Staatssache, wie die Sozialdemokratie es verlangt, und alleSchwierigkeiten und Ungerechtigkeiten des heutigen Unterstützungs-systems sind, sammt dem Unterstützungswohnsitz, mit EinemSchlag aus dem Wege geräumt. Das Mittel ist so einfach, soeinleuchtend und so gerecht, daß wenn Gerechtigkeit wirklich dieGrundlage der Staaten bildete(justitia fundamentum regnorum),die Anwendung selbstverständlich wäre. Aber—— Die„Deutsche Reichs-Post" läßt sich aus Mülhausen imElsaß unterm 11. Mai schreiben:„Die Geschäftsstockung istimmer dieselbe, ja sie scheint zu steigen. Ruhige und sachkundigeMänner sind überzeugt, wie ich gestern vernommen habe, daßdie kleineren Fabriken einem unvermeidlichen Ruin entgegen-gehen, die Industrie habe sich, sagen sie, zu sehr ausgedehntund produzire weit über Bedürfniß." Sonderbarl Man zogund zieht in allen möglichen und unmöglichen Tonarten gegendie Sozialdemokraten zu Felde, muß sich aber doch am Ende,wie Figura zeigt, vor der Unumstößlichkeit der Thatsachen beugen!Schließlich ist's auch mit der Anerkennung dieser Thatsachennichr mehr gethan— die Sonne bleibt nicht mehr, wie zuJosua's Zeiten, still stehen, und man muß uolens volens demGeist der Zeit gehorchen.— Die Ausbeutung der Kinder und jugendlichenArbeiter seitens der Kavitalisten hat auch in Dänemarkbereits eine erschreckliche Höhe erreicht, das beweisen die nach-stehenden Ziffern, welche die dänischen Fabrikinspcktoren für daSJahr 1876 ermittelt haben. Darnach standen Ende 1376 imGanzen 613 Fabriken unter der Controle der Fabrikinspektoren.In diesen 613 Fabriken waren beschäftigt 2661 Kinder(10-bis 14-jährig), 2545 jugendliche Arbeiter(14- bis 18-jährig)und 15,893 Erwachsene. Die Anzahl der beschäftigten Kinderund jugendlichen Arbeiter gestaltet sich im Verhältniß zu denErwachsenen, soweit sich dies überhaupt feststellen läßt, nachfolgenden Prozentsätzen, d. h. auf 100 Erwachsene:Kinder jugdl. A. SummaIn Zündhölzchenfabriken 31,8 23,5 55,3„ Cichorienfabriken 36,7 7,3 44,0„ Tabakfabriken 31,4 12,5 43,8„ Papierfabriken 22,5 17,5 40,0„ Buchdruckereien 5,3 23,6 28,9„ Glasfabriken 12,0 14,3 26,4u. s. w.Die Arbeitszeit beläuft sich bei 53 Proz. der Fabriken bis zu12 Stunden, bei 7 Proz. über 13 Stunden. Das dänischeFabrikgesetz schreibt für in Fabriken beschäftigte Kinder von 10bis 14 Jahren eine tägliche Arbeitszeit von höchstens 6'/, Stunden,für die jugendlichen Arbeiter von 14 bis 18 Jahren höchstens12 Stunden täglich vor.— Auf dem Kriegsschauplatz fängt es an,„lebendig" zuwerden. Die Wahrheit ist aus der Fluth von Nachrichten schwerherauszufinden, um so schwerer, als die Wahrheit aus handgreif-lichen Gründen oft verhehlt werden muß, und, namentlich aufrussischer Seite, in unverschämtester Weise gelogen wird. Soviel steht fest, in Asien haben die Russen eine tüchtige Schlappeerlitten, und der Tscherkessen-Aufstand, dessen Ausbruch ge-meldet wird, dürfte, falls er sich ausdehnt, einen bedeutendenFaktor in diesem Kriege bilden.