichnet, etwas Merkwürdiges ereignete. Am Abend, als der Prediger gesprochen und mit einigen Worten auf die nahende Zeitwende hingewiesen hatte, war alles ganz ruhig gewesen. Die ungewohnte Anstrengung des ZuHörens hatte die Kranken ermattet, und als der Pfleger mit feiner kleinen Laterne die Rechen abschritt, sah er fast überall friedliche, in Ruhe entspannte Gesichter. Bach herrschte die bleierne, unendlich drückende Stille, die die Zimmer schlummernder Menschen so eng und be- klemmend macht. Lindner schlich vorsichtig zu seinem Platz, um niemanden zu wecken, und sing an das sinkende Feuer aufzustoßen. Die Flamme schwelte nur. Er stopfte dürres Holz hinein. Es prasselte ein wenig. Zischte leicht auf. Mit einemmal stoben die Funken auseinander, als habe eine schwere Faust hineingegriffen. Dann verglomm die Glut. Beim Schein der gazebezogenen, tief- geschraubten Gaslampe tappte sich der Pfleger zum Bord, wo die Streichhölzer lagen. Sie waren fort. Bis die Ablösung kam, war an ein Heizen �nicht zu denken. Es wurde merklich kühl im Zimmer. Der Schnee klebte die Fenster in halber Höhe zu. Durch die obersten Spalten warf der Mond, den sturmgejagte Wolken auftauchen und verschwinden ließen, einen ungewissen, grünlichen Schein herein. Vom Dache hörte man deutlich das Knattern einer Fahne. Es klang wie meilenferner Gewehrsalut. Die Schatten der Bettgestelle kletterten tiefschwarz an der Kalkmauer empor. Die Gesichter der Kranken lagen in das Mondlicht getaucht und erschienen fast unwirklich. Im Hof ging jemand über das Pflaster. Irgendwo wurde eine Tür aufgeschloffen. Der Pfleger hockte sich auf seinen Schemel und sah verzweifelt in den Saal. Diese ent- fetzlichen, leeren, einsamen Nächte! Dieses ewige Auf und Ab der Brüste und Leiber! Diese wachsbleichen, verzehrten Gesichter! Horch! da stöhnte wieder jemand. Es war der Dragoner, der die ganze vorige Woche nach seiner Mutter gewimmert hatte. Der Wind nistete jetzt im Kamin und begann zu winseln. Die Minuten vertropften langsam. Plötzlich stieg in einer Ecke ein Triller hoch. Der Pfleger sprang auf. Er stürzte nach dem Ort, von wo der Ton gekommen war. Da juchzte es dicht vor ihm. Ein Füsilier mit irren Augen, fieberdurchrüttelt, lag da und schickte sich an, auf einer kleinen handgefertigten Flöte zu spielen. Der Wärter packte zu und wollte sie ihm entwinden. Doch der Mann schüttelte den Kopf. Ringsum wurde es unruhig. Einige wurden wach. Der Pfleger zerrte an den schweitzvcrklebten Handgelenken des Soldaten und wollte ihm das Instrument vom Munde reißen. Er vermochte es nicht. In seiner Angst, einen Tumult hervorzurufen, legte er ihm feine Hand auf die Lippen. Da funkelte es in den Augen des Mannes auf. Er schnappte wild zu und biß den Wärter in die Finger. Der taumelte vorJSchmerz rückwärts und stieß gegen das benachbarte Bett, dessen Insasse mit gellem Gekreisch in die Höhe fuhr. Der Füsilier aber hob sich steif und hager aus den Kissen und entlockte seiner Flöte zwei lang« pfeifende Passagen. Bestürzt, ängstlich, aus Fieberträumen erwacht, richteten sich die anderen Kranken auf. Fetzt stand der Irre auf seinem Bett. Seine Blicke starrten auf seine Leidensgenossen, die sich ihm mit abgebrochenen Fragen entgegen- beugten. Er hob wie grüßend die Hand, verbeugte sich täppisch. Und mit einem Male begann er zu spielen. Zuerst ganz