Wo bleibt da die vollberechtigte Eifersucht, mit der die Herren Ressortchefs wachen? Oder wachen diese Herren nur darüber, daß die Chefs der Ressorts und deren Ober-Chef nicht zu kurz kommen? — Wegen Mißbrauchs der Dienstgewalt wurde vom Militärbezirksgericht Würzburg ein Bicefeldwebel zu einer zweimonatlichen Festungshaft verurtheilt. Es braucht wohl kaum erst erwähnt zu werden, daß der Mißbrauch der Dienstgewalt in der Mißhandlung eines untergebenen Soldaten bestand— ein Mißbrauch, der wie eine chronische Krankheit dem Militarismus anhaftet. Wenn wir den Hergang mittheilen, so geschieht das nur, um abermals zu zeigen, welcher unmenschlichen Behandlung die Söhne des Bolks in ihrer Eigenschaft als „Laterlandsvertheidiger" häufig ausgesetzt sind. Es war am 13. April d. I., daß die 10. Compagnie des 1. bayrischen Jnfanterie-Regiments auf dem Place de force in Metz Exerzierübungen vorzunehmen hatte, wobei es sich ereignete, daß der Genieine Valentin Kunz— sonst ein ausgezeichnet beleumundeter und dienstwilliger Mann— in Folge geringer vorgefallener Exerzierfehler eine lächelnde Miene zur schau trug. Hierüber ergrimmte der die Hebungen leitende Bicefeldwebel L. Gruber derart, daß er den Soldaten am Ohr ergriff und demselben mit der geballten rechten Faust mehrere starke Schläge gegen die Stirne und Nase versetzte, welche einige Hautschürfungen und starkes Nasenbluten zur Folge hatten, dann aber— als die Compagnie eingerückt war— eine Gehirn- Erschütterung zu Tage treten ließen, welche zur Bewußtlosigkeit des mißhandelten Kunz fishrte und die Verbnngung desselben in das Militärspital nothwendig machte. Es wurde zwar versucht, die Krankheits- erscheinungen des Kunz als Simulation hinzustellen, doch mußte der visitirende preußische Arzt in seinem Berichte selbst zugeben, daß er den Kunz bewußtlos und in Krämpfen liegend gefunden habe; auch konnte Kunz erst nach zehn Tagen aus dem Spitale entlassen werden. In der heutigen Hauptverhandlung legte der Angeklagte ein unumwundenes Geständniß ab, worauf der Staats- anwalt die Anklage begründete, während die Bertheidigung dar- zulegen versuchte, daß zwischen jenen Schlägen und der Gehirn- erschütterung kein Zusammenhang bestanden habe. Die Ge- schworenen bejahten indeß die an sie gerichtete Frage, worauf der Angeklagte zu der oben erwähnten Strafe verurtheilt wurde. — O welche Lust Soldat zu sein! — Das Nürnberger Reptil, genannt„Fränkischer Kurier", leistet Folgendes: „Unter dem Titel„Frankreichs Maienblüthe" verübt ein sozialdemokratischer Dichter, Herr Kurt Mook im„Vorwärts" ein Gedicht zum Preise der Pariser Commune , dessen erste Strophe lautet: Gemordet habt ihr die Gemeine(!!) Und fte verscharrt wie giftig Aas, Dann wuscht ihr euch die Hände reine Nicht wie Pilatus, nein im Icheine Der ordre morale Caiphas'. Wir hängen uns sonst nicht gern an Kleinigkeiten, aber einem Angehörigen jener Gesellschaft gegenüber, welche beständig mit ihrer„Wissenschaftlichkeit" renommirt und dem Gegner Unwissen- heit vorwirft, können wir uns des Rathes nicht enthalten, er möge sich bei einem Realschüler erkundigen, welchen Geschlechtes das Wort„ordre" eigentlich ist. Daß die Redaktion des„Vor- wärts" ihrem Dichter das Conzept nicht corrigirt hat, wundert uns nicht; seit einem gewissen nach Paris gesandten Begrüßungs- telegramm ist es ja bekannt, daß ihre Kenntniß der französischen Sprache noch nicht auf der Höhe der Franzosenfreundlichkeit ihrer'Gesinnung angelangt ist." So der Ehren-„Kurier". Die zwei Ausrufungszeichen hinter dem