von einer anderen Seite nahe legen. Das sehen Sie ein, daß, wenn der Staat jene Summe von 2000 Millionen besessen, etwa als Erübrigungen im Lauf der Zeiten zurückgelegt gehabt hätte, jene Steuererhöhung nicht eingetreten wäre, da die Noth- wendigkeit der Zinszahlung dann fortfiele; diese Nothwendigkeit ist also an den zufälligen Besitz oder Nichtbesitz geknüpft. Da nun der Staat als Abstraktum das Geld nicht erarbeiten kann, sondern dies seine Bürger für ihn thun müssen, so sind diese verbunden, das für gemeinschaftliche Zwecke nöthige Geld aufzu- bringen, und rechtlich so, daß alle einen ihren Kräften entspre- chenden Theil dazu aufbringen. Wenn aber in irgend einer Form von allen Bürgern das Geld für die gemeinsamen Zwecke aufgebracht wird, und ein Theil derselben darf es wieder aus der gemeinsamen Kasse für seine Privatzwecke nehmen, so ist offenbar die Rechtsgleichheit prinzipiell aufgehoben; denn eine Seringe Zahl von Bürgern fordert auf die zufällige Thatsache es Besitzes hin ein Privileg für sich.— Da nun alle Geld- leistung die Versinnbildlichung einer gewissen Menge von Ar- beitsprodukten ist, so zieht eine Minderzahl von Bürgern auf Gmnd des zufälligen Besitzes einer Geldsumme Jahr aus Jahr ein einen Theil der von andern erworbenen Arbeitsprodukte an sich. Es ist im Wesen unleugbar gleich, ob eine Anzahl von Männern auf Grundlage des bloßen Besitzes einer anderen An- zahl von Männern gebieten darf: Gebt uns für zwanzig Mil- lionen Eures Arbeitswerthes im Jahr und bestreitet allein die Kosten unseres Gemeinwesens; oder ob diese Männer auf Grund- läge ihres bloßen Besitzes eine Forderung an den Staat stellen dürfen, dessen Effect genau auf das Gleiche herauskommt. Der Unterschied zwischen der Feudalzeit und der jetzigen besteht dem- nach blas darin, daß der Frohnder früher wußte, wem er frohn- dete, während der Feudalherr jetzt ein unaufhörlich den Besitzer wechselndes todtes Kapital ist.(Forts, f.) Sozialpolitische Uedersicht. — Während der Moloch des Militarismus auf dem Kriegsschauplatz in Armenien und Bulgarien seine Opfer zu Hunderttausenden verschlingt, ist er in unserm friedengesegneten Deutschland auf etwas schmalere Kost gesetzt, aber er weiß sich doch seine Opfer zu fangen und verschlingt Menschen unablässig, unerbittlich, unersättlich. Da liegt sie wieder vor uns, die schwarze Liste, die allmonatlich mit verzweifelter Pünktlichkeit durch die Presse geht: „Nach dem im Kriegsministerium für den Monat August d.J. zusammengestellten Hauptbericht der Kranken des preußi- chen Heeres, des königlich sächsischen und württembergischen Armeekorps befanden sich 24,591 Mann in militärärztlicher Be- Handlung; es sind dies 6,g Prozent der Effektivstärke. Unter eben dieser Behandlung starben 87, wovon die Mehrzahl, näm- lich 19, am Unterleibstyphus und 18 an Lungenschwindsucht, aber auch fünf am Hitzschlag, 2 an Herzleiden, 6 an Ruhr. Daneben sind 5 verunglückt, worunter 3 durch Schußver- letzung und 1 bei einem Selbstmordversuche. Mit Hinzu- rechnung der nicht in militärärztlicher Behandlung Verstorbenen find im Heere im Ganzen noch 51 Todesfälle vorgekommen, davon 7 durch Krankhelten, 19 durch Verunglückung, 25 durch Selbstmord, so daß das Heer überhaupt 138 Mann durch den Tod nnd darunter beinahe ein Fünftel der Ge- sammtzahl durch Selbstmord verloren hat." Das sind beredte Zahlen: fünfundzwanzig durch Selbst- mord, einer durch einen Selbstmords v ersu ch(!), fünf durch Hitzschlag(todtmarschirt), drei durch Schußverletzungen— das ist genug für einen Friedens-Monat! Und wie viele von den Anderen: von den an Lungenschwindsucht, Herzleiden, Ruhr, Unterleibstyphus sind direkt und indirekt auf das Conto des Militarismus zu setzen? Mindestens die größere Hälfte. Man sieht, Moloch hat sich auch bei uns nicht zu beklagen! — Wo steckt der Jrrthum? Unter dieser Ueberschrift brachten wir in Nr. 121 des„Vorwärts" einen Leitartikel, in welchem der Antrag der Frankfurter Staatsanwalts Kunitz, des bekannten Sozialistenbekämpfers, unserm Parteigenossen Schäfer wegen Wajestäts- und Feldwebelbeleidigung die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 3 Jahren abzuerkennen, kritisirt und als ein Verstoß gegen das Strafgesetzbuch bezeichnet wurde. Wir waren aber bei der großen Schwere des staats- anwaltlichen Jrrthums noch in Zweifel, ob der Antrag auch wirklich derart gestellt worden war. Unser Frankfurter Partei- organ, indem es unsre Anschauungen recapitulirt, erklärt nun auf das Unzweideutigste, daß der Staatsanwalt den Rechtsirrthum 'begangen und somit wirklich eine bedeutende Gesetzesunkenntniß an den Tag gelegt hat. Merkwürdig— auch dem Sozialisten- Verfolger Teffendorff passiren mitunter eigenthümliche Sachen; diese Herren haben in ihrem Uebereifer sehr großes Pech. — Aus Plötzensee. Der bekannte Direktor des Straf- gefängnisses zu Plötzensee hat von einem Jnhaftirten kürzlich folgendes Schreiben erhalten: „Hochzuverehrender Herr Direktor! Der gehorsamst Unter- ! zeichnete glaubt keinen Anstoß zu erregen, wenn er Ew. Hoch- wohlgeboren den unmaßgeblichen Vorschlag unterbreitet, „daß die für Häftlinge des Plötzenseegefängnisses einlanfenden Briefe von dem diese Briefe perlustrirenden Beamten wieder unter Verschluß gebracht und also dem Adressaten einge- händigt werden, nicht aber, wie derzeit Brauch, die offenen Briefe durch die Hände des subalternen Beamtenpersonals gehen, „daß ferner in ähnlicher Weise mit den diesseits zur Aufgabe gelangenden Briefen der Häftlinge verfahren wird." Die Nothwendigkeit der Briefkontrole vollumfanglich voraus- setzend, bin ich doch der unmaßgeblichen Meinung, daß diese Kontrole durch einen bestimmten Beamten hinreichend geübt werden kann und geübt wird, während die bloße Möglichkeit, daß die privaten Mittheilungen der etwaigen Neugierde offen liegen, meines Erachtens den Feinfühligen empfindlich verletzt, ohne daß hierfür ein öffentliches Interesse vorliegt. Ich bin zc. N. N." Wie Berliner Blätter melden, hat Herr Direktor Wirth kei- nerlei Veranlassung genommen, den in obigem Briefe ausge- sprochenen gerechten Ansprüchen zu willfahren. So ein„Muster- gefängmß" darf keinerlei Aenderungen eintreten lassen, es würde ja sonst seinen guten Ruf verlieren. — Zum Culturkampf. Die„Germania " berichtet:„Die königliche Regierung hat dem bereits in vierter Wahlperiode wiedergewählten Bürgermeister Wulff zu Arnsberg die Be- stätigung versagt. Derselbe wurde von den Stadtverordneten, welche neben einer Mehrheit Katholiken auch aus Protestanten und Liberalen bestehen, einstimmig wiedergewählt. Trotzdem ist er der königlichen Regierung nicht genehm, weil er eben der Richtung der Centrumspartei angehört.