#1.212.-1916. Untcr�altungeblatt 5�0 t)DttDott0 9. s-�eMr. L'aYenue da I. Mars 1906. In der glühenden Juliionne schiebt sich unsere kleine Ersatz- abteilung auf der Landstraße vorwärts. Vom Bahnhof bis zum Bestimmungsort sind nur 3 Kilometer. Das Lederzeug brennt auf den Achseln, die so gar nicht mehr ans Tragen gewöhnt sind. Die Lerche singt. Man schwitzt und schimpft. Von ferne tönt das Grollen der Geschütze. Wie das unwillige Gebell eines Niesen» Höllenhundes. Einzelne abgerissene Töne, die in das Landschasts- bild nicht passen wollen. Man muß sich ihren Zweck übersetzen: .Aha, das ist der Krieg.*.Ah bah! Krieg I* jubelt die Lerche und steigt vom sündenschwangeren Erdboden auf in reinere Höhen. Immer höher, bis ihr jubelnder Schlag verschlungen vom schniellern- den Einschlag einer schweren.Nummer*. Noch 7 Kilometer bis zur Front. An einem zertrümmerten Minenwerl vorbei in eine Dorf- straße hinein. Hier braucht es keiner UebersetzungSkünste mehr; öde Fensterhöblen schreien„Krieg I*, leere Dachsparren jammern wie die Sailen eine Niesenharse:„Krieg!" Nur die Jugend, die glückliche, die unsere Sprache nicht kennt, unsere Sitten nicht und unsere Un- siilen, barfüßige Jungens und flachsblonde Mädchen mit Augen— Augen! Augen, die den Himmel widerspiegeln!— Sie machen nicht mit. Sie lassen den Tiabolo auf der Strippe tanzen und schleudern ihn in die jubelnde Sonnenfanfare. Er fliegt wie die Lerche hoch, gelragen vom Jubel der unmündigen Kehlen.— Ich glotzte unter meiner drückenden Last an die Straßenecke. „I/avsnus du X. Mars 1006a:(Straße des 10. März 1906). Aha! denke ich, das ist die Feststraße des Dorfes. Der 10. März 1906 wird auch wohl so ein Festtag des leichlbegeisterten Volkes sein. Ich dachte an den lt. Juli. Den BastillensturmI Wir kommen ins Quartier und hauen uns auf unser Lager hin. Abends wandere ich durchs Dorf. Trete in die kleine Kirche. Ein alter Bauer kniet vor einem Heiligenstandbild und verrichtet sein Gebet. Dann steht er auf. Lautschmotzende Küsse klingen durch den hoben Raum. Ich sehe, wie er dem Heiligenbild die Zehen küßt. Fünfmal. Jede gebe einzeln. Dann wankt er schwer- sällig hinaus. Ich trete an das Heiligenbild. Eine primitive Saudsteinfigur. Die Zehen des rechten Fußes, die aus dem steinernen Gewand hervorlugen, sind blankgeküßt. Es war der heilige Anton, dem dies Haus Gottes geweiht war. Der heilige Antonius von Padua . Wie war's mit diesem Mann Z Ich entsinne mich seines Lebenslaufes nicht. Mein Weg führt mich zum Dorf hinaus auf den Friedhof. Wie auf einem steinernen Altar ragt das Bild des Gekreuzigten hoch empor. Das schmerzenvolle Antlitz blickt nach Osten, dem Sonnen- aufgang entgegen. In seinem Rücken flammt ein düstergrelles Abendrot den Horizont entlang. Steht schweigend und unheimlich über der Höhe von Loretlo, den Trümmern von A. und den schmerzvoll ragenden Baumstümpfen der Höhen von V. Ab und an donnert ein Kanonenschuß in die düstere Abendstimmung. Dann prasselt ein kurzer Sturm die heulende Antwort des Gegners daher. Ueber G. wirbelt Staub und Rauch empor. Nach einer Minute schon ist wieder alles verstummt. Das stille Tal liegt friedlich da, gekrönt von den weilgebreiteten Armen des Erlösers. Es ist ein stiller Tag an der Front. Auf dem Friedhof liegen mir zunächst Reihen gefallener Krieger. Wie hundert flehende Arme der leidenden Menschheit stehen die weißen Kreuze darauf mit ihren kurzen, knappen, von der Witterung oft schon verwaschenen Inschriften:„Er starb fürs Vaterland*. Bor einem Kreuz blieb ich sinnend schmerzverloren stehen:„lln- bekannt I* Ich hatte einen Kameraden, einen frischen bayerischen Jungen aus einer berühmten Künstlerfamilie. Seines Onkels Name wird neben dem Dürers und Holbeins genannt. Als ich bei seiner Mutter anfragte, wie es ihm ginge, schrieb sie mir:„Mein lieber guter Junge war gleich voller Begeisterung mit hinausgezogen. Seit dem U. September 1914 wird er vermißt. Ich habe keine Hoffnung mehr."-- Am linken Rand des Friedhofs war ein seltsame? Gewirr von kleinen Kreuzen, an denen wächserne Todeskränze in Glas eingefaßt bmgen, Bilder angeheftet waren, ohne daß ein einziger Leichenhügel sich emporhob. Ich las die Inschriften: „Victime de la catastrophe de Couniferes.*„Victime du X. Mars 1906." Opfer des Minenunglücks von Courriöre» am 10. März 1906. Jetzt entsann ich mich und wußte mit einem Male, durch welche Straße ich gekommen war. Es war die Straße, auf der die Reste der unglücklichen Opfer des Minenunglück» ins Dorf gefahren waren. Die Feststraße des hohläugigen Knochenmannes. Am nächsten Tage schlenderte ich— wegen Herzbeschwerden dienstfrei— die Straße nach L. entlang. Nahe an der Kreuzung von Landstraße und Schienenweg stand ein einsames Haus. Die Wände waren weiß getüncht, es leuchtete in der gleißenden Sonne 181 Jons Heimweh. Eine Geschichte aus dem Wärmland von Selms Lagerlö f. Das rote Kleid. Als das junge Mädchen von Skrolycka siebzehn Jahre alt war, ging sie an einem schönen Sommersonntag mit ihren Eltern zur Kirche. Während sie auf dem Wege dahinwanderte, trug sie ein Tuch um die Schultern, das sie ablegte, als sie den Kirchen- platz erreichte, und da sahen d'ie Leute, daß sie ein Kleid trug, wie die Leute im Dorfe noch nie eines gesehen hatten. Einer von den Handelsleuten, die mit einem großen Pack auf dem Rücken umherziehen, hatte eines Tages den Weg nach Askedalarna gefunden, und als er da Klara Gulla in ihrer jugendlichen Schönheit und Frische sah, hatte er ein Stück Zeug aus seinem Pack genommen und die Eltern zu überreden versucht, für ihre Tochter ein Kleid davon zu kaufen. Es war ein in verschiedenen Schattierungen schillernder roter Stoff, der fast wie Seide glänzte. Der Stoff war ebenso teuer, wie er schön war, und für Jan und Katrine war es vollständig ausgeschlossen, ihrer Tochter so ein Kleid zu kaufen, obgleich man wohl verstehen wird, daß Jan nichts lieber getan hätte. Aber denkt euch, wie merkwürdig! Nachdem der Handels- mann die Eltern lange vergeblich zu überreden versucht hatte, geriet er ganz außer sich, weil er seinen Willen nicht durch- setzen konnte. Er sagte, ihre Tochter solle den Stoff nun einmal haben, das habe er sich in den Kopf gesetzt, denn in der ganzen Gegend gebe es nicht ein Mädchen, dem er so schön stehen würde wie Klara Gulla. Darauf nahm er den Stoff und maß so viele Ellen davon ab, als nian zu einem Kleid brauchte, und schenkte es Klara Gulla. Er wolle gar kein Geld dafür, sagte er, sondern verlange nur, sie in dem roten Kleid zu sehen, wenn er das nächstemal nach Skrolycka käme. Danach war das Kleid von der besten Näherin des Kirchspiels, die immer für die gnädigen Fräulein auf Lövdala nähte, gemacht worden. Und als Klara Gulla das Kleid zum erstenmal anzog, da paßte es ihr so gut und stand ihr auch so ausgezeichnet, daß man hätte meinen können, sie mit seinem roten Dach hinter einem kleinen Garten, der in voller Blumenpracht prangte, wie eine Insel der Seligen inmitten von Tod und Vernichtung. Ich trat heran. Eine Frau im mittleren Alter, mit vergrämten Zügen und von der Arbeit gekrümmtem Rücken, hantierte vor dem Haus herum.„Bon jour, madamel"„M— sieur!"„Sie leben ja hier wie im Paradies!* Madame iah mich mißtrauisch von der Seite an, knurrte etwas Unverständliches und verschwand im Haus. Ein Mädchen von etwa 16 Jahren, mit etwas blödem Gesicht, trat neugierig heraus. Ich sprach sie an. Allmählich ward sie zutran- licher, erzählte mir, wie sie seit zwei Jahren hier in ständiger Angst lebten, von Granaten getroffen zu werden. Die Granallöcher, die ringsherum zerstreut gähnten, ließen mir das begreiflich erscheinen. „Ja, mein Herr,* sagte sie,„ich habe viel zur heiligen Jungfrau gebetet und sie hat uns bewahrt vor allem Uebel. Es ist ein Wunder der heiligen Jungfrau." Ich mußte ein wenig lächeln; die Franzosen beherrschten die Höhen und konnten gewiß die Einwohner sehen. Deshalb halten sie das einsame Haus, in dem keine größeren Truppenmeiigen sich bergen konnten, gewiß verschont. Unterdessen kam auch der Vater vom nahen Felde herbei- gehumpelt. Es war ein 60jShriger Mann, der 40 Jahre lang in der Grube gearbeitet hatte und nun von einer kleinen Rente lebte. Mit „A lala 1 Monsieur I C'est un malheur, la guerre I" fing eS an, und wir wurden bald vertraulich. Er erzählte mir von Kämpfen und zeigte mir, wie die Franzosen im September bis A. vor- gedrungen waren und wie sie für ihr Leben gezittert hatten. „Ja, warum haben Sie das Haus nicht verlassen?* „O, mein Herr, ich habe nichts mehr zu verlieren, als dieses Haus I Zwei meiner Söhne sind bei dem großen Grubenunglück vom 10. März 1906 umgekommen. Haben Sie den Kirchhof schon gesehen? 224 Bewohner dieses Dorfes sind dort zugleich bestattet. Dem dritten Sohn wurden beide Beine von der Eisenbahn abgefahren. Er starb bald darauf. Der vierte ist taubstumm und beschränkten Geistes. Er verläßt das Zimmer nicht. Der jüngste Sohn ist ge- flohen, als die Deutschen kamen. Seit zwei Jahren habe ich keine Nachricht von ihm.*—«Nun, und Ihre Tochter?*— Er wurde geheimnisvoll:„Es ist nicht die meine. Herr I Meine Frau hat sie bekommen, als ich zwei Jahre in Aniches arbeitete und nicht nach Hause kam. Während des Bombardements hat sie sie ins Dorf ge- schickt.(z) E. D. kleines Zeuilleton. Die Staöt, wo öie Millionen rollen! Die eigenartigen Zustände, die der Krieg in Kristiania geschaffen hat, schildert der norwegische Korrespondent von„Stockholm ? Dag- blad*.„Millionen rollen, Vermögen werden in einem einzigen Tage geschaffen*, so erzählt er.„Wir sind mitten in einem hals- brecherischen, phantastischen Abenteuer, wie es das Land vorher nie- mals erlebt hat und wohl auch nie mehr erleben wird. Die „Gulaschbarone* beherrschen das Feld. Man trifft sie in den Geschäften, wo ihnen das Teuerste gerade gut genug ist, auf den Wegen, die sie mit ihren Luxusautomobilen un- sicher machen; denn natürlich erfordert es der„gute Ton*, daß sie selbst am Steuer sitzen. Die Fjorde Kristianias durch- kreuzen sie mit ihren eleganten Jachten, an deren Bord der Schaum- wein in Strömen fließt. Oder man begegnet ihnen in den Cafös. Besonders„Grand*, das berühmte Casö im Grand Hotel, ist eine Filiale der Börse geworden. Es gab eine Zeit, da abends die Leute in langen Reihen vor dem Lokal auf Einlritt warten mußten; sie drängten sich wie die Verrückien und boten Aktien und Zeichnungsrechte aus. Auch an den Vormittagen wimmelt das Cafe von Spekulanten, darunter auch dänischen und schwedischen; sie haben entdeckt, daß man hier ebenso schwindelnd hoch und wahnwitzig spekuliert wie in Kopenhagen . An den kleinen runden Tischen werden Millionengeschäfte abgeschlosien. Hier wird von Dingen gesprochen, die Kaufleule der alten, guten Schule kaum anders als im Flüstertone hinter verschlosienen Türen be- sprechen würden. Es ist eine bekannte Tatsache, daß englische Handelsspione Norwegen überschwemmen und systematisch unsere Handelstelegramme aus drahtlosen Stationen stehlen, daß sie Telephongeipräche belauschen und Kontore ausspionieren. Sie sitzen scheinbar unbeteiligt am nächsten Tisch, trinken ihr Bier oder ihren Grog mit gleichgültiger Miene. An einem einzigen Vormittag können sie reiche Ernte machen und umfangreiches Material zu den schwarzen Listen liesern. Die Restaurateure reiben sich die Hände und verdienen Niesensummen. Das ist die Vorderseile der Medaille. Die Kehrseite ist weniger strahlend. In Kristiania herrscht eine entsetzliche Teuerung. Zugleich mit den ungesunden Geldverhältnissen ist der Wert des Geldes gesunken, und die Preise für alle Lebens- sei aus einem der schönen Hagebuttensträucher herausgewachsen, die draußen am Waldhügel in ihrer reifen Pracht weithin leuchteten. An dem Sonntag, wo sich Klara Gulla mit dem neuen Kleid in der Kirche zeigen wollte, hätte weder Jan noch Ka- trine zu Hause zu bleiben vermocht, so neugierig waren sie, zu hören, was die Leute dazu sagen würden. Und so wanderten alle drei miteinander nach der Kirche. Allen Leuten fiel das rote Kleid auf, und nachdem sie es ein- mal gesehen hatten, wendeten sie sich um und betrachteten es noch einmal. Aber beim zweitenmal betrachteten sie nicht allein das Kleid, sondern auch das junge Mädchen, das das Kleid trug. Einige von den Leuten hatten schon vorher von dem Kleide reden hören, die andern aber wollten wissen, wie es komme, daß die Tochter eines armen Häuslers so großartig gekleidet auf dem Platz vor der Kirche stehe. Jan und Katrine mußten die Geschichte von dem Handelsmann immer und immer wieder erzählen. Und als die Leute erfuhren, wie alles zusammenhing, konnten sie ja kein Aergernis mehr daran nehmen. Alle miteinander freuten sich darüber, daß es dem Glück einmal eingefallen war, in das ärmliche Häus- chen drüben in Askedalarna einen Blick hineinzuwerfen. Es waren auch richtige Hofbauernsöhne da, die gerade- heraus sagten, wenn dieses Mädchen aus einer Familie stammte, bei der man an eine Heirat mit ihr denken könnte, so würde Klara Gulla verlobt sein, ehe sie wieder aus der Kirche herauskäme. Und es waren auch Töchter von Großbauern da, sogar Erbtöchter, die sich im stillen sagten, sie würden sich gar nicht besinnen, einen ganzen Acker drein zu geben, wenn sie sich dafür ein Gesicht eintauschen könnten, das so rosig schimmerte und so von Jugend und Gesundheit strahlte wie Klara Gullas. Aber nun geschah es, daß an diesem Sonntag nicht der gewöhnliche Pfarrer, sondern der Propst von Bro in der Kirche zu Svartsjö predigte. Und der Propst war ein strenger altmodischer Mann, der an jedem Uebermaß, sei es in der Kleidertracht oder in anderem, Anstoß nahm. Als nun der Propst das junge Mädchen in dem roten Kleide sah, bekam er gewiß Angst, es könnte aus Seidenstoff gemacht sein, deshalb schickte er den Küster hin und ließ das Mädchen mitsamt semen Eltern zu sich entbieten, weil er mit ihnen reden wolle. mittel und notwendigen Bedarfsartikel sind unerhört gestiegen. Wohnungen, Essen, Kleider und Brennmaterial sind in dem„aus- gehungeiten* Deutschland bedeutend billiger. Sogar die eigenen Produkie des Landes werden mit schwindelnd hohen Preisen be- zahlt. Wald gibt es in Norwegen die Menge, aber die Holzpreise steigen mit jedem Tage, wäbrend England der Kohleneinfuhr gleich- zeitig alle möglichen Schwierigkeilen bereitet. Butter und Milch gibt es in Fülle, und doch wissen die kleinen Leute bald nicht mehr, wie sie die Preise dafür aufbringen sollen. Die Woh- nungsmiete ist auf mehr als das Doppelte gestiegen. Zimmer sind kaum noch aufzutreiben. Unter dem Mittelstand herrscht„die gut- gekleidete Not*. Für die Unbemittelten sind diese goldenen Zeiten erschreckend. Wir gehen einem Winter entgegen, wie ihn Kristiania noch nie erlebt hat. Ungeheure Vermögen bei einigen, drückende, graue Armut bei den meisten. Das ist das Märchen von Kristiania im Jahre 1916.*_ Der brennende öerg. Seit Menschengedenken brennt in der Saarbrücker Umgegend, bei Dudweiler , unausgesetzt ein Berg. Voller Staunen steht man vor diesem merkwürdigen Wunder der Natur. Der Berg liegt ziem« lich versteckt in einer Schlucht des herrlichen Dudweiler Buchen« Waldes. Ein steiles Pfädchen führt hinaus in den Talkessel, wo allerlei Strauchwerk wuchert; gleich darauf steht man vor dem brennenden, dampfenden, rauchenden Felsenberg. Aus allen Spalten steigen, mit wechselnder Intensität, die heißen Dämpfe auf; zeit- weilig wirkt es, als wollten die Dompfgewalten ihre Ausgangstore sprengen. Die ausstoßenden Dämpfe sind sehr heiß, so daß man nur sekundenlang Gesicht und Hände in ihre Nähe bringen kann. Ucppige Moosbeete umlagern die brennenden Bergspalten, in einem weiteren Umkreise vertrocknen sie zu weicher Erdschicht, die in noch größerer Entsernung davon mehr und mehr verhärten. Der Berg trägt eine rote Tonschichl, in dessen tieferen Schichten man viele bemerkenswerte Versteinerungen entdeckt. Unter der Einwirkung der Hitze hat sich der tonhaltige Stein nach und nach rot gefärbt und man wird an gebrannte Ziegelsteine erinnert. Ueber den brennenden Bergspalten, auf vorspringenden Erdschollen, stehen prächtige Eichen- sträucher. An den Moosen, die die rauchenden Risse umwuchern, hängen Wassertropfen, die im Sonnenlicht flimmern und glitzern wie die schönsten Diamanten. Vor einigen Jahrzehnten haben die Ausflügler in den heißen Dämpfen die Eier gekocht. Auch Goethe hat vor dem brennenden Berg gestanden und über die seltsame Beobachtung nachgedacht, das war im Jahre 1770 auf seiner Slraßburger Reise. Man möchte fast zu der Annahme neigen, als habe er seine Faust-, Höllen- und Hexenmotive und Zaubervorstellungen von diesem brennenden Berge in der stillen wilden Waldschlucht erlebt. Goethe meinte da- mals, einen Schwefelgeruch wahrgenommen zu haben. Darin stimmt man ihm beute keineswegs zu. Es ist kein vulkanischer Berg, in mehreren Kilometern Tiefe brennen Kohlenflöze, die ihre Hitzwellen durch die Spalten schicken. In allen Zeitläufen hat man versucht, die Erdtiefe auszuforschen, doch vor den heißen Dämpfen mußte der Forschergeist Halt machen, und so brennt der Berg unbehindert weiter, ein ewig gleiches, wunderbares Geheimnis der Erdtiefe. Notize». — K u n st ch r o n i k. Bei Paul Cassirer wird die Weisgerber- Ausstellung am Sonntag nachmittag 2 Ubr geschlossen.— Am Mittwoch, den 13. September, wird eine Ausstellung von Werken von Pankok eröffnet. — Klassische Volksschauspiele. Die freundliche Auf- nähme, die die populären Nachmittagsvorstellungen im Theater am 'Nollendorfplatz gefunden, haben Direktor Hunold Strakosch ver« anlaßt, ein ähnliches Unternehmen im Theater des Westens ins Lcben zu rufen. Am Donnerstag wurden die Aufführungen mit Schillers„Wilhelm Tell* eröffnet. Die Darstellung war besonders in den Hauptrollen würdig. Da? Zusammenspiel ließ die geübte Hand des Spielleiters Strakosch erkennen, der selbst den Melchthal gut verkörperte. Die Hauptrolle wurde von Kurt Brenckendorf lreff- lich dargestellt. Die Ausstattung genügte. Für die Jugend, auf die ja hauptsächlich gerechnet wird, ist glücklicherweise der Dichter und sein Werk nocki die Hauptsache. — Seßhafte Zigeuner. In Oesterreich-Ungarn hat man kürzlich mit der Ansiedelung der Zigeuner begonnen, um sie, wo immer sie gerade weilen, seßhaft zu machen. Die kriegsbrauchbaren Zigeuner wurden als Arbeilssoldaten eingezogen, die untauglichen und Frauen zur Arbeit angehallen. Die Kinder müssen die Schule besuchen. Pferde und Wagen hat die Regierung eingezogen. Mit dieser Aufgabe haben die Behörden eine gewaltige Arbeit auf sich genommen. Für die Zigeuner selbst bedeutet die neue Anordnung eine völlige Umwälzung, durch die sie von ihren jahrhundertealten Lebensgewohnheiten vollständig abkommen. Als Klara Gulla vor ihm stand, sah er wohl auch, wie ausgezeichnet das Kleid und das Mädchen zusammenpaßten, aber er nahm darum ebenso großes Aergernis daran wie vorher. „Hör du, Klara Gulla, ich will dir etwa? sagen," begann er, indem er ihr zugleich die Hand auf die Schulter legte. „Wenn ich wollte und Lust dazu hätte, könnte mich durchaus niemand daran verhindern, mich wie ein Bischof mit einem goldenen Kreuz zu schmücken. Aber ich tue es nicht, weil ich nicht für vornehmer gelten will als ich bin. Und aus dem- selben Grunde sollst du dich auch nicht so fein anziehen wie ein Fräulein von einem Herrenhofe, da du doch nur die Tochter eines armen Häuslers bist." Das waren strenge Worte, und Klara Gulla brachte vor lauter Verwirrung und Bestürzung kein Wort heraus. Katrine aber kam ihr rasch zu Hilfe und sagte, ihre Tochter habe den Stoff zum Geschenk erhalten. „Ja, das ist wohl möglich," erwiderte der Propst.„Aber versteht ihr Eltern denn gar nicht, wie es gehen wird? Wenn ihr eurer Tochter erst ein- oder zweimal erlaubt habt, sich in dieser Weise zu putzen, dann bringt ihr sie nicht mehr dazu, die einfachen Kleider anzuziehen, die ihr aus euren Mitteln für sie anschaffen könnt." Nach diesen Worten wendete der Propst sich weg, denn jetzt hatte er den Leuten seine Meinung mit deutlichen Worten gesagt. Aber ehe der geistliche Herr außer GeHörweite ge- kommen war, hatte Jan eine Antwort bereit: „Wenn dieses kleine Mädchen hier in richstger Weise ge- kleidet sein sollte, dann müßte sie so herrlich leuchten wie die Sonne," sagte er;„denn für uns Eltern ist sie Sonne und Freude, seit dem Tag, wo sie das Licht der Welt erblickt hat." Da trat der Propst wieder näherund betrachtete alle drei nachdenklich. Jan und Katrine sahen beide alt und abgeschafft aus, aber in den gefurchten Gesichtern leuchteten die Augen hell, als sie sich auf die strahlende Jugend richteten, die sie zwischen sich hatten. Da sagte sich der Propst, es wäre unrecht, wenn er die Freude der alten Leute zerstörte. „Wenn du wirklich das Licht und die Freude deiner armen Eltern gewesen bist, dann kannst du das Kleid mit Ehren tragen," sagte er mit freundlicher Stimme.„Denn ein Kind, das seinen Vater und seine Mutter glücklich macht, das ist daS Beste, was unsere Augen sehen können.*(Forts, folgt.)
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33 (9.9.1916) 212
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