— Die Wahlprüfung scommission hat die Wahl desAbgeordneten Auer im 22. sächsischen Wahlkreise einer langenPrüfung unterzogen. Der Antrag der Beanstandung dieserWahl wegen der dabei vorgekommenen Unregelmäßigkeiten ge-langte nicht zur Annahme, vielmehr wurde beschlossen, neue Er-Hebungen über die Vorfälle, welche zum Proteste Anlaß gegebenhaben, zu veranlassen. Abweichend von der herkömmlichenPraxis hat die Tommission ihr Gesuch nebst den Akten nichtdem Kanzler zugehen lassen, sondern dem Präsidenten des Reichs-tages.— Zur Wahl Hasenclevers. Wie wir erfahren, hat dieWahlprüfungscommission des Reichstags sich von der Unan-fechtbarkeit der Wahl Hasenclever's im 6. Berliner Wahlkreiseüberzeugt. Das entscheidende Moment ist, daß das Versehen inder Wählerliste, welches den Anlaß zur Ungültigerklärung gebensollte, schon vor Auslegung der Wählerlisten begangenwar. Uebrigcns hat sich der angebliche Protest gegen die WahlHasenclever's bei genauerer Untersuchung als ein fortschritt-licher Schwindel erwiesen, welcher den Urhebern� und Mitschuldigen seinerzeit noch einige heiße Minuten verursachen soll.■��RWIRWMBBHMwuMmwMwwwwwwwwwwwwwww—' Zum Kapitel der Bismarckbeleidigungen. Vorder 8. Kriminaldeputaüon des Berliner Stadtgerichts fandenam 14. März die Verhandlungen wegen Beleidigung des FürstenBismarck gegen den Leaationsrath a. D. Graf Hermann vonArnim und die Redakteure Gehlsen, Schellenberg undTalchau statt. Der Strafantrag lautete gegen Graf Arnimauf 5 Monate Gefängniß, gegen Schellenberg und Talchau aufeine Zusatzstrafe von 1 Woche Gefängniß und gegen Gehlsenauf 6 Jahre Gefängniß. Nack kurzer Berathung lautete dasUrtheil gegen sämmtliche vier Angeklagte auf Schuldig der wie-derh ölten Beleidigung des Fürsten Bismarck durch die Presse.Graf Arnim wurde zu 3 Monaten Gefängniß verurtheilt, wobeials strafschärfend seine Stellung als Vertrauensperson gegen-über dem Reichskanzler, als strafmildernd sein Verhältniß zurFamilie Arnim angenommen wurde. Schellenberg und Talchauwurden zwar auch für schuldig erklärt, aber mit Rücksicht darauf,daß sie in den früheren Prozessen wahrscheinlich nicht höherverurtheilt worden wären, wenn die heutige Sache damit ver-bunden war, von Strafe verschont. Gegen Gehlsen erkannteder Gerichtshof schließlich auf fünf Jahre Gefängniß undsprach außerdem die Unbrauchbarmachung der Artikel und diePublikationsbefugniß für den Fürsten- Reichskanzler aus.—Ferner wurde am selbigen Tage der frühere Legationsrathvon Lo6 wegen Bismarckbeleidigung zu einem Jahre Gefängnißverurtheilt.— Bei Loö, Arnim und Gehlsen geht es übrigensden preußischen Gerichten so, wie den Nürnbergern, die auchkeinen henkten, bevor sie ihn hatten.� Zur Frage des Unterstützungswohnsitzes. Wiedas„Mannheimer Journal" schreibt� wurden demselben voneinem Arbeiter aus einer niederrheinischen Eisengießerei, der mitFrau und Kindern seinen seitherigen Aufenthalt verlassen, umin Frankfurt sein Brot zu suchen, sehr traurige Schilderungenüber die Roth gemacht, welche unter den Arbeitern der Eisen-industrie am Niederrhein herrscht. Der Genannte, der den Ein-druck eines braven, rechtschaffenen Mannes machte, erzählte, daß,wie er ohne Mittel den verzweifelten Entschluß gefaßt und mitWeib und Kind, ohne Gewißheit auf ein anderweitiges Unter-kommen, seinen Wohnsitz verlassen, so zögen am Niederrhein ingleicher Weise die Eisenarbeiter mit Frau und Kindern vonStadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf. Die Gemeinden brächtendort übergroße Opfer, nicht um dieselben unterzubringen, sondernum dieselben in ihre Heimathgemeinden oder nach anderen Ge-meinden fortzuschaffen. Man bringt große augenblickliche Opfer,um die dauernden Lasten des Unterstützungswohnsitz- Gesetzesmöglichst dauernd von sich entfernt zu halten.