Wort„Gemeine" sind bezeichnend für ihn. Er hat offen- bar keine Ahnung davon, daß„Gemeine" das richtige alte deutsche Wort ist für Commune(-Gemeinde), und faßt den Aus- druck nur in seinem Sinn auf. Daß ordre im Französischen männlichen Geschlecht ist, weiß Dr. Mook sicher so gut, wie der Gelehrte des„Ehren-Kurier", aber er weiß auch, daß das französische Wort ordre im Deutschen angewandt, weibliches Geschlecht hat, ähnlich wie oouragje. Oder sagt der„Ehren- Kurier" etwa: Ich habe vom Berliner Preßbureau den Ordre erhalten, Bayern zu verbismarcken?— Das ungrammatikalische „Vorwärts"-Telegramm an die„Droits de l'Homme " war früher ein Mährchen, jetzt, seit nachgewiesen 1) daß das angeblich incorrekte Telegramm das Werk der Redaktion des französi- scheu Blatts„Droits de l'Homme " war, die jedenfalls mehr Französisch versteht, als sämmtliche deutsche Reptilien zusammen- genommen, jetzt ist das Mährchen eine Lüge. Und damit dürfte das bayrische Oberreptil genug haben. Oder nicht? — Unterm rothen Kreuze. Die Blätter theilen mit, daß nach Rumänien hauptsächlich auf Betreiben des„Deutschen Centralcomitä der Männerpflegvereine" am 12. d. ein Sanitäts- welchem Urquhart ausging, 58 Millionen Einwohner zählte, und jetzt nach eigenen Quellen auf 86'/» Millionen Einwohner ge- schätzt wird, dieses Wachsthum bei weitem mehr den Erweite- rungen seines Gebietes als der natürlichen Zunahme, am aller- wenigsten aber der Einwanderung verdankend. Jedem einzelnen Leser soll überlassen bleiben, was er entweder nach den p.rsön- lichcn Ersahrungen eines langen Lebens oder durch Studium diesen Zahlen an Erstarkung innerer Kraft Rußlands und der- selben entsprechenderer diplomatischer Bedeutung hinzuzufügen vermag, aber auch die Summe davon ist seit fünfzig Jahren wie die Einwohnerzahl angewachsen. Bei dem Tode Urquhart's sind nun in England eine Regie- rung und Parlamentsmehrheit am Ruder, welche auf Kosten des weiteren Uebergewichts Rußlands auf nichts weiter sehen, als die engsten Interessen Großbritanniens zu retten, und Gladstone sucht ohne Rücksicht auf die Politik die Opposition im Namen der christlichen Kirche, wo dieselbe auch beschlossen sei, für Ruß- land gegen den Mohammedanismus zu gewinnen. Geschichtlich ist Urquhart verurtheilt, nicht weil er seine Zeit verkannte, sondern weil er der Geschichte vorgreifen wollte. Mit richtigem Pulsschlag und Blick sah er den östlichen Koloß mit jemer culturfeindlichen Absperrung anschwellen, um allein durch cm'n � seines Körpers den Humanitären Fortschritt des Westens zu erdrücken. Allein anstatt diesen mit allen Mitteln i Lm0ii nen ä8eit gegen den barbarischen Osten zu kräftigen, suchte Urquhart nach materiellen Gegnern, und da er dieselben m den Kabineten nicht fand und die Selbsthilfe der Völker 1« Rechnung setzte, so wurde er in seiner Einseitigkeit erst Philhellene, dann Philotürke und obenein Philopole, sich der Zersetzung politischer Bildungen assimilirend und nicht mehr er- lebend, ob der Hellenismus zur Regeneration erstarken werde, was wir auch nicht erleben werden. Urquhart's Urthcil über Rußland war begründet und in dem- selben wird er auch nach seinem Tode noch öfter gerechtfertigt zug abgegangen ist. Die königl. Ostbahn befördert Liebesgaben s siebenten Kriminal- Deputation des Stadtgerichts unter der an unfern„Erbfreund" unentgeltlich; in Berlin sollen Sammlungen Anklage der Beleidigung des deutschen Kaisers. Der zur Ber - speziell zu Gunsten der russischen Verwundeten in vielen Kreisen I Handlung anstehende Fall hat