— Wir können selbst- verständlich nicht alle derartigen Nichtbestätigungen registriren, doch macht der vorliegende Fall eine bezeichnende Ausnahme, weil der Bürgermeister Wulff auch das Vertrauen der Liberalen in städtischen Angelegenheiten zu besitzen scheint und damit jeder Grund der Nichtbestätigung fortfällt. Der Fall wird von der Centrumsfraktion im preußischen Abgeordnetenhause zur Sprache gebracht werden. — Aus der Schweiz schreibt man uns ä. ä. 18. Okt.: Nächsten Sonntag hat das schweizerische Volk zur Urne zu treten und über das vielgenannte, unter heftigen Wehen und heißen Kämpfen geborne Fabrikgesetz abzustimmen, den ersten Schritt des Staates gegen die gewissenlose Ausbeutung der ar- bettenden Klassen. Licht und Luft führt das Gesetz in die dumpfen Arbeitsräume und Garantien für Gesundheit und Leben gewährt es den Arbeitern. Es nimmt sich der Frauen und Kin- der an, verbietet im Princip die Nachtarbeit, gestattet dem Arbeiter seinen Feiertag und ein wenig Erholung nach eilfstündigem mühevollem Tagewerk. Das Gesetz enthält manche Mängel, viele Wünsche unserer schweizerischen Parteigenossen sind unbe- rückfichtigt geblieben, unzweifelhaft aber bringt das Gesetz einen großen Fortschritt, wenn dieser auch nur darin bestände, daß der Staat aus seiner beschaulichen Ruhe den Ausbeutern gegenüber getreten und sich des Umstandes erinnert, daß die Arbeiter nicht Sklaven sondern Staatsbürger sind, von deren Wohlbefinden wesentlich das Gedeihen und Blühen des Staates abhängt.— Die schweizerischen Arbeiter sind wie ein Mann für das Gesetz eingetreten. Seit mehreren Wochen betreiben sie eine großartige Agitation für die Durchdringung des Gesetzes, wobei Allen schwere Opfer an Zeit und Geld auferlegt worden sind. Den Gegnern, die sich vorwiegend im liberalen Lager finden, ist jedes Mittel, selbst das verächtlichste und niederträchtigste, recht, das Gesetz, dessen große prinzipielle Bedeutung sie wohl zu schätzen wissen, zu bekämpfen. Mit Mißtrauen erfüllten sie die von ihnen abhängigen Kreise gegen die verhaßte Neuerung und Haß erweckten sie gegen Diejenigen, die der mühevollen Arbeit sich unterzogen, dem Gesetze Freunde zu gewinnen. An einzelnen Orten ist dieser Haß zum rohesten Fanatismus ausgeartet. So kämpfen die Gegner, denen Geld und Macht zur Verfügung steht, mit überlegenen und verwerflichen Waffen, denen die Ar- beiter nichts als hingebenden Eifer für die gute Sache entgegen- stellen können. Man steht am Vorabend der Abstimmung. Liberale und Conservative befinden fich auf der einen, Sozialisten und Radi- kale, zu denen sich in letzter Stunde noch Ultramontane und Protestanten gesellten, die fich der„christlichen Charitas" er- innern, auf der anderen. Die Entscheidung ist ungewiß, da im Punkte der Ausbeutung alles Christenthum aufhört und die un- gerufene Bundesgenossenschaft von sehr zweifelhaftem Werthe ist. Hoffen wir, daß die gewaltigen Anstrengungen unserer schweizerischen Genossen von einem glänzenden Erfolge gekrönt sein mögen. C. L. — Die Sklaverei ist in Madagaskar aufgehoben worden. Dreihunderttausend Sklaven find frei. Der Erfolg ist hauptsächlich den Bemühungen des britischen Consuls zu ver- danken, der im Jahre 1877 durch einen Federstrich beinahe eben so viel erreichte, wie das, wozu im Jahre 1833 eine Parla- mentsakte und eine Ausgabe von 20 Millionen an Geld erfor- derlich war. In jenem Jahre ward in allen britischen