(Der Stamm, der sich jetzt er-hoben hat, ist derselbe, der unter Schamyl heroisch für seineUnabhängigkeit kämpfte, und ein Sohn Schamyl's soll an derSpitze der Aufständischen stehen.) Auch in Europa spielt einähnlicher Faktor mit: obgleich die betreffenden Angaben zumTheil sehr abenteuerlich lauten, so ist doch soviel gewiß, daß dieTürken eine polnische Legion errichtet haben, und daß dierussische Regierung den Rückschlag der Ereignisse auf Polen sehrlebhaft fürchtet. An der Donau wird lustig geknallt und gebrand-stiftet— alles im Namen der Religion und der„Cultur"—bisher ist den Angreifern der, allerdings schwierige, Flußübergangnoch nicht gelungen.— Herr Ludwig Pfau, unfern Lesern rühmlichst bekannt,veröffentlicht in der„Frankfurter Zeitung" vom 8. d. M. folgendeErklärung:Herr Oberstaatsanwalt Schmieden hat in der Sitzung desAppellationsgerichts vom 27. April, angeblich nach„zuverlässigerQuelle" behauptet, meine Vcrtheidigung sei nachträglich für denDruck bearbeitet worden, um möglichst viel Aufhebens zu machen.Auf diese Verdächtigung hin habe ich dem Herrn Staatsanwaltund seiner Quelle einfach zu erwidern, daß ich— abgesehenvon meiner Gewohnheit nicht zu fälschen— die Unwahrheitihrer Behauptung durch eine Anzahl klassischer Zeugen beweisenkann. Die Rede war geschrieben und memorirt, als ich nachFrankfurt kam, und wurde, mit Hilfe einer detaillirten Dispositton,genau so vorgetragen wie sie geschrieben war. Für den Druckwurden allerdings einige Stellen des Manuskripts gestrichen undein paar andere gemildert; aber nicht aus Gründen politischerWirkung, sondern im Gegentheil mit journalistischem Bedauern,und einzig in der Absicht, die publizirende Zeitung nicht neuenVerfolgungen auszusetzen. Denn daß die Verhandlungen einerJustiz, welche auf Oeffentlichkeit und Mündlichkeit beruht, nichtmehr gefahrlos veröffentlicht werden können, ist ja auch eine derschönen� Errungenschaften unserer preußischen Aera.— WennHerr Schmieden weiter meint, 100 Mark Strafe sei zu wenig„im Verhältniß zu dem Kapital, das der Angeschuldigte aus derAnklagt und Untersuchung geschlagen," so hat er damit selberseinen Strafantrag hinreichend charakterisirt. Diese„juridische"Auffassung des Herrn Oberstaatsanwalts ist die richtige Signatureiner Justiz, welche da zu drei Monat Gefängniß verurtheilt,wo der erste Richter nur eine Strafbarkeit von 100 Mark Geld-büße zu erkennen vermochte.— Auf die übrigen, jeder logischenBegründung ennangelnden Behauptungen des Herrn Schmiedeneinzugehen, verlohnt sich um so weniger, als derselbe keines dervon der Bertheidigung vorgebrachten Beweismittel zu widerlegenim Stande war. Wohl aber beweist solch' laienhafte Behandlungeines Rechtsfalls, der mit einer schweren Freiheitsstrafe endigensollte, daß die Wissenschaft der Rechtspflege im neuen Reichenoch auf ein tieferes Niveau gesunken ist, als die andern dialektt-schen Disziplinen.— Im Uebrigen berufe ich mich— wie ichals Kläger oder Beklagter in öffentlichen Dingen stets gethan—auf die Instanz, welche über allen Richtern steht, auf denGerichtshof der freien Geister und unabhängigen Charaktere.Er hat sein inappellables Urtheil bereits gesprochen.Stuttgart, den 6. Mai 1877. Ludwig Pfau.die Absicht der deutschen Pariser Legion erkannt hatte, indem erunter anderem sagt:„Ueber die Absicht dieser Kolonne konnte kein Zweifel ent-stehen; sie war zur Mitwirkung gegen Freiburg zu spät ge-kommen, hatte die badischen Freischaaren in vollständiger Auf-lösung gefunden, ihre Rückzugswege nach dem Elsaß waren durchdie badischcn und hessischen Truppen gesperrt; sie suchte alsogegen die Schweiz auszuweichen, wozu ihr nur die beiden Rich-tungen nach Säckrngen und Rheinfeloen übrig blieben."Also die ganze Legion hatte vom Momente ihres Ueber-Pretens auf das badische Gebiet, nachdem sie die Niederlage derFreischaaren vernommen, keine andere Absicht, als die, sich nachder Schweiz zurückzuziehen; das gestehen hier selbst ihre Ber-folger zu!— Sie gestehen aber weiter auch zu, daß wenn dieLegion nach der Schweiz„auszuweichen" suchte, ihre Verfolgernichts von diesem Ausweichen wissen wollten; denn der Berichtsagt weiter unten:„Einen unmittelbaren Angriff vor Zell konnte ich wegen derzur Sammlung meiner Truppen erforderlichen Zeit nicht vorMorgens 6 Uhr beginnen."Das heißt: die Thatsache wird zugestanden,— und derenNachweis war es auch, was uns vor dem Schwurgerichte rettete— daß man uns angegriffen, daß man die Legion angreifenwollte, obgleich sie bei Doffenbach keinen andern Zweck verfolgte,als den, sich zurückzuziehen. Allerdings, vom Momente an, alsman auf unfern Krankenwagen geschossen(was der die Angriffs-Patrouille kommandireude Oberfeldwebel Köhler in seinen An-gaben vor dem Schwurgerichte selber zugestehen mußte), war dieNothwendigkeit der Bertheidigung eingetreten; und wie dies dieLegion gethan, davon haben die Gegner auch vor dem Schwur-gerichte nur mit Achtung gesprochen: Hr. Hauptmann Lipp,der im Gefechte von Dossenbach an der rechten Hand verwundetwurde, sprach mit Lob und Anerkennung von der Tapferkeit derLegion und der Bericht des Generals spricht sogar von einem„kritischen Momente", dem die königl. württembergischen Truppenausgesetzt waren.Hören wir weiter, was derselbe Bericht über Herwegh sagt;es heißt dort:Aus Rumänien.12. Mai.Seit einigen Tagen hier, werde ich zunächst, wie üblich, mitdem Wetter beginnen, das gegenwärtig hier eine nicht unbedeu-tende Rolle spielt; in einem fort seit Wochen regnet es in Strö-men, die Straßen sind durchweicht und unwegsam, und dasmacht den russischen Truppen, die täglich in Massen hier durch-pasfiren, nicht wenig zu schaffen; die Bahubeförderungsmittel sindnur in sehr beschränttem Maße vorhanden und die Truppenlegen den Weg meist zu Fuß zurück, natürlich nicht ohne cheijedem Transport eine respettable Anzahl von Maroden in denSpitälern zurückzulassen.—Unterwegs, namentlich in Czernowitz, begegnete ich vielen Fa-Milien, die sich aus Braila, Rem und Galatz— Plätzen ander Donau gelegen und den türkischen Schiffsgeschützen zunächstausgesetzt— geflüchtet haben, um auk österreichischem Boden einUnterkommen zu finden. Selbstverständlich ist der bürgerlicheWohlstand dieser Flüchtlinge, die Haus und Hof verlassen undschwer transportable Werthstücke im Stich lassen mußten, gründ-lich vernichtet worden. Nichtsdestoweniger sind das noch dieBeneidenswerthen, die ärmere Bevölkerung, der das Reisegeldaufzutreiben unmöglich gewesen, mußte zu Hause bleiben und,da die Städte den türkischen Kugeln ausgesetzt sind, sich in'sFreie begeben, wo sie, so gut sie bei der bereits geschildertenWitterung konnten, sich primitive Zelte aufrichteten; der Jammer,die Roth dieser Leute spottet aller Beschreibung.