den sozialdemokratischen Äbgeord- veranstaltet worden sein. Ob der dortige türkische Geschäfts- j neten im Reichstage schon Veranlassung zur Besprechung und zu träger viel Glück haben dürfte mit einem Aufruf, auch seinen Angriffen gegen die hiesige Staatsanwaltschaft wie gegen das Landsleuten gegenüber die internationale Pflicht, durch Liebes- hiesige Stadtgericht wegen Anmaßung einer ihnen nicht zustehenden gaben die Uebel des Krieges zu mildern, zu erfüllen, das lassen Kompetenz gegeben, und in der That ist der Ausgang auch für wir dahingestellt. Auch das ottomanische Centralcomitä der die Presse von der größten Bedeutung. Die Wochenschrift„Neue Vereine für Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger! Welt" wird in Leipzig verlegt, expedirt und gedruckt und ist früher steht auf dem Boden der Genfer Convention . Ob diese That- von dem Angeklagten redigirt worden. Wie aus dem Zeugniß fache- aber genügen wird, zu verhindern, daß man �in dem des im Andienztermin vernommenen Expedienten der„Berliner Gegner unseres„Erbfreundes" nicht auch unseren Erbfeind sieht, das bleibt fraglich, besonders wenn man in Betracht zieht, weichen gegenwirkenden Einfluß die durch den„reisenden Rubel" bestochene und die unbestochene, aber von jener in die Irre ge- führte Presse in Deutschland ausüben durfte. — Beamtenproletariat. Der zuWiesbaden erscheinende „Rheinische Courier" schreibt in seiner Nummer vom 10. d. unter„Lokales": „Kommenden Donnerstag Morgens findet die Verhandlung vor der Strafkammer hier gegen den wegen Unterschlagung im Amte verhafteten Gerichtsboten Großmann von Königstein statt. Derselbe hatte einen monatlichen Gehalt von nur circa 62 Mark und eine aus 4 Köpfen bestehende Familie, so daß ihn bittere Nahrungssorgen und Verzweiflung zu der in Rede stehenden Veruntreuung getrieben zu haben scheinen. Seit fr. Pr." Hrn. Rackow hervorgeht, wird diesseits gegen einen nach der Höhe der gelieferten Exemplare der„N. W. " berechneten Einzelpreis die Anzahl der gebrauchten Exemplare bezogen und sowohl der„B. fr. Pr." beigelegt, als auch als Einzelblätter verkauft. Die Polizei-Direktion in Leipzig hat ausgesagt, daß die„N. W. " dort verlegt und ausgegeben, auch bei ihr am Erscheinungstage das Pflichtexemplar eingereicht werde. Außer- dem ist durch Zeugniß und Statutenverlesung:c. festgestellt lvor- den, daß die Leipziger und die Berliner Associations-Buchdrucke- reien, wiewohl die gleichen Mitglieder als Aufsichtsrathsmitglieder fungiren, verschiedene und unter anderen Vorständen wirkende Gesellschaften seien.— Gegenstand der Anklage ist die Nr. 10 der„N. W. ", resp. das in derselben enthaltene Gedicht„Die Flinte schießt, der Säbel haut", in welchem zunächst die hiesige Polizeibehörde, demnächst die Staatsanwaltschaft und die Anklage- behörde eine Beleidigung des deutschen Kaisers gefunden haben. nicht einem Jahre sind mehrere ähnliche Fälle dieser Art Die betreffende in Leipzig bereits am 4. März pr. ausgegebene zu verzeichnen; es ist recht traurig, daß man diese Beamtenklasse Nr. 10 der„N.W. " war der Nr. vom S.März pr. der hier so gering salarirt.". erscheinenden„B. fr. Pr." beigelegt, und hat das hiesige Polizei- Ja gewiß recht traurig. Aber ganz im Geiste der heutigen Präsidium auf Grund des Reichspreßgesetzes die Beschlagnahme Gesellschaft. Je schwerer die Arbeit, desto schlechter der Lohn; �dieser Beilage vorgenommen, auf welche nun auch die gegen- \e geringer die Arbeit, desto höher der Lohn— das ist die Regel der Bourgeoisie-Gesellschaft, und diese Regel hat sich der Staat seinen Beamten gegenüber zur Richtschnur genommen. Was hier aus Wiesbaden berichtet wird, kommt überall vor— die Lage der Postbeamten ist sprüchwörtlich; die Lage der unteren Gerichts- und Polizeibeamten, überhaupt der Subalternbeamten ist genau ebenso schlecht.„Aber" freilich,„die Leute sind ja billig zu haben. Zu jeder Stelle drängen sich viele Bewerber, die es zum Theil noch billiger thun würden." Gewiß! Und schlimm, daß es so ist. Aber wenn man die gutbezahlten höheren Aemter der Concurrcnz öffnen würde, so würden sich auch Tausende finden, die bereit wären, die Arbeit für geringeren Lohn zu übernehmen. Wir selbst könnten z. B. verschiedene Persönlich- leiten namhaft machen, welche mindestens so tüchtig sind wie Herr Stephan, und mindestens das gleiche Pensum nützlicher Arbeit für einen weit geringeren Lohn leisten würden. Und gar die Stellen von Ministern, Staatsmännern und Diplomaten! Wie billig wären sie zu besetzen— ohne daß»vir eine Ver- schlechterung der Arbeit zu befürchten hätten! Doch das nur nebenbei. Genug: der Staat braucht die sogenannten Subaltern- beamten mindestens so nöthig wie die sog. höheren Beamten, und wenn er nicht dem faulen:„billig und schkecht" mit allen Consequenzen verfallen will, so muß er seinen Beamten eine menschenwürdige Existenz ermöglichen. Es fragt sich nur Eins: Ist die Arbeit nothwendig? Oder ist sie nicht nothwendig oder gar-schädlich? Im letzteren Fall— und er gilt von zahlreichen höheren Aemtern— ist jeder Groschen, der gezahlt wird, eine Verschwendung; im ersteren Fall aber— und die Arbeit der Subalternbeamten, wenn auch nicht durchweg in der jetzigen Form, ist nothwendig— erheischt das Staatsinteresse und fordert die Gerechtigkeit eine anständige Bezahlung. Ueber die in Lemberg entdeckten sogenannten sozialistischen Umtriebe schreibt man uns von' dort unterm 10. Juni:„Unser ruhiges Lemberg ist nicht wenig alarmirt. Gestern in der Frühe fanden hier nämlich zahlreiche Hausdnrch- suchungen und mehrere Arretirungen statt. Die österreichischen Behördeu sollen auf die Spur staatsgefährlicher sozialdemokra- tischer Umtriebe gekommen sein. Es fanden Hausdurchsuchungen im Lokale des Buchdruckcrvereins, im Lokale des Handwerker- Vereins„Gwiazda "(Stern), im Kreditvercine, in der Druckerei der„Gazeta Narodowa ", im Hotel Lang, beim Herrn Barbasch aus Russisch-Polen, beim Dr. Simanowski, beim Herrn Skerl, Direktor der„Gwiazda ", beim Beamten Welichowski, beim Drucker Misniakiewicz u. s. w. statt. Die Polizei hat nach durchgeführter Revision die Herren Barbasch und Simanowski verhaftet.— Näheres im folgenden Briefe." — Ueber die Prozesse gegen Liebknecht und Bebel theilen wir nachstehend den objektiv gehaltenen, wenn auch sehr unvollständigen Bericht der„Vossischen Zeitung" mit: Der sozial- demokratische Reichstags-Abgeordnete Schriftsteller Wilhelm Liebknecht stand am Dienstag(12. d.) in seiner früheren Eigen- schaft als Redakteur der in Leipzig erscheinenden„Neuen werden, wenn seine Nachkommen in gewohnter Undankbarkeit seinen Namen auch nicht mehr nennen werden. Unbegründet dagegen war Urquhart's Meinung über die Mittel und Kräfte, mit denen er Rußland bekämpfen wollte. Allein wenn dieses aus der Zeit seiner Entwickelung entschuldigend und erklärend zu begreifen ist, so verdienen seine Kritik und sein Charakter die unbedingte Anerkennung aller Freunde der fortschreitenden Cultur, und die Nachwelt wird Unrecht thun, wenn sie an seinen Be- strebungen nicht einen großen Theil derjenigen des 19. Jahr- Hunderts erkennen lernen wollte. Obigen Artikel über den interessanten und bedeutenden Mann haben wir unverändert der„Bossischen Ztg." entnommen. Die angegebenen Thatsachen sind im wesentlichen richtig, dem gefäll- ten Urtheile können wir uns aber nur theilweise anschließen. Zu sagen, daß Urquhart sein Leben an eine verlorne Sache ge- setzt hat, ist mindestens vorschnell, und ihm vorwerfen, er habe nicht auf die Selbsthülfe der Völker gerechnet, ist entschieden unberechtigt. David Urquhart hatte eine hohe Meinung von der Widerstands- und Regenerationskraft der Türken— bis jetzt ist der Beweis nicht geliefert, daß er sich geirrt; er mißtraute der Diplomatie im Allgemeinen, und Lord Palmerston im Besondern — worin er gewiß recht hatte— und setzte seine ganze Hoff- nung gerade auf die„Selbsthülfe der Völker" trotz seiner kon- servativen Anschauungen in Bezug auf Regierungswesen. Den wärtige Anklage gefolgt ist. Der Angeklagte, welcher nicht ver- antwortlich vernommen worden, hat rechtzeitig nach der ersten Vorladung zur mündlichen Audienz den Einwand der Jncom- petenz des hiesigen Gerichts erhoben und in der Audienz auf- recht erhalten.— Staatsanwalt Tessendorff führte zur Be- gründung der Kompetenz des Gerichts aus, daß er allerdings anerkenne, daß ein Preßerzeugniß nicht an jedem beliebigen Orte, wo es hinkomme, verfolgt werden dürfe. So aber liege der Fall hier nicht. Im äußersten Falle könne er zugeben, daß die Kom- petcnzfrage zweifelhaft sein könne, die Anklage nehme aber mit Recht das Forum des hiesigen Gerichts für begründet an. Zu- vörderst werde er zum Nachweise dieser Auffassung einmal den Standpunkt der Behörden und des unbetheiligten Publikums ein- nehmen. Jede periodische Druckschrift, welche zweifellos da erscheint, wo sie ausgegeben werde, bestehe häufig aus mehreren Theilen, welche man Hauptblatt und Beilagen nennt. Nun werde der Laie doch ganz gewiß annehmen, daß die„B. fr. Pr." in allen ihren Theilen in Berlin erscheine, die Sonntags-Beilage sei aber ein integrirender Theil des Blattes, auf die man natur- gemäß mit abonniren müsse. So werde auch das Pflichtexemplar der Sonntagsbeilage mit dem Hauptblatt bei der Polizei einge- reicht, und da der Gerichtsstand eines Blattes doch nicht durch den Wohnort des Redakteurs begründet werde und für verschie- dene Theile der periodischen Druckschrift mehrere Redakteure zeich- neu und fungiren dürfen, so war die Polizeibehörde zur Beschlag- nähme berechtigt und verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des höchsten Gerichtshofes werden für eine periodische Druckschrift, welche mehrere Ausgabestellen hat, auch sämmtliche Ausgabeorte als kora delicti commissi erachtet. Der Ausgabeort ist aber derjenige, wo die Schrift an die Abonnenten vertheilt werde, und als solcher müsse auch für die„N. W. " der Ort Berlin angesehen werden. Hiernach habe gar kein Grund zu dem großen Geschrei über die Inkompetenz vorgelegen. Er beantrage, das Gericht wolle sich für kompetent erklären und in die Verhandlung der Sache eintreten. Der Angeklagte tritt diesen Ausführungen in längerer Rede gegenüber und betont namentlich, daß die Massen- ausgäbe einer Druckschrift an einem Ort nicht maßgebend sei für die Feststellung des Erscheinungsorts. Denn sonst müßte die Post auch als Zweigexpedition einer Druckschrift angesehen werden. Eine so weit gehende Auslegung mache aber die Presse vogelfrei und knebele sie vollständig. Er beantrage, der Gerichtshof wolle sich für inkompetent erklären. Nach kurzer Replik und Duplik seitens des Staatsanwalts und des Angeklagten zog sich der Gerichtshof zur Berathung zurück und publizirte nach etwa �4 Stunden seine Inkompetenz. Die Polizeibehörde sei aller- dings zur Beschlagnahme der inkriminirten Nr. 10 der„N. W. " legitimirt gewesen, weil sie darin einen Verstoß gegen 8 95 des Strafges. zu finden glaubte; anders sei die weitere Frage zu beurtheilen, welches Gericht denn nun zur Entscheidung über das Delikt kompetent sei. Anfangs habe die Annahme nahe gelegen, daß dies Blatt auch hier verbreitet wurde, weil es als Gratisbeilage einer hier erscheinenden Zeitschrift ausgegeben worden ist; aus diesem Grunde sei es nicht zu verwundern, daß das Blatt in Leipzig verlegt und nach allen Himmelsrichtungen versendet werde. Der Gerichtshof nehme in Bezug hierauf an, daß für jede periodische Druckschrift nur ein Ort des Erschei- nens existire und die anderen Ortschaften, von wo auS Massen ausgaben stattfinden, nur die der Verbreitung seien. Anders hätte die Entscheidung ausfallen müssen, wenn die Annahme der Anklage, daß die Leipziger und die Berliner Association iden- tisch seien, zum Erweise gekommen wäre.— Dieser Verhandlung folgte eine solche gegen den Gesinnungsgenossen des vorigen An geklagten, den Reichstagsabgeordneten Drcchslermeister August Bebel wegen mittels der Presse begangenen wiederholten Belei- digung und eines Verstoßes gegen 8 130 des Strafgesetzbuchs — Schmähung von Einrichtungen des Staates durch Verbrei- tung erdichteter Thatsachen. Diese Vergehen wurden von Staats- anwaltschaft und Anklagebehörde gefunden in der von dem An- geklagten anfangs Dezember pr. herausgegebenen Wahlbroschüre: „Die parlamentarische Thätigkeit des deutschen Reichstages und der Landtage der Jahre 1874 bis 1876." Jnkriminirt sind vier Stellen, in denen es u. A. heißt, Fürst Bismarck habe dem Reichstag eine Selbsterniedrigung zugemuthet, er habe dem Reichs- tage gegenüber eine Hausknechtsbehandlung als Richtschnur gewählt. Welt", welche als Sonntags-Beilage verschiedenen sozial- demokratischen Tageblättern, so auch der in Berlin erscheinenden „Berliner fr. Pr.", beigegeben wird, vor den Schranken der Ferner ist ein Artikel der„Deutschen Reichsglocke" in Bettest der angeblichen Betheiligung des Reichskanzlers an der Grün- dung der Preußischen Central-Bodenkredit-Aktiengesellschaft re- produzirt und die Einrichtung des stehenden Heeres einer scharfen Parlamentarismus verachtete er, worin er ebenfalls recht hatte Kritik unterzogen. Staatsanwalt Tessendorff beantragt das — es ist das der einzige Punkt, in dem sein Schüler Bucher Schuldig unter der Ausführung, daß man nicht ideale, sondern nicht zum Apostat geworden ist. Die Sympathien für Polen , reale Concurrenz annehmen müsse. Für die qualifizirte Bis- (als den natürlichen Bundesgenossen der Pforte), wird der Frei- marckbeleidigung erachte er dieselbe Strafe, die gegen Dr. Rud. heitliebende ihm ebensowenig verargen wie den glühenden Haß Meyer verhängt wurde/ also 9 Monate Gefängnlß. wobei er gegen Rußland . Vielleicht werden wir unseren Lesern gelegent- die einfachen Beleidigungen mit einrechnen wolle, für angemessen, lich von berufener Hand ein wahrheitsgetteues Charakterbild für den Verstoß gegen§ 231 beanttage er 5 Monate Gefäng- dieses Charaktermannes im eminentesten Sinne des Wortes niß, welche Einzelstrasen er aus eine einjährige Gesammtge- bringen können. fängnißstrafe zu reduziren bitte.— Der Angeklagte Bebel m
Ausgabe
2 (17.6.1877) 70
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