leise. Wie Rufe Harste» die Töne durch den nächtlichen Dunst. Wie eine winzige Perlenschnur ketteten sich die Klänge aneinander, wurden lauter, suchten sich, fanden sich, verschwebten. Die Kranken lausch- ten aufgeregt. Der Füsilier wiegte sich in den Hüften. Er wurde sicherer. Nun erscholl ein Lied, sanft anschwellend, wehmütig, ein uraltes Lied von der Heimat. Wälder schienen sich von der Decke zu wölben. Berge blauten auf. Seen erglänzten. Keiner rührte sich mehr. Der Flötenjubel schwang im Raum und quoll immer stimmenreicher hervor. In einem Bett weinte� jemand, krampf­haft zuckend, stumm vor sich hin. Die Melodie� flockte ruhiger, feierlicher. Wie eine gütige Hand strich sie über die heißen Stirnen. Frühlingswinde begannen zu wehen. Blumen erblühten in Buntheit. Milde und klar entstieg die Sonne den dämmernden Wolken. Des Spielers Gesicht war von überirdischer Freude ver- klärt. Einige hatten die Hände gefaltet und beteten. Mit zarten, verhallenden Tönen schloß das Lied. Als sich seine Wellen verliefen, hörte man plötzlich wieder das harte Ticken der Uhr. Da verzerrte sich das Gesicht des Flöten- bläsers. Er bückte sich, ergriff das auf seinem Nachttisch stehende schwere Wasserglas und schleuderte es mit einem rauhen Schrei mitten in das Zifferblatt. Das splitterte klirrend auseinander; die Uhr gluckste noch einmal wie erstickt und blieb stehen. Da breitete der Kranke die Arme weit aus und rief:Ich habe Euch erlöst, meine Brüder! Denn ich habe die Zeit getötet! Nun werden wir ewig leben! Auf, erhebt Euch, macht Euch bereit. Jetzt geht es heimwärts!" Er sprang vom Bett. Das Hemd flatterte um den dürren Körper. Er lief die Reihen hinunter und schien sich auf dem Kasernenhof zu dünken.Aufstehen! Aufstehen! An- treten in Rotten zu vieren!" Seine Gebärden schienen die anderen ans den Betten ziehen zu wollen. Er faßte einen Helm, der auf einem Fensterbrett lag, und stülpte ihn sich auf. Den Kranken, von Schlaf und Muiik verwirrt, schob sich Traum und Wachen durcheinander. Der Füsilier stand an der Tür und blies einen wilden Marsch. Da begann ganz hinten ein blutjunger Mensch, dem das Fieber fast dampfend um die Schläfen lohte, zu singen: In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiederseh'n!" Er trommelte dabei mit seinen Fäusten gegen die Bettpfosten. Andere stimmten ein. Wirr lärmten sie durcheinander. Manche klatschten mit den Händen den Takt, während andere aufstanden und sich an- zogen. Pantoffel und Gläser flogen auf den Boden. Ein bärtiger Landsturmmann rief schrill und ängstlich:Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!" Da stützten ihn zwei. Sie schwankten hin und her. Einer kroch auf allen Vieren an den Gestellen ent» lang. Zwischen den Zähiren hielt er ein kleines, schwarzes Notiz- buch. Der Gesang toste gewaltig und übertönte die taktierende Flöte. Immer neue standen auf und ordneten sich zu einem traurigen Zuge. Der Füsilier stand an der Spitze. Er wies nach der Tür. Ich führe Euch, Kameraden!" da gibt's ein Wiederseh'n!" Wankend stolperte die Schar durch den schmalen Gang. Ein Schwer- verwundeter, der sich nicht in seinen Kissen bewegen konnte, winkte mit seinem Taschentuch und rief monoton:Grüßt meine Frau! Grüßt meine Frau!" Der Zug war an der Tür angelangt, da wurde diese aufge- rissen. Der Arzt, den der entwischte Pfleger geholt hatte, stand auf der Schwelle. Er fuhr bei dem ungeheuerlichen Anblick zurück. Das Gesicht des Füsiliers färbte sich purpurrot. Mit heiserem Stammeln fiel er den Arzt an. Der faßte ihn rasch, daß er sich nicht rühren konnte. Da sank der Kranke zwischen den Fäusten des Arztes, die so ungern weh taten, lautlos wie ein schlaffes Segel zusammen. Beim Fall ihres Führers wichen die anderen zurück. Wärter eilten herbei und brachten sie mit vieler Mühe auf ihr Lager zurück. In derselben Nacht starben vier Mann infolge der ihnen so schädlichen Aufregung und im Laufe der Woche noch mehrere andere,(z) kleines Feuilleton. ver Krieg in öer Welt öer Sriefmarken. Der Krieg hat auch in der Welt der Briefmarken eine Um- wälzung hervorgerufen und die Albums der Briefmarkensammler haben dank der zahlreicken, durcki den Krieg verursachten Neuausgaben zum Teil ein ganz verändertes Gesicht erhalten. Die Umwälzungen in der Briefmarkeuwelt beziehen sich natürlich zunächst auf die besetzten Länder, lvo die notwendig gewordene Neuordnung des Brief- markenwesens verschiedene Typen neuer Marken zur Folge gehabt hat. Der eine dieser Kriegsmarkentypen entsteht, indem die erobernde Macht den Vorrat an Briefmarken, den sie vorfindet, mit Beschlag be­legt und durch Ueberdruck in ihrer Sprache und auf ihre Werte für die weitere Verwendung flüssig macht. So sind die Engländer in den deutschen Kolonien, die sie besetzen konnten, in Kamerun , Samoa , Neuguinea , Togo usw. verfahren. Eine zweite Form von Kriegsbriefmarken besteht darin, daß der erobernde Staat seine eigenen Marken im eroberten Lande cinsührt und sie mit entsprechen- den Ueberdrucken versieht. So ist Oesterreich in Serbien , so auch die deutsche Postverwallung in Belgien verfahren, indem die deutschen Marken mit dem UeberdruckeBelgien " versehen wurden; daran reihten sich später in den eroberten Gebieten des Ostens deutsche Brieimarken mit den UeberdruckenRussisch-Polen" und Postgebiet OB. Ost". Eben jetzt allerdings kündigt die deutsche Poslverwaltung für die besetzten Gebiete aus Anlaß der allgemeinen Portoerhöhung neue Marken an, bei denen es sich anscheinend nicht mehr nur um Ueberdrucke handelt. Eine eigene Form von Kriegsbriefmarken bilden die Roten- Kreuz-Markcn, wie sie von einer Anzahl kriegführender und neutraler Staaten herausgegeben worden sind. Auf diese Marken ist eine Zuschlagsgebühr gelegt, die dem Roten Kreuz zugute kommt; natürlich ist ihr Bezug durchaus freiwillig. Deutschland und Eng- land haben Rote-Kreuz-Marken nicht ausgegeben, dagegen haben Kanada und Neuseeland Marken mit Kriegszuschlägcn von je einem Cent eingeführt, deren Ueberschuß in die Staatskassen fließt. Eine ganze Reihe von Neuausgaben, die während des Krieges erschienen sind, haben im wesentlichen dem Zwecke gedient, durch Abgabe an Sammlerkreise die Staatseinnahmen zu vermehren. So hat Ungarn im Jahre ISIS zwei ganze Reihen neuer Brief- marken ausgegeben, von denen jede 17 Werte umfaßt; der größte Teil dieser Ausgaben ist an Sammler und Händler gegangen. Die belgische Regierung hat in London für den kleinen Rest des Landes, über den sie noch verfügt, neue Marken drucken lassen. Dabei ist Belgien bis auf Il)-Franken-Werte gegangen, die es früher nie hatte; im ganzen umfaßt die Reibe der belgischen Kriegsbriefmarken 14 Werte. Zu den interessantesten Schöpfungen des Krieges auf dem Markengebiete gehören die Marken der War- schauer Sladlpost, die mit Zustimmung der deutschen Behörden für die Ortsbeförderung bergestellr worden sind. Die Türkei , die vor dem Kriege ihre Marken im Auslande hatte drucken lasien, hat unter den gegenwärtigen Verhältnissen auf ihre alten Marken- bestände zurückgegriffen, die sie mit neuen Werten überbrückt hat. Eine solche Reihe umfaßt nicht weniger als 77 Werte, die bei den Händlern sehr begehrt sind man bezahlt bereits etwa Ivo M. für eine Reihe türkischer Kriegswerte. Schließlich inag noch die Kriegsmarke des Gefangenenlagers Ruhleben als Rarität erwähnt sein. Dort, im englischer Lager kam ein findiger Kopf auf den Ge- danken, für die Briefvermitlelung zwischen den einzelnen Barracken eine richtige Privatpost zu organisieren. Er erhielt die Zustimmung der zuständigen Stellen zu diesem Plane und die Post arbeitet regelrecht. Die Ruhlebener Marken sind, da sie nur innerhalb des Lagers zur Verwendung kommen dürfen, natürlich von höchster Seltenheit._ Volkskonzerte. Um das Bedürfnis des Voltes nach wahrhaft gehaltvoller Musik zu erkennen, tut man gut, den Sinfoniekonzertcn anzu- wohnen, die das Philharmonische und das B l ü t h n e r- Orchester jenes dank städtischer Subventionierung, dieses zur- zeit noch immer ganz aus eigener Finanzierung seit einigen Jahren während der Sommermonate veranstalten. Leider stehen jetzt nur sehr wenige der großen Musiksäle diesen Zwecken offen. Immerhin werden von den beiden Orchestern wöchentlich an drei Abenden vier Konzerle in der Philharmonie sBernburger Straße), der Neuen Philharmonie(Köpenicker Straße ), im Moabiter Stadt- theater und Lehrervereinshause gegeben. Fast immer pflegen die ge- nannten Räume von andächtig lauschendem Publikum aller Klassen gefüllt zu sein. Im Riesensaal der Philharmonie war vorgestern beispielsweise nicht ein einziger Platz unbesetzt geblieben! Viele hatten umkehren müssen. ES ist allerdings auch ein Kunstgenuß höchster Art, den Dar- bietungen dieser Konzerte zu lauschen. Werke klassischer wie modeiner deutscher, doch auch fremdländischer Meister zieren jeweils die sorg- sam gewählten Programme. Echte Musik spricht zu aller Ohren und Herzen. Jnternationalität und zwar desto tieser, je reiner die Nationalität zum Ausdruck kommt ist ja nach Wagner ihr ureigenstes Wesen. So lehrt sie uns gerade jetzt, trotz aller durch den furchtbaren Krieg verursachten Zerrissenheit immer aufs neue den alten Glauben an Schiller-Bcthovens: Seid um- schlnngen Millionen zu nähren und ihn hinüber zu retten in well- friedliche ZukunstStage. Für jeden aber, den die Zustände zur Führung eines prole- tarischen Nollebens verurteilt haben, zumal für jeden Arbeiter, sind diese sommerlichen Sinfonickonzerte ein wahrer Brunnquell inner- lichster Belehrung und höchster Freuden. Um ein bescheidenes Scherslein darf er sich den Genuß der erlesensten Musikschätze aller Kulturnationen aus mchrhundertjährigcr Schaffenspcriode vergönnen sich zur Tröstung und Ermutigung. elr. 20] Zur tot erklärt. Von Ernst Wichert . 6. Es gab wieber eine Hochzeit, und eine stattliche obendrein. Das kleine Fischerhaus war von unten bis oben mit grünen Birkenreisern geschmückt; um Tür- und Fenstergerüste zogen sich Tannengirlanden, in welche bunte Blumen und Bänder eingebunden waren; ein Gemisch von gehackten Tannen und gelben Blüten war von der Haustür bis zum Hof hinunter über den weißen Sand gestreut, und auf dem mit Laubwerk ausgeputzten Mast vor dem Hause wehte unter dem roten Wimpel eine große Fahne mit einem mächtigen schwarzeil Adler, sobald von Zeit zu Zeit einmal ein Lustzug das Flaggentuch hob. Das geschah freilich, wie gesagt, nur von Zeit zu Zeit, denn es war ein stiller Sommertag, und der blaue Himmel wölbte sich so hoch und rein über der freund- lichen Erde, als ob er nie vorher durch ein Wölkchen getrübt gewesen wäre und nie wieder getrübt werden könnte. Tic Nehrung selbst schien hochzeitliche Toilette gemacht zu haben, so sauber hoben sich die weißen Sandberge im Sonnenschein von dem lichtblauen Hintergrunde ab, und das Haff lag so ruhig da, wie ein stiller Landsee; kaum daß die durchsichtig grünliche Fläche sich an den nahe dem Ufer vorragenden Steinen ein wenig hob und senkte, oder ein darüber fort- streichendes Lüftchen den Wasserspiegel kräuselte. Es war eine feierliche Ruhe in der ganzen Natur. Am Haffstrande zeigte sich eine kleine Flottille von Fischer- booten, alle mit grüncin Laubwerk und bunten Wimpeln ge- schmückt. Ein größeres namentlich war mit einem förmlichen Laubdach überdeckt und fast luxuriös beflaggt. Es stellte das Brautboot vor und lag recht in der Mitte, mit der Spitze ein wenig aufs Land gezogen, damit man trockenen Fußes hinein- gelangen könnte. Rechts zogen sich die Boote der Nchrunger Fischer hin, von denen kein einziges zurückbleiben wollte, links die der Hochzeitsgästc von drüben, soweit dieselben sich bei der Abholung beteiligten. Kein freundlicheres Bild ließ sich aus- sinnen. In dem Fischerhause und vor demselben war ein buntes Leben und Treiben. Aus den geöffneten Fenstern der kleinen Stube tönte Musik, zwei Violinen, ein Baß, eine Klarinette und ganz besonders vernehmlich eine Trompete, die so oft als möglich die ihr angewiesene Mittelstimme verließ und mit der Klarinette um die Wette hoch hinauf fistulierte. Die Musi­kanten saßen in einer Ecke auf einer trittartigen Erhöhung und hatten ein Fäßchen Bier in ihrer Mitte, dem namentlich der Trompeter oft mitten im Spiel herzhaft zusprach, um dann um so kräftiger wieder einzusetzen. In der Ecke gegen- über war nach litauischer Sitte die Brautlaube von grünen Birkenzweigen errichtet, und davor standen lange, mit weißem Linnen bedeckte Tische, beladen mit ganzen Schüsseln von Fladen und Topfkuchen, Bierkannen und Likörflaschen. Es war immer ein dichtes Gedränge rund umher, denn die Gäste, sämtlich in ihren heften Sonntagskleidern und mit den ver- gnügtesten Feiertagsgesichtern, ließen sich durchaus nicht nötigen. Sie wußten ja, daß es dem reichen Konrad Hil- gruber eine rechte Freude war, wenn sie ihm schlagend den Beweis lieferten, wie gut es ihnen schmeckte, und womöglich gar keinen Rest in Schüsseln und Flaschen ließen. Hatten sie doch gehört, daß dies nur ein kleiner Morgenimbiß wäre, und daß drüben im Kruge noch ganz andere Vorräte aufgespeichert lägen und ihrer harrten. In der Brautlaube saßen Konrad und Annika. Sie trug ein Kleid, nach deutscher Sitte gemacht, wie es sich für die künftige Krügerin ziemte, und eine Haube mit Blumen, die ihr ein recht stemdes Aussehen gab, aber von allen Anwesen- den am meisten bewundert wurde. Der Bräutigam hatte allen Grund, kein Auge von ihr zu lassen, denn sie war wunderschön trotz der bleichen Gesichtsfarbe und zumeist niedergeschlagenen Augen. Er hielt ihre Hand gefaßt und sprach ihr von Zeit zu Zeit freundlich zu, und dann lächelte sie still und nickte ein wenig, ohne zu ihm aufzusehen, und streilbelte mit der anderen Hand das blonde Haar des kleinen Peter, der vor ihr stand und den Kopf hintenüber auf ihren Schoß gelegt hatte, eifrig bemüht, einem ungeheuren Stück Rosinenfladen möglichst schnell den Rest zu geben. Ich bin so froh, Annika." sagte er herzlich,daß nun endlich der Tag gekommen ist, der uns vereint. Dir verdanke ich mein Leben; aber das Lehen wäre mir wenig wert gewesen, wenn Du Dich nicht zugleich entschlossen hättest, es mir lieb zu machen. Ach, ich war recht arm vorher, und nun möchte ich mit keinem Menschen auf der Welt tauschen!" Sie drückte seine Hand und schwieg. Und Du solltest auch froh sein, Annika," fuhr er leiser flüsternd fort,und den Leuten zeigen, daß Du gern meine Braut bist und daß sie Dir liebe Gäste sind. Ich weiß, daß Du mir gut bist, aber ich wollte, daß jeder es sehen und seine Freude daran haben möchte." Laß mir Zeit!" bat sie, indem sie den Kopf auf seine Schulter neigte.Es wird sich finden, wenn wir erst drüben sinh und alles vergessen sein wird, was hier" Ihre Stimme wurde unsicher; sie drückte das Tuch vor die feuchten Augen, schmiegte sich aber fester an ihn, um gleichsam durch ihre Zärtlichkeit den Eindruck zu mildern, den die Rückerinnerung an eine ihm unliebe Vergangenheit her- vorgerufen haben mußte. Er verstand sie.Wenn Du willst," sagte er.so brechen wir sofort auf; mir ist's recht." Nein, nein!" antwortete sie schnell und wie erschreckt. Nicht vor der bestimmten Zeit. Wer weiß, wann ich wieder einmal hier einspreche und ich habe das Haus doch lieb ge- habt." Dann sah sie ihn freundlich an, streichelte seine Backe und sagte r�ht mild und zutraulich:Das mußt Du mir nicht verdenken, Konrad; auch Dein Haus soll wir lieb werden." Es kamen Hochzeitsgäste heran und hinderten die Fort- setzung des Gesprächs. Die Fischersfrauen der Nachbarschaft konnten nicht viel und nicht laut genug von dem Glück reden, das Annika machte.Das passiert einem Nehrunger Kind selten," meinte die Hanna Pippis, eine kleine, ziemlich be- leibte Person mit verdächtig geröteter Nase,daß es so zu Wohlstand kommt. Aber freilich bist Du auch eigentlich kein rechtes Nehrunger Kind," setzte sie hinzu,und hast das Glück schon mitgebracht, denn den Peter Klars hätte auch manche von hier gern genommen." Aber das muß wahr sein," wandte sich Urte Gulbis an den Bräutigam,Sie bekommen eine gute Frau, mit der Sie gewiß auskommen werden; sie ist mild wie ein Lamm und hat niemals einen Streit gehabt. Alles was recht ist!" Der Krüger reichte der auffallend langen und starkknochig ge- bauten Fischersfrau lachend die Hand und ließ sich dieselbe derb schütteln. Er wußte, daß sie in dem Ruf stand, ihren Mann zu prügeln, wenn er nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollte, und würdigte ihr Lob also um so mehr.Ich denke, Ihr seid für strenges Regiment, Urte," scherzte er. Immer wie es sein muß, Herr Krüger," antwortete sie ganz ernst zustimmend;wenn der Mann liederlich ist, muß die Frau ihm die schlechten Gedanken austreiben. Na das wird hoffentlich bei Ihnen nicht nötig sein!"(Forts, folgt.)