— Richtiger wärees sicherlich, wenn der Unterstützungswohnsitz dort wäre, wo dieArbeitskraft des Betreffenden jahrelang ausgebeutet worden ist,so daß für die Nothleidenden auch diejenigen Fabrikanten, welcheden Nutzen gezogen haben, mit aufkommen müßten. Die kleinen,armen Bauern-Gemeinden werden durch das Reichsgesetz betr.den Unterstützungswohnsitz ungebührlich belastet, die Städte undFabrikgegenden, Ivo das liberale Fabrikantenthuni blüht, werdendagegen entlastet. Sehr natürlich, weil der liberale Geldsackdie„Volksvertretung" beherrscht.— Der Hunger auf der Straße. Das liberale„Braun-schweizer Tagblatt" schreibt:„Gestern Abend fand man auf derEckternstraße einen Arbeiter, welcher, völlig erschöpft, dort um-gesunken war. Mehrere des Weges kommende Herren nahmenDie Vagabundage aus dem flachen Lande.Unter diejer Ueberschrift bringt die„Norddeutsche AllgemeineZeitung" einen wahrhaft haarsträubenden Artikel, der die Rundedurch die ganze antisozialistische Presse macht und eins derelendesten Machwerke der Reptilienpresse ist. Wir können nichtsdazu, wenn die Bourgeoispresse den Klassenhaß in solcher Weiseschürt, sie hat die Folgen zu tragen. Der Artikel lautet:„Jedem, der mit den Verhältnissen nur einigermaßen bekanntist, wird die Erscheinung aufgefallen sein, daß die Zahl desarbeitsfaulen, geschäfts- und legitimationslos sich umhertreibendenGesindels sich von Tag zu Tag in erschreckender Weise mehrt,und daß dasselbe für das Publikum, namentlich auf dem flachenLande mehr und mehr eine Plage wird, deren es sich nicht er-wehren kann.Selbst die Polizei steht diesen Schwärmen von Strol-chen machtlos gegenüber. Sie kann wohl erreichen, daß etwatäglich 1— 2 pTt. zur Abwechslung und Erheiterung ihres Le-bens freies Quartier und im Winter einen warmen Ofen imHaftlokal finden, aber dem Uebel irgendwie Schranken zu setzen,vermag sie nicht. Hier kann nur die Gesetzgebung helfen durchAusrottung der Wurzeln dieses Nebels und Entziehung der Nah-rung für sein Gedeihen.Die bisherigen Mittel der Gesetzgebung: Hast für Vagabon-dage und Bettelei, erhöhte für den Rückfall, nützten nichts, undebensowenig darf man erwarten, daß eine Verschärfung derStrafe wesentlichen Erfolg haben werde.Die Bedrohten wissen sich, wenn sie nicht gar zu unerfahrenund einfältig sind, solchen ihnen gesetzlich angedrohten Fährlich-leiten zu entziehen. Soll die Gesetzgebung in der That hierWandel schaffen, so muß sie von Grund ans auf diesem sozialenGebiete andere Bahnen betreten, als diejenigen sind, die, ohneRücksicht auf das reale Leben, nur basirend auf den Principiender Humanität und der unbeschränkt freien Verkehrsbewegung,wesentlich dazu beigetragen haben, eine Menschengattung großzu ziehen, welche die freie Bewegung nicht dazu ausnützt, sichlohnende Arbeit zu suchen, sondern um vom Publikum eineBettelsteuer zu erheben und sich davon ein müheloses und lieder-liches Leben zu beretten, und welche die ihnen entgegengebrachte� sich des Hilflosen an und geleiteten ihn zunächst nach einer Re-stauration, wo sie ihn durch Speise erquickten, denn der Hungerhatte den Unglücklichen zu Boden geworfen. Auf poli-! zeiliche Veranlassung wurde der Fremde ärztlich untersucht undI bis zu völliger Genesung nach dem herzoglichen Krankenhause: geschafft."— Angesichts solcher Thatsachen ist es erbärmlich,wenn die liberale Presse noch immer über Vagabunden und' Lumpen herzieht, die nicht arbeiten wollen; angesichts solcherThatsachen ist es schmachvoll, daß nicht die ganze Intelligenz,die in einer Nation steckt, Anstrengungen macht, solchen Bor-tommnissen durch Gesetze und Produktionsänderungen vorzu-beugen. Bis jetzt ist in dieser Beziehung nur die Sozialdems-kratie thätig.— Unsere Gegner. Unter dieser Ueberschrift erhalten wirfolgende Zusendung aus Karlsruhe:„Die„Badische Landes-zeitung"— Organ der Nationalliberalen(in Baden existirt einei Fortschrittspartei nicht)— ein Blatt, das an Gesinnungstüch-� tigkeit Alles, was bis jetzt dagewesen ist, übertrifft, hat durchI ihren Wiener tz Correspondenten in Nr. 57 ihres Blattes vom8. März hinter die Coulissen der oberen Zehntausend blickenlassen. Der Artikel, der uns das Agitiren für die Arbeitersachewesentlich erleichtert, folgt am Schlüsse Dieses wörtlich. Cynischer(hündischer) ist noch nie über den Nothstand— den die„oberen Zehntausend", wie die Landesbase selbst sagt und damitKlassenhaß provozirt— bekanntlich durch Ueberproduttion ver-anlaßten, geschrieben worden!— Im Jahre 1848 trugen dieoberen Zehntausend, von denen damals Manche„auch Prole-tarier" sein wollten, die größten schwarz-roth-goldenen Kokarden,„wenn nicht aus Herzensdrang, so doch aus Politik undKlugheit", gerade wie der Wiener Correspondent dem Nothstandgegenüber meint. Schade für unsere Gegner, daß die Sozial-Demokraten nicht mehr die dicke Zipfelkappe des deutschen Michelsvon 1343 tragen, um statt Gleichheit und Freiheit für Alle diesehr empirische Kur mit„blauen Bohnen" zur Wiederherstellungdes Status quo ante durchmachen zu müssen; sie werden dannauch nicht in die Lage kommen,„Kettentragen" für„liberal"zu erklären, wenn achtundzwanzig Jahre nach der Kur ver-flössen find!Der obenerwähnte Artikel lautet wörtlich:„Wien, 5. März. Gestern fand hier eine öffentliche Ber-sammlung von Arbeitern statt, welche sich mit dem weltbe-herrschenden Thema des Augenblicks, mit der Magen-frage, beschäftigte. Man hat in einem Anttage die Vorschlägezusammengefaßt, mit deren Hilfe man das allgemeine Elend,wenn schon nicht zu besiegen— wer vermöchte Das heute!—so doch zu lindern hofft. Die Arbeiter marschiren diesmal nichtunter der sozialistischen Fahne, sie schreiten gesenkten Hauptesunter dem Banner der Roth einher. Allerdings verlangensie jene politischen Freiheiten, die heute zu den unerläß-lichen Forderungen des modernen Staates gehören. Das freieVereinsrecht, das allgemeine und dirette Wahlrecht, die Fest-setzung des Normalarbeitstags, die Errichtung von eigenen Arbeiterkammern, die Verminderung der stehenden Heere— allediese Forderungen wurden von der Versammlung besprochen undaufgestellt, aber sie wurden nicht in erste Linie gestellt, manrückte sie vielmehr bedeutend in den Hintergrund. Nicht umVermehrung seiner Rechte ist es heute dem Manne mit demSchurzfell zu thun, sondern um Arbeit und Erwerb. Nicht umdie Errichtung einer neuen Weltordnung, nicht um den Umsturzder„tyrannischen Kapitals- und Sklavenwirthschaft", sondernum die Ernährung seiner Familie, um das tägliche Brot fürWeib und Kind handelt es sich heute, und es würde wie blutigeSelbstverhöhnung klingen, wenn er etwa die Strophen der famosen Arbeiter-Marseillaise(?) anstimmen wollte, jenes Liedes,das dem bettiebsamen Bourgeois so grell und drohend in's Ohr„Mann der Arbeit, aufgewacht,— Und erkenne Deine Macht!— Alle Räder stehen still,— Wenn Dein starker Arm es will!"(?)Du lieber Gott, die Räder stehen ohnedies still, und anstatt sieanzuhalten, würde er heute gerne— ach wie gerne!— denstarken Arm rühren, um sie wieder in Bewegung zu versetzen.Die Arbeiter verlangen also vor allem Anderen: Nahrung. Sieversteigen sich bei diesem Kapitel nicht zu der Träumerei vonjenen Nationalwerkstätten, wie sie beispielsweise dem GehirnLouis Blanc's entsprangen; sie halten sich vielmehr ängstlich in den Grenzen der thatsächlichcn Verhältnisse und rathenungefähr dasselbe an, was im Parlament und in der Presseschon des Oefteren in Vorschlag gebracht wurde. So sagtPunkt 2 des Antrags:„Die Inangriffnahme der beabsichttgtenBauten, Wege und Verkehrsstraßen ist sofort, mit Verbinderungaller bureaukratischen Verschleppungen, einzuleiten und hat fürdie rasche Durchführung die Staatsregierung den Anlaß zu gebentumanität nur als einen Freipaß betrachtet, um ihrerseits jedeittenlosigkeit ungefährdet begehen zu können.Man könnte hier einwenden, es sei die eigene Schuld desPublikums, das solche Erscheinungen unterstütze und durch Ver-abreichung von Gaben an diese Leute solche Gesellschaft unter-halte und fördere.Ganz ohne Berechtigung ist dieser Einwand nicht, doch zu-treffend nur mit erheblicher Einschränkung. Es können dochauch Fälle wirklicher unverschuldeter Bedürftigkeit vorkommen,in denen es eine tadelnswerthe Hartherzigkeit wäre, nicht zuhelfen, und da in jedem einzelnen Falle die Untersuchung überdie wirkliche Bedürftigkeit schwer und mühsam ist, so giebt viel-fach der Einzelne seine Kleinigkeit, um nicht etwa die unver-schuldete Bedürftigkeit hilflos von sich zu weisen.So empfängt der Lump gleich dem Unglücklichen seine Gabe.In den meisten Fällen jedoch, namentlich auf dem flackenLande, wo überhaupt sich die wundeste Stelle befindet, an derdieses Schmarotzerthum seine Nahrung saugt, ist der Grund zumGeben ein anderer. Dort erscheinen solche Stroche in Haufenvon 4— 6 Mann, feste Eichstöcke oder knotige Dornstöckein den Händen, und bitten im höflichsten Tone, aberin sehr drohender Haltung, die allein zu Hause befindlicheFrau, Magd oder Tochter eines Gehöftes um Brod, Schinken,Wurst, Eier, Kleidungsstücke oder Geld, je nachdem dasaugenblickliche Bedürfniß vorliegt, oder eine Wiederverwerthungdieser Gegenstände Erfolg verspricht, uud die Aermste giebt inder Regel aus purer Angst mehr und reichlicher als verlangtworden. Ja, selbst der etwa im Hause befindliche Mann scheutsich oft, solchen Leuten gegenüber die Gabe zu verweigern, daer weiß, daß ein Zündhölzchen, des Nachts unter sein Dach ge-halten, ausreicht, ihn zu ruiniren oder doch ganz erheblichschwer zu schädigen.Dieselbe Gefahr, die der Bürger der großen Stadt läuft,falls einmal die sozialdemokratische Masse, zur Ge-walt kommend, Commune spielt, dieselbe Gefahr läuft derBewohner des flachen Landes täglich, wenn auch nicht in derCumulatton des jdort zur Erscheinung kommenden Massenaus-bruches, so doch vertheilt auf die einzelnen Tage des Jahres inalltäglich verabreichten Portionen.und mit ihren Mitteln einzutreten. Die Verwaltungen der Ei-senbahnen, insbesondere der vom Staate unterstützten, sind auf-zufordern, ihre Bestellungen im Jnlande zu machen. Der öffent-liche Wohlthätigkeitssinn muß sich in der Würdigung und Unter-stützung der heimischen Industrie bethätigen. Almosen find zwarin einzelnen Fällen zu entschuldigen, grundsätzlich aber verwerf-lich." Ein weiterer Punkt der Arbeiter-Anträge besagt:„DasKleingewerbe darf sich der Erkenntniß nicht verschließen, daß esim Großen und Ganzen dem Untergange bestimmt ist. Dagegenankämpfen, hieße gegen die allgemeine fortschreitende Entwicke-lung kämpfen. Der Niedergang des Kleingewerbes hat sich bei-nahe schon überall vollzogen; es fristet hie und da noch einScheinleben. Die Kleinmeister sind in vielen Fällen Lohnarbeiter,wie die Fabrikarbeiter, und müssen daher vernunftgemäß mttdiesen gemeinsame Ziele anstreben." Man merke wohl auf dieseSchlußsolgerung und ziehe die richtigen Schlüsse daraus. DerArbeiter sagt dem kleinen Bürgersmann: Bruder, wir haben eingemeinsames Loos, wir leiden unter dem gemeinsamen Elend,machen wir also gemeinsame Sache. In der That bringen großeWirthschaftskrisen die Gefahr nahe, daß der Sozialismus inbreiteren Volksschichten an Ausdehnung gewinnt, und man hates bei den letzten Reichstagswahlen in Deutschland gesehen,auf welch fruchtbaren Boden die Propaganda der Hasencleverund Genossen gefallen ist. An die besitzenden Klassen, dieoberen Zehntausend, die Regierenden, tritt daher die Mah-nung heran, sich von den Zeichen der Zeit belehren zu lassenund Hilfe zu bieten, so rasch und weit es nur immer möglichist, wenn nicht aus Herzensdrang und Güte, so doch aus Po-litik und Klugheit!"— Das Ventil am Dampfkessel. In welcher Weise undmit welchen Mitteln die herrschenden Parteien den Kampf gegenuns führen, läßt sich am deutlichsten aus einem Beispiel ersehen,das der Wiener Reichstagsabgeordnete Dr. Kronawetter beider Berathung der österreichischen Preßgesetz-Novelle anführte.Derselbe bespricht den§ 17 des Preßgesetzes vom 17. Dezember1862, welcher die Vorlage einer periodischen Druckschrift 24Stunden vor dem Erscheinen derselben anordnet.„Diese Vor-schrift", äußerte fast wörtlich der genannte Abgeordnete,„hatoft schon zu den unerhörtesten Chikanen gegen mißliebige Par-teien und ganz besonders gegen die sozialdemokratische Partei,der gegenüber kein Versammlungs- und Vereinsrecht Geltungzu haben scheint, geführt. Das Organ dieser Partei, die„Gleichheit", ist neunmal erschienen und achtmal con-fiszirt worden. Die Partei hat, um die Kosten des Druckesund Papieres zu sparen, rechtzeitig 24 Stunden vor dem Er-scheinen ein Exemplar vorgelegt, um zu sehen, ob die Behördedie Nummer innerhalb dieser Zeit conftsziren werde. Die Be-Hörde ließ die 24 Stunden ruhig verstreichen und war-tete, bis der Druck begann, dann confiszirte sie dasBlatt."—„Diese Organe", fährt der Redner dann weiterfort,„sollten wie Ventile am Dampfkessel wirken, sie sollten esfördern, daß die Unzufriedenen sich ruhig aussprechen, und sienicht zwingen, ihren Groll in sich hineinzuschlucken" u. s. w.Was ist nicht schon alles von diesem„Ventil am Dampf-kessel" gefaselt worden? Und dennoch, wohin wir blicken, giebtman sich Mühe, dieses Ventil zu schließen, gleichviel ob es inForm der Druckerschwärze oder der freien mündlichen Rede zurErscheinung kommt. Der Prozeß in diesem schon vielcitirtenDampfkessel, der schon mehr einem Hexenkessel zu gleichen scheint,geht indeß ruhig vor sich, und mit wie ohne Ventil werdeneines schönen Tages die Wände sich erweitern und zum Platzenkommen.— Aber so einfach und natürlich das Exempel auch ist,es will unseren Gegnern nicht einleuchten, die Lehren der Ge-schichte sind für sie nicht vorhanden, trotzdem daß gerade sie essind, welche sich auf die Geschichtskenntniß so viel zu Gute thunund stets das Sprüchlein vom„Nichts gelernt und nichts ver--gessen" im Munde führen.Es haben aber stets noch die herrschenden Klassen, denen esin ihrer Behaglichkeit zu wohl geworden ist, die Rolle des VogelStrauß übernommen, freilich selten noch zu eigenem Nutz undFrommen. Wir entschlagen uns jeder Verantwortlichkeit, dawir innerhalb der engen Grenzen, in denen wir uns zu bewegenangewiesen sind, mit allem Freimuth ihnen zurufen, zu erwachen,Raum zu geben der neuen Zeit, der Idee, welche ein ruhigesund friedliches Zusammenleben der Gesellschaft herbeizuführengeeignet ist. Statt aber unserer Thätigkeit, wir wollen nichtsagen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen— das können wir vonunseren Gegnern nicht erwarten— aber dieselbe wenigstensobjektiv zu beurtheilen, überhäufen sie uns mit Borwürfen undnoch Schlimmerem—— schelten uns Idealisten oder, wasweniger harmlos aussieht, klagen uns der Aufhetzerei an, be-Man darf überhaupt das Proletariat der großenStädte, die stehende Armee der sozialdemokratischenPropaganda, in keiner Weise trennen von diesen aufdem Lande fouragirenden Corps.Fast alle diese auf dem Lande fouragirenden Truppenhaben kürzere oder längere Zeit bei der disciplinirten sozial-demokratischen Armee gestanden und sind mit der Jauchesozialdemokratischer Lebensweisheit vollständig durchttänkt. Durchselbst gewollte Strikes, durch Conflikte mit den Arbeitgebern,durch Zuwiderhandlungen gegen die Strafgesetze oder auch durchArbeiterentlassungen während industtieller Krisen sind sie nurzeitweise in Reserve versetzt; jeder Allarm vermag Hunderte undTausendc dieser Reserve nach einem tumultuarischen Sammel-platze zusammen zu bringen. Mittlerweile ernährt sich die Re-serve nach ächt sozialistischem Grundsatz ohne Arbeit aufKosten Anderer.Der gefährliche Charatter dieser entlassenen Reserve aberliegt darin, daß sie wohl zur Agitation und Aktion, niemalsaber zur Arbeit und Seßhaftigkeit zurückkehrt; denn die Lustzur Arbeit, schon früher vergiftet durch die Lehren der Führer,wird vollständig getödtet durch den Genuß des auf der Vaga-bondage erpreßten, nicht erarbeiteten Arodes, das, mit Branntwein zum Uebermaß getränkt, den letzten Funken der Menschen-würde auslöscht.Unsere heutigen gesellschaftlichen Zustände zeigen uns: Mangelan guten und fleißigen Arbeitern, unlusttge und ungenügend inihrem Fache geschulte Gesellen, eine concurrenzunfähige Industrie,ein kümmerliches Pfuscherhandwerk und ein stets wachsendes,arbeitsfaules Proletariat.Jeder gesunde Körper hat seine Schmarotzer in irgendwelcher Form zu ernähren, und es würde allen Erfahrungenzuwiderlaufen, wenn ein großes Staatswesen von solchen Schma- �rotzerpflanzen ganz frei wäre. Aber die Ueberhandnahme derSchmarotzer ist stets ein Zeichen ungesunder Säfte und Mangel-:hafter Pflege, und man kann bei Betrachtung der angeführten iErscheinungen zu keinem anderen Schlüsse gelangen, als daß dieGesetzgebung der neueren Zeit, in der lobenswerthen Absichtzwar, die Circulation der Säfte und die Ernährung im Staats-organismus zu fördern, durch falsche Griffe auch diejenigen un- 1