Colonie« die Sklaverei für ungesetzlich erklärt und im Jahre darauf wurden 770,280 Sklaven freie Leute. — Der Waffenerfolg der Russen jin Asien wird von der Rubelpresse in allen Tonarten besungen, als die größte Waffen- that des ganzen Kriegs, als entscheidend mindestens für Asien hingestellt. Das ist eitel Geflunker. Zein Zweifel, Moukhtar Pascha ist geschlagen worden und hat den vierten Theil seiner Armee verloren, aber wie jetzt festgestellt ist, bestand seine Armee blos aus 30,000 Mann, die von den Russen mit mehr als der doppelten Ucbermacht(70,000 Mann) angegriffen wurden. In der letzten Schlacht bei Plewna verloren aber die Russen bekanntlich ungefähr so viel Mann, als die ganze Armee Moukhtar Pascha's zählte. Schon aus diesen Ziffern erhellt, daß der Sieg der Russen bei Kars ihre früheren Niederlagen keineswegs auch nur annähernd aufwiegt. Ueberdies sind die Russen durch die späte Jahreszeit an der Ausnutzung des Sieges verhindert, der, vier Wochen früher erfochten, sie vielleicht „bis vor die Thore von Erzerum" geführt. Und„vor den Thoren" von Erzerum ist noch nicht in Erzerum, wie das trau- rige Ende der russischen Invasion im Sommer gezeigt hat. Inzwischen nimmt der Ausstand im Kaukasus fortwährend zu; nach drei russischen Berichten treten die Insurgenten mit förmlichen Heeren von 10 bis 12,000 Mann auf und scheinen einen großen Gebietstheil vollständig zu beherrschen. Inwieweit dieser Ausstand von Einfluß auf den Gang der Dinge in Ar- menien sein wird, bleibt abzuwarten. Auf dem europäischen Kriegsschauplatz hat sich die Lage nur insofern verändert, als neuerdings wieder schlechtes Wetter ein- getreten ist, das alle größeren militärischen Operattonen hindert. Zur Feier des Sieges von Kars wurde ein— Freudenbombar- dement auf Plewna veranstaltet, und den russischen Soldaten eine Salve von Hurrahs anbefohlen. Wenn das richtig ist, was englische Zeitungscorrespondenten über den Zustand der russischen Armee schreiben, dann wird es den armen Teufeln bei dieser Komödie— der Czar scheint für solche Amüsements zu schwär- men— nicht sonverlich wohl zu Muthe gewesen sein. Diesen Berichten zufolge herrschte die größte Muthlosiakeit und Demo- ralisation; beim Sturm auf Plewna hätten mehrere Regimenter den Gehorsam verweigert; die Krankheiten räumten entsetzlich auf u. s. w. Mit den Bulgaren ist man im russischen Hauptquartier sehr wenig zufrieden.„Väterchen" und Söhnchen haben sich höchst ungnädig über dieselben geäußert:„Sie sind nicht Werth, daß wir uns für sie schlagen!" Und warum dieser Zorn? Weil die Bulgaren , statt ihren„Befreiern", den Russen, als Kanonen- futter zu dienen, zu ihren„Unterdrückern", den Türken, flüchten und diesen, namentlich als Spione, wacker gegen die„Befreier" helfen. Also jetzt erst wäre der„milde Czar" zur Erkennwiß über seine„Befreierrolle" gelangt? Er hätte wirklich die Lügen der Jgnatieffs und Consorten, d. h. seiner eigenen, zum Lügen bezahlten Agenten geglaubt? Da wäre der Mann ja wirklich zu bemitleiden und mit seinen geistigen Fähigkeiten wäre es noch schlimmer bestellt, als die Fama sagt. — Wegen„schwerer Beleidigung" der Kircheninspektion in Auerbach in Sachsen durch den„Vorwärts" ist unser Mit- redakteur Seiffert in erster Instanz zu 6 Wochen Gefängmß verurtheilt worden. Ein Stück Geschichte. Defension(Bertheidigungsschrift) in der Untersuchungssache wider