11. Juni in der Norddeutschen Brauerei in Berlin abgehalten wurde und in welcher Liebknecht sprach, stattgefunden hat. Ein junger Fortschrittler meldete sich dreimal zum Wort, sprach auch dreimal, aber in ganz konfuser, vielfach unverständlicher und oft äußerst beleidigender Weise der junge Mensch kann kaum in einer kleinen Gesellschaft die gewünschten Worte finden, ae- schweige denn in einer großen Versammlung, lieber die Unbe- scheidenheit des Herrn, der die Versammlung im höchsten Maße langweilte oder attakirte, wurde letztere manchmal etwas un- ruhig Liebknecht gab dem jungen Mann in der höflichsten Weise die Gründe hierfür an. Trotzdem fand der jugendliche Streber das Benehmen der Versammlung für taktlos. Ein anderer Gegner der Sozialdemokraten, der nationalliberale Gpm- nasial-Oberlehrer Merkel, trat nun auf, wurde von der Ver- sammlung sehr ruhig angehört und sagte dabei:Geradezu bewund erungswerth hat sich die Versammlung den Angriffen des jungen Fortschrittsherrn gegenüber gezeigt." Hasen- clever übernahm die Erwiderung gegen die anderen Aeußerungen des Oberlehrers Merkel, und wird sich derselbe nicht beklagen können, daß er unmotivirt und hart angefaßt worden sei. Dies den Fortschrittlern noch als Antwort auf ihre ewigen An- griffe auf den ungebildeten Pöbel mögen sie in ihren Reihen doch zunächst aufräumen. Zu den fortschrittlichen Candidaturen. In ihrer Klage über den Ausfall der Wahl im 6. Berliner Wahlkreise sagt dieVossische Zeitung:Besser ist es, wo eine Candidatur sich nicht gegen persönliche Angriffe in makelloser Reinheit erhalten läßt, davon abzusehen und das Augen- merk auf vielleicht minder begabte, aber unantastbare Persönlich- leiten zu richten." Ein betrübenderes Zeugniß konnte die fortschrittliche Zeitung ihrer eigenen Partei wohl nicht ausstellen; es klingt aus dieser Bemerkung deutlich genug die Anklage heraus, daß in der Fortschrittspartei die anrüchigen Charaktere die Mehrzahl bilden. Hier hat Herr Eugen Richter eine überaus treffliche Antwort auf seinepolitische Null". DieFrank- furter Zeitung" ist erfreut, daß der fortschrittliche Hochmuth, dann die Fahnenflucht und der Gesinnungswechsel des Herrn Ludwig Löwe durch die eklatante Niederlage zugleich bestraft worden seien. Die liberalen Zeitungen gestehen übrigens jetzt nach der Niederlage mehr oder weniger unverblümt selbst ein, daß Hasenclevcr in der Moabiter Versammlung über die Herren Löwe und Hirsch einen glänzenden Sieg erfochten habe; er sei anständig, dabei aber doch schneidig und entschieden aufgetreten, seine Gegner aber hätten mit stumpfen Waffen gekämpft und tüchtig geschimpft. Ueber den letzten Gothaer Sozialistencongreß äußert sich deraltkatholische"(d. h. katholisch-nationalliberale) Deutsche Merkur": Die Referate über Einnahmen, Abonnentenzahl der Blätter und sonstige Agitationsrcsultate ergaben ein glänzendes Resultat. Wenn sich die Presse mehr mit dem Papstjubilämn als mit jenem beschäftigt, so bezeugt sie dadurch, daß sie die Situation nicht erkennt. Das Papstjubiläum ist nur, gleich den übrigen römi­schen Manifestationen, ein Aufleuchten der allmälig versinkenden Vergangenheit, die Sozialdemokratie aber ist eine Weis- sagung der Zukunft. Wir fürchten, daß gar manche von den sozialdemokratischen Ideen, die jetzt als leere Phantasien ver- spottet werden, im Laufe der Zeit Gestalt und Wirtlichkeit ge- Winnen werden." DieBefürchtung" desDeutschen Merkur" wird sich un- zweifelhaft erfüllen. Apropos: ob Herr Eugen Richter jetzt noch an unseren bevorstehenden Bankrout glaubt, jetzt nach un- serem Berliner Wahlsieg, zu dessen Erkämpfung er(Herr Eugen Richter ) durch seinegeistigen Waffen" so wesentlich beigetragen hat? Wenn zwei sich zanken, hat der Dritte den Vor- theil. Die Schutzzöllner und Freihändler liegen sich bekannt- lich jetzt recht grimmig in den Haaren. Am IL. Juni war eine Versammlung deutscher Großindustrieller(Schutzzöllner) in Frankfurt a. M., welche über die gegenwärtigen Zustände das Verdammungsurtheil sprach und natürlich der liberalen Oeko- uomie und Handels- und Finanzgesetzgebung die Calamität in die Schuhe schob. Ein Redner Kollmann aus Oberschlesicu rief pathetisch aus:Unter dem Banner des national-sozialen In- teresses muß der Kampf in die politische Arena übertragen wer- den. Als Bundesgenossen stehen den Streitern der Hunger, die Noth und das Elend des Arbeiters zur Seite!"(Lebhafter stür- Mischer Beifall.) Die Versammlung Großindustrieller acceptirte �also jene Worte und bedachte wohl nicht, daß es Vorzugs- weise die Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital ist, welche Elend, Hunger und Roth bei den Arbeitern erzeugt. Den Bortheil von solchen Aeußerungen aber haben wir, weil die- selben geeignet sind, bei jedem Denkenden die Berechfigung des Sozialismus immer mehr zu begründen. diesenfeineren" Arbeitervereinigungen, eben den Ortsvereinen n. Würden sie sich der Sozialdemokratie anschließen, so würde er Gewerkver-in" nicht mehr über derartige Bildhauer-Eigenthün- lichkeiten zu klagen haben. Die Verfälschung der Lebensmittel nimmt mit der wachsenden Konkurrenz immer mehr zu. So lesen wir jetzt in den Zeitungen eines Tages, daß in Mainz mehrere Fleischer wegen Verfälschung von Wurst endgültig verurtheilt worden sind; daß dieser Tage in Darmstadt eine Konferenz von Aus käufern derSumpfpflanze"(mit Verlaub des edlen Schimpf Eugen!) Herbstzeitlose statthatte, die, obgleich eins der schäd' lichsten Gifte, als Ersatz für Hopfen in der Bierproduktion Die Bilanz der Mordscultur. Anläßlich unserer so betitelten Notiz in Nr. 66 haben wir folgende Zuschrift er- halten: In Ihrem Blatte vom 8. ds. erwähnen Sie in Ihrer Auf- stellung über den Menschenverlust der letzten Kriege, daß nicht ein Mensch, außer den politischen und unpolitischenGründern" durch diese Kriege an Wohlstand, nicht ein Volk, an Frei- gebraucht wird; daß bei einer polizeilichen Untersuchung von heit gewonnen hätte! Vergessen Sie denn ganz die durch den Colonial-Spezereiwaaren in Berlin in beinahe allen nordamerikanischen Bürgerkrieg befreiten hunderttausende Geschäften verfälschte Maaren gefunden wurden; daß in den von Sklaven? Eine Berichtigung des bewußten Arttkels wäre meisten größeren Städten die Milch in geradezu das Leben ge- ' deshalb wohl am Platze." sährdendem Zustande auf den Markt kommt(in Berlin ist, Haupt- Die Berichtigung ist hiermit erfolgt. Wir hatten bei unserer sächlich in Folge der schlechten Qualität der Milch, die Sterblich- Schlußfolgerung nur die in Europa geführten Kriege in's Auge keit unter den Kindern gegenwärtig selbst für Berlin , wo die gefaßt. Der amerikanische Sklavenbefreiungskrieg, welcher der Kindersterblichkeit so hoch ist, wahrhaft erschreckend); daß an vielen Unionsregierung durch die südstaatlichen Junker aufgezwungen Orten Schwerspath und andere gesundheitswidrige Stoffe im ward, bildet allerdings eine glorreiche Ausnahme, und sollte, Mehl gefunden worden sind, u. s. w. u. s. w. Da wir gerade wenn die sozialen und Politischen Mißstände in den Vereinigten beim Thema sind, sei erwähnt, daß man soeben einer raffinirten Staaten zur Sprache kommen, nie außer Acht und Erwägung Verfälschung des Kleesamens(Klee gehört ja doch auch, we- ' gelassen werden. Er bildet ein Gewicht in der Wagschaale des nigstens indirekt, zu den menschlichen Lebensmitteln) auf die j Guten, wie kein anderer Staat, Frankreich allein ausgenommen, es auch nur annähernd aufzuweisen hat. DerGewerkverein" des braven Mäxchen Hirsch giebt i selbst zu, daß die Gründung einer antisozialistischen Arbeiter- Partei auf demCongreß" zu Cassel in's Wasser gefallen sei. Das Blatt schreibt:Schon vor längerer Zeit hatte sich in Hamburg ein Comite gebildet, das sich als Hauptaufgabedie Bekämpfung der Sozialdemokratte" stellte. Zugleich wurde dort als offizielles Organ dieser Bestrebungen ein Blatt,Der Volks- freund", gegründet. Die fernere Ausführung nahmen die Herren Spur gekommen ist. Man mengt nämlich dem echten Kleesamen eigens zubereitete und gefärbte Quarzstückchen bei, welche fo täuschend nachgemacht sind, daß selbst gute Samenkenner den Betrug nicht mit unbewaffnetem Auge entdecken können. Die saubere Waare wird in einer besondern Fabrik bei Prag ange- serttgt und bildet, unter dem NamenKleekies", zu 9 Mark ä 100 Kilo einen sehr gangbaren Handelsartikel. Das ist die Moral, das sind die Früchte der heutigen Gesellschaft. Der junge Alexander Dumas hat bekanntlich einmal auf die Frage: Wohin führt die herrschende Ordnung? die Antwort gegeben: zur all- gemeinen Prostttution. Ganz recht. Und fügen wir hinzu: zur Redaktcure Kutschbach(früher in Kassel , jetzt in Dortmund ) allgemeinen Vergiftung. Von welchem Gesichtspuntt aus und Krüger(Hamburg ) in die Hand. Eine in Kassel im De - wir unsere Gesellschastszustände betrachten, ihre Unverträglichkeit zember abgehaltene Besprechung führte zur Feststellung eines mit den Interessen der Menschen tritt augenfällig zu Tage, und Programms nebst Statut, auf Grund deren sich in Kassel ein nur wer mit Blindheit geschlagen ist, oder von der Mißwirth- Verein gründete, der jetzt bereits gegen 100 Mitglieder zählt, schaft auf Kosten seiner Mittnenschen profitirt, kann das Streben In Verbindung mit diesem Verein war einCongreß" zum 3.! nach einer vernünftigen und darum gründlichen Umgestaltung und 4. Juni einberufen worden, jedoch wurde die Einladung nicht mit dem nöthigcn Nachdruck verbreitet, demzufolge nur aus Berlin , Kassel , Chemnitz , Dortmund , Gotha , Greiz und Hamburg auswärtige Vertreter erschienen waren, unter welchen die Delegirten des Generalraths allerdings eine große Zahl Städte und Orte in allen Theilen Deutschlands repräsen- tirten. Der Kasseler Verein war durch ungefähr 30 Mitglie- der vertreten." Die auswärtigen 30 Kasseler Vertreter in Kassel machen sich allerdings höchst Possirlich. Mäxchen braucht aber Repräsentation deshalb wird Kassel außerhalb Kassels verlegt. Im Ucbrigen sei erwähnt, daß jetzt nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Liberalen selbst nicht auf derartigen liberalen Schwindel hineinfallen. Alle vernünftigen liberalen Blätter, deren es allerdings nur sehr wenige giebt, sagen sich los von der Max-Duncker 'schen Harmonielehre. Bitter, aber wahr. DerGcwerkoerein" schreibt: Wenn das geflügelte Wort Reuleaux',billig und schlecht" irgendwo zutrifft, so ist dies der Fall bei der Holzbildhaue- rei. Diefes Gewerbe wurde früher einefreie Kunst" genannt, gehört aber heute zu den schlechtesten Handwerken, sowohl was die Leistung des Gewerbes im Allgemeinen, als auch den Ver- dienst der Arbeiter anbelangt. Das Publikum kann die Ver- hältnissc der Holzbildhauerei gar nicht beurtheilen, weil ihm der Einblick in dieselben verwehrt ist. Schon die BezeichnungBild- Hauer" läßt Niemand ahnen, was hinter diesem wohlklingenden Namen steckt; zudem veranlaßt ein falscherKünstlerstolz" die meisten Zugehörigen, die Lohn- und Arbeitsverhältnisse glän- zend darzusteCen, obwohl diefe höchst trauriger Natur sind. Wie oft ist es mir passirt, daß Gehilfen erklärten, daß sie auf dieser oder jener Arbeit 18 36 Mark verdient hätten; daß das aber der Verdienst von zwei Wochen war, wurde selbstverständlich verschwiegen." Soweit derGewerkverein". Der Verfasser, selbst ein Bildhauer, redet nun seinen Collegen in's Gewissen, vergißt nur das Eine dabei, daß gerade die Max Hirsch- Duncker'schen Gewerkvereine und Ortsvereine es sind, die bei den Arbeitern derartigen Künstler- und Bettlerstolz erzeugen; die Bildhauer gehören, weil sie eben vielfach kindisch eitel sind, mißbilligen und bekämpfen. Zur Heuchelei in der liberalen Presse. ImHan- noverschen Unterhaltungsblatt", Beilage zumHannoverschen Unterhaltungsblatt", beschäftigt sich ein Priester in frömmelnder Weise mit der sozialen Frage in längeren Artikeln:Die Arbei- terfrage und die Armenpflege", während zu gleicher Zeit der Annoncentheil desHannoverschen Tageblattes" folgende An- zeigen enthält: Literarische Anzeigen.(Umtausch bei Nichtconve- uienz. Katalog piquanter Sachen gratis.)!! Angola , oder: Wovon die jungen Mädchen träumen, von Crebillon . Höchst piquant und umfangreich, nur 3 Mark. Bon dem- selben Verfasser: Das Sopha!!! ff. nur 3 Mark. Der Schaumlöffel!! nur 3 Mark. Das illustrirte Frauenzim­mer mit 39 Jllustrattonen!!!! nur 2 Mark. Hannchens Hin- und Hcrzügc! 4 Mark. Zollfrei! diskret. Diese 5 Werke zusammen 12 Mark sendet gegen Nachnahme oder Einsendung des Betrags in ungebrauchten Brief- oder Wechsel- marken R. Wiering, Buchhandlung, Hamburg ." Für die Redaktion des sauberen Blattes ist ein Herr Schlüter verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft, welche doch so�rührig ist, wenn ein Sozialdemokrat einen Fehltritt macht, würde jeden- falls keinen Fehlgriff thun, wenn sie derartige angezeigte Bücher in Augenschein nähme und mit Energie solche schmutzige An- zeigen verfolgte. Im Uebrigen ist diese Schmutzanzeigc eine treffliche Illustration der Heiligkeit der Ehe und der Familie in der heutigen liberalen Gesellschaft. Tollheit. Der alte tschechische Nationalitäts- Simpel Rieger ließ vor Kurzem eine Adresse an die Russen vom Stapel, in der er sie zu ihrer slaven- und weltbefreienden Mis- sion(vermittelst Kantschu und Knute) in den übcrschwänglichsten Ausdrücken beglückwünscht. Auf dieses verrückte Machwerk hat der russische Nationalitäts- Simpel Aksakow in einem noch verrückteren geantwortet.Der von den Slaven langersehnte Tag", heißt es darin,der große historische Tag bricht an, schon hört man das Getöse des neuen historischeu Lebens(!). Der Wahltag im sechsten Berliner Wahlkreis. Wir erhalten über den Kampf am 14. Juni in Berlin nach- folgende Correspondenzeu: Berlin , 15. Juni. Meine Herren! Die vorgerückte Zeit verhindert mich, die mir gestellte Frage heute noch zu beantworten, ich bin aber bereit, Ihnen die Antwort zugleich mit meinem Dank für meine Wahl nach dem 14. Juni zu geben." So schloß am 8. d. M. in Moabit Herr Ludwig Löwe der moderne Junker Prahlhans seine Rede. Und nun? Hören wir, was sich am gestrigen Tage ereignete. Schon am frühen Morgen waren Hunderte unserer Genossen auf den Straßen thätig und ver- theilten Flugblätter an die ihren Fabriken oder Bauten zueilenden Arbeiter, welche durch ihre freudigen Zurufe unsere Sieges- Hoffnung nicht wenig erhöhten. Der Tag verlief in gewohnter Weise und nur Nachmittags gingen die Hülfsmänner aus, um diejenigen, welche noch nicht gewählt hatten, zur Ausübung ihres Wahlrechts zu ermahnen. Nach Verkündigung des Wahlresultats in den einzelnen Bezirken eilten die mit der Listcnführung Bc- trauten nach der Norddeutschen Brauerei, woselbst unser Wahl- büreau sich etablirt hatte. Mittlerweile strömten unsere Partei- genossen, die auf 8 Uhr berufen waren, um das Endresultat zu vernehmen, in großen Schaaren herbei. In dem geräumigen Saal standen, Kopf an Kopf gedrängt, wohl 5000 Personen, eine ebenso große Menge wogte in dem anstoßenden Garten auf und nieder. Da endlich um S'/a Uhr erschienen Hasenclever und Ecks auf der Tribüne, die mit unendlichem Jubel empfangen wurden. Auf ein Zeichen des Vorsitzenden trat eine fast athem- lose Stille in dem weiten Räume ein. Ecks leitete seine Mit- theilung ein, indem er den Anwesenden, in der festen Zuversicht, daß sie alle bei der Montag stattfindenden Wahl im 5. Wahl- kreise wiederum auf den Posten fein würden, eine erfreuliche Botschaft versprach. Als er dann aber schloßbei der heutigen Wahl hat Hasenclever bei fast 25,000 abgegebenen Stimmen mit 1100 Stimmen Majorität gesiegt," da durchbrauste ein Beifalls- stürm den Saal, der die Grundvesten des Baues zu erschüttern drohte. Man wirft den Arbeitern fo häufig vor, daß sie nur Sinn für materielle Genüsse hätten, nun und doch dieser Jubel über eine so ideelle Sache wie einen Wahlsieg? Bon all den Tausenden, die versammelt waren, war wohl jeder Einzelne überzeugt, daß durch den erkämpften Sieg seine materielle Lage zunächst um keinen Deut gebessert wurde, aber auf aller Gesichter spiegelte sich das stolze Bewußtsein, wiederum eine Station auf dem Wege zur Besserung zurückgelegt zu haben, die voll dereinst den nachkommenden Geschlechtern zu Gute kommen soll. Nachdem noch Hasenclever einige begrüßende Worte an die Ver- sammlung gerichtet und der anwesende Candidat für den 5. Wahl- kreis, O. Kapell, dieselbe nochmals zu reger Mithülfe am Montag ermahnt hatte, leerte sich allmählig der Saal. Draußen im Garten aber füllte sich bald jeder Tisch mit fröhlichen Partei- genossen, die, zum Theil in Begleitung ihrer Familien, noch einige Stunden gemüthlich verbrachten. Größer noch als bei uns die Freude, ist im anderen Lager der Acrger. Wie sehr dieLiberalen " auf einen Sieg gerechnet hatten, geht am Besten daraus hervor, daß sie eine großartige Siegesfeier projettirt hatten. Mir ist aus authenttscher Quelle bekannt, daß von dem Wahlcomite sowohl ein Musikeorps als auch ein großes Feuerwerk bestellt waren. Man munkelt sogar von einem Lorbeerkranz für Löwe. Nun der Lorbeer ist ja auch als Speisewürze nicht zu verachten, und das Feuerwerk ist auch bereits an zwei große Vergnügungsetablissements verkauft bleiben nur die Musikanten, deren Aufenthaltsort wir an jenem Abend recht gern gewußt hätten. Es ist recht ergötzlich, die heutigen Zeittingen zu lesen, welche jetzt wieder alle Schuld an dem Mißerfolge dem Jndifferenttsmus der nicht an der Urne erschienenen 16,000 Wähler, von denen dochsicherlich- keiner mehr sozialistisch gesinnt sei," in die Schuhe schieben möchten. Diese Ausrede fängt aber nachgerade an albern zu werden. Es ist seit dem 10. Januar keine Stichwahl vergangen, bei der wir nicht Taufende von Stimmen mehr als bei der Hauptwahl auf- gebracht hätten. Daß wir am 14. Juni nicht noch eine impo- saniere Majorität für unfern Candidatcn hatten, hat seine sehr nahe liegenden Gründe. Erstens ist ein sehr großer Theil der Berliner Arbeiter außerhalb beschäftigt. Diese Leute, die sonst nur am Sonnabend zu ihrer Familie heimkehren, würden durch die Wahl zwei Tage Arbeitslohn verlieren, was man heute doch wahrlich einem armen Arbeiter nicht zumuthen kann. Dann giebt es eine große Menge Parteigenossen, die zwar in Berlin arbeiten, aber Wochen lang ohne Arbeit gewesen sind und Gefahr laufen würden, ihre Stellen aufs Neue zu verlieren, wollten sie vielleicht wenige Tage nach dem Arbeitsantritt wieder austreten. Und drittens konnte am 14. Juni eine ganze Berufs- klaffe, deren Mitglieder unserer Partei angehören, nicht wählen. Es ist dies die Klasse der Omnibus- und Tramway-Kutscher und-Condukteure. Diese Männer sind von Morgens 6 Uhr bis Abends 11 Uhr mit einer nur viertelstündigen Mittagspause beschäftigt. Da sie indeß auch während dieser Pause den Wagen nicht verlassen können, ist für sie das Wahlrecht doch völlig illusorisch. Dagegen dürfte es feststehen, daß von Seiten der Gegner Alles, was auch nur entfernt reaktionär war, zur Urne geschleppt ist. Als Beleg hierfür diene Ihnen beispielsweise das Faktum, daß Herr Geh. Rath Borsig der übrigens wieder in Moabit Wahlvorsteher war mit seiner Equipage einen unglücklichen Krüppel herbeiholen ließ, der durch vier Arbeiter des genannten Herrn aus und wieder in den Wagen getragen werden mußte. Scheute man sich also nicht, die Siechen und Elenden aus den Krankenstuben zu holen, so wird man auch die; Gesunden sicher nicht verschont haben. Angesichts der vor- erzählten Thatsachen gehört die ganze Geschmacklosigkeit des Herru Fritz Dernburg des schwarz-rothen Schlangentödters seligen Angedenkens dazu, um aufs Neue das Mährchen von dereigentlichen nicht sozialistischen Mehrheit" aufzutischen. Selbstredend hat der großarttge Sieg unserer Sache elektrisirend auf die Genossen im 5. Wahlkreise gewirkt. Hoffentlich bin ich im Stande, Ihnen am Montag einen bedeutenden Fortschritt unserer Sache auch in diesem Kreise zu melden. v. 16. Juni. Ein glänzender Sieg ist uns nach einem energischen Kampfe mit den Gegnern zu Theil geworden, ein Sieg, den wir ganz besonders der trefflichen Organisation und der aller Beschreibung spottenden Opferwilligkeit und Anstrengung unserer Parteige- l»offen am Wahltage verdanken. Schon bald nach vier Uhr des Morgens versammelten sich die Vertrauensmänner, einige Hundert an der Zahl, im Saale . der Norddeutschen Brauerei, wo das Centralwahlcomitä für den i Wahltag seinen Sitz hatte und wo am Abend nach der Wahl ' auch das Resultat verkündet werden sollte. Um fünf Uhr er- folgte der Namensaufruf der einzelnen Vertrauensmänner, und