—In Pascany, der Kreuzstation Jassy-Roman, sah ich dieersten russischen„Culturkämpfer", höhere Offiziere, beim GlaseWein im Bahnhof gemüthlich plaudern. Von da ab begegneteunser Zug nur Militärzügen; gleichgültig, stupid glotzten die mos-kowitischen Gesichter in's Leere— nur vereinzelt hörte manpfeifen und singen, den Leuten schien es nicht sonderlich wohl,jedenfalls nicht kriegslustig zu Muthe zu sein. In Braila, woich einige Zeit, und noch heut Morgen, war, wimmelt es vonrussischen Militärs aller Waffengattungen, täglich kommen undgehen ganze Regimenter; in der Regel geschieht der Ein- undÄusmarsch unter Sang und Klang par ordre, dock) klingen dierussischen Melodien, wie überhaupt die slavischen, durchaus nichtheiter, sie sind tief melancholisch und passen ganz zu den trau-rigen Gesichtern.Das Betragen der Soldaten ist tadellos, sie stehen unterguter Disciplin; dagegen mangelt es ihnen entschieden an gehö-riger Verpflegung, wenigstens sieht man die Leute ganz unge-nirt all' ihr bisd>en Hab und Gut, meist in Rescrvegegenständenbestehend, zum Trödler tragen, wo sie für ein LumpengeldSchuhe, Wäsche, manche Monturstücke wie Mäntel u. dgl. ver-klopfen. Mancher thut dies natürlich auch blos, um sich einenExtrawutki(Wutti— Schnaps) zu verschaffen. Auf meine Frage,„Herwegh selbst und seine Frau, die ihn in Männertrachtbegleitete, ist nach eingegangenen Nachrichten, sobald er die An-Näherung der Truppen erfahren, noch vor Beginn des Kampfesentflohen."Hr. General v. Miller, der offene Gegner, ist doch so wahr-heitsliebend, daß er nicht sagt, seine Leute haben das Herwegh'scheEhepaar bestimmt entfliehen sehen, sondern:„H. ist nach eingegangenen Nachrichten(also nach Hörensagen) entflohen." Wieanders Herr Dr. Oscar Jäger, der Mann der Wissenschaft, derGeschichtsschreiber, indem er uns die Spritzledergcschichte alsgeschichtliche Thatsache servirt:„Herwegh selbst rettete sein Werth-loses Leben, indem er sich unter das Spritzenleder eines Wagensversteckte, den seine resolute Frau kutschirte." II. Bd. Pag. 26.(Fortsetzung folgt.)[ warum er denn die Stiefel verkaufe, gab mir ein Soldat zurAntwort:„Werde ich todtgeschossen, brauche ich sie nicht, wennaber nicht, dann werde ich mir schon ein neues Paar zu ver-schaffen wissen." Ich stand vor einem Laden, als ein Soldat� ein Paar Stiefel an einen Trödler verhandelte; ein Offizierging gerade vorbei und sah den ganzen Vorgang; ich dachte,i daß nun der arme Kerl hier nicht mit heiler Haut durchkommenwerde, doch ich irrte mich— der militärische Gruß wurde vonbeiden Seiten gewechselt, der Offizier lächelte, und als ich denSoldaten frug, ob er nicht fürchte in Strafe genommen zu werden, meinte er,„an derlei Dinge sei man bei ihnen zu Hausebereits gewöhnt, das werde nicht weiter beachtet."—Die hiesige Bevölkerung ist sehr deprimirt. Alles stockt, die„Aktionspolitit", welche die rumänische Regierung eingeschlagenhat, indem sie mit den Russen gemeinschaftliche Sache machtund sich gewissermaßen dem russischen Militärcommando unter-geordnet, flößt der Bevölkerung nicht geringe Sorge ein, undallgemein ist die Ansicht verbreitet, daß Fürst Carol 1., ein ge-borener Hohenzoller, nur im Auftrage und für Rechnung Sr.Durchlaucht des Fürsten Bismarck handele, der auf diesem WegeRußland seinen Dank für 1870 abstatte.— Inzwischen wirddas Land ruinirt; Handel und Verkehr ist vollständig lahm ge-legt, der Ackerbau, für Rumänien von der allerhöchsten Beden-hing, ist durch die Einziehung der Reserven unter die akttvenTruppen geschädigt, die schönsten und blühendsten Handelsplätzean der Donau von den türkischen Kugeln zu Schutthaufen ein-geäschert— so haben wir hier in erster Reihe die handgreif-lichsten Segnungen der russischen Culturmission zu verspüren,und vermuthlich werden auch bald noch andere Länder Aehn--liches erfahren.- Der„Ulk", das sogenannte„Witzblatt" des Herrn Masse inBerlin, des Oberbourgeois und Annoncenbureau-Jnhabers, sagt einmalin Bezug auf die Heuligen Verhältnisse, und besonders im Hinblick aufdie Wahlkämpfe, die in Berlin noch bevorstehen, die Wahrheit— d. h.wenn man den Willen für die That ansieht. Es heißt nämlich im„Ulk":„Die armen Sozialdemokraten.Wie mancherlei versuchte manDie Rothen zu bekämpfen!Ihr setztet alle Hebel an,Um ihr Gewühl zu dämpfen.Doch was auch that die Polizei,Ergebnißlos war Alles.Nur mir erliegt die Wühlpartei,Ich ducke sie!Der Dalles."Auch wir sind überzeugt, daß der Mosse'sche Dalles sich alle Mühegiebt und daß es ihm auch noch eher gelingt, die Sozialdemokratie zuducken, als der Polizei— doch nicht lange dauert es, daß auch er zurPolizei geworfen wird, zu welcher derselbe schon längst gehört— unddann ist eS mit dem„Ducken" wieder einmal nichts.Correspondenzen.Wien, den 9. Mai. Wenn ich lange nicht geschrieben habe,so geschah es aus dem einfachen Grunde, weil es nichts Wesent-liches zu berichten gab. Trotz des Krieges ist das politischeLeben Cisleithaniens zum Einschlafen langweilig: man harrt be-ständig der Dinge, die da kommen werden. Daß der ZukunftSchooß für Oesterreich nichts Heiteres bürgt, davon ist Jederüberzeugt. Wenn auch der Graf Andrassy Miene macht, nachCerebes abzureisen und der Kriegsminister sich zu einem mehr-wöchentlichen Aufenthalt in Karlsbad bereit macht, so gilt esdoch für ausgemacht, daß Oesterreich thätig in das Gewühl ander Donau unten wird eingreifen müssen. An wessen Seite diesgeschehen wird, ist unzweifelhaft; der stürmische Empfangder Softas in Budapest zeigt deutlich die Richtung, welcheUngarn und mithin Oesterreich, dieses Anhängsel Ungarns, ein-geschlagen hat. Die slavischen Völker Oesterreichs sind zu un-einig, um ein Gegengewicht abzugeben. Die föderalistischenPolen haben den föderalistischen Czechen wegen deren Russen-sreundlichkeit die Freundschaft gekündigt; diese hinwiederum be-ginnen über die föderalistifchen Ultramontanen mißmuthig zuwerden, da der Papst den Kreuzzug für die Ungläubigen predigt.Und im Süden sehen sich die griechifchen Serben und die katho-tischen Kroaten sehr mißtrauisch an. Diese Zerfahrenheit undZerrissenheit der Parteiverhältniffe ist es auch, die unsere Regie-rung noch möglich macht, obgleich sie gar keiner Partei genügt,weder den Deutschen noch den Slaven, weder der Bourgeoisienoch dem Feudaladel. Jeder fürchtet sich, sie zu stürzen, umnicht die Gegenpartei dadurch an's Ruder zu bringen. EinSystem gibt es in Oestereich nicht mehr, bei uns regiert dieCharakterlosigkeit. So lange Ruhe ist, kann das Balancirspielungestört fortdauern, aber der geringste Anstoß von Außen er-regt alle Elemente gegen das Bestehende und ein wüstes Chaosist die Folge.— Wie wenig sicher man in den oberen Regionensich fühlt, bezeugen die Verfolgungen, welche man der kleinenund schwachen ArbeiterparteiOesterreichs zu theil werden läßt. Manweiß�eben, daß der kleinste Funke den Brand entflammen kann.— Sitzen ein paar Parteigenossen beim Bier beisammen, flugshat sie der berüchtigte Sozialistenfresier Frankel, dem auch Wernerseine Ausweisung zu verdanken hat, ausgespürt und überfällt sieals„geheime Versammlung"! Bei dem letzten dieser„Ueberfälle"wurden dem Genossen Schwarzinger 200„Gleichheiten" wider-rechtlich weggenommen und bis heute noch nicht ausgefolgt. Beidieser Gelegenheit wurde auch Genosse Schapira ausgewiesen.—Die„Gleichheit" ist schon mehrere Male nacheinander zu unseremgrößten Erstaunen nicht konfiszirt worden. Sie ist aber auchso vorsichtig redigirt, daß es mit dem besten Willen nichts mehrin derselben zu konfisziren gibt.— Sozialistisch schreiben darfman nicht; sozialistisch reden natürlich noch viel weniger. Alsnach langer Zeit wieder einmal eine Volksversammlung ein-berufen worden war, wurde sie verboten. Daran sind wir schongewöhnt, überrascht wurden wir nur durch die Freimüthigkeitdes Polizeiraths Weiß, der erklärte:„Geben Sie sich keineMühe mit dem Einberufen, unter den jetzigen drohendenVerhältnissen werden Ihnen keine Volksversamm-lungen bewilligt." Das heißt also, für die Sozialdemokratenist das Versammlungsrecht in Oesterreich suspendirt, für uns istder Ausnahmezustand, der Belagerungszustand gewissermaßen,proklamirt. Und so verrottet, so charakterlos ist das Parlament,daß die Behörden es wagen dürfen, so flagrante Gesetzesver-höhnungen offen auszusprechen. Nicht einmal den Schein derGesetzlichkeit wahrt man mehr in dem„Rechtsstaate" Oesterreichden Sozialdemokraten gegenüber. Niemand ist es, der ein sochesVorgehen zu rügen wagt, selbst Kronaw.tter sind die Hände ge-bunden, da seine Wähler drei- und vierfach versteckte JosefstädterHausherrn sind. Was durch ein solches Borgchen erreicht wird,ist klar: das Volk wird gezwungen, sich an den Gedanken zugewöhnen, daß auf gesetzlichem Wege nichts zu erreichen ist.Noch ein Winter, wie der letzte, voll Jammer und Elend, vollVerzweiflung und Verbrechen, und Oesterreich überlebt ihn nicht.In Atzgersdorf beträgt der Durchschnittslohn der beschäftigtenArbeiter 27 Kreuzer täglich, in Wien sind 10,000 Arbeiterbrotlos, in Nordböhmen und Mähren verhungern die Arbeiterbuchstäblich, indeß die lustigen Fabrikantensöhnchen von Ver-gnügen zu Vergnügen taumeln. Die Bourgeoisie im Ganzenund Großen erschrickt jedoch selbst vor den Folgen so andauern-den Elends, und um dem Volk zu zeigen, man wolle etwas fürdasselbe thun, erließ man— hochtönende Aufrufe zu Gunstender Spitzenklöpplerinnen im Gebirge. Um aber auch bei dieserGelegenheit nichts umsonst zu thun, sorgte man für das Knopf-loch und schweifwedelte in hündischer Servilität vor der Kaiserin.Die 20 Millionen Mehrforderungen unseres Kriegsministers fürden Friedensetat werden den Hunger jedenfalls auch nichtstillen helfen. Aber es wird so lange darauf losgewirthschaftetwerden, bis das Volk in seiner Mehrheit eingesehen haben wird,daß seine ärgsten Feinde der heutige Staat und die heuttgeGesellschaft sind.Kamvnrg, 13. Mai. Ich habe einen Freund, dessen Losungist:„Die Welt wird immer hübscher!" Und er hat recht, min-destens im Mai, denn alles grünt und blüht draußen. Doch auchdrinnen, in dem realen Leben, regt fich's unablässig. So z. B.