Wander. (Bom Justizrath Robe(ck. ä. 9. September 1845.) (Fortsetzung.) Bon diesem Concept denunzirt Herr Stieber die gar nicht gesprochene Stelle: Schlöffel habe„den Fehler, laut zu denken, was Hunderttausende sich in's Ohr raunen". Denn diese Stelle enthalte ein lobendes Anerkenntniß für Schlöffel und eine Auf- munterung„zur Nachahmung der Bestrebungen einer gewissen vorlauten Partei, deren verwerfliche Tendenzen hinreichend bekannt seien." Welch' ein fürchterliches Gespinnst aus einem so unscheinbaren Flocken! Spinnen konnte es aber Stieber doch wieder nur, wenn er von seinem eigenen Werg dazu gab. Welche unwahren Vordersätze muß man erst einschieben, um nur Stieber's Folge- rungen einigermaßen erklärlich zu machen. Was man sich in's Ohr raune, könne nichts anderes sein, als verwerfliche Ten- denzen; Schlöffel spreche das, was Andere sich in's Ohr raunen, laut aus; weil Wander das für keinen Fehler halte, so lobe er Schlösse! deshalb; weil er ihn lobe, so muntere er zur Nach- ahmung auf: ergo muntere Wander zur Nachahmung der Be- strebungeu einer vorlauten Partei auf, deren verwerfliche Ten- denzen hinlänglich bekannt wären. Stieber ist nie verlegen, aucy nicht in der Logik. Wander sagt, Schlöffel kenne keine Furcht; weil er immer nur das Beste wolle, deshalb spreche er laut aus, was er wolle. Andere dagegen seien furchtsam, und trotzdem daß sie dasselbe im Herzen trügen wie Schlösset, so sprächen sie davon doch nur einander in's Ohr, d. h. doch mit anderen Worten nichts als: Schlöffel will das Gute und spricht laut von dem, was er will; Andere tragen den Willen für das Gute im Herzen, sprechen aber nur heimlich von dem, was sie wollen. Das nennt Stieber verwerfliche Tendenzen hegen. Er kann auf eine solche Aus- legung nur dadurch kommen, daß er Wander's Sprache für eine Gaunersprache hält, in welcher Gutes die Bedeutung„politisch Verbotenes" hat. Es ist ihm zu dieser Annahme vollkommen genug, daß Wander, im Gegensatz zu Schlöffel's Furchtlosigkeit, die Änderen sich einander nur in s Ohr raunen läßt. Was man laut zu sagen sich fürchte, muß Böses sein, und dieses Böse kein anderes als verbotene politische Tendenzen. Wander sagt aber gerade umgekehrt, die Anderen seien zu furchtsam; wer das Gute wolle, wie Schlöffel, könne auch laut davon sprechen, wie Schlöffel; darum sei Schlöffel's Eigenschaft, das gewollte Gute laut zu besprechen, kein Fehler. Stieber nennt das Anerkenntniß der Abwesenheit eines Fehlers schon ein Lob, und das Lob eine Aufforderung zur Nachahmung. Diese Falschmünzerei mit Worten wird am klarsten, wenn man Wander's Worte und die ihnen von Stieber gegebene Bedeutung einander gegenüberstellt, also: Wander Stieber Gutes— Strafbares wollen Abwesenheit eines Fehlers— Anwesenheit des Lobenswerthen Lob— Aufforderung zur Nachahmung. Als sich Stieber im Mai d. I. längere Zeit in Warmbrunn aufhielt, wurde erzählt, daß Se. Majestät der König dieses Jahr nicht nach Erdmannsdorf kommen würde. Jemand meinte, der König käme gewiß deshalb nicht, weil Stieber hier wäre; er fürchte sich, weil er etwas reden könnte, was Stieber denunziren würde. In Wahrheit, welche Rede vermöchte nicht Stieber zum Hochverruth zu stempeln? In Gegenwart Stieber's kann kein Mensch laut beten:„Herr, erlöse uns von allem Uebel", er wäre im Stande, ihn wegen Veranlassung von Unzufriedenheit gegen die Regierung zu denunziren. Uebrigens, wie schon be- merkt, ist dieser Theil der Wander'schen Rede gar nicht vorge- tragen worden. Er ist also ein ungesprochener, und da er auch sonst nicht Anderen mitgetheilt worden, ein ungeäußerter ge- blieben, kann also auch nicht inkriminirt werden. An die Bertheidigung Schlöffel's knüpfte Wander eine Selbst- vertheidigung; denn man habe auch ihn getadelt und seine Worte „für aufregend, ja— horribili dictu— für revolutionär gehalten". Er habe nämlich in einer früheren Versammlung die Meinung aufgestellt, daß jeder Mensch das Recht habe, zu schweigen oder zu reden, und zu sagen, was ihm Recht oder Unrecht dünke. Er habe behauptet, daß die öffentliche Meinung eine Macht sei, die selbst Napoleon respektirt habe. Er habe endlich die Bemerkung hinzugefügt, daß die Zeit fich in ihrer Entwickelung durch keine Regierung bestimmen lasse. Das Alles habe er allerdings gesagt, es sei aber darunter nichts, was nicht auch schon in der Bibel gesagt worden wäre. Beispielsweise könne Niemand bestreiten, daß König Salomo gesagt habe: Reden habe seine Zeit und Schweigen seine Zeit. Das gelte von ganzen Völkern wie von Einzelnen; übrigens, die nicht reden dürfen, könnten ihre Gedanken auch durch Schweigen zu verstehen geben; denn wenn man zur richtigen Zeit zu schweigen wisse, so habe das auch seine Wirkung. Er aber wolle sich aussprechen, aussprechen offen und ehrlich, wie er fernerhin bei dem Verein thätig sein wolle. Die Aufgabe sei, das Fortbestehen des Vereins so lange als möglich zu erhalten. Ich will zuvörderst diese Einleitung besonders betrachten. Es ist nichts Strafbares darin. Wander sagt: es sei entsetzlich, zu sagen, man habe seine Reden auflegend genannt, und er habe doch nur gesagt: Jeder Mensch habe das Recht zu schweigen oder zu reden, und sich auszusprechen, was ihm recht oder un- recht dünke. Er habe nur gesagt: die öffentliche Meinung sei eine Macht, die selbst Napoleon respektirt habe. Er habe nur gesagt: daß sich die Zeit in ihrer Entwickelung von keiner Re- gierung bestimmen lasse. Wenn Wander hierin das natürliche Recht zu reden und über Recht und Unrecht sein Urtheil auszusprechen in Anspruch nimmt, so nimmt er nicht mehr in Anspruch, als die Staats- gesetze ihm zulassen. Freiheit der Rede und des Urtheils sind die Regel im Staat, und die in Censur und Politik angeord- neten Beschränkungen find eben nur Schranken, welche dieses natürliche Recht begrenzen, aber nicht aufheben, sondern inner- halb der Schranken bestehen lassen._ Wenn er ferner sagt: die öffentliche Meinung sei eine Macht, die Entwickelung der Zeit lasse sich durch keine Regierung be- stimmen, so sind das allgemein anerkannte Wahrheiten, und zwar nicht blos politische Wahrheiten,— denn wir erkennen sie in der lange bekämpften Einführung der El>enbahnen wie in dem Gange der Angelegenheiten der katholischen Dissidenten. Wenn Wander endlich hinzusetzt, es sei mit dem Nichtreden nicht viel gewonnen, weil man seine Gedanken auch durch Schweigen zu verstehen geben könne, so ist das eine Wahrheit, die in jeder bürgerlichen Unterhaltung täglich zur Anwendung kommt und ersichtlich wird. Die Unschuld dieser Einleitung nachzuweisen würde mir gar nicht einfallen, wenn man es nicht init Stteber zu thun hätte. (Fortsetzung folgt.)
Ausgabe
2 (24.10.1877) 125
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten