Nr. 209.- 1916. Unterhaltungsblatt öes Vorwärts Müwoch. ö.Stplmbtr. Der Hühnerhabicht. Von Hermann LZ»>. Oschlutz.) Der nächste Tag ist grau; die Luft ist dick. Das ist das beste Jagdwetter für den Habicht. An solchen Tagen lauert er nicht, da übt er die Parforcejagd aus. Niedrig über dem Boden streichend, jagt er die Feldmark ab, aber sie ist leer. Eine einzige Lerche er« wischt er. Auch auf den Wiesen ist nichts zu finden, und in der Heide ist es ebenso. Da streift er das Bruch ab, erbeutet aber nur eine Amsel. Endlich macht er in einer krausen Fichte im Moore Rast. Irgendwo in der Ferne trompeten Kraniche; daS ist nichts für ihn. Der Kolkrabe ruft über ihm in der Luft, das ist auch nichts. Rehe ziehen dahin; das ist erst recht nichts. Aber jetzt reckt er den HalS lang und späht nach Süden, wo es einige Male weiß aufblitzte, und im nächsten Augenblick ist er unterwegs. Erst geht es eine Weile dicht über dem braunen Heidekraute und dem gelben Pfeifengrase geraden Fluges her, höchstens wird um die Birken und Krüppelktefcrn ein kleiner Bogen gemacht. Dann geht eS nach rechts hinter� die Kieferndickung, um sie herum und dann mit hastigen Schlägen dem alten Torsabstiche zu. Einen blitzschnellen Bogcn beschreibt er dicht über dem Boden, so schnell, daß die drei Birkhähne, die dort Moosbeeren pflücken, erst zur Besinnung kommen, als der eine von ihnen schon die Krallen des Habichts in den Weichen hat. Laut polternd reiten zwei ab, mit dem dritten balgt fich der Sabicht noch ein Weilchen im Torfmoose umher, bis er ihm den araus gemacht hat. Den nächsten Tag jagt er nicht; der Birkhahn hält vor. Am dritten Tage aber treibt ihn der Magen wieder aus seiner Fichte heraus. Den Vormittag hat er Unglück. Eben hat er ein Feldhuhn geschlagen und schleppt es in ein Vorholz, da äugt ibn eine Krähe, und fünf Minuten später hat er zwanzig auf dem Halse. Er macht, daß er weiter kommt, läßt daZ Huhn aber nicht los. Aus blanker Wiese muß er aber Halt machen. Mit mörderischem Gekreische hosten die Krähen auf ihn; noch einmal streicht er weiter und nimmt das Huhn mit, aber ehe er den Wald erreicht, bat er so viele Püffe abbekomme», daß er es fallen laffen muß. Bis tief in den Wald hinein verfolgt ihn die schwarze Gesellschaft und er muß lange schon in der dichten Krone einer Fichte warten, ehe er die Lärmmacher los wird. Und wie er dann auf Umwegen dorthin streicht, wo er das Hubn fallen ließ, ist nichts mehr davon übrig; die Krähen haben es sich gut schmecken laffen. So muß er neue Leute suchen, und da ihm das blanke Feld mit dem Krähengefindel verleidet ist, treibt er sich bei den Vorhölzern umher, wo er schließ« lich eine Slingellaube aus dem Fluge herauSstößt und schlägt. In den nächsten Tagen nimmt er an den Krähen blutige Rache. Eine Nebclkrähe sitzt auf einer Randeiche des Forste» und krächzt und quarrt und quinkrlt, al» wäre es April und nicht Oktober. Von hinten kommt der Habicht durch den Wald herangeschwenlt und schlägt ihr die Krallen in den Rücken. Sie schreit entsetzlich und versucht nach ihm zu hacken, aber schnell faßt er sie in da? Genick und nimmt ihr das Leben. Kaum hat er sie abseits geschleppt und begonnen, fie zu rupfen, da hört er eS rauschen und brechen, es kracht und raffelt. Er läßt die Krähe fahren und streicht ab. Wütend schießt der Jagd« aufschcr, der eben einen Hasen geichossen hatte, hinter ihm her, aber der Habicht ist flinker. Verärgert streicht er noch der anderen Seite de» Walde», holt eine vorllbcrsrreichcnde Krähe aus der Luft und stürzt sich mit ihr in den Buich. Gerade, wie er' sich darüber hermacht, knickt und knackt es vor ihm. Er macht einen langen Hals und äugt hin. Da schreitet, in der Hcrbstionne funkelnd und gleißend, ein junger Fasancnhahn hin. Jetzt scharrt er in einem Ameisenhaufen. Und jetzt stößt er einen Entsetzensschrei au», denn der Habicht bat ihn beim Wickel. Aber er griff zu viel Federn, der Hahn reißt sich loS und rennt in die enge Fichtendichtung. Bis zum Abend bockt er bort, den Kopf vornübergebeugt, und dann greift ihn der Fuchs. Seitdem taucht der Habicht alle paar Tage in der Fasanenecke der Jagd auf. und die mit vieler Mühe und Kosten h'erangezüchteten Fasanen verschwinden einer nach dem andern. Selbst der alte Hahn muß schließlich daran glauben. Es ist ein geriebener Bursche, der immer in Deckung bleibt. Aber al« eines Morgen« die Sonne so schön warm auf den Grenzgraben scheint, da spaziert er gemächlich darin umher und scharrt nach Käfern und Raupen. In der hoben Pappel aber sitzt der Habicht, und als er e» unter den Espenbüschen am Grabenborde schimmern sieht, da besinnt er sich nicht lang« und kriegt ihn beim Wickel. Heftig wehrt sich der Hahn, aber der Habicht zwingt ihn und kröpft sich bi» zum Platzen voll. .Nun aber ist Schluß', sagt Brinkmann, wie er die Fasanen» federn findet, und stellt alles, wa» er an Tellereisen finden kann, auf Piähle und Erdhügel. Binnen zwei Wochen fängt er: sechs Waldtäuze, acht Sumpfohreulen, drei Waldohreulen, vier Steinkäuze. eine Elster, neun Buffarde, drei Krähen, einen Zwergfalken, elf Turmfalken, eine Bekassine, einen Fasan und einen Hasen. Wütend holt er die Fallen wieder fort und setzt fich mit dem Uhu an. Alles mögliche paßt auf den Dickkopf, auch ein Habicht, aber ein Männchen. Da» starke Weibchen ist nicht mehr in der Gegend, es jagt in der Donauebene und in Ungarn , und wenn es ihm dort nicht mehr paßt, in Rordafrika. Im April aber ist e» wieder im Bruche, und bei ihm ist ein hübsches Männchen. In der dichten Ecke de« Wäldes, wo nur selten ein Mensch hinkommt, steht eine hochschäftige Kiefer, umgeben von hohen Fichten..In dieser Kiefer hat ein Schwarzstorchpaar begonnen, sich einen Horst zu bauen. DaS paßt den Habichten. Sie belästigen die Langbälse so lange, bis diese sich einen anderen Horstbaum suchen. Und nun treiben die Habichte hoch über dem Walde ihre Balzspiele. Sie, die sich sonst ungern zeigen, schweben und kreisen und rufen, aber hier sieht und hört fie niemand, und Brinkmann, der sie von weitem sieht, denkt, eS sind Buffarde. Aber auch die Habichte müffen ihren geraubten Horst verteidigen. Ein Schreiadler« fiaar will ihnen denselben streitig machen, doch die Habichte find recher, und die Schreiadler ziehen ab. Als das Weibchen schon auf den Eiern sitzt, spähen die Hütejungen den Horst aus, und eines Sonntag» beschließen fie, ihn auszunehmen. Der eine Junge ist schon auf der Milte des Stammes, da sährt ihm da» Männchen gegen den Kopf, daß er laut aufschreit und so schnell, wie er kann, herunterkleltert. Drei Püffe bekommt er aber doch noch mit auf den Weg. Nun haben die Habichte Ruhe. Die tut ihnen aber auch not. Vier Junge find zu ernähren, zwei Monate lang im Horste und noch einen, wenn sie beflogen find. Ein alter Habicht hat immer Hunger, wenn er sich nicht gerade vollgekröpft hat, ein junger aber auch dann noch. Unaufhörlich gieren sie, und den ganzen Tag über fliegen die Alten auf Raub. Brinkmann, der Jagdauffeher, ist in Heller Verzweiflung. Ueberall findet er die Reste von halbwüchsigen Hasen und Feder» Haufen von Ente und Feldhuhn, Waldschnepfe und Birkhahn , Fasan und Taube. Er klopft all« Horste in den Borhölzern ab. wo früher die Habichte brüteten, aber immer sind e» nur Krähen und Bussarde, die dort brüten. Er weiß es eben nicht, daß der Habicht, seitdem die Hinterlader auskamen, ein heimlicher Vogel geworden ist, der nur noch im dichtesten Walde horstet, und der beim Horste sich nicht mehr vertraut und laut benimmt, wie ehemals, sondern still und vorsichtig. Ter Förster im Königlichen weiß wohl, wo das Habichts« paar seinen Horst hat, verrät ihn aber nicht. Er hat nur Hochwild und Siehe zu hüten und die Hahichte sind ihm gefällig und halten ihm die Eichkatzen und Häher kurz, die ihm seine Eichensaaten vernichten. Daß fie auS der Neihcrfiedlung ab und zu«in Dunen » junges fortschleppen, ist nicht schlimm, denn bei sechzig Paaren Reiher sind schon einige Junge übrig, und Ringel- und Turteltauben find so häufig, daß eS darauf auch nicht ankommt. Da der Habicht auch der Vermehrung der Krähen entgegenarbeitet, so schont ihn der Förster. Jürn Brinkmann aber, der vor allem die niedere Jagd hoch» bringen soll, kommt aus dem Aerger nicht berauS. Bor seinen leib» hastigen Augen, nur zu weit für den Schrotschuß, kommt das Habichts- Weibchen über da« Moor gestrichen, einen jämmerlich klagenden Brach- Vogel in den Fängen. Ein anderes Mal sitzt der Jagdaufseher in dem Hochsitz und be» obachtet einen Bock, dessen Wechsel er ausmachen soll. In der Wiese hoppelt ein Junghase hinter einem Wcidenbusche her und ver- schwindet im langen Grase. Da saust etwas Braune» hinter den Weidenbüschen her, daS Häschen klagt, und ehe der Aufseher schuß­fertig ist. geht der Habicht mit seinem Raube ab. Da stellt er den Habichtskorb mit einer hellen Taube fängifch. Drei Tage ist nichts darin, am vierten hat sich daS Habichts­männchen gefangen, hat aber die Taube trotzdem gekröpft. Brink« mann wirft es lebend dem Uhu in den Käfig, aber wie rasend sährt der Habicht auf die Eule loS. daß die in ihrer Angst hinter dem Aufseher Deckung sucht. Mit Rot und Mühe sängt Brinkmann den Habicht ein und schenkt ihn dem Echullehrer, der ihm einen Käfig baut. Da sitzt er still in der Ecke, blickt wild umher und flattert wie verrückt gegen das Gitter, wenn ein Mensch kommt. Zwei Tage später bekommt er Gesellschaft. DaS Weibchen hat fich in dem Habichtskörbchen gefangen und natürlich die Locktaube auch gekröpft. Spät abends kommt Brinkmann damit bei dem Lehrer an, und der steckt es zu dem Männchen im Verschlag. Als er am andern Morgen bineinlommt. sitzt das Weibchen glühäugig in der Ecke und von dem Männchen liegen nur noch die Knochen und die Federn da. DaS geht dem Lehrer denn doch gegen sein gutes Herz und er ruft Brinkmann, der den Habicht töten soll. Der nimmt einen Sack und kriecht in den Verschlag. Aber in seiner Angst krallt sich ihm der Habicht so fest in das Knie, daß der Aufseher HalS über Kopf aus dem verschlage stürmt und dabei die Tür au » den Leder- angeln reißt. ,Da geht er hm I* sagt der Lehrer und Brinkmann macht kein kluges Gesicht, wie er den Habicht über dem Dache ver» schwinden siebt. Zwei Wochen lang stand der HabichtSkorb fängisch, aber kein Habicht fing sich drin. kleines Feuilleton. der Kriegsausbau üer kartoffeltrocknung. Die schon einige Zeit vor dem Kriege stark zur Blüte ge« kommen« Industrie der Karloffeltrocknung hat gerade durch den Krieg erhöhte Bedeutung erlangt, da nur auf diesem Wege die früher Vj« der Ernte betragenden Berluste, die durch Fäulnis und Aus- keimen der Knollen zustande kommen, vermieden werden können. Bei einem zehnjährigen DurchschnittSettrag in Deutschland von 443 Millionen Doppelzentner betrug der Verlust vor der großzügigen Durchführung der Kartoffeltrocknuug 4S Millionen Doppelzenmer. Die Bedeutung, die auch von staatlicher Seile diesem Verfahren bei- gelegt wird, erhellt auS der finanziellen und sonstigen Förderung der Regierung, der allein 230 Kartoffeltrocknereien in kurzer Zeit ihre Gründung verdanken. Die Gesamtzahl dor für diese Zwecke zur Verfügung stehenden Apparate beträgt heute wohl, wie Profeffor Jng. E. Weinwurm im.Prometheus' berechnet, an 800. Wesentlich für den veränderten Nährwert getrockneter Kartoffeln ist der konzentrierte Gehalt au den eigentlichen Nährstoffen, der eine Folge einer Waffer» entziehung bis zu 00 Proz. ist. Dadurch steigt die fich aus Stärke, Zucker, Fett, Eiweiß usw. zusammensetzende Treckensubstanz von 25 Proz. auf allein 7277 Proz. Kohlenhydrate und auf beiläufig 6 Proz. Eiweiß. Unzerkleinert können bisher die Kartoffeln nicht getrocknet werden, kartoffelscheiben haben sich ebenfalls als nicht sebr günstig« Form bewiesen; man stellt daher sogonannte Kar- toffelschnitzel, außerdem Kartoffelflocken her, bei denen die Kartoffel im Rührwerk zerquetscht werden. Je nach dem ge- wählten Weg der Trocknung gestaltet sich daS Verfahren etwas verschieden. Stets müssen jedoch Kartoffeln von an- hängender Erde und Sand bestens gesäubert werden. Sie werden zur ersten groben Reinigung in eine Schwemme geschaufelt, von dort in eine Waschmaschine befördert, um schließlich in einen großen Vor- ratSkasten für die spätere Behandlung zweckmäßig geschichtet zu werden. Die eigentliche Trocknung kann dann nach Verlassen der Schneidemaschine beginnen: in einer langsam rotierenden, durch Luft» und Gasgemische auf 300400" erhitzten Eisentromniel werden die Schnitzel fortwährend gehoben und gewendet, um vollkommen der Hitzewirkung ausgesetzt zu sein. Ein kurzes Verweilen in einer Kühlschnecke vollendet die Prozedur, die nach den von einer fich mit der Trocknung befaffenden Maschinenfabrik gemachten Angaben nur auf 4050 Pf. für 100 Kilogramm Rohkartoffeln zu stehen kommen soll._ Die Kaft öes römischen Legionärs. Mit einem beträchtlichen Gewicht bebürdet war der römische Legionär. Alle» in allem genommen trug er eine Last von etwas über 80 Pfund. Wie wir annehmen dürfen, entfielen davon über 30 Pfund auf die Rüstung. Reichlich 40 Pfund wogen der Mund- Vorrat und die zu ihm gehörigen Gerät« samt dem Tragreff, der Furca. ES kommen dabei für den Mundvorrat ungefähr 30, für da« übrige zehn Pfund in Betracht. Jene Geräte bestanden aus dem Bratspieß, dem ehernen Kochtopfe, dem Trinkgefäß, dein Brot- netz, dem Ledersäckchen und der Ledertasche, die wohl Messer und sonstige Unentbehrlichkeitcn enthalten mochte. Wie F. Slolle in seinem Buch»Der römische Legionär' schmbt. sind die zu den 80 Pfund Gesamtbelastung noch sehlenden 10 Pfund in Anrechnung zu bringen auf den Schanzkorb, die Handsäge, den Spaten, die Axt, den Riemen, die Sichel und die Kette, die außerdem ein jeder Legionär bei sich trug. Die Annahme, daß nur ein Teil der Legionäre mit Schanzgerät versehen gewesen sei, dürfte, wiewohl fie später ver« treten worden ist, nicht daZ Riäitige treffen. Gewöhnlich waren mit dem Schanzen mehr als zwei Drittel von ihn?» beschäftigt. Notizen. Burgfrieden auf der Bühne. Zwischen den Or- ganisationen der Bühnenkünstler und der Bühnenunlernchmer waren neuerdings, nachdem lang« der gegenseitige Boykott geherrscht hatte, wieder Anknüpfungen erfolgt. Wie au» einem Schriftwechsel zwiickies den beiderseitigen Borständen hervorgehl, will man jetzt wiede? prakttsch zusammenarbeiten, zunächst im Interesse der kriegs« beschädigten Bühnenkünstler. Hülsen stellt für den Bühnenperein auch die Geneigtheit zu einer Regelung der Stellenvenniltelung und zur Schaffung eines Arbeitsnachweises in Aussicht. Zeit wär's. Die Strindbergmode. Das Theater in der König - grätzer Straße, daS früher einmal Hebbeltheater hieß, sollte jetzt wirklich seinen Namen wieder ändern und sich nach Strindberg nennen. In den nächsten Tagen werde« dort die Aufführungen der .Kameraden' innerhalb eine» halben Spieljahrs die Zahl 100 erreichen und auch daS Traumspiel steht dor der 100. Aufführung. Zu Strindberg« Lebzeiten ist u. W. da« Traumspiel in Deutschland überhaupt nicht aufgeführt worden. Auch andere Strindberg« dramen erreichten im gleichen Theater respektable Auffühnings« ziffern. 15} Jans Heimweh. Eine Geschichte auS dem Wärmland von Selm « XaferTBf. Rasch wie der Bliß fuhr des Mädchens Hand hinter daS Tischbein, ergriff das Brillenfutteral und swpfte es unter ihre Schürze hinein. Auf mit Dir!" knurrte der Alte. �Fch trau Dir nicht über den Weg! Was hast Du denn da unter der Schürze? Heraus damit, sag ich Dir!" Tie Kleine streckte rasch die eine Hand vor, die andere hatte sie während der ganzen Zeit unter der Schürze versteckt gehalten. Aeßt aber mußte sie diese auch zeigen, und so be- kam der Alte das Butterbrot zu sehen. Pfui Kuckuck! Ich glaube gar, das ist ein Butterbrot!' rief Agrippa Präscherg und fuhr zurück, wie wenn ihm daS Mädchen eine Kreuzotter entgegengehalten hätte. Ich war eben dabei, mein Butterbrot zu essen, als Ihr kamt, und da Hab ich's unter die Schürze gesteckt, weil ich weiß, daß Ihr Butterbrot nicht leiden könnt," sagte die Kleine. Nun kniete der Alte selbst auf den Boden; aber es war vergebens, es war nichts zu finden. Vielleicht habt Ihr die Brille dort liegen lassen, wo Ihr zuletzt gewesen seid," sagte Klara Gulla. Dasselbe hatte der Alte auch gedacht, obgleich er kaum glauben konnte, daß dem so sei. Jedenfalls aber konnte er mit der Uhr nichts anfangen, weil er seine Brille nicht hatte. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Bündel wieder zu schnüren und das Uhrwerk wieder in den Uhrkastcn hineinzusehen. Während er nun dem kleinen Mädchen den Rücken drehte, schmuggelte dieses rasch die Brille in das Bündel hinein. Und da fand Agrippa seine Brille, als er ans dem Herren- hos Lövdala, wo er zuletzt gearbeitet hatte, zurückgegangen war, um nach ihr zu fragen. Dort hatte er das Bündel auf- gemacht, um zu zeigen, daß sie nicht drinnen sei, und das erste, was seine Augen sahen, war das Brillenfutteral. Als er das nächstemal mit Jan und Katrine auf dem Kirchplatz zusammentraf, ging er zu ihnen hin. An Eurem kleinen Mädchen, eurem behändigen kleinen Mädchen werdet Ihr noch viel Freude erleben," sagte er,. Verbotene Frucht. CS waren nicht wenige, die Jan in Skrolhcka prophezeien, er werde, wenn seine kleine Tochter groß sei, Freude an ihr erleben. Diese Leute begriffen entschieden nicht, daß sie ihn schon jetzt glücklich machte, jeden Tag und jede Stunde, die Gott gab. Nur ein einziges Mal während ihrer Kindheit mußte fich Jan über sie ärgern und sich an ihr schämen. In dem Sommer, da das kleine Mädchen elf Jahre alt wurde, wanderte Jan mit ihm über die Hügel nach Lövdala. Das war am siebzehnten August, dem Geburtstag von Leut- nant Liljecrona, dem Besitzer von Lövdala. Der siebzehnte August war ein solcher Freudentag, daß man sich in Svartsjö und Bro daS ganze Jahr hindurch da- nach sehnte. Und ein Festtag war er nicht nur für die Herr- schasten, die bei der ganzen Feier anwesend waren, sondern auch für die Kinder und die Jugend des Dorfes. In hellen Scharen strömten sie nach Lövdala, um die prächtig gekleideten Herrschasten zu bewundern und sich am Gesang und der Tanzmusik zu ergötzen. Es war aber noch ein Umstand, der eS für die Jugend sehr verlockend machte, am siebzehnten August nach Lövdala zu wandern, und das war all das Gute, was um diese Zeit ini Garten zu finden war. Die jungen Leute wurden aller- dings in jedem anderen Fall zu strengster Ehrlichkeit ange- halten; aber von dem, was im Freien an Bäumen und Büschen hing, durste man doch pflücken, so viel man wollte, wenn man sich nur nicht erwischen ließ. Als nun Jan mit Klara Gulla in den Garten kmn. da sah er wohl wie groß ihre Augen wurden, als sie all die schönen Aepfelbäume erblickte, die voll grüner schwellender Früchte hingen. Und Jan selbst hätte ihr ja gewiß nicht ver- weigert, einen von den halbreisen Aepfeln z» versuchen, wenn er nicht gesehen hätte, daß der Großknecht Södersind und noch einige andere Knechte unter den Baumen Wache hielten, damit nichts wegkomme. Er nahm Klara Gulla mit sich in den Teil des GartenS, »vo nichts zu finden war, was in Versuchung führen konnte. Allein er merkte wohl, wie eifrig ihre Gedanken immer wieder zu den Stachelbeersträuchern und den Aepfelbäumen zurück- gingen. Sie sah weder nach den schön gekleideten jungen Herrschaften, noch nach den prächtigen Blumenbeeten. Er konnte sie nick# dazu bringen, auf die schönen Reden zu lauschen, die vom Propst in Bro nnd von Ingenieur Boraus auf Borg zu Ehren von Leutnant Liljecrona gehalten wurden. Ja. sie wollte nicht einmal zuhören, als Küster Svartling sein Gcburtstagskarmen aufsagte. Aus dem Hause heraus ertönte Anders Oesters Klari- nette. Sie spielte eine so lnstige TonMusik/ daß es einem schwer fiel, die Fuße stillzuhalten. Aber das kleine Mädchen suchte nur nach einem Vorwand, wieder in den Obstgarten kommen zu können. Jan hielt sie die ganze Zeit über treulich am Händchen fest; er ließ nicht los, sie mochte anstellen, was sie wollte. Es ging auch alles gilt, bis es gegen Abend anfing dunkel zu werden. Da wurden überall farbige Lämpchen angesteckt, und zwar hingen sie nicht nur in den Bäumen, sondern waren auch unten am Boden ztmschen den Blumen und in den üppigen Ranken, die dje Hauswand bedeckten, verteilt. Das war so schön, daß Jan, der noch niemals etwas Achnliches ge« sehen hatte, ganz wirr im Kopf wurde und nicht wußte, ob er noch auf der Erde sei. Aber die kleine Hand behielt er dennoch fest in der seinen. Als die farbigen Lämpchen cmgezündet wurden, stellten sich der Kaufmann, der neben der Kirche seinen Laden hatte, mit seinem Bruder und Aichcrs Oesters mit seinem Neffen auf und Huben an zu singen, und als sie sangen, war es Jan, als ströme ein merkwürdiges Freudengcsiihl durch die Luft auf ihn ein. Das hob alle Last und allen Kummer vom Herzen weg. Ganz leise und köstlich kam es durch die linde Stacht dechergezogen. Jan konnte nicht widerstehen. Und ähnlich ging es allen miteinander. Alle fühlten sich beseligt, daß sie lebten und in einer so schönen Welt leben dursten. Ja, heute ist der siebzehnte August, das merkt man," flüsterte es in Jans Nähe. So war's wohl Adam und Eva zumut, als sie noch im Paradies waren," sagte ein junger Mann und sah ganz feicr- lich aus. Jan dachte wie sie, hatte ober doch noch so viel Besinnung, das Kinderhändchen, das er festhielt, nicht los zu lassen. (